Frank Belknap Long/H. P. Lovecraft – Das Grauen aus den Bergen

Das geschieht:

Ein Kurzroman und drei Kurzgeschichten:

– Das Grauen aus den Bergen (The Horror from the Hills, 1931), S. 9-130: Eine grässlich anzuschauende Götzenstatue aus der fernen Mongolei entpuppt sich als Kreatur aus der Urzeit des Universums, die bereits mehrfach versucht hat, sich die Menschheit als Futterquelle zu unterwerfen. Nun richtet sie ihre Fischaugen blutgierig auf die USA und lässt sich von ahnungslosen Archäologen in ein Museum der Stadt New York bringen, wo sie bald sehr lebendig wird, ausbricht und arglose Bürger auszusaugen beginnt. Drei entschlossene Männer nehmen mit einer Raum-Zeit-Waffe die Verfolgung auf.

– Die Bedrohung aus dem Weltraum (The Challenge from Beyond, 1935), S. 131-158: Ein uraltes Artefakt öffnet ein Raum-Zeit-Portal, durch das ein Erdmensch auf einen Planeten eroberungswütiger Wurmwesen gelangt.

– Die Hunde des Tindalos (The Hounds of Tindalos, 1929), S. 159-183: Allzu neugierig stößt der Privatgelehrte in eine Urzeit vor, deren fremde Bewohner ihm mit bösen Absichten in die Gegenwart folgen.

– Die Weltraumfresser (The Space-Eaters, 1928), S. 184-233: Eine äonenalte Macht aus einer anderen Dimension setzt zur Eroberung der Menschenwelt an, der zwei weltfremde Buchwürmer sich entgegenstemmen.

– H. P. Lovecraft (Gedicht) (H. P. Lovecraft, 1938), S. 235

– Nachwort von Joachim Körber, S. 237-247

– Frank Belknap Long – Eine deutschsprachige Bibliografie, S. 249-255

– Originaltitel und Copyright-Angaben, S. 256

Des Schreckens unterhaltsame Fruchtbarkeit

Im Februar 1928 veröffentlichte das „Pulp“-Magazin „Weird Tales“ die Kurzgeschichte „The Call of Cthulhu“. Verfasser war Howard Phillips Lovecraft (1890-1937), ein menschenscheuer Mann, dessen intensive Werke in einem auf knalligen Horror spezialisierten Medium eigentlich wenig verloren hatten. Dennoch fand die Story nicht nur ihre Leser: Eine Runde faszinierter Autoren, die später locker den sogenannten „Lovecraft-Zirkel“ bildeten, erkannten die geniale Mischung aus traditionellem und modernem Schrecken, der dem Genre neue Impulse geben konnte.

Das Grauen erhob sich nun nicht mehr ausschließlich aus modrigen Grüften, und es wurde nicht verkörpert von verlorenen Kreaturen, die gegen christlich geprägte Vorschriften verstoßen hatten und dafür als Strafe nach dem Tod spuken mussten. Lovecrafts Schrecken basierte auf naturwissenschaftlichen ‚Tatsachen‘. Nach 1928 postulierte er in weiteren Storys eine Sicht des Universums, nach welcher „der Mensch eine unbedeutende Erscheinung in einem gleichgültigen, von monströsen Wesenheiten aus höheren und nicht-euklidischen Dimensionen bewohnten Universum ist“ (J. Körber, Nachwort, S. 243). Lovecraft berücksichtigte die physikalischen, astronomischen oder historischen Erkenntnisse der Neuzeit, um aus diesen Bausteinen jene parallele Evolution zu gestalten, für die August Derleth (1909-1971), ein Mitglied des „Zirkels“, die Bezeichung „Cthulhu-Mythos“ prägte.

Lovecraft hatte das Konzept des gottlos belebten Universums nicht erfunden. Schon Arthur Machen (1863-1947) oder William Hope Hodgson (1877-1918) hatten sich mit der Frage beschäftigt, ob es Leben – seltsames, fremdes, latent feindseliges und weiterhin präsentes Leben – vor der wissenschaftlich erfassten Evolution gegeben hatte. Doch Lovecraft hatte ‚seinen‘ Zirkel, dessen Mitglieder umgehend damit begannen, den Mythos mit eigenen Geschichten zu ergänzen und zu erweitern. Lovecraft reagierte erfreut auf die Verselbstständigung seiner Schöpfung und baute seinerseits Ideen und Einfälle von Kollegen in eigene Geschichten ein. Mit „The Challenge from Beyond“ („Die Bedrohung aus dem Weltraum“) beteiligte sich Lovecraft sogar an einer ‚Ketten-Story“, zu der die Zirkel-Freunde Catherine Lucile Moore (1911-1987) Abraham Merritt (1884-1943), Robert E. Howard (1906-1936) und Frank Belknap Long je ein Kapitel beisteuerten.

Die Treue zum Meister

Zu den frühen Mitschöpfern gehörte Frank Belknap Long. In „The Space-Eaters“ („Die Weltraumfresser“) ließ er bereits 1928 seinen Freund Lovecraft als „Howard“ sogar eine Hauptrolle spielen. Drei Jahre später schuf Long den Kurzroman „The Horror from the Hills“ („Das Grauen aus den Bergen“), der nicht nur den Mythos, wie er zu diesem Zeitpunkt bestand, in seinen Details subsummierte, sondern auch – mit dessen Zustimmung – einen Traum zitierte, von dem Lovecraft ihm in einem Brief berichtet hatte.

Während die Handlung eher dürftig ist und den zeitgenössischen „Pulp“-Vorgaben vordergründiger Spannung und Action folgt (sowie unschöne Rassismen nicht verschmäht), fesseln die ausführlichen Einschübe, die zwar das Geschehen immer wieder zum Halt bringen, dafür jedoch gelungen Lovecrafts Sicht einer nur scheinbar geordneten Welt aufgreift, die in ihrer vollen Bandbreite auch dem gebildeten Menschen verborgen bleibt: „Aber woher wollen Sie wissen, dass es gütige Gesetze im Universum gibt, dass der Kosmos den Menschen freundlich gesonnen ist?“ (Das Grauen aus den Bergen, S. 29)

Genau dieser Irrglaube führt nicht nur den wackeren Forscher Algernon Harris – „Algernon“ ist vielleicht eine Hommage an Algernon Blackwood (1869-1951), den Lovecraft außerordentlich schätzte – an den Rand eines Endes, das schlimmer als der Tod ist: Der Geist ist separat vom Körper lebensfähig, er ist den Attacken aus dem Nichts ausgeliefert; er kann verschleppt oder assimiliert ein hilfloses Fragment buchstäblich übernatürlicher Mächte werden.

Fieser Unhold ohne Charisma

Chaugnar Faugn gehört zwar in das Panoptikum des kosmischen Schreckens, das den Chulhu-Mythos ausmacht. Dennoch ist er eine Randerscheinung – kein gottähnliches Wesen, sondern eine von Eigennutz geprägte Kreatur, die ihre Kraft einsetzt, um letztlich profane Begierden zu stillen. Chaugnar Faugn ist gefährlich aber berechenbar und nicht annähernd so mächtig wie die „Alten Götter“. Deshalb können seine Widersacher ihm mit der „Raum-Zeit-Maschine“ zu Leibe rücken – einer ‚Erfindung‘, die ins „Pulp“-Umfeld gehört wie der „mad scientist“, der sie in der Regel entwickelt. Sie treiben ihn damit wie viele Kino-Mumien oder Frankensteins Monster in einen Sumpf, wo sie ihm den Garaus machen.

Die Exotik eines Wesens, dessen Handlungen das menschliche Verständnis übersteigen, bietet Long die Möglichkeit, in Schilderungen seltsamer = unheimlicher Ereignisse förmlich zu schwelgen. So verlassen wir einmal die Gegenwart und springen zurück in die Zeit der Römischen Republik, als Chaugnar Faugn und seine Brut noch in den Pyrenäen ihr Unwesen trieben. Was den unwillkommenen Gast aus Zeit und Raum eigentlich antreibt, bleibt unklar; will er sich die Welt wirklich unterwerfen oder einfach Menschenblut saugen bis zum Umfallen? Long postuliert einen Plan, der zumindest für den Leser zu hoch ist, und bewahrt seinen kosmischen Finsterling auf diese Weise davor, zum trivialen Schurken-Monster abzusteigen.

Bis Chaugnar Faugn zurück in sein x-dimensionales Höllenloch zurückgetrieben werden kann, ergeht sich Long ohnehin allzu ausführlich in ‚Erklärungen‘. Lovecraft beließ es in der Regel bei Andeutungen, da er davon ausging, dass seine Leser die Lücken mit individuell unterschiedlichen Angstvorstellungen füllen würden. Dieses Zutrauen in ihr Publikum teilten die meisten Mitglieder des Zirkels nicht. Sie wollten ausgerechnet Dingen auf den Grund gehen, die nach Lovecrafts Willen keinen Grund besitzen sollten.

Variationen des Grauens

1929 hatte Long in „Die Hunde des Tindalos“ das Gleichgewicht zwischen ‚Fakten‘ und ‚Fiktion‘ besser wahren können. Auch die „Hunde“ sind wie Chaugnar Faugn dem Urschleim näher als der evolutionsgereiften Gegenwart. Der unglückliche Halpin Chalmers (der übrigens wohl identisch ist mit Algernon Harris‘ Vorgänger als Leiter des „Manhattan Museum of Fine Arts“) kann die Barrieren der Zeit durchbrechen und sie in fernster Vergangenheit beobachten. Er muss jedoch erleben, dass diese Verbindung beiderseitig und die Zeit nicht fixiert ist: Die Hunde entdecken ihrerseits Chalmers, und sie nutzen diese Gelegenheit auf böse Weise.

Nur in Ausnahmefällen ist es der Mensch, der den Spieß umdrehen kann. In „Die Bedrohung aus dem Weltraum“ müssen invasionswillige Wurmwesen feststellen, dass der zu Forschungszwecken entführte Erdmensch glücklich und unerwartet rücksichtslos die Chance ergreift, sich zum Herrscher der fremden Welt aufzuschwingen. Hier setzte sich in der Handlungsführung eindeutig Mit-Autor Robert E. Howard durch, dessen Helden immer wieder mit Körperkraft und Waffengewalt ihres Glückes eigene Schmiede wurden. Frank Belknap Long übernahm es, das Geschehen in einem Epilog in den Mythos zurückzuführen.

Eine freudige Überraschung

Mit „Das Grauen aus den Bergen“ ist dem Festa-Verlag abermals eine Grusel-Gemme gelungen. Musste man schon fürchten, dass der Herausgeber das Verlagsprogramm zukünftig ausschließlich mit verkaufsträchtigen Porno- und Metzel-Horror-Titeln bestreiten will, blieb „H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens“ glücklicherweise bestehen. Hier findet der klassische Horror statt, der nicht zwangsläufig ‚besser‘ ist als die Gruseltaten der Gegenwart aber eben ohne plakative (oder pubertäre?) Sudeleien für Schrecken sorgen kann.

Welcher deutsche Verlag außer Festa würde heutzutage einen Autor wie Frank Belknap Long verlegen? Das hat buchstäblich seinen Preis, für den freilich ein angemessener Gegenwert geboten wird. Die Bände der „Bibliothek“ sind gediegene Bücher, fest gebunden, sauber gedruckt, mit Lesebändchen und Papiereinband versehen. Im Inneren setzt sich diese Qualität fort; die Storys sind vorzüglich übersetzt. Zusätzlich locken gleich mehrere Anhänge mit interessanten Hintergrundinformationen.

Dies tröstet über die Tatsache hinweg, dass nur „Das Grauen aus den Bergen“ selbst erstmals in deutscher Sprache erscheint. Die drei anderen Storys wurden bereits mehrfach und auch in früheren Festa-Bänden abgedruckt. Hier bilden sie mit „Das Grauen aus den Bergen“ einen Korpus von Erzählungen, die Frank Belknap Long noch zu Lebzeiten H. P. Lovecrafts zum Cthulhu-Mythos beitrug. Dieser Sack ist damit zu, wie man so schön sagt, und sein Inhalt ist komplett.

Autor

Frank Belknap Long, Jr. wurde am 27. April 1901 im New Yorker Stadtteil Manhattan geboren. Die Stadt verließ er in den mehr als neun Jahrzehnten seines Lebens selten. Long nahm 1920 ein Studium der Journalistik an der New York University auf. Er setzte es später an der Columbia University fort, ohne es jedoch jemals abzuschließen. Stattdessen beschloss Long, sich als Schriftsteller zu versuchen. Seit 1919 gehörte er eine Gruppe von Hobby-Autoren – der „United Amateur Press Association“ – an, deren Mitglieder ihre Werke einander zur Lektüre zuschickten. Zu Longs Lesern gehörte deshalb auch Howard Phillips Lovecraft (1890-1937), der durch die Story „The Eye Above the Mantel“ (1921) auf den jungen Kollegen aufmerksam wurde. Lovecraft ermunterte und förderte Long, dessen Talent er erkannte. Sie blieben enge Freunde bis zu Lovecrafts frühem Tod 1937.

„The Desert Lich“ wurde 1924 Longs erste professionelle Veröffentlichung. Die Kurzgeschichte erschien im Magazin „Weird Tales“, und Long ließ ihr dort in den nächsten drei Jahrzehnten zahlreiche Storys folgen. Auch in anderen „pulps“ veröffentlichte er Horror- und Science-Fiction-Geschichten. Als die Magazine nach dem II. Weltkrieg eingingen, wandte sich der stets professionell für den Lebensunterhalt schreibende Long dem Taschenbuchmarkt zu und verfasste eine lange Reihe primär abenteuerlicher Genre-Romane. Unter dem Namen seiner Gattin Lyda (Arco) Belknap Long schrieb er zusätzlich Grusel-Schnulzen für ein weibliches Publikum.

In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre verebbte Longs Schaffenskraft. Da er den Verbrauchsbuchmarkt nicht mehr mit neuen Werken beschicken konnte, wurde das Geld knapp. Frank Belknap Long starb am 3. Januar 1994 in New York.

Gebunden: 256 Seiten
Übersetzung: Joachim Körber, Michael Siefener, Andreas Diesel (2), Ruggero Leò
www.festa-verlag.de

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