Dan Simmons‘ Roman „Ilium“ erschien im selben Jahr (2004) wie Wolfgang Petersens eher mäßige Filmumsetzung von Homers |Ilias|. „Ilium“ präsentierte sich als eine eigenwillige Mischung aus Mythologie und Science-Fiction sowie Literatur und Drama à la Shakespeare, die mit ihren abgedrehten, amüsanten und irrwitzigen Ideen dank der überschäumenden Fantasie des Autors für Begeisterung sorgte.
Mit „Olympos“ bringt Simmons seine Dilogie nun zu einem Ende. Messen muss sich das Buch an den hohen Maßstäben seines Vorgängers und der schweren Aufgabe, die drei nur vage miteinander verbundenen Handlungsstränge Iliums zu einem befriedigenden Ende zu führen.
Inhalte
„Ilium“ endete mit dem Bündnis der Griechen und Trojaner nach vorheriger Intervention der Steinvec-Soldaten der Moravecs. Achilles bläst zum Sturm auf den Olymp und unter den Göttern herrscht Zwietracht. Derweil kämpfen auf der Erde die wenigen noch verbliebenen Menschen mit Odysseus gegen die Monster Caliban und Setebos sowie die Voynixe, die von Dienern zu Killern mutiert sind und eine Siedlung nach der anderen erbarmungslos auslöschen. Thomas Hockenberry rätselt mit den Moravecs über die Hintergründe der Götter und ihres marsianischen Trojas, eine Expedition zur Erde wird geplant.
Wie in „Ilium“ wartet Simmons mit einer dreigeteilten Handlung auf. „Olympos“ beginnt mit dem mythologischen Teil, Troja wird von den Göttern bombardiert, der brüchige Friede mit den Griechen bröckelt aufgrund alter Feindschaften und Konflikte, zum Beispiel von Menelaos und Helena. Zentral ist jedoch das Auftreten Penthesileas, die den scheinbar unschlagbaren Achilles an seiner verwundbaren Stelle treffen und töten soll – dabei jedoch scheitert. Doch die ihr von Aphrodite verliehenen Pheromone wirken dennoch, und Achilles verliebt sich in die tote Amazone. Als Mann der Tat schwingt er sich die Leiche über die Schulter, verbündet sich mit Hephaistos, um den von Hera betäubten Zeus zu wecken und die Ordnung auf dem vom Kampf zwischen den Götter verwüsteten Olymp wiederherzustellen – als Belohnung wünscht er die Wiederbelebung Penthesileas in den Heilbottichen des Olymps.
Dieser Teil der Geschichte ist für Freunde der Ilias ein echter Leckerbissen: Simmons bedient sich der Sprachweise Homers und der gängigen deutschen Übersetzungen – hier hat Übersetzer Peter Robert wie bereits in „Ilium“ hervorragende Arbeit geleistet. Herrlich ironisch liest es sich, wenn der „fußschnelle“ oder „fußflinke Männertöter Achilles“ Zeus um Gnade für Penthesilea anfleht und dieser recht banal folgendermaßen antwortet:
„Du liebst Penthesilea, diese hirnlose blonde Schnalle mit Speer. Erzähl mir ein anderes Märchen, Sohn der Thetis.“ (…)
„Aphrodite hat der Amazonenkönigin ein Parfüm gegeben, das sie sich auflegen sollte, als sie zum Kampf mit mir antrat …“ (…)
Zeus lacht erneut brüllend: „Nicht Nummer Neun! Tja, da bist du wahrhaftig geliefert, mein Freund. Wie ist diese Fotze Penthesilea gestorben? Nein warte, ich will es mit eigenen Augen sehen …“ (…)|
Er sieht noch einmal, wie er die Königin Penthesilea und den dicken Rumpf ihres Pferdes hinter ihr mit der unfehlbaren Lanze seines Vaters durchbohrt und sie wie ein zappelndes Insekt in einer Sezierschale an ihr gefallenes Ross nagelt.
