John Grisham – The Rooster Bar

Jurastudenten in den Grauzonen des Systems

Mark, Todd und Zola stehen kurz vorm letzten Semester ihres Jura-Studiums, als ihnen klar wird, das man sie nach Strich und Faden gelinkt hat. Ihre gemeinsamen Schulden an Studiendarlehen betragen rund 600.000 Dollar, die sie ein halbes Jahr nach dem Abschluss abstottern müssen – ein Abschluss, der diesen Namen nicht verdient. Als ihr bester Freund Gordy die „Verschwörung“ hinter den Wucherern entdeckt, bringt er sich um. Zola, seine heimliche Freundin, ist ebenso erschüttert wie Mark und Todd. Gemeinsam beginnen sie, einen Plan B zu entwickeln und Jura ohne Lizenz zu praktizieren. Kann ja nicht so schwer sein, wenn alle es tun, oder? Doch es gibt unerwartete Komplikationen…

Der Autor

John Grisham hat bislang über 30 Romane, ein Sachbuch, einen Erzählband und sechs Jugendbücher veröffentlicht. Seine Bücher wurden in mehr als 40 Sprachen übersetzt und viele davon verfilmt („Das Netz“, „Die Firma“). Er lebt in Virginia. Mehr Info: jgrisham.com.

Handlung

Die Foggy Bottom Law School befindet sich in Washington, D.C und stellt sich als eine sogenannte Diplom-Mühle heraus: Nur die Hälfte ihrer Studenten schafft das nationale Prüfungsexamen, doch die Besitzer der Jura-Schule sahnen groß ab. Denn das Bundesministerium für Bildung zahlt jedem Studenten seine Gebühren mit einem Darlehen, das monatlich in Höhe von 10.000 Dollar ausgezahlt wird. Davon geht ein zweiter Teil an die Schule selbst ab – die den Großteil wiederum sofort an ihre Besitzer überweist.

Die Verschwörung

Gordon Tanner ist der vielversprechende Student, der eines Tages hinter das betrügerische System der FBLS schaut. Mit Hilfe eines Hackers in New York City hat er sich Zugriff auf die Akten verschafft und das Geflecht von Scheinfirmen zu entwirren versucht, das der Besitzer der FBLS, ein gewisser Rackley, errichtet hat, um a) Steuern zu hinterziehen und b) zu verschleiern, dass er noch sieben weitere solche Diplom-Mühlen betreibt und diese von seinen „Beratern“ umsorgen lässt. Denn die Darlehensschulden, die die Studenten anhäufen, müssen sie ja auch wieder zurückzahlen. Dabei „helfen“ ihnen Rückzahlungs-„Berater“, die ihrerseits wieder kräftig Gebühren draufschlagen. So können aus 200.000 Darlehensschulden plus Zinsen unversehens 400.000 Dollar werden. Gordy hat endlich den Durchblick – und bricht zusammen.

Das kalte Ende

Seine Freunde Mark, Todd und Zola, die Senegalesin, sind sehr besorgt um ihn. Sie schaffen es gerade noch, ihn vor einem Trunkenheitsverfahren zu bewahren, das ihn seine – nicht vorhandene – Anwaltslizenz gekostet hätte. Doch als Zola ein weiteres Mal erschöpft auf dem Sofa vor Gordys Tür einnickt, schlüpft er unbemerkt aus dem Haus. Als sie ihn suchen, stoßen sie auf einen Unfall auf der Arlington-Brücke über den Potomac-Fluss: Gordy hat sich vollständig bekleidet in den eiskalten Fluss gestürzt, berichtet eine erschütterte Augenzeugin. Das Trio benennt sich gegenüber der Kripo als Freunde Tanners und identifiziert später seine angespülte, unbekleidete Leiche. (Was aus seinen Kleidern geworden ist, wird nie diskutiert.)

Plan B

Alle drei sind vorerst unfähig, sich auf die Abschlussprüfung vorzubereiten, die am Ende des kommenden Frühjahrssemesters ansteht. Vielmehr werden sie unfreiwillig Zeugen eines Familiendramas unter den Tanners und in der Familie von Gordys Verlobter Brenda. Als sie heimlich am Trauergottesdienst in Virginia teilnehmen, erfahren sie bestürzt, dass man ihnen die Schuld an Gordys Tod gibt. Dabei waren sie nicht einmal in seiner Nähe, als er sich in den Tod stürzte. Zu allem Überfluss wird auch noch Zola Maals senegalesische Familie, die seit 25 Jahren in den USA arbeitete, als illegale Einwanderer von der ICE-Behörde festgenommen und in einem provisorischen Abschiebe-Gefängnis interniert – ohne Rechtsbeistand.

Soviel Ungerechtigkeit im System haben die drei nicht erwartet. Todd ist Barkeeper und verdient ein wenig Lohn in der Rooster Bar. Deren Besitzer gehört auch das Haus, in dem sie nun einziehen. Zola hat nun Angst, dass die Abschiebe-Polizei ICE auch zu ihr kommt und versteckt sich hier. Keine Arbeit, keine Seminare – das kann nicht lange gutgehen, sagen sie sich. Schon sind die Darlehens-„Berater“ an ihren Fersen, als ihre Seminare nicht besuchen.

