H. P. Lovecraft – Berge des Wahnsinns (illustriert u. kommentiert)

Eine wissenschaftliche Expedition in die Antarktis entdeckt Überreste einer vorzeitlichen und keineswegs menschlichen Zivilisation. Körper dieser Wesen tauchen auf. Kurz darauf steht fest, dass „verlassen“ nicht „ausgestorben“ bedeutet. Über die Forscher bricht buchstäblich die Urzeit herein … – Obwohl eigentlich wenig geschieht, zieht Autor Lovecraft den roten Faden seiner spannenden Geschichte geschickt immer straffer, bis im Finale der Schrecken leibhaftig wird: Dies ist zurecht einer der Klassiker der modernen Phantastik. Er wird hier nicht nur neu übersetzt, sondern auch schön illustriert und kommentiert veröffentlicht.

Das geschieht:

Im Frühjahr des Jahres 1931 setzt sich in der Antarktis eine große und modern ausgerüstete Forschungsexpedition in Gang. Unter der Leitung des Geologen William Dyer rücken Naturwissenschaftler mit Flugzeugen und Hundeschlitten in bisher unbekannte Regionen des Kontinents vor. Große Entdeckungen lassen nicht lange auf sich warten, denn die Expedition verfügt über die Mittel, auch unter dem Eis nach Spuren der Vergangenheit zu suchen. Vor Jahrmillionen war die Antarktis ein tropisches Land mit üppiger Vegetation und vielfältiger Tierwelt.

Eine Sensation kündigt sich an, als sich eine Gruppe unter Professor Lake eine Bergkette entdeckt, die an Höhe die Himalaya-Gipfel weit übertrifft. Die Wissenschaftler stoßen auf eine Höhle, in der sie die Knochen unbekannter Tierarten entdecken – und die bestens erhaltenen Körper seltsamer Wesen, die offensichtlich intelligent waren! Vor vielen Millionen Jahren und weit vor dem Menschen war die Erde bereits von Wesen bevölkert, deren Wissen und Technik jedes fassbare Maß übertrafen.

Kurz darauf bricht der Kontakt zu Lakes Gruppe ab. Dyer und der Student Danforth begeben sich per Flugzeug in das Lager. Sie finden es zerstört, die Männer und ihre Hunde nicht nur tot, sondern in Stücke gerissen. Die Körper der Wesen sind verschwunden; einige finden Dyer und Danforth in sechseckig aus Schnee und Eis geformten Grabhügeln. Wer hat sie errichtet, wer die Verheerungen angerichtet? Einige Forscher sind zudem verschwunden. Dyer und Danforth nehmen die himmelhohen Berge ins Visier und begeben sich auf die Suche.

Sie entdecken eine gigantische Metropole der Kreaturen. Die Nachforschungen führen die beiden Männer in schauerliche Tiefen. Sie finden überall Relikte und Spuren einer irdischen Vergangenheit, in der die Menschen nicht einmal eine Statistenrolle spielten. Je tiefer Dyer und Danforth vordringen, desto größer wird ihr Verdacht, dass keineswegs alles tot ist, was damals die Erde besetzt hielt …

Neue, faszinierende, verdächtige Horizonte

Seit jeher interessierte sich der nur scheinbar absolut weltfremde Schriftsteller H. P. Lovecraft für Geschichte und Naturwissenschaften. Er griff das angelesene Wissen gern auf, um es in sein eigenes Werk einfließen zu lassen. Hier rückte Ende der 1920er Jahre der „Cthulhu“-Mythos immer weiter in den Vordergrund. Lovecraft entwickelte eine ‚parallele‘ Erdhistorie, in welcher der Mensch nur eine Nebenrolle einnahm. Stattdessen war diese Erde Schauplatz einer Auseinandersetzung, die vor Jahrmillionen irgendwo im Kosmos begonnen hatte. Wesen bzw. Wesenheiten, die zum Teil nicht einmal dem bekannten Raum-Zeit-Kontinuum entstammten, lagen in unendlichen Fehden, die sich keineswegs nur bzw. nur zum Teil auf der Erde abspielten.

Lovecraft baute seine Kosmologie immer detaillierter aus. Dabei kamen ihm die Kenntnislücken zupass, die unsere Geschichte notgedrungen auszeichnet, je weiter wir in der Vergangenheit zurückgehen. Bruchstücke uralter Legenden und halbvergessene ‚Fakten‘ kamen Lovecraft gerade recht. Er konnte solche Kenntnistrümmer mit eigenen Erfindungen verzahnen, die dank seines Talents erstaunlich rational klangen, obwohl sie nur erdichtete Realitätsbezüge aufwiesen. Dies schließt auch Anmerkungen ein, die Lovecraft den Fiktivtexten anderer Autoren entnahm; in „Berge des Wahnsinns“ erweist er beispielsweise geschickt Edgar Allan Poe (1809-1849) und dessen einzigem Roman „The Narrative of Arthur Gordon Pym of Nantucket“ (1838, dt. „Der Bericht des Arthur Gordon Pym“) seine Reverenz.

Natürlich entging Lovecraft nicht die ohnehin von den zeitgenössischen Medien eng begleitete Groß-Expedition, die der Entdecker und spätere Konteradmiral Richard E. Byrd (1888-1957) in die Antarktis führte. Nachdem er (angeblich) 1926 bereits den Nordpol überflogen hatte, gelang es ihm 1928/29, den Südpol per Flugzeug zu erreichen – ein quasi militärisches, einem Feldzug gleichendes Unternehmen, das auf dem Eis von Vorstößen mit Hundeschlitten und Schneemobilen begleitet wurde.

Wer sucht, der findet – mit allen Konsequenzen

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse hielten sich in Grenzen. Lovecrafts Fantasie wurde durch den schieren Umfang dieser Expedition in Gang gesetzt: Was wäre, wenn ein solcher Vorstoß zu einem der tatsächlich noch ‚weißen‘ Flecken des Globus‘ führte? Um 1930 gab es nicht mehr viele Stellen, an denen noch nie ein Mensch gestanden hatte. Dort, wo man auf alten Karten oft „Hier sind die Drachen“ vermerkt hatte, waren keine unheimlichen aber gleichzeitig faszinierenden Ungetüme oder andere Mysterien zum Vorschein gekommen. Die Antarktis war ein echtes „terra incognita“. Hier konnte Lovecraft seine „Alten Wesen“ und „Shoggothen“ ansiedeln, hier fanden sie eine Bühne, auf der sie gleichermaßen heimisch wie schrecklich wirkten.

Dabei schien Lovecraft dieses Potenzial zu konterkarieren: „Berge des Wahnsinns“ ist keine klassische Erzählung, für die sämtliche schriftstellerischen Register gezogen werden, um den Leser in Angst & Schrecken zu versetzen. Stattdessen weist Lovecraft – der hier dem Expeditionsleiter Dyer seine Stimme leiht – immer wieder die Sachlichkeit dieses Textes hin, dem jegliche Sensation vorsätzlich ausgetrieben wird: Nur die reinen Fakten sollen vermittelt werden, denn dies ist keine Geschichte, die der Unterhaltung dient, sondern ein Bericht, der gleichzeitig und vor allem Warnung ist: Am Südpol verbergen sich Mächte, denen der Mensch nichts entgegensetzen kann. Solange er sich fernhält, bleiben diese Entitäten friedlich. Dyer schreibt seinen Text im Wettlauf mit der Zeit: Eine noch größere Expedition rüstet sich zur Rückkehr in die Antarktis und wird dort Kräfte wecken, deren Intentionen bestenfalls unbekannt sind.

Lovecraft musste einen anderen Weg wählen, um Spannung zu generieren. Er, der nach Ansicht vieler Literaturkritiker kein besonders talentierter Schriftsteller war, stellte unter Beweis, dass man ihn verkannt hatte. Allerdings dauerte es viele Jahre, bis sich auch seine Leser dessen vergewissern konnten. Lovecraft bot seine komplexen Erzählungen den zeitgenössischen „Pulp“-Magazinen an, deren Publikum ihre Lesekost mehrheitlich simpel favorisierte. Meist wurden Lovecrafts Storys abgelehnt. Falls sie angekauft wurden, strichen die Redakteure, was ihnen zu kompliziert, zu unheimlich oder gar anstößig erschien. Auch „Berge des Wahnsinns“ erlitt zum großen Ärger des Verfassers dieses Schicksal, als der Kurzroman 1936 in drei Fortsetzungen im Magazin „Astounding Stories“ erschien.

Ganz langsam packt es dich

Dabei kommt es zur Entfaltung der geplanten Wirkung auf jedes wohl gesetzte Wort an. Lovecraft vernachlässigt zugunsten der reinen = ‚objektiven‘ Handlung auch die Figurenzeichnung. Dyer, sein Gefährte Danforth und erst recht die übrigen Wissenschaftler bleiben ohne Persönlichkeiten, viele haben keine Namen. Wir sollen und müssen nichts Privates über sie erfahren, da dies im Rahmen der Geschichte unerheblich ist. Allein die ‚Fakten‘ sprechen für sich.

