Peter James – Nicht tot genug

Solide Krimikost, spannend vorgetragen

Drei ermordete Frauen in nur einer Woche – und alle wurden sie in den letzten Stunden ihres Lebens schwer gedemütigt und misshandelt. Und damit nicht genug. Auf den Rücken des zweiten Opfers hat der Täter einen Satz tätowiert: „Weil du sie liebst“! Und was hat die Gasmaske auf ihrem Gesicht zu bedeuten?

Der Hauptverdächtige, ein Geschäftsmann aus Brighton, scheint ein lückenloses Alibi zu haben, und doch finden sich an den Tatorten nur seine DNA-Spuren. Für Detective Superintendent Roy Grace von der Brightoner Kripo wird die Jagd nach dem Killer viel gefährlicher, als er das je erwartet hätte. Denn seine Freundin Cleo ist ins Visier des Täters geraten.

Der Autor

Peter James ist Schriftsteller und Filmproduzent, liebt schnelle Autos und hat ein Faible für das Übersinnliche. Er lebte lange Jahre in den USA und war dort als Drehbuchautor und Filmproduzent tätig. Mittlerweile leitet er seine eigene Filmproduktionsfirma in England. Er lebt in Sussex und in London. Mehr Infos unter http://www.peterjames.com (ohne Gewähr). (Verlagsinfo) Als Hörbuch wird bereits „Stirb schön“ von Argon angeboten. „Stirb ewig“ ist bei Audiobuch erschienen.

Peter James auf Buchwurm.info:

„Stirb ewig“
„Stirb schön“
„Stirb schön“ (Lesung)
„Mein bis in den Tod“
„Wenn er fällt, dann stirbt er“

Der Sprecher

Hans Jürgen Stockerl studierte Schauspiel an der Neuen Münchner Schauspielschule Ali Wunsch-König. Neben seiner Theater- und Fernsehkarriere ist Stockerl als gefragter Hörbuch- und Hörfunksprecher tätig, dessen markante Stimme u. a. im Bayerischen Rundfunk, ZDF, WDR und DeutschlandRadio zu hören ist.

Vera Teichmann kürzte den Text und führte Regie. Als Tonmeister fungierte Michael Walz im Studio Mainland Media, Berlin.

Handlung

Katie Bishop ist eine schöne, rothaarige Mittdreißigerin, doch heute Abend ist sie ziemlich müde. Sie kommt gerade von einem Schäferstündchen mit ihrem Geliebten und denkt an ihren Mann Brian: ein nervender, liebloser Pedant, der sich in letzter Zeit auch noch auf den Einsatz von Sexspielzeug verlegt hat. Sie zahlt an der Tankstelle, grinst in die Überwachungskamera und fährt wieder los. Doch bald spürt sie, dass noch jemand in ihrem Wagen sitzt, und bremst. Mit einem Messer an ihrem Hals befiehlt ihr der unbekannte Fahrgast weiterzufahren, in ihr leeres Zuhause. Denn Brian ist wahrscheinlich immer noch in London.

Als die zwei Polizisten der Kripo Brighton & Howth Brian Bishop, 41, vom Golfplatz holen lassen, befindet sich dieser gerade mitten in einem Turnier seines Klubs, dessen Vorsitzender er ist. Brian Bishop ist dementsprechend ungnädig, als sich die beiden als George Branson und Nick Nicholas vorstellen. Sie teilen ihm mit, dass seine Frau Katie tot in seinem Haus aufgefunden worden sei (von der Putzfrau) und der Arzt sie offiziell für tot erklärt habe. Bishop fällt aus allen Wolken und ist erschüttert, ja, er schluchzt sogar. Die Polizisten sind peinlich berührt, beobachten ihn aber genau. Schließlich besagt die Statistik, dass Mörder mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dem Umfeld ihres Opfers stammen. Aber sie sagen ihm nicht, dass Katie ermordet wurde. Er darf sein Haus, den Tatort, nicht mehr betreten.

Kommissar Roy Grace von der Kripo betrachtet die Tote. Zwei Krawatten fesseln ihre Arme, auf dem Gesicht trug sie eine Gasmaske aus dem Zweiten Weltkrieg, und sie wurde laut Arzt vergewaltigt und anschließend stranguliert. Ihre zwei Stiefkinder sind in Übersee, ihr Mann war am Wochenende in London. Eine einsame Frau? Grace lässt sie auf jeden Fall obduzieren. Dann nimmt er sich Bishop vor, doch der Mann kann ein einwandfreies Alibi vorweisen: Abendessen mit einem Berater. Bishop führt eine Softwarefirma.

Unterdessen in London. Sophie Harrington, blond, jung, stupsnasig, macht sich allmählich Sorgen wegen ihres Geliebten. Erst geht er nicht ans Telefon, dann weist er sie kaltschnäuzig ab. Was ist bloß in ihn gefahren? Sie hatten doch gestern erst eine heiße Liebesnacht! Er leugnet diese Tatsache sogar und behauptet, man halte ihn für den Mörder seiner Frau. Als sie bereit ist, ihm ein Alibi zu verschaffen, fragt er sie, wovon sie überhaupt redet. Mehr als ein Flirt sei da nicht gewesen. Weil es sie nicht in ihrem Büro einer Filmproduktionsfirma hält, fährt sie nach Brighton. Sie ahnt nicht, dass sie verfolgt wird.

Es gelingt der Kripo nicht, Bishop in seinem zugewiesenen Hotelzimmer lückenlos zu überwachen. Er entkommt, weiß Gott, wohin. Und als man ihn in einem anderen Hotel wiederfindet, behauptet er, ein Polizist habe das so angeordnet. Doch diesen Polizisten gibt es nicht, wie sich herausstellt. Spielt jemand Bishop einen Streich?

Als Roy Grace von einem Freund erfährt, dieser habe in München Roys vor neun Jahren spurlos verschwundene Frau Sandy gesehen, fliegt Roy am Sonntag hin. Obwohl ihm Marcel Kullen von der Münchner Kripo mit intelligenten Fragen hilft, bleibt das Ergebnis gleich null. Eine ähnlich aussehende Frau erweist sich als waschechte Münchnerin. Aber das war Sandy ja auch, die mit ihrer Großmutter 1938 aus Deutschland nach England geflohen war.

Ein Anruf von Branson ruft ihn zurück: Eine zweite Leiche wurde gefunden, ebenfalls mit einer Gasmaske! Die Tote wird als Sophie Harrington identifiziert. Und nach dem chaotischen Zustand ihrer Wohnung zu urteilen, hat sie ihrem Mörder einen großartigen Fight geliefert. Wieder fällt der Verdacht auf Brian Bishop, denn unter Sophies Fingernagel findet sich ein Fitzelchen Haut, dessen DNA genau zu der von Bishop passt. Aber was hat der in ihren Rücken geschriebene Satz „Weil du sie liebst“ zu bedeuten?

Doch der Mörder hat sich gerade erst warmgelaufen. Als Roy Grace im Fernsehen von einer „bösen Kreatur“ spricht, fühlt er sich provoziert und macht sich auf, den Bullen eine Lektion zu erteilen. Er weiß genau, wo man Menschen am härtesten trifft – an dem, was sie am meisten lieben.

Mein Eindruck

Peter James ist ja schon ein Routinier. Er hat sich mit unheimlichen Mystery-Thrillern einen Namen gemacht, sich aber seit wenigen Jahren aus dieser Nische herausgeschrieben, weil sie momentan ziemlich out ist. Horror im Alltag? Kann jeder beim Stadtausflug erleben. Bessere Ideen weisen da schon seine neuen Krimis „Stirb ewig“, „Stirb schön“ und „Nicht tot genug“ auf.

Nach der Internetüberwachung der Schönen von Brighton und der Publikation ihres unschönen Todes im Netz folgt also nun schon wieder eine Mordserie an Frauen. Doch die scheinbar willkürliche Auswahl der Opfer hat Methode. Die drei Opfer haben nur einen Mann zum Ziel: Brian Bishop. Er soll das verlieren, was ihm das Liebste ist: Frau und Geliebte. Nummer drei ist nur eine Helferin gewesen.

Allerdings ist für Roy Grace die Beweislage keineswegs so einfach: Er verdächtigt Brian Bishop, denn alle Hinweise deuten auf diesen Mann als Täter. Doch zu seinem Leidwesen muss er feststellen, dass man einen Mann zwar offiziell beschuldigen und anklagen, die Beweislast aber dennoch auf dünnen Füßen stehen kann. Und zwar dann, wenn sich die sogenannten Indizien und Beweise als gefälscht erweisen. Mit anderen Worten: Roy Grace wird nach allen Regeln der Kunst an der Nase herumgeführt.

Doch Grace hat einen Trumpf in der Hand: die moderne Überwachungstechnik. Die Überwachung der Öffentlichkeit ist in Großbritannien schon viel weiter fortgeschritten als bei uns. An jeder Straßenecke, in jeder Tankstelle, in jedem Krankenhaus wird per Video gefilmt, was das Zeug hält. Telefonnummern von Handys sowie deren Bewegungsmuster sind überhaupt kein Problem. Auch wenn man nur eine Kreditkarte benutzt oder eine Webseite besucht, ist man bereits sichtbar geworden. Der gläserne Bürger ist auf der Insel bereits längst Wirklichkeit.

Das ist auch wirklich nötig, wie Roy Grace feststellt. Er traut den Zahnrädchen der Justizmühlen nicht. In einer wunderbar sarkastischen Passage nennt er Richter, „die ihr Verfallsdatum überschritten haben“, und Justizvertreter, „die von einem fremden Planeten kommen“. Für solche Nieten benötigt man betonharte Beweise. Und die liefert ihm die Überwachungstechnik nur ansatzweise. Noch sarkastischer wird die Angelegenheit beim Besuch auf dem Sozial- und dem Standesamt. Da platzt dem Chief Superintendent dann wirklich die Hutschnur. Bei solcher Geheimniskrämerei in Sachen Adoptivkinder ist das aber auch kein Wunder.

