Ani, Friedrich – Wer lebt, stirbt

Friedrich Ani gehört zu den bekanntesten deutschen Schriftstellern und ist vor allem mit seiner Krimi-Reihe um den raubeinigen Kommissar Tabor Süden, für die er viele Preise eingeheimst hat, bekannt geworden. Da die Reihe auf zehn Bände angelegt war, muss nun ein neuer Kommissar her.

Der trägt den Namen Jonas Vogel und gibt bei „Wer lebt, stirbt“ aus der Reihe „Der Seher“ sein Debüt. Der Reihentitel „Der Seher“ kommt von Vogels Spitznamen, den er bereits auf der Polizeischule erhalten hat. Dort verblüffte er mit seinem hervorragenden Orientierungssinn und seiner Fähigkeit, die Emotionen in Stimmen herauszuhören.

Eines schönen Frühlingstages wird in einer Münchner Wohnung ein toter Wachmann aufgefunden. Falk Sieger wurde erstochen, und bereits am Anfang seiner Ermittlungen muss Jonas Vogel feststellen, dass der Fall nicht so eindimensional ist wie gedacht. Siegers Kollege Jens Schulte steht von Anfang als Verdächtiger fest, nachdem die Freundin des Ermordeten ausgesagt hat, dass Schulte, mit dem sie ebenfalls ein Verhältnis hatte, einen Privatdetektiv angeheuert hatte, um Sieger zu erledigen. Der Privatdetektiv selbst leugnet, den Wachmann umgebracht zu haben, und auch Schulte behauptet, dass diese Behauptung eine Lüge ist.

Gleichzeitig stellt sich heraus, dass der Hilmar Opitz, der Rechtsanwalt von Jens Schulte, in einen weiteren Kriminalfall verwickelt ist. Seine Sekretärin und Geliebte ist verschwunden und eine Lösegeldforderung ist bereits eingegangen. Vogel glaubt, dass es eine Verbindung zwischen den beiden Morden geben muss, doch bevor er dieser Spur weiter nachgehen kann, geschieht ein folgenschwerer Unfall, der ihn für sein Leben zeichnet …

Normalerweise steht der Name Ani für Qualität, doch mit „Wer lebt, der stirbt“ verlangt der Münchner Autor dem Leser einiges zu viel ab. Das zentrale Problem ist der Aufbau des Buches, der die gesamte Geschichte beeinflusst. Auf den ersten Seiten hält man die kurzen, szenenhaften Kurzkapitel noch für einen geschickten Schachzug. Sie sind sehr karg und bestehen nur aus dem Notwendigsten, sprich ein paar trockenen Beschreibungen der Situation und des Schauplatzes und den Dialogen. Dadurch entsteht ein rasantes Tempo, das den Kriminalfall angenehm nach vorne treibt.

Doch schnell wird klar, dass dieser Erzählstil ein entscheidendes Manko hat: Es fehlen verbindende und reflektierende Passagen zwischen den Kapiteln und Ereignissen. Dadurch verliert der Leser schnell den Überblick und die Geschichte rast an ihm vorbei wie ein ICE. Bei diesem halsbrecherischen Tempo und fehlenden Pausen bleibt es am Leser hängen, Zusammenhänge aus den Dialogen der Kommissare herzustellen. An und für sich ist nichts Verkehrtes daran, seine Leser fördern zu wollen, aber wenn der Plot aus voreiligen und unlogischen Schlüsse, einem nur schwerlich nachvollziehbaren Ermittlungsweg und einer haarsträubenden Auflösung besteht, wird der Leser höchstens überfordert und bleibt mit einem fragenden Gesichtsausdruck zurück.

Dieser Aufbau hat weitere Komplikationen im Schlepptau. Durch den kargen Aufbau ist von Anis hochwertigem Schreibstil nur wenig zu spüren. Dabei schimmert an einigen Stellen das Talent, das er in schon so viel Romanen bewiesen hat, durch. Der Autor wählt seine Worte sicher und treffend, konstruiert durchdachte Satzbauten und lässt erkennen, wozu er fähig ist, wenn er nicht nur auf Dialoge setzt. Das soll nicht heißen, dass die Dialoge nicht gut wären. Sie sind sehr authentisch und wirken ungekünstelt, aber gute Dialoge machen einen flüssigen Erzählstil nun mal nicht aus. Ein Ani liest sich normalerweise interessant und dicht, doch in „Wer lebt, stirbt“ stolpern die Protagonisten durch die Dialoge, und die kurzen Abschnitte machen ungestörtes Lesen so gut wie unmöglich. Die Protagonisten sind zwar mit Persönlichkeit und originellen Charakterzügen ausgestattet, aber ihnen bleibt nicht viel Platz, um sich zu entfalten. Sie bleiben dem Leser verschlossen, da Ani ihren Gedanken und Gefühlen zumeist wenig Platz einräumt, und wenn, dann an der falschen Stelle.

Während sich die Geschichte am Anfang auf die Lösung des verworrenen Falls konzentriert, gibt es ungefähr in der Mitte einen starken Bruch. Als Vogels Unfall passiert, rücken plötzlich er und seine Familie in den Vordergrund. Seitenlang wird davon erzählt, wie die Vogels mit den Unfallfolgen umgehen, und genau das ist das Problem. Während es vorher Schlag auf Schlag ging und Gedanken und Gefühle nur wenig Platz erhielten, wird das Erzähltempo plötzlich beträchtlich heruntergeschraubt. Der Autor widmet sich nur noch den Gedanken und Gefühlen, die vorher außen vor blieben, und das funktioniert nicht ohne Längen. Außerdem passt dieser „Mittelteil“ nicht zum Rest des Buches und spaltet es.

„Wer lebt, stirbt“ ist ein merkwürdiges Buch. Anfangs wirkt es wie ein rasant erzählter Krimi, dann überholt es den Leser mit seinem Tempo, um ihn schließlich auszubremsen. Auch wenn der Schreibstil Anis Talent durchschimmern lässt, bleibt der Leser in diesem Fall mit einem faden Nachgeschmack zurück. Was soll er mit diesem Buch anfangen? Den skelettartigen Aufbau als Experiment eines Genies abtun? Oder so ehrlich sein und sagen, dass das Buch zerfasert und verwirrend ist? Die Antwort auf diese Frage muss wohl jeder mit sich selbst ausmachen, aber egal wie sie ausfällt: Es gibt Besseres von Herrn Ani.

http://www.dtv.de

|Siehe ergänzend dazu unsere Rezension zu:|
[„Wie Licht schmeckt“ 3563

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