Philip K. Dick – Ubik. Roman und Drehbuch

Joe Chip hinter den Spiegeln, eine Geistergeschichte?

Glen Runciter ist tot – nur warum finden sich dann Botschaften von ihm auf Zigarettenpackungen und Dosenetiketten? Es ist das Jahr 1992 – doch wieso ist die Stadt voller Autos auf den 1930ern? Und was zur Hölle ist UBIK – ein gewöhnliches Raumspray oder womöglich das einzige Mittel gegen den drohenden Zerfall der Realität? (Verlagsinfo)

Der Autor

Philip Kindred Dick (1928-1982) war einer der wichtigsten und zugleich ärmsten Science-Fiction-Schriftsteller seiner Zeit. Obwohl er in fast 30 Jahren 40 Romane und über 100 Kurzgeschichten veröffentlichte (1953-1981), wurde ihm zu Lebzeiten nur geringe Anerkennung außerhalb der SF zuteil. Oder von der falschen Seite: Das FBI ließ einmal seine Wohnung nach dem Manuskript von „Flow my Tears, the Policeman said“ (dt. als „Die andere Welt“ bei Heyne) durchsuchen. Okay, das war unter Nixon.

Er war mehrmals verheiratet und wieder geschieden, philosophisch, literarisch und musisch gebildet, gab sich aber wegen des Schreibstress durchaus dem Konsum von Medikamenten und Rauschdrogen wie LSD hin – wohl nicht nur auf Erkenntnissuche wie 1967. Ab 1977 erlebte er einen ungeheuren Kreativitätsschub, die sich in der „VALIS“-Trilogie (1981, dt. bei Heyne) sowie umfangreichen Notizen (deutsch als „Auf der Suche nach VALIS“ in der Edition Phantasia) niederschlug.

Er erlebte noch, wie Ridley Scott seinen Roman „Do Androids Dream of Electric Sheep?“ zu „Blade Runner“ umsetzte und ist kurz in einer Szene in „Total Recall“ (1982) zu sehen (auf der Marsschienenbahn). „Minority Report“ und „Impostor“ sind nicht die letzten Stories, die Hollywood verfilmt hat. Ben Affleck spielte in einem Thriller namens „Paycheck“ die Hauptfigur, der auf einer gleichnamigen Dick-Story beruht. Als nächste Verfilmung kam „A Scanner Darkly“ (Der dunkle Schirm) mit Keanu Reaves.

Philip K. Dick auf Buchwurm.info:

„Die Romane des Philip K. Dick“
„Die Lincoln-Maschine“
„Das Orakel vom Berge“
„Der heimliche Rebell“
„Eine Handvoll Dunkelheit“
„Das Jahr der Krisen“
„Die rebellischen Roboter“
„Blade Runner“
„Irrgarten des Todes“
„Der galaktische Topfheiler“
„Nach der Bombe“
„Erinnerungsmechanismus“
„Ubik“
„Paycheck – Die Abrechnung“
„Der unmögliche Planet“
„Die besten Stories von Philip K. Dick“
„Zeit aus den Fugen“
„Eine andere Welt“
„Blade Runner“
„Minority Report“

Handlung des Romans

Im Juni des Jahres 1992 haben Psi-Talente wie Telepathen, Wiederbeleber, Prägoknitive (Vorauswisser oder Präkogs, siehe „Minority Report“) und so weiter das Leben von Otto Normalbürger ganz schön aufgemischt, so dass sich Schutzgesellschaften gebildet haben, um eben solche Störungen und Verletzungen der Privatsphäre durch sogenannte „Inerte“ zu unterbinden. Das geht alles seinen kapitalistischen Gang und wird kommerziell organisiert.

Runciter Associates

Eine dieser Firmen zum Schutz vor Psi-Talenten ist Runciter Associates in New York City. Glen Runciter ist ein energiegeladener Unternehmer, der nur eine Schwachstelle hat: Seine verstorbene Frau Ella liegt im Kälteschlaf in einem Züricher „Moratorium“, das von Herbert Schönheit von Vogelsang geleitet wird. Runciter konsultiert die im Halbleben dahinvegetierende Ella, weil seine Firma in einer Krise steckt: Die Psi-Talente, die er beschattet und die alle für den Konkurrenten Ray Hollis arbeiten, sind samt und sonders verschwunden. Was soll er tun, wenn er vor einer Gefahr, die nicht mehr existiert, noch Schutz anbieten will? Doch Ella hat dafür auch keine Lösung parat.