Dass Brian Bishop ein Adoptivkind ist, erfährt Grace frühzeitig, doch aufgrund der bürokratischen Hürden fällt es ihm schwer, zu den entsprechenden Eltern vorzustoßen. Und als er sie endlich findet, läuft er vor eine Wand. Sind auch dies nur wieder manipulierte Daten, denen der Kommissar blindlings vertraut? Es sieht nicht so aus. Doch ihm fehlen noch paar Puzzleteilchen, bis sich zu seiner Überraschung das richtige Bild ergibt.

Graces Problem sind nicht nur die falschen Spuren, sondern auch die Ablenkungsmanöver. Sandy in München gesichtet? Er muss hin. Cleos Wagen in Brand geraten? Er muss sofort hin. Als er dann endlich merkt, dass Cleo in echter Gefahr schwebt, ist es fast schon zu spät. In einer „Shining“-reifen Performance dringt der Killer in Cleos Schlafzimmer vor. Fehlt nur noch der rote Schriftzug „REDRUM“ an der Tür. (Wer den Kubrickfilm nicht gesehen hat: Bitte REDRUM rückwärts lesen.)

In allen seinen Krimis inszeniert der Autor ein actionreiches Finale, in dem sich der ansonsten oft so düpierte Kommissar endlich voll bewähren kann. Allerdings wird hier vom Lauftraining geredet, das für Grace von Vorteil sei. Aber damit kann es wohl nicht weit her sein, wenn man sich den Tagesablauf des Kommissars etwas genauer ansieht. Das „nützliche Lauftraining“ klingt eher nach einer haltlosen Behauptung. Wenigstens schnappt er seinen Mann.

Der Sprecher

Hans Jürgen Stockerl hat eine sehr angenehm klingende Stimme, sonor und tief, aber alles andere als rau. Er kann zwar nicht so gut die Tonlage variieren, um weibliche Stimmen deutlich höher klingen zu lassen, aber dieses kleine Manko macht er leicht wieder wett, indem er die Lautstärke wechselt und/oder das Tempo variiert. Außerdem gelingt es ihm recht gut, männliche Figuren durch unterschiedliche Stimmen zu charakterisieren. Der Polizist Norman Potting, der stets unangenehm durch politisch unkorrekte Bemerkungen auffällt, spricht tief, rau und etwas polternd laut.

Cleo Murray ist die Geliebte des Helden Roy Grace von der Mordkommission. Sie spricht zwar meist langsam und leise, aber dann macht sie stets auf verführerischste Weise einen netten Vorschlag, den Roy nicht ablehnen kann. Der Sprecher findet genau die richtige Tonlage, um sie echt statt klischeehaft klingen zu lassen. Man muss nur genau hinhören, um solche feinen Untertöne herauszuhören. Denn der Sprecher weiß, dass die Kunst in der Beschränkung liegt, nicht im Übertreiben.

Ein dickes Booklet mit mehreren Seiten gibt es bei den aktuellen Argon-Hörbüchern nicht mehr.

Unterm Strich

„Nicht tot genug“ ist ein flott erzählter Krimi, der auf mehreren Spuren zu seinem Ziel dampft. Da ist der kleine Autodieb und Junkie, der plötzlich in eine viel größere Sache hineingerät und Roy Grace einen wertvollen Hinweis liefert. Explodierende Autos sind schließlich auch in Brighton noch nicht ein Bild des Alltags. Allmählich kommt der Kommissar der Lösung aller Rätsel schrittweise nahe, doch die Lösung verblüfft nicht nur Grace, sondern auch uns.

Ich hatte es mir aber schon eine Weile gedacht, spätestens als die Sprache auf die Adoptivkinder kam. Insofern ist die Lösung auch ein klein wenig vorhersehbar, ebenso wie der Angriff auf Cleo. Der besondere Reiz der Geschichte liegt aber darin, nicht zu wissen, wann und in welcher Form das Erwartete schließlich eintritt.

Peter James präsentiert hier solide Krimikost, die durch die besondere Qualität der Präsentation zu überzeugen weiß. Unerfahrene Krimileser könnten allerdings von der Grundidee verblüfft sein, die ich aber hier keinesfalls preisgeben will. Kenner könnten aber einfach mal bei Ken Follett nachschlagen und sich dann am Kopf kratzen, ob James vielleicht abgeschrieben hat.

Das Hörbuch

Das Hörbuch wird von Hans Jürgen Stockerl kompetent gestaltet, aber auch er muss sich nicht der Sprachakrobatik eines Rufus Beck bedienen, um sein Soll zu erfüllen. Mir ist es viel lieber, wenn sich der Sprecher zurückhält und nur andeutet, wie die Figuren sich ausdrücken. Den Rest besorgt meine Phantasie und Vorstellungskraft.

462 Minuten auf 6 CDs
Originaltitel: Not dead enough, 2007
Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Goga-Klinkenberg
Buