Stephen Hunter – Der 47. Samurai (Bob Lee Swagger 4)

Ex-Scharfschütze Bob Lee Swagger möchte in Japan ein Schwert aus dem Zweiten Weltkrieg abliefern. Als die Unterwelt erfährt, dass es sich um ein altes und sagenhaftes Samurai-Schwert handelt, bringt sie es gewaltsam an sich, was Swaggers Gerechtigkeitssinn weckt; bald tobt ein blutiger Krieg, in dessen Verlauf die Opferzahl rasant in die Höhe schnellt … – Der vierte Band der Serie führt Bob Lee Swagger nach Japan, wo er ein wenig zu seitenstark in die Samurai-Mythologie abtaucht, wodurch ausführlich geschilderte Mord- und Metzel-Szenen aber nicht zu kurz kommen: erneut sehr unterhaltsam für eine hartgesottene Leserschaft.

Das geschieht:

Zwischen dem 19. Februar und 26. März 1945 tobt im Pazifikkrieg der Kampf um die kleine Insel Iwojima. 21000 japanische Soldaten haben sich hier eingegraben, um den US-amerikanischen Truppen so große Verluste wie möglich zu bereiten. Erbittert wird um jeden Inselmeter gefochten, wobei sich die Gegner mit zunehmender Gewalt und Grausamkeit attackieren. Auch Earl Swagger, ein Hinterwäldler aus Arizona, kämpft auf Iwojima. Er ist ein Meisterschütze und ein geborener Krieger, weshalb er einen japanischen Bunker ausheben, den Kommandanten töten und dessen Schwert an sich nehmen kann.

Earl stirbt 1955 als Polizist. Sein Sohn Bob Lee wird wie sein Vater zur düsteren Legende: „Bob der Henker“ erschießt im Vietnamkrieg als „sniper“ unzählige Gegner. Inzwischen ist der Junior Anfang 60 und ruhiger geworden. Swagger hat geheiratet und eine Tochter und züchtet erfolgreich Pferde. Seine Zeit als Kämpfer hat er jedoch nie vergessen, und sein Vater ist ihm heilig. Als sich deshalb der Sohn jenes japanischen Kommandanten, den Earl 1945 tötete, bei ihm meldet, ist Bob sofort zur Hilfe bereit: Philip Yano, selbst ein Ex-Soldat, sucht nach dem Schwert seines Vaters. Swagger findet es und reist nach Japan, um es Yano persönlich zu überreichen.

Kurz darauf wird Yano mit seiner Familie umgebracht: Das Schwert entpuppt sich als japanische Reliquie, die vor Jahrhunderten in einem historischen Kampf von einem berühmten Samurai-Krieger geschwungen wurde. Ein Yakuza-Shogun hat es rauben lassen, um sich als Bewahrer einer glorreichen japanischen Vergangenheit zu inszenieren.

Swagger fühlt sich verantwortlich für das Ende der Yanos. Sein Drang zur Rache wird erst ignoriert, dann irritiert und schließlich zornig zur Kenntnis genommen, denn der ungebetene Gast ignoriert respektlos die Macht der Yakuza und ist nicht nur schwer umzubringen, sondern schlägt auch mit äußerster Härte zurück …

Gelungene Illusion einer Kriegerwelt

Die japanische Kultur ist für uns Bewohner des Abendlandes sehr exotisch, wobei nicht wenige Züge sogar befremdlich, bedrohlich und abstoßend wirken: Genau das ist der Stoff, aus dem interessante Thriller gewoben werden. Vertrautes und Fremdes treffen aufeinander, was über das Verständigungsproblem hinaus viel Raum für Missverständnisse bietet, die wiederum das Unterhaltungspotenzial einer solchen Geschichte anheben.

„Der 47. Samurai“ ist Stephen Hunters Versuch, den US-amerikanischen Thriller in den Kulissen der japanischen Welt zu erzählen, wobei sich der Verfasser nicht auf das Milieu des organisierten Verbrechens, also den Mikrokosmos der Yakuza, beschränkt. Das Wort „Kulissen“ kommt hier vorsätzlich und mit Bedacht zum Einsatz. Man könnte meinen, dass Hunter hart an intensiv recherchierten Fakten schreibt und darüber hinaus mental persönlich tief in die Welt der japanischen Samurai eingetaucht ist, denn „Der 47. Samurai“ geizt nicht mit entsprechenden Passagen, die ungemein authentisch klingen.

Niemand anderer als der Autor selbst straft dies Lügen. In einem ausführlichen Nachwort macht Hunter freimütig deutlich, dass er ein gewandter Schriftsteller ist, der sich in jedes Thema einarbeiten kann. Was so kundig wirkt, hat er sich nach eigener Auskunft aus diversen Standardwerken angelesen sowie unzählige Samurai-Filme angeschaut. Dann hat er das Erlernte in eine ausgedachte Story integriert. So präzise sie sich lesen, sind die beschriebenen Waffen, Kampftechniken oder Philosophien doch nur bedingt authentisch. Hunter verließ sich auf das Urteil thematisch versierter Testleser, die ihn auf elementare Bockschüsse hinwiesen. Dass sich echte Fachleute bei der Lektüre trotzdem die Bäuche vor Lachen (oder Entsetzen) halten, ist Hunter egal: Er wollte einen Roman schreiben, der unterhalten soll, und nicht Jahre seines Lebens in diesen Job investieren.

Zarte Gedichte vor blutigen Lebensenden

Mit diesem ‚Geständnis‘ bläst Hunter nicht nur denen, die für Asia-Mystik schwärmen, Sand ins Getriebe, sondern nimmt auch seinen Kritikern viel Wind aus den Segeln: Was an „Der 47. Samurai“ wirklich stört, wird vom Verfasser bewusst als Klischee aufgegriffen. Quasi jeder Film, in dem fernöstliche Kriegskunst zelebriert wird, weist Szenen auf, in denen der Held diese erst erlernen muss. Das ist offenbar stets eine Frage körperlicher Qualen und Erniedrigungen, an deren Spitze ein uralter, winziger „Meister“ steht, der seinen Schüler nach Strich und Faden demütigt, verprügelt und dies mit kryptischen Phrasen garniert. Unzählige Übungen und ‚weise‘ Sprüche später tritt besagter Held gestählt dem Schurken gegenüber, der ihn dennoch erst ordentlich malträtiert, bevor ihn der Held dramatisch besiegt.

Dieses Mal ist es Bob Lee Swagger, der diesen Weg einschlägt. Um es kurz zu machen: Es funktioniert nicht! In vier früheren Romanen wurde Swagger als Meisterschütze eingeführt, der auf weite Entfernungen unfehlbar ins Schwarze = zwischen die Augen seiner Feinde trifft. Nun mutiert er plötzlich zu einem Schwertmeister, wozu nur eine Woche Training nötig ist. Swagger ist alt und wird von alten Wunden geplagt, aber das ist wundersam kein Hindernis, wenn er trainierte Neo-Samurai sogar im Sechserpack zerschnetzelt.

Hier will sich kein Gefühl von Glaubwürdigkeit entwickeln, das aber selbst in einer SEHR fiktiven Geschichte eine Notwendigkeit darstellt. Das ist schade, denn Hunter, den man gewiss keinen politisch korrekten Schriftsteller nennen kann, hat nicht nur etwas zu erzählen. Quasi nebenbei gelingen ihm immer wieder prägnante Schlaglichter, wobei sachter Sarkasmus zum Einsatz kommt und die US-amerikanischen Landsleute nicht verschont bleiben. Obwohl Swagger ein Mann des Militärs ist, degeneriert er unter seinem geistigen Vater nicht zur hirnentkernten Kampfmaschine, die heulende Mullahs u. a. Mistkerle jenes Kasperletheaters, zu dem der moderne „military thriller“ gewöhnlich gerinnt, in Serie abschlachtet.

Keine Scheu vor brauchbaren Vorbildern

Tatsächlich ist „Der 47. Samurai“ erstaunlich leichenarm, wenn man diesen Roman mit früheren Werken der Serie vergleicht. Der Vorgängerband entstand neun Jahre zuvor. In dieser Zeit hat Hunter offensichtlich darüber nachgedacht, wie es mit der Serie weitergehen kann. Da er die Entscheidung traf, Bob Lee Swagger kalenderkonform altern zu lassen, musste er einiges ändern. Vielleicht liegt es auch daran, dass in Band 4 fast ausschließlich mit Schwertern gemordet wird, was den Akt des Tötens so hinauszögert, dass der Verfasser länger in einschlägigen Beschreibungen schwelgen kann.

Von seiner Bewunderung für rohe, auf den Sieg und das Überleben konzentrierte Kampf-‚Kunst‘ macht Hunter freilich weiterhin keinen Hehl. Erneut schlägt die Steigerung, die dieser Gedanke in Japan (angeblich) erfährt, leicht ins Lächerliche um, wobei durchaus möglich ist, dass Hunter Scherze mit seinem Publikum treibt; so mag man den mehrfach scheiternden Nachwuchs-Samurai Nii, der seinen Meister förmlich anbettelt, ihm endlich den rituellen Selbstmord zu gestatten, einfach nicht ernstnehmen. Allerdings weiß man bei Hunter nie wirklich, woran man ist, wenn er solche Szenen schreibt: Auch in diesem Punkt ist er dem Gros der „Military-Fiction“-Stammler weit überlegen.

Dass ausgerechnet das moderne organisierte Verbrechen in Japan auf (Möchtegern-) Samurai zurückgreift, um Machtkämpfe zu führen, ist eine weitere absurde Voraussetzung, die Hunter einfach festlegt. Insgesamt wirkt sein Roman über weite Strecken wie eine Nacherzählung jener Samurai-Filme, die er mehrfach erwähnt. Faktisch ist „Der 47. Samurai“ Hunters Version einer ‚Realität‘, wie sie Quentin Tarantino mit „Kill Bill“ in Filmform gebracht hat. (Wie Tarantino greift übrigens auch Hunter in einer großen Kampfszene großzügig auf die Vorlage „Lady Snowblood“ – den Manga und den Film von 1973 – zurück.) Wenn man verschmerzt, dass die Wucht der frühen Swagger-Romane dem reinen Handwerk – auf hohem Niveau! – gewichen ist, sorgt Stephen Hunter weiterhin für gute Unterhaltung.

Autor

Stephen Hunter wurde am 25. März 1946 in Kansas City, US-Staat Missouri, geboren. Er studierte Journalismus an der Northwestern University in Illinois, an der sein (1975 ermordeter) Vater als Dozent für Sprachen lehrte. Nach seinem Abschluss 1968 diente Hunter zwei Jahre als Soldat und schrieb für eine Soldaten-Zeitschrift.

1971 wechselte er als Redakteur zum „Baltimore Sun“. Nachdem er zunächst die Sonntagsbeilage betreut hatte, über Hunter 1982 die Redaktion der Filmkritik. In dieser Funktion war er ab 1997 für die „Washington Post“ tätig. 2003 wurde Hunter für seine Kritiken mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. 2008 ging Hunter in den vorzeitigen Ruhestand. Seitdem ist er hauptberuflicher Schriftsteller.

Schriftstellerisch wurde Hunter ab 1980 aktiv. Er begann mit einem wüsten Garn um einen Nazi-Heckenschützen (!) im Jahre 1945 („The Master Sniper“). Ab 1993 schrieb Hunter eine Serie von Romanen, die sich um die Familiengeschichte des Swagger-Clans ranken. Neben Bob Lee treten dort auch sein Vater Earl (ab 2000) und sein Sohn Ray Cruz (ab 2010) auf.

Taschenbuch: 509 Seiten
Originaltitel: The 47th Samurai (New York : Simon & Schuster 2007)
Übersetzung: Patrick Baumann
Cover: www.designomicon/Anke Koopmann
http://www.stephenhunter.net
http://www.festa-verlag.de

E-Book: 1455 KB
ISBN-13: 978-3-865-52531-4
http://www.festa-verlag.de

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