Verlockendes Angebot

Wieder daheim in der Firma bekommt er zum Glück ein verlockendes Angebot von einer fülligen Mrs. Wirt, die im Auftrag einer Firma auf dem Mond auftritt. Mit Hilfe seiner eigenen Telepathin erfährt Runciter, dass sie für Stanton Mick arbeitet, einen unkonventionellen Unternehmer, der einen neuen Antrieb für Reisen zu den Sternen erfunden hat und auf dem Mond residiert. Klar, dass sich dort Industriespionage lohnen würde. Klar auch, dass Ray Hollis’ Telepathen alle dort sein könnten und folglich Mrs. Wirt dringend den Schutz von Runciters Anti-Psi-Talenten, den Inerten, benötigt. Gebongt!

Spezialtalent

Elf Inerte sollten genügen, findet Runciter, und lässt seinen Feld-Techniker Joe Chip kommen, damit er auf dem Mond vor Ort entsprechende Messungen am Psi-Feld vornimmt. Joe Chip ist seit kurzem mit der faszinierenden jungen Pat Conley zusammen, die nicht nur seine Rechnungen zahlt, sondern auch ein höchst bemerkenswertes Psi-Talent besitzt: Sie kann die Vergangenheit korrigieren. Ein kleines Augenzwinkern genügt schon, und Runciter befindet sich irgendwo ganz anders. Pat holt ihn wieder zurück – puh, das ging gerade noch mal gut.

Spezialeinsatz

Mit elf Inerten, Pat, Joe und Runciter fliegen insgesamt 14 Leute zur Mondbasis Mickville, wo eine Mrs. Wirt sie alle empfängt. Joe nimmt sofort Messungen an den Psi-Feldern vor: Ihr Eigenes ist echt stark, doch vom Feld der Gegenseite ist überhaupt nichts zu messen! Das ist merkwürdig. Joe ist beunruhigt, Runciter will gleich wieder abreisen, da tritt der Industriemogul Stanton Mick höchstselbst auf. Als er zur Decke schwebt, gerät Joe in Panik: eine menschliche Bombe! Bumm!

Die Bombe tötet keinen, doch Runciter ist so schwer verletzt, dass man ihn sofort in einen Kaltpackapparat stecken und nach Zürich ins Moratorium bringen muss, wo Runciter neben seiner Frau im Käteschlaf ein Halbleben verbringen kann. Joe, der jetzt das Kommando übernommen hat, kriegt dies alles mit flatternden Nerven gerade mal so hin. Es ist normalerweise nicht sein Job. Und wer einmal seine zugemüllte Wohnung gesehen, der weiß auch warum.

Nach der Katastrophe

In New York City stellt Joe jedoch schon bald seltsame Phänomene fest: Sein Münzgeld, das er ständig für alles Mögliche benötigt, ist veraltet und wird nicht akzeptiert. Tabak in Zigaretten ist alt und vertrocknet, und Packungen mit dem Etikett UBIK tauchen auf. Dieses UBIK scheint alles Mögliche zu sein, doch seine Etiketten sind stets mit einem Warnhinweis versehen.

Viel beunruhigender findet Joe jedoch die Stimme, die aus seinem Telefon kommt: Es ist Runciter! Ist er denn nicht tot? Als der Kollege Al Hammond ihn besucht, um nach der Inerten Wendy Wright zu fragen, schaut Joe ahnungsvoll in seinen Kleiderschrank: Da liegt sie, völlig zusammengekrümmt und sehr tot. Was, um Himmels willen, geht hier vor?

Spiegelverkehrt?

Auf der Toilette findet Joe zwei Sprüche an der Klowand, beide offenbar von Runciter: „Ihr seid alle tot, nur ich bin am Leben!“ Könnte dies erklären, warum Joe überall Bilder von Runciter findet, und zwar auch auf Packungen, auf denen UBIK steht? Was haben dieses UBIK und Runciter miteinander zu tun? Schickt Runciter per UBIK Botschaften, doch wie kann er das, wenn er im Kälteschlag liegt?