Viele und vor allem jüngere Leser könnten enttäuscht sein: Lovecraft schwelgt ausführlich und statisch in präzisen ‚wissenschaftlichen‘ Beschreibungen diverser Funde und Fundorte. Er geht dabei ein Risiko ein, da er uns auch die „Alten Wesen“ wie unter dem Mikroskop vorstellt. Wenn wir dies lesen, wissen wir allerdings nicht, wie lebendig diese Wesen sind. Zudem führt Lovecraft uns auf eine falsche Fährte, denn im Finale werden Dyer und Danforth mit einem ganz anderen Grauen konfrontiert.

Ungeachtet der überbetonten Sachlichkeit versteht es Lovecraft, das anfängliche Unbehagen zu schüren. Unmerklich zieht dabei das Tempo an. Wir Leser spüren, wie wir gemeinsam mit Dyer und Danforth dem Mysterium und damit der Gefahr immer näher kommen. Lovecraft zieht alle Register, wie David A. Oakes in einem der beiden Kommentare, die dieser Ausgabe des Kurzromans beigefügt wurden („Eine Warnung an die Welt: Der Appell in Berge des Wahnsinns“), erläutert. Was moderne Autoren vielhundertseitig auswalzen würden, bringt Lovecraft konzentriert auf den Punkt.

Ein wenig zu viel des Bösen

Will Murray verdeutlicht in „Das Problem mit den Shoggothen“ den einzigen, allerdings elementaren Fehler, den Lovecraft begeht. Als sich der Schrecken offenbart, geschieht dies in einer Gestalt, die mit dem zuvor so ausführlich beschriebenen Fremden nicht identisch ist. Zwar weiß Lovecraft zu begründen, wieso er plötzlich die Shoggothen in den Vordergrund schiebt, nachdem er bisher mit Andeutungen viel besser gefahren war. In der Tat wirkten diese Shoggothen schon damals eher grotesk als gruselig. Lovecraft selbst hat die Schwäche erkannt und quasi in einem Epilog auszugleichen versucht: Hinter den Bergen des Wahnsinns kommt vage ein Hochland in Sicht, das noch grässlichere Unholde beherbergt. Das funktioniert, bleibt aber als Kniff des Verfassers erkennbar: ein Manko, das „Berge des Wahnsinns“ ansonsten abgeht.

Hierzulande ist dieser Kurzroman schon mehrfach erschienen und übersetzt worden, wobei sämtliche Versionen gleichermaßen lesenswert sind. Diese aktuelle Fassung wurde illustriert und kommentiert. Die beiden erläuternden Texte wurden bereits erwähnt. Cover und Innenzeichnungen stammen von Timo Wuerz, der sowohl realistische Szenen als auch stimmungsvoll-schreckliche Impressionen auf Papier gebannt hat.

Typisch für den Festa-Verlag ist die generell ansprechende handwerkliche Qualität dieses erfreulich kostenniedrigen Buches, das sauber gedruckt und gebunden sowie mit einem farbigen, erstaunlich stabilen Papierumschlag und einem Lesebändchen ausgestattet ist. Die Reise zu den Bergen des Wahnsinns wirkt auf diese Weise niemals altmodisch. Sie ist zeitlos, und das dürfte sie bleiben!

Anmerkung

Ein Kreis schloss sich real, als der eingangs genannte Admiral Byrd 1946/47 die „Operation Highjump“ in die Antarktis führte. Über 4000 mit Flugzeugen, Helikoptern, sattelschleppergroßen Eismobilen und Luftkissenfahrzeugen ausgestattete Männer fielen im Rahmen eines ‚Manövers‘ über den Kontinent her; tatsächlich probte man den militärischen Einsatz in einer Region, die wie der Nordpol zum Schauplatz eines Krieges mit der aufstrebenden UdSSR werden konnte.

Während eines Erkundungsfluges stieß Byrd angeblich auf ein eisfreies, bewaldetes Land, das womöglich den Eingang in eine Hohlwelt innerhalb unseres Erdballs markierte; entsprechende Äußerungen über Funk wurden angeblich von der US-Regierung und vom Militär unter Geheimverschluss genommen. Seither schreiben Verschwörungstheoretiker u. a. Spinner dicke Bücher über Byrd, der 1947 Hitlers Erben im Südpolar-Paradies „Neuschwabenland“ einen Besuch abstattete. Lovecraft war damals schon zehn Jahre tot. Ihm hätte dieses Garn gefallen.

Autor

Howard Phillips Lovecraft wurde am 20. August 1890 in Providence, Rhode Island, geboren. Mütterlicherseits konnte er seine Familiengeschichte bis ins frühe 17. Jh. zurückverfolgen. Darauf war er überaus stolz, wozu die Gegenwart wenig Anlass bot. Lovecrafts Vater, ein Handelsvertreter, starb bereits 1898 im Wahnsinn. Die ebenfalls labile Mutter und zwei Tanten zogen Howard auf, der sich bereits als Wunderkind erwiesen hatte. Er konnte mit drei Jahren lesen und begann mit sechs zu schreiben. Die arabische Vorgeschichte, dann das griechische Altertum begeisterten ihn. Am Alltagsleben nahm Howard kaum teil, litt unter (psychosomatischen) Beschwerden, besuchte nur sporadisch die Schule. Stattdessen vergrub er sich daheim und widmete sich seinen privaten Studien, die er mit enormem Enthusiasmus betrieb. Er gab mehrere Journale heraus, die von seiner Begeisterung für Naturwissenschaft und Astronomie kündeten, und unterhielt einen enormen Briefwechsel.

Nach ersten Versuchen Anfang des Jahrhunderts begann Lovecraft 1917 phantastische Kurzgeschichten zu schreiben. Bisher hatte er Poesie und Essays den Vorzug gegeben. 1924 heiratete Lovecraft und zog mit seiner Gattin nach New York. Dort kam er in Kontakt mit den zu diesem Zeitpunkt aufstrebenden „Pulp“-Magazinen, die zwar schlecht zahlten, aber stets neues Material suchten. In New York konnte sich Lovecraft nicht einleben, die Ehe scheiterte. Schon 1926 kehrte er nach Providence zurück. In den zehn Lebensjahren, die ihm noch blieben, führte er das bescheidene Leben eines Ghostwriters und Unterhaltungsschriftstellers. Als solcher machte er beachtliche Fortschritte und schuf die Cthulhu-Saga. „The Call of Cthulhu” (1926), „At the Mountains of Madness” (1931/36, dt. “Berge des Grauens“) oder „The Shadow Out of Time“ (1934/35, dt. „Der Schatten aus der Zeit“) stellen Höhepunkte der Phantastik dar.

Freilich blieb dies lange unbemerkt. Lovecraft verfügte nie über die Energie oder das Selbstbewusstsein, aktiv an seiner Karriere zu arbeiten. Seine Werke erschienen unter Wert in billigen Magazinen, wo sie die Leser oft genug irritierten, wenn sie nicht sowieso von den Herausgebern abgelehnt wurden. Zu seinen Lebzeiten erschien überhaupt nur ein Buch – „The Shadow Over Innsmouth“ – in einem obskuren Kleinverlag. Am 15. März 1937 erlag H. P. Lovecraft einem Krebsleiden.

Dass er nicht in Vergessenheit geriet, verdankt er den Bemühungen zweier junger Verehrer. August Derleth und Donald Wandrei gründeten 1939 den Verlag „Arkham House“, um Lovecrafts Werk zu veröffentlichen. Nach schwierigen Anfängen traten Cthulhu & Co. einen bemerkenswerten Siegeszug an. In der phantastischen Literatur nimmt H. P. Lovecraft längst den ihm gebührenden Platz ein – zeitlich hinter, aber nicht unter Edgar Allan Poe: ein kauziger, allzu sehr in Adjektive verliebter aber origineller Mann mit großen Visionen, der den Horror mit der Science-Fiction mischte, ohne dem naiven Traum von einer technisierten Zukunft hinterher zu laufen. Stattdessen schuf Lovecraft etwas Eigenständiges: ein alternatives Universum mit eigenen Naturgesetzen, so konsistent in seiner Darstellung, dass es uns, die wir um seine fiktive Gestalt wissen, eben doch möglich erscheint.

Über H. P. Lovecraft und sein Werk äußern sich unzählige Websites. Eine der schönsten ihrer Art ist diese.

Gebunden: 253 Seiten
Originaltitel: At the Mountains of Madness (Februar-April 1936, Astounding Stories/Sauk City, Wisconsin : Arkham House 1964)
Übersetzung: A. F. Fischer
Cover u. Illustrationen: Timo Wuerz
www.festa-verlag.de

eBook: 1710 KB
ISBN-13: 978-3-86552-423-2
www.festa-verlag.de

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