Um sich etwas zu verdienen, machen sie es wie seinerzeit Darrell Cromwell, der Anwalt bei Gordys Trunkenheitsverfahren: schnell verdientes Bargeld, das man nicht zu versteuern braucht (wenn man es schlau anstellt). Zola nennt Mark und Todd zwar verrückt, dass sie so ein Ding drehen, aber schließlich merkt sie bei ihren Recherchen an den Krankenhäusern, wie viele arme Menschen hier vom System abgezockt werden. Natürlich setzt sie sich auch für ihre Familie gegen ICE ein, doch selbst Marks Engagement hilft nichts. Einem Anwalt im Senegal überweist sie vorsorglich 5000 Dollar von ihrem Ersparten – Recht und Kleingeld, das verträgt sich nicht.

Der Sünden-Fall

Einen Fall, den Mark aus teils Übermut, teils Anteilnahme übernimmt, wird ihnen jedoch zum Verhängnis. Ramon Taper hat seine Frau Asia verloren, nachdem sie einen geliebten Sohn zur Welt gebracht hatte und dieser zwei Tage später gestorben war. Ein klarer Fall von Arztfehler auf der Wöchnerinnenstation, vermutet Mark. Doch was er nicht weiß: Die Geburt war vor zwei Jahren, und genau zwei Jahre beträgt in Virginia die Verjährungsfrist für solche Klagen.

Als er mit seinem neuen Fall, von dem er sich rund 100 Riesen verspricht, an einen Profi herantritt, damit dieser ihn gegen Gebühr übernimmt, wird er hochkant hinausgeworfen: „Verjährt!“. Und als er einen Anruf vom Anwalt der Frau Ramons erhält, um den Entschädigungsfall mit Asias Beteiligung anzustoßen, fällt er aus allen Wolken: Er hat keine Versicherung, die ihn vor anwaltlichen Fehlern absichert – er könnte, wenn’s hart auf hart kommt, auf 10 Millionen verklagt werden! Nun ist guter Rat wahrhaftig teuer…

Mein Eindruck

Mehr als einmal müssen Mark, Todd und Zola untertauchen. Das Gebäude hinter der Rooster Bar, wo Todd als Barmann arbeitet, wird zu ihrer heimlichen Zuflucht, Dass sie sich alsbald falsche Papiere zulegen müssen, kann nicht ausbleiben. Die inneren Mechanismen des gewaltigen juristischen Systems der Vereinigten Staaten funktionieren einwandfrei – früher oder später. Aber es gibt eben auch eine Menge Schlupflöcher, und in dieser Hinsicht sind die Drei nur kleine Fische.

Aus Opfern des ausbeuterischen Systems der „Diploma Mills“ und den immensen Darlehensschulden, die damit verknüpft sind, werden Täter. Sind das Lappalien, die sie begehen, oder schon ziemlich heftige Vergehen, muss sich über kurz oder lang der Leser fragen. Immer heftigere Vergehen mutet der Autor seinem Leser zu und stellt dessen Sinn für Gerechtigkeit auf immer härtere Proben. Wie lange wird es dauern, bis aus den drei Opfern, für die wir recht schnell Sympathie und Mitgefühl entwickeln, Gauner werden, die hinter Gitter gehören? Wie schon in „Camino Island“ zieht der Sympathieträger den Leser immer tiefer in die Grauzone zwischen Recht und Unrecht. Das ist etwas anderes als zwischen Gesetz und Verbrechen, denn „recht“ und „unrecht“ sind nicht juristische, sondern moralische Kategorien.

Kreuzritter

Als wäre ihr aufgelegter Schwindel nicht schon brenzlig genug, fangen Mark und Todd auch noch an, einen Kreuzzug gegen Hinds Rackley zu führen, sie für den moralischen Zusammenbruch von Gordy verantwortlich machen – und der schon viel zu lange an „Diploma Mills“ wie Forgy Bottom verdient hat. Nun zeigt jedoch ein Skandal um die Swift Bank, an der Rackley zu sechs Prozent beteiligt ist, eine verwundbare Seite in Rackleys juristischer Rüstung.

In diese Wunde stoßen mehrere Kanzleien mit Sammelklagen, und Mark und Todd haben nichts Eiligeres zu tun, sich mit erfundenen Swift-Bank-Opfern an einer dieser Sammelklagen zu beteilige. Immerhin geht es um eine Entschädigung in Milliardenhöhe, und selbst ein Bruchteil davon würde sie steinreich machen – und es ihnen und Zola erlauben, alle Darlehen auf einen Schlag abzulösen. Doch jeder einzelne erfundene Klient ist ein Vergehen nach Bundesgesetz – eine harte Prüfung für das Gewissen des Lesers.

Nach einem etwas unüberlegten Treffen mit Rackley, bei dem sie sich als Journalisten ausgeben, gibt der Obergauner dem FBI einen Tipp. Wieder einmal wird den Jungs der Boden unter den Füßen zu heiß. Diesmal ist es jedoch der Boden der gesamten Vereinigten Staaten…

Unterm Strich

Ich habe das leicht verständliche Buch in nur wenigen Tagen gelesen. Kenntnisreich führt der Autor seinen Leser in mehrere kriminelle Grauzonen, wo das Gewissen des Lesers entscheiden muss, was Recht und was Unrecht ist. Man erinnere sich an ähnliche Thriller wie „Das Urteil“, das mit Dustin Hoffman, Gene Hackman und John Cusack verfilmt wurde. Darf man ein Urteil einfach so kaufen, wie es einem passt? Was ist das für ein verkommenes Justizsystem, das so etwas zulässt? Und auch hier geht es um eine Sammelklage (wie es sie bis dato in Europa noch nicht gibt).

Drei Grauzonen

Die erwähnten Grauzonen sind folgende. Die Jura-Schulen, die von Studentendarlehen finanziert werden, dienen nur dazu, ahnungs- und wehrlose Studenten ohne Aussicht auf eine ertragsreiche Stelle auszubilden, die es ihnen erlauben würde, ihr Darlehen zurückzuzahlen. Im schlechtesten Fall werden die Absolventen Lohnsklaven, denn sie brauchen den Rest ihres Lebens, um das Darlehen, die Zinsen und die Gebühren zurückzuzahlen, die man ihnen aufbrummt.

Wehrhaft

Doch unsere drei Studenten schlagen zurück. Ihnen soll es nicht ergehen wie ihrem besten Freund Gordy. Gordy hat eine Heldentat vollbracht, als er das System des obersten Gauners Hinds Rackley enttarnte. Nur diese Tat erlaubt es dem Trio, sich an Rackley heranzuwagen, im Zuge einer Sammelklage, deren Ertrag sie aus allen Schulden herausholen wird. natürlich ist dies ein Betrug, der einen Mann wie Robin Hood in den Schatten stellen würde – hätte Robin jemals einen Anwalt nötig gehabt.

Exodus

Die anrührendste Grauzone ist jedoch das Schicksal von Zolas Familie: Nach 25 Jahren ehrlicher Arbeit werden die Senegalesen mir nichts, dir nichts abgeschoben, monatelang interniert und schließlich per Flugzeug an einen Ort gebracht, wo viele von ihnen nicht einmal die Landessprache sprechen: Im Senegal ist die offizielle Amtssprache Französisch. Die Behörden nützen die Notlage der Abgeschobenen, zu denen bald auch Zola stößt, skrupellos aus. Wer nicht zahlen kann, vergammelt im Knast. Wer zahlen kann – und das muss ja wohl für alle Amis zutreffen, nicht wahr? – der wird ins nächstbeste Polizeihotel gesteckt, bis er seine Kohle rausrückt.

Dieses „Rechts“-System ist also keinen Deut besser als das der USA. Mit dem Geld, das ihre zwei Freunde abzocken, gelingt es ihr, eine Anwältin zu engagieren, die sich für sie einsetzt. Ob ihren Bemühungen Erfolg beschieden ist, darf hier nicht verraten werden. Aber Zola und Co. bringen auch einen deutschen Leser ins Grübeln, ob bei der deutschen Abschiebepraxis alles mit rechten Dingen zugeht. Unversehens führt dieser Roman mitten in den Asylkonflikt, der Europa und besonders Deutschland seit Wochen in Atem hält.

Meine Lektüre

Wie schon bei „Camino Island“ darf der Leser keinen Thriller erwartet, in dem Jason Bourne massenhaft Schurken umlegt. Grisham-Thriller funktionieren ganz anders – entgegen dem Eindruck, den manche Hollywood-Verfilmungen seiner Romane suggerieren. Ganz langsam zieht er die Schraube an, die den Druck regelt, unter dem seine Helden und Heldinnen stehen.

Sobald sie durch einen heftigen Schicksalsschlag wie Gordys Freitod oder die Abschiebehaft von Zolas Familie aufgerüttelt und aus der Bahn geworfen worden sind, verwandeln sich die Schafe in Wölfe: Sie wenden die fiesen Mechanismen des ausbeuterischen Systems gegen dieses selbst an. Macht sie das zu Verbrechern? Immer wieder sieht sich der Leser vor diese moralische Frage gestellt, und er wird diesbezüglich immer mehr unter Druck gesetzt.

Doch keine Angst: Wie schon in „Die Firma“ wird auch diese Geschichte gut ausgehen, wenn auch auf eine Weise, die sich der Leser am Anfang nicht einmal hätte erträumen können.

Taschenbuch: 375 Seiten
Sprache: Englisch
Originaltitel: The Rooster Bar
ISBN-13: 9781473616998

Hodder & Stoughton

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