Als Runciters Körper in Iowa bestattet werden soll, will Joe unbedingt dorthin, um die Crew wiederzusehen. Doch die Reise in den Mittelwesten ist auch der Weg zurück ins Jahr 1939, als die Amis paranoid waren und die Autos und Flugzeuge klapprig …

Mein Eindruck

Dies ist einer besten und einfallsreichsten Geisterromane, die ich kenne. Nein, es geht dem Autor nicht um Schauereffekte wie etwa Bram Stoker oder Peter Straub. Vielmehr geht es um die Realität der Geister und die Hinterfragung dessen, was wir als Wirklichkeit zu akzeptieren bereit sind.

Wenn Runciter Recht hat und nicht er, sondern Joe Chip samt Kollegen sich in Herbert Schönheit von Vogelsangs Verwahranstalt für Halblebende befinden, dann ist Joe ein Geist, der in einer Geisterwelt meint, er sei am Leben. Doch der Umstand, dass erstens ein Kollege nach dem anderen den Löffel abgibt und sich die zeitliche Umgebung zunehmend Richtung 1939 verschiebt, sollten Joe eigentlich beweisen, dass er sich in einer künstlichen Umgebung, einer „MATRIX“ oder VR befindet. Hat Pat Conley dies bewirkt, fragt er sich.

In einem langen, intensiven Dialog zwischen Joe und Runciter gelangt Joe zu der Ansicht, dass sein Boss doch Recht hat. Joe wird immer schwächer, so als gebe es einen zerstörerischen Einfluss im „Moratorium“, der ihm die Lebenskraft aussauge. Und den gibt es tatsächlich: Es handelt sich um den jugendlichen Jory, einen Burschen, der im Halbleben weiterexistieren kann, indem er die Geister anderer frisst, als wäre er ein Kannibale. Nun hat er es auf Joe abgesehen. Runciter kann mit Hilfe des Sprays UBIK Joe für ein paar weitere Stunden am Leben halten, doch wie lange wird dies vorhalten?

Joe ist klar, dass, um das Gleichgewicht im Universum aufrechtzuerhalten, diesem Zerstörer eine bewahrende und belebende Kraft entgegenwirken muss. Während er noch rätselt, um wen es sich handeln könnte, lernt er eine nette junge Frau kennen: Es ist keine andere als Ella Runciter, und sie hat einen Jahresbezugsschein für UBIK für ihn (der sich schon bald als wertlos erweist). Außerdem hat sie eine dringende Bitte an Joe: Sie nähere sich dem Zeitpunkt der Wiedergeburt, so dass sie von ihrem Mann Abschied nehmen müsse, und deshalb solle er, Joe Chip, ihre Rolle als Ratgeberin Runciters einnehmen. Gebongt!

Nach einer höchst ironischen Wendung, die die beiden Seiten von Leben und Halbleben wieder auf den Kopf stellt, endet der Roman mit einer hoffnungslosen Note: Joe Chip lebt – wo und wie auch immer! Sein Konterfei krönt jetzt die Münzen, die jeder in dieser Welt braucht, um irgendeinen Service zu bekommen oder zu belohnen.

Mein Leseerlebnis

Der Roman liest sich auf den ersten 120 Seiten genauso flott wie ein Agentenroman der Fünfziger- und frühen Sechzigerjahre, den Dick aus seinem eigenen Roman „Solar Lottery“ kopiert hat: Der Mond erweist sich als von Ray Hollis aufgestellte Todesfalle. Doch an dieser Stelle, als die Bombe die Inerten Runciters hinwegrafft (oder auch nicht), muss dem Autor aufgefallen sein, dass die persönliche Note etwas zu kurz gekommen ist, und er führt kurzerhand die Metaphysik ein.

Dennoch bleibt der Text weiterhin sehr dialoglastig und dadurch leicht und flott zu lesen. Nun geht es jedoch eher darum, das Gelesene zu begreifen. Eine große Szene der Aufklärung all der Rätsel, auf die Joe stößt, ergibt sich etwa 30 bis 40 Seiten vor dem Schluss. Nach einigen ironischen Schlenkern endet das Buch durchaus hoffnungsvoll. Ich war sehr zufrieden, auch wenn der Autor ein wahrer Schelm ist, der mit dem Leser spielt.

Das Reich der Geister

In „UBIK“, „Eye in the Sky“ (1957; siehe meinen Bericht) und später auch in „Irrgarten des Todes“ (1970) schickte P. K. Dick eine Reihe von Charakteren auf eine metaphysische Entdeckungsreise.

In „Eye in the Sky“ beschäftigte sich Dick erstmals künstlerisch erfolgreich mit der Frage, was real ist. Er hatte sich mit dem Philosophen David Hume beschäftigt: Die Wirkung B folgt nicht unbedingt aus einer Ursache, nur weil B auf A folgt. Und Bischof Berkeley hat demonstriert, dass die physische Realität sich nicht objektiv beweisen lässt, weil wir alle nur auf unsere subjektiven Sinneseindrücke angewiesen sind. Seine berühmte Frage war deshalb: Verursacht ein Baum, der im Wald zu Boden fällt, einen Laut, wenn niemand da ist, um ihn zu hören?

Von Immanuel Kant hatte Dick die Unterscheidung zwischen den noumena, den absoluten Ideen, und den phenomena, jenen Kategorien wie Zeit und Raum, die der menschliche Verstand den Dingen aufzwingt. Von Carl Gustav Jung (er taucht auch in „UBIK“ am Rande auf) entlieh er sich die Idee der Projektion: Die Inhalte unserer Psyche färben unsere Wahrnehmung stark ein. Will heißen: Wir sehen nur das, was wir sehen wollen.

Schließlich nahm Dick noch Ideen aus dem Buddhismus und den indischen Veden auf, insbesondere über „maya“, die irdische Realität. Die wahre Realität bliebe dem unerleuchteten menschlichen Bewusstsein stets verborgen. Wir erschaffen daher illusorische Reiche, die auf unseren Ängsten und Wünschen basieren. Dies ist stets der „idios kosmos“, das Wahrnehmungsreich des Einzelnen, im Unterschied zum „koinos kosmos“, dem Reich der Gemeinschaft, auf das sich viele (die Mehrzahl?) der Individuen geeinigt haben, weil sie das Gleiche „erleben“. Es leuchtet ein, dass der „idios kosmos“ nicht immer mit dem „koinos kosmos“ deckungsgleich ist, meist ist er es sogar nur partiell. Ich bin kein Fan von Volksmusik, nur weil die Einschaltquoten beweisen, dass Volksmusik bei der Mehrheit sehr beliebt ist. Tatsächlich höre ich überhaupt keine Volks- oder Schlagermusik (*schauder*).

Joes Problem ist unseres

Wie also kann Joe herausfinden, ob sein Chef, dieser großmächtige Mann namens Runciter, Recht hat, wenn er behauptet, Joe sei gestorben und vegetiere nun im Kältepack als Geist dahin? Er kann es im Grunde nicht, denn alle Aussagen von Dritten, wie etwa von Ella Runciter oder Pat Coley, sind keine Belege für den Wahrheitsgehalt von Runciters Behauptung. Es könnte sich genau andersherum verhalten. Ein Problem stellt allerdings Jory dar, der Zerstörer und Kannibale. Joe erfährt – erst aus zweiter, dann erster Hand -, dass Jory im Kältepack neben ihm liegt und versucht, sich seiner „protophasonischen“ Lebensenergie zu bemächtigen. Hat der Teufel also mehr Anrecht auf Realität als Gott, der sich in UBIK versteckt?

Über UBIK

UBIK, das Produkt, das am Anfang jedes Kapitels beworben wird, ist allgegenwärtig. Dies weist auf seine sprachliche Herkunft vom lateinischen „ubique“ hin, das genau dies bedeutet: allgegenwärtig. Am Anfang des letzten (17.) Kapitels meldet sich UBIK selbst zu Wort, und das klingt doch ziemlich stark nach dem Beginn des Johannes-Evangeliums, das auch als „Die Offenbarung des Johannes“ bezeichnet wird:

„Ich bin UBIK. Ich war, bevor das Universum war. Ich habe die Sonnen und die Welten gemacht. Ich erschuf das Leben und das Land für das Leben. Ich lenke es hierhin, ich lenke es dorthin. Es bewegt sich nach meinem Willen, es tut, was ich sage. Ich bin das Wort und mein Name wird niemals ausgesprochen, der Name, den niemand kennt. Ich werde UBIK genannt, aber das ist nicht mein Name. Ich bin. Ich werde immer sein.“