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„Oh, gut gemacht“, dröhnt Zeus. „Und jetzt möchtest du, dass sie in einem der Bottiche meines Heilers wieder zum Leben erweckt wird?“ (…)
„NIEMAND IM URSPRÜNGLICHEN PANTHEON DER UNSTERBLICHEN SAGT ZEUS, DEM VATER, WAS MÖGLICH IST ODER WAS GETAN WERDEN SOLLTE, UND ERST RECHT KEIN KLEINER, STERBLICHER, MIT ZU VIELEN MUSKELN BEPACKTER LANZENKÄMPFER.“
Dieser Handlungsstrang ist der gelungenste in „Olympos“. Der Krieg der Götter und der Zorn des Achilles und anderer Figuren wie Helena sind amüsant und unterhaltsam, allerdings auch langatmig: Einen Sinn oder eine Verbindung zur Handlung auf der Erde sollte man gar nicht erst suchen, vieles bleibt einfach aufgesetztes Beiwerk und bringt die Handlung in keiner Weise voran. Die abstruse |Ilias| wird bisweilen so seltsam, dass man sie nicht mehr genießen kann.
Hockenberry und die Moravecs sind leider bei weitem nicht mehr so unterhaltsam wie im ersten Teil. Wen ihre philosophisch angehauchten Diskussionen nicht amüsierten, sondern auf den Geist gingen, wird jedoch nicht davon befreit: Jetzt sind sie nur noch geistlos. Die Moravecs dienen nur noch dazu, die Brücke zur Handlung um Prospero, Caliban und Sethebos auf der Erde zu schlagen, mit dem Raumschiff |Queen Mab|.
Die Erd-Handlung ist genauso trostlos wie im ersten Teil. Der Shakespear’sche Alien-Horror auf der Raumstation hat sich mittlerweile verflüchtigt und hat Feuergefechten mit Voynixen und dem sich ausbreitenden Setebos Platz gemacht, man kämpft zusammen mit Odysseus und wartet nur auf die Ankunft des marsianisch-trojanischen Odysseus, der diesem Handlungsstrang auch keinen rechten Sinn zu geben vermag.
Daran scheitert schließlich „Olympos“: Simmons müht sich ab, seinem trojanischen Krieg mit Shakespeare und Nanotechnologie am Ende einen Sinn zu geben, was leider nicht gelingt. Banalitäten bleiben dafür in Erinnerung: Warum muss einer der Altmenschen nekrophilen Sex mit einer der Moiren haben, um sie wiederzuerwecken? Kann man einen DNA-Schlüssel nicht etwas dezenter übertragen? Oft zündet die Mischung aus Literatur, Mythologie und derbem Schenkelklopfer-Humor einfach nicht.
Simmons verwurstet die |Ilias| gnadenlos, Science-Fiction-Freunde bleiben dabei zweifellos auf der Strecke, zumal der bessere Teil des Buchs eindeutig eher „Mythological Fiction“ ist. Ein sehr unbefriedigendes Ende erwartet den Leser. Es ist besser, sich von der blühenden Fantasie Simmons amüsieren zu lassen als sich von den zahllosen offen gelassenen, unbedeutenden oder mehr schlecht als recht hingebogenen Handlungssträngen verwirren zu lassen oder sie zu betrauern. Redundant und fragwürdig ist auch die Verteilung der Kapitel: Man erfährt über hundert Seiten, bevor Achilles Zeus aus seinem Schlaf erweckt, dass er es getan hat. Dann wird davon schließlich doch im Detail erzählt, in der oben zitierten Passage. Der epochale Umfang von 960 Seiten hätte dringend mehr Story und eine drastische Kürzung benötigt, zumal nur die Troja/Achilles-Ebene wirklich überzeugen kann. Langeweile macht sich deshalb breit, der Humor flacht ab und man sehnt sich geradezu nach einem vernünftigen Gedankengang in der ganzen breitgetretenen Geistlosigkeit – sein philosophisches Pulver hat Simmons wohl bereits in „Ilium“ verschossen. Die Verbindung der Handlungsteile ist leider kläglich gescheitert.
Unterm Strich
Simmons kann in „Olympos“ nicht annähernd das Versprechen einlösen, das er mit „Ilium“ gemacht hat. Mehr als zwei Drittel des Buchs sind so langweilig, dass man sie überblättern möchte. Das Ideenfeuerwerk des ersten Buchs ist weitgehend abgebrannt, das schwache Ende und die Sinnlosigkeit ganzer Handlungsteile haben zu einem überlangen und langweiligen Buch geführt, in dem nur an wenigen Stellen die dichte Atmosphäre „Iliums“ erhalten geblieben ist.
Taschenbuch: 960 Seiten
Aus dem US-Englischen von Peter Robert.
ISBN-13: 978-3453521230
Der Autor vergibt: