Philip K. Dick – Blade Runner (Hörspiel)

Typisch Dick: Humor, Philosophie und Action

Los Angeles um das Jahr 2030: Blade Runner, Sondereinheiten der Polizei, jagen in den dunklen Straßenschluchten der Mega-Städte nach entflohenen Androiden. Rick Deckard ist einer dieser speziell ausgebildeten Prämienjäger. Mit allen Mitteln versucht er, die Unterwanderung der Menschheit durch die Androiden zu stoppen. Aber ist Deckard selbst ein Mensch? (Verlagsinfo)

Der Autor

Philip Kindred Dick (1928-1982) wurde am 16.12.1928 in Chicago geboren. Im Alter von 12 Jahren schrieb er bereits kleinere Gedichte und Kurzgeschichten, mit 14 seinen ersten Roman „Return to Liliput“. Gerade 18 Jahre alt, verließ er sein Elternhaus und begann 1949 an der Universität Berkeley ein Germanistik- und Philosophiestudium. Doch schon bald wurde er von der Uni zwangsexmatrikuliert: Dick hatte Kontakte zur Kommunistischen Partei und wurde vom FBI beobachtet.

Er beschloss als freier Autor zu arbeiten: 1952 verkaufte er die erste Kurzgeschichte, 1955 erschien sein erster Roman „Solar Lottery“. Dick wurde in der Science-Fiction-Szene schnell bekannt und gewann 1963 mit „The Man in the high castle“ (deutscher Titel: „Das Orakel vom Berge“) den Hugo Gernsback Award. Am 2. März 1982, im Alter von 54 Jahren, starb Dick an Herzversagen. (Verlagsinfo)

Die Sprecher

Udo Wachtveitl, geboren 1958, spielte jahrelang an deutschen Theaterbühnen, bevor er 1979 für den Film entdeckt wurde. Seit 1991 ist Wachveitl als Kriminalhauptkommissar Franz Leitmayr Ermittler im BR-„Tatort“. Im Jahr 2000 gab er sein Debüt als Fernsehautor und -regisseur mit „Silberdisteln“ sowie in der Gaunerkomödie „Krieger und Liebhaber“. Sein neuestes Drehbuch „Gute Feen“ wird mit ihm selbst in der Hauptrolle im Sommer 2005 gedreht. Wachveitl spricht die Rolle des Deckard.

Sophie von Kessel, geboren 1968, ist die Androidin Rachael in „Blade Runner“. Die Diplomatentochter kam ganz schön herum, bevor sie von 1988 bis 1992 in Wien zur Schauspielerin ausgebildet wurde. 1997 bis 2002 war sie Ensemblemitglied der Münchner Kammerspiele, in den letzten Jahren hat sie sich vermehrt ihrer Arbeit für Film und Fernsehen gewidmet. Für den |Hörverlag| las sie bereits Zeruya Shalevs Roman „Liebesleben“ und wirkte an der Produktion von Manns „Zauberberg“ sowie Galsworthys „Die Forsyte-Saga“ mit.

Die Inszenierung

Das Hörspiel wurde 1999 vom Bayerischen Rundfunk (BR) inszeniert und erschien noch im gleichen Jahr erstmals im |Hörverlag|. Es handelt sich also um eine Wiederveröffentlichung. Die Musik stammt von Thomas Bogenberger, um Ton und Technik kümmerten sich W. Hauer und D. Röder, Regie führte Marina Dietz, die auch die Hörspielfassung erarbeitete.

Handlung

(Die Handlung verfügt über zwei Stränge, und das kann ein wenig verwirren.)

Natürlich ist da zum einen Rick Deckard, der Prämienjäger. Aber da gibt es auch John Isidore, der ihm Film wohl am ehesten der Figur „John Sebastian“, gespielt von William H. Macy, entspricht. Isidore ist ein freundlicher, aber geistig „langsamer“ junger Mann vom „B-Typ“, der als frommer Anhänger der Staatsreligion des Mercerismus ein Herz für alles „biologische Leben“ hat. In diese Kategorie fallen Androiden aber nicht, und so bekommt Isidore ein kleines moralisches Problem, als die Androidin Priss in seinem Haus auftaucht. (Der Mercerismus liefert die rechtliche Begründung für die Verfolgung künstlichen Lebens, also der Androiden.)

Priss gehört zu fünf Androiden der neuesten Generation: Nexus 5. Sie wurde auf dem Mars als Dienerin für die Kolonisten eingesetzt, doch diese Ausbeutung gefiel ihr ebenso wenig wie den vier anderen Androiden (sie werden an keiner Stelle „Replikanten“ genannt). Und so flohen sie, Roy, Polokov und andere auf die Erde, um sich dort zu verstecken.

Da es einen Unfall mit einem Androiden gegeben hat, ist bei der Polizei ein Mann ausgefallen, und deshalb bittet Inspektor Bryant den Prämienjäger Rick Deckard einzuspringen. Deckard und seine Frau Irene sind zu arm, um sich ein lebendiges Schaf auf dem Dach zu leisten. Das wäre ein tolles Statussymbol, denn alle echten Tiere sind wegen Verstrahlung nach dem Atomkrieg „World War Terminus“ ausgestorben und nur elektrische oder gezüchtete Tiere „überleben“ noch. Der Mercerismus schreibt aber die Liebe zum Leben vor. Ein richtiges Schaf wäre das höchste der Gefühle für die Deckards. Das elektrische heißt übrigens „Groucho“.

Um den Unterschied zwischen einem Menschen und einem Androiden vom Typ Nexus 5 feststellen zu können, misst Deckard mit einer Fragenliste die Reaktionsverzögerung. Das Ergebnis ist nicht hundertprozentig sicher, denn auch „langsame“ Menschen wie Isidore weisen die Verzögerung auf, aber alle Fragen involvieren irgendwelche Tiere. Um Deckard zu zeigen, dass er seinen Test wegschmeißen kann, lädt ihn der Androidenhersteller Eldon Rosen zu einem kleinen Test ein: Er soll Rosens „Nichte“ Rachael dem Voight-Test unterziehen. Sie beantwortet alle Fragen richtig und ist als Mensch beinahe schon bestätigt, da trickst Deckard sie mit einer Bemerkung, dass seine Tasche aus Babyhaut sei, aus: Sie reagiert nicht. Und ist überrascht darüber: Sie weiß nicht, dass sie kein Mensch ist, weil Rosen ihr falsche Erinnerungen eingepflanzt hat.

Doch inzwischen haben die Nexus 5 die Behörden unterwandert. Dem „russischen Kollegen“ Shando Kadaly kann Deckard durch einen Zufall entkommen und ihn ausschalten, doch dann wird er von zwei „Polizisten“ abgeholt, von deren Behörde er noch nie gehört hat. Es sind beides Androiden. Sie haben noch nicht einmal vom Voight-Test gehört, sondern haben einen eigenen, von Bonelli. Doch einer der beiden weiß nicht einmal, dass er ein Android ist, weil man ihm ebenfalls falsche Erinnerungen eingepflanzt hat. Auch diesmal springt Deckard dem Teufel noch einmal von der Schippe, aber er wird nun selbst auf Menschlichkeit getestet (eine Knochenmarksprüfung).

Unterdessen

Unterdessen ist Isidore ein richtig guter Freund von Priss geworden und will die Ärmste sogar mit einer Waffe beschützen. Ein Großteil der Menschheit ist zu anderen, unverseuchten Welten ausgewandert. Und so stehen riesige Apartmentblöcke leer, und Isidore ist froh über eine Nachbarin, auch wenn sie ein wenig traurig erscheint.

Da trifft Roy als letzter und einziger Überlebender der Nexus 5 ein. Er installiert ein Frühwarnsystem, das ihn vor dem Prämienjäger Deckard schützen soll. Es reagiert nur auf Menschen. Bei Isidore schlägt es sofort an, bei Priss aber nicht, und so erkennt Isidore, mit wem er es zu tun hat. Er will den Nexus 5 trotzdem helfen, denn sie sind, wie er, „Andere“. Roy ist unbarmherzig und erklärt ihm, dass der Mercerismus ein aufgelegter Schwindel sei, den sich ein Werbepsychologe hat einfallen lassen. Isidore prüft diese Angaben nach und erhält von dem Computer Wilbur Mercers eine niederschmetternde Antwort …

Inzwischen

Inzwischen hat Deckard die letzten Nexus 5 ausfindig gemacht und soll sie eigentlich eliminieren. Doch er hat sich auf eine erotische Nacht mit der Nexus 5 Rachael eingelassen und statt sie anschließend zu erschießen, wie es seine Pflicht wäre, lässt er sie am „Leben“. Dass er selbst ebenfalls ein Android ist, weiß er noch nicht, sein Auftraggeber aber schon.

Es kommt zum Showdown mit Priss und Roy, der aber ganz anders verläuft als im Film. Dass es überhaupt eine Auseinandersetzung mit Roy gegeben hat, erfahren wir später nur durch einen Nebensatz von Isidore. Das ist eine herbe Enttäuschung.

Mein Eindruck

Die Buchvorlage ist sicherlich nicht Dicks bester oder genialster Roman. Der stets in Geldnot steckende Autor hat ja sehr viel veröffentlicht, manchmal sogar aneinandergereihte Kurzgeschichten, und das Buch wurde sicherlich ebenfalls in sehr kurzer Zeit produziert. Aber das Buch, auf das sich das Hörspiel stützt, ist immer noch besser als der Film. Während der Film auf die Actionelemente abhebt und die Philosophie nur an der Oberfläche kratzt (wenn auch sehr stimmungsvoll), schürft der Roman wesentlich tiefer und ist wenigstens humorvoll. Das wird im Hörspiel keineswegs unterschlagen.

Die Handlung kreist um das Wesen des Menschseins. In Deckards Figur sind tiefgründige Zweifel an der einfachen Formel „Künstlichkeit = Unmenschlichkeit und Gefühllosigkeit“ personifiziert. Das von Zerfall geprägte Szenario stellt die Frage nach der Natur der Realität. Düster ist auch die These des Autors, dass wer handelt, unweigerlich auch Schuld auf sich lädt.

Offene Fragen

Aber das Hörspiel lässt eine ganze Menge Fragen offen. Nicht nur wundert man sich, dass Roys Tod, der im Film in einer langen Sequenz zu einer Apotheose der Humanität emporstilisiert wird, mit einem Nebensatz abgetan wird („Roy hatte keine Waffe“). Nein, auch die Behauptung Rachaels, dass der Rosen-Konzern die Vernichtung der Nexus 5 verhindern will, um sie zu studieren und somit den Nexus 6 zu erschaffen, ergibt wenig Sinn: Denn sie ist ja selbst ein Nexus 5, kann also ausgiebig zu Experimenten herangezogen werden – zumal da sie ja als Androidin Eigentum des Konzerns ist.

Außerdem kommt ständig eine rätselhafte Eule vor, die für Isidore lebendig ist (aber er kann ja eh nicht zwischen lebendig und künstlich unterscheiden, wie die erste Szene verdeutlicht), doch Deckard bekommt laufend bestätigt, dass Eulen genauso wie alle anderen Tiere komplett ausgestorben sind, weil die Strahlung sie tötete. Die Eule ist ein Dingsymbol für biologisches Leben, für Hoffnung und Freiheit – alles sehr wichtige und erstrebenswerte Werte für Androiden. Und Symbole müssen nicht restlos erklärt werden, im Gegenteil.

Sexy Rachael

Warum wird Rachael vom Rosen-Konzern für Sex mit Menschen, Prämienjägern zumal, eingesetzt? Damit diese menschliche Sympathie für Androiden wie sie empfinden (Nexus 5 sind laut Bryant sehr attraktiv) und somit unfähig werden, Androiden zu töten. Nur gibt es dabei einen Haken: Es gibt nicht nur einen Androiden, der so sexy aussieht wie Rachael, sondern mindestens einen weiteren. Und das stört Deckard ganz erheblich.

Und überhaupt, die Frage aller Fragen: Träumen Androiden? Diese Frage liegt auf der gleichen Ebene wie das Problem, dass Deckard Sympathie für Androiden fühlt – er kann also kein Android sein, oder? Aber was ist er dann? Bryant sagt es ihm nicht, aber er und wir wissen, dass Deckard ein Android ist. Was folgt daraus? Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen träumenden Menschen und fühlenden Androiden. Der Nexus 6 ist überflüssig.

Die Sprecher

Die Sprecher sind allesamt kompetent, aber ihre Sätze entbehren allzu oft der Kraft, ein Gefühl, eine Stimmung auszudrücken. Mit Ausnahme von Sophie von Kessel scheint dies den Sprecherinnen am besten zu gelingen, am ehesten von „Lena Luft“ (Nexus 5) und „Irene Deckard“ (Menschin?). Sophie von Kessels Vortrag gefällt mir überhaupt nicht: Ihre Stimme ist zu tief, klingt überhaupt nicht erotisch, und als sie Deckard fragt, ob er mit ihr schlafen will, könnte sie genauso gut nach einem Bahnticket fragen. Sehr gut gefielen mir Wachtveitl (Deckard) und Mendl (Bryant). Beide sind gelernte Bühnenschauspieler, wissen mit begrenzten Mitteln das Maximum auszudrücken. Leider wird Mendl im Booklet nicht gesondert hervorgehoben.

Geräusche

Das Tempo der Handlung ist sehr straff – zu straff für meinen Geschmack. Wann wird es endlich mal eine vollständige Lesung des Romans geben?! Der Lautstärkepegel ist leider viel zu leise eingestellt (oder ich habe einen ernsten Hörschaden). Die Geräusche sind völlig in Ordnung und erzeugen eine tragfähige Illusion von Realismus: Polizeisirenen, Hubschrauber (in Stereo), Alarmanlage, Laserschüsse, elektrische Entladungen, Durchsagen, TV-Sendungen, Wettermeldungen – all diese Elemente einer Welt-Kulisse entführen den Zuhörer in einen akustischen Film.

Musik

Die Musik von Thomas Bogenberger plätschert sehr dezent im Hintergrund der jeweiligen Szene. Mit ihrem Rhythmus wirkt sie entweder entspannend oder dynamisch und angespannt. Nur einmal dröhnt die Musik aus dem „Radio“, wobei ein rockiger Rhythmus zur Geltung kommt. Das hat eine dramaturgische Funktion, die man selbst hören sollte.

Unterm Strich

Obwohl alle Mitwirkenden sich redlich bemüht haben, eine professionelle Produktion auf die Beine zu stellen, so fehlt doch das letzte Quäntchen, um den Zuhörer für die Darstellung zu begeistern. Das liegt sicher zum Teil daran, dass das Hörspiel immer an Buch und Kultfilm gemessen werden wird.

Zum Teil liegt es aber auch an der Dramaturgie und an Sophie von Kessels Stimme – mir gefiel sie nicht und ich fand sie unpassend für die Rolle der Rachael: ein 19-jähriges Mädel, das einen Prämienjäger um den Finger wickelt? Nicht undenkbar, aber etwas stimmt hierfür nicht in Kessels Darstellung. Bei ihr klingt Rachael, als wäre sie schon 35 und hätte Prämienjäger reihenweise flachgelegt.

Höchste Zeit für eine ungekürzte Lesung des Originalromans. Es würde sich nämlich lohnen.

53 Minuten auf 1 CD
Originaltitel: Do androids dream of electric sheep?, 1968
Aus dem Amerikanischen von Norbert Wölfl, überarbeit von Jacqueline Dougoud
ISBN-13: 9783899406818

www.luebbe.de

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