Gnosis

Wohlgemerkt, es handelt sich auch hierbei um eine TV-Werbesendung, die von Runciter in die Geisterwelt unseres Helden eingeblendet wird. Der Grund für diesen Kanal als Erscheinungsform ist einfach: Die Gnosis, der direkte Kontakt zur Gottheit, führt beim gewöhnlichen menschlichen Bewusstsein zu Wahnsinn bzw. zu dem, was die Mitmenschen als Wahnsinn beurteilen. (Dick erging es selbst so, als er am 3. Februar 1974 von VALIS visitiert wurde und darüber drei Romane schrieb, die „VALIS“-Trilogie.) Ist also Runciter eine Form von Gott, so kann er sich nur durch TV-Werbesendungen und Klosprüche mit dem in Kältepackung vegetierenden Joe Chip verständigen, ohne ständig ins Moratorium fahren zu müssen.

Der geistige Rahmen der Gnosis, die bis zum Konzil von Nicäa im 4. Jahrhundert eine legale Religionsform des Christentums war, danach aber eine Häresie, sieht auch die Existenz eines Widersachers vor: des Demiurgen. In „UBIK“ ließe sich dieser verborgene Herrscher der Welt als Jory identifizieren. Doch Jory ist kein Demiurg im Sinne der Gnosis, sondern ein Sekundärgott, der als Gegenspieler des Erschaffers agiert, um Lebensformen zu zerstören und die Entropie zu fördern. Hier wandelt Dick einen schmalen Grat, aber es ist der Grat des Kreativen und somit erlaubt. Dass Dick all diese philosophischen und theologischen Hintergründe bekannt und bewusst waren, belegt Lawrence Sutin glänzend in seinem Buch „Divine Invasion. A Life of Philip K. Dick“ (dt. als „Göttliche Überfalle“. So führte Dick auch intensive Gespräche mit einem Bischof.

Parallelwelten

Lawrence Sutin weist darauf hin, dass Dick sich darüber ärgerte, dass keiner seiner Leser und Kritiker die grundlegende Ähnlichkeit zwischen „UBIK“ und „Die drei Stigmata des Palmer Eldritch“ bemerkte: „Runciter & UBIK = Eldritch & Chew-Z“. Chew-Z ist eine Droge, und Eldritch ebenfalls ein Wirtschaftsmagnat und Beweger wie Runciter. Die Parallelen sind offensichtlich, und stets gibt es auch einen Unterling des Magnaten à la Joe Chip, der die Zusammenhänge zu durchschauen versucht, aber hoffnungslos daran scheitert.

In „Eye in the Sky“ gab es noch einen Ausgang aus dem Labyrinth, doch in dem vierten ähnlichen Roman „Irrgarten des Todes“, ist dies, wie der Titel andeutet, nicht mehr der Fall. Zwischen 1957 und 1970 durchlief Dick eine sehr produktive, aber zunehmen desillusionierte Schaffensphase. Erst als erst die „VALIS“-Epiphanie verarbeitet hatte, konnte er wieder richtig loslegen.

Das Drehbuch zu „UBIK“

Dieses Drehbuch erzählt die Handlung von „UBIK“ im Filmstil. Das versteht sich von selbst. Aber was im Roman fehlt, findet sich hier in reichem Überfluss: Beschreibungen der Kulissen und Umgebungen, Stimmungen und persönlichen Erscheinungsformen von Figuren. Der Verdacht des Lesers wird schnell bestätigt: Dies ist beileibe kein Drehbuch nach den Vorschriften des Writer’s Guild von Hollywood, sondern ein typisch dicksches Produkt. Der Schluss. Auf den Dick offenbar stolz war, unterscheidet sich erheblich von dem des Romans. Doch ich möchte nicht die Spannung verderben, indem ich Details ausplaudere.

Mein Eindruck

Der französische Regisseur Jena-Pierre Gorin – Dick war in Frankreich beliebter als sonst irgendwo – besuchte Dick im August 1974, kaufte die Filmrechte und ließ ihn auch gleich die Drehbuchadaption schreiben. Diese stellte Dick in nur drei Wochen fertig (wahrscheinlich bis zum Stehkragen voll mit Speed), obwohl dies sein erster Ausflug ins Filmfach war und bleiben sollte. Dick wollte offenbar die Gelegenheit nutzen, den Rätseln seines eigenen Romans auf den Grund zu gehen. Der Film kam leider nie zustande.

Im Vorwort geht Herausgeber Sascha Mamczak ausführlich darauf ein, so dass ich mich hier aufs Nötigste beschränke. Zusätzlich zum oben Gesagten sei nur erwähnt, dass ich das Drehbuch ebenso faszinierend fand wie den Roman, ja sogar weniger anstrengend, weil die Versatzstücke eines Films uns heute so geläufig sind: Szenenwechsel, Rückblenden, pointierte Dialoge, Klischees. Dazwischen blitzt immer wieder Ironie auf, die zur Unterhaltung des gebildeten Lesers dient.

Mamczak hat aber wohl Recht, wenn er meint, dass UBIK ziemlich unverfilmbar ist, denn es ist ein Produkt seiner Zeit, der sechziger Jahre, und seiner Kultur, der von Kalifornien. Das hat Dick dem Kollegen Stanislaw Lem, der UBIK bewunderte, einmal erklärt (siehe Vorwort). Höchstens David Lynch oder David Cronenberg könnten sich herablassen, so etwas zu verfilmen. Doch Lynch schwebt inzwischen in anderen Sphären.

Die Übersetzung

An der Übersetzung habe ich stilistisch nichts auszusetzen. Aber auf Seite 96 wird das grammatische Tempus falsch verwendet. „Er fragte sich, wie sie es aufgenommen hat, dass ihr Chef ( …) die Inerten verpflichtet und hierher gelockt hat, um sie umzubringen.“ Statt des Past Perfect müsste das Plusquamperfekt stehen, um die Vorvergangenheit anzuzeigen, also „hatte“ statt „hat“.

Stellen mit Verweisen auf Autoren und Werke sind nicht erklärt, etwa durch Fußnoten. So findet sich auf S. 191 der Satz: „Das hier ist noch eine Welt im Sinne eines William Jennings Bryan; Scopes‘ „Affenprozess“ ist hier eine lebendige Realität.“ Damit kann ich nichts anfangen, und viele andere Leser wahrscheinlich auch nicht. Ein so wichtiges Werk wie „UBIK“ verdient eine textkritische Behandlung, etwa durch Fußnoten.

Unterm Strich

Der Roman ist leicht genug zu lesen, insbesondere die erste Hälfte bis etwa Seite 120. Doch aus dem konventionellen Muster bricht Dick dann aus und führt den Leser in die Geisterwelt der „MATRIX“, in der Joe Chip nach Angaben von Runciter ein Halbleben führt. Wobei Joe natürlich vorher dachte, es wäre genau umgekehrt! Aber wie sonst wäre der Zerfall der Realität zu erklären und die Regression in der Zeit bis ins Jahr 1939?

Joe ist eine Chiffre, genau wie Runciter, ein Stehaufmännchen, dass sich von solchen Rückschlägen wie etwa zerfallenden leichen nicht aus der Fassung bringen lässt. Seine Welt mag für Otto Normalo vielleicht beunruhigend und der Horror sein, aber Joe ist an die Auswirkungen von Psi-Talenten gewöhnt: Er ist auf (fast) alles gefasst – nur nicht auf den eigenen Tod. Das ist eine der vielen Ironien und Späße des Autors. „UBIK“ wäre zum Heulen, wenn es nicht so umwerfend komisch wäre.

Nicht umsonst bewunderte Stanislaw Lem das Buch, denn der wusste über „Phantomatik“ oder Virtuelle Realität Bescheid. Und Mamczak könnte mit seiner Anspielung auf „Alice hinter den Spiegeln“ ebenfalls Recht haben. Alice sei nur eine Vision im Traum des Schwarzen Königs, sagt Dideldei. Alice vermeidet es daher tunlichst, den König zu wecken. Wer weiß, wo sie sonst landen würde.

Taschenbuch: 428 Seiten
Originaltitel: UBIK (1969, Drehbuch: 1985)
Aus dem US-Englischen von Renate, Alexander Martin; Drehbuch: Jürgen Langowski
ISBN-13: 978-3453873360
www.heyne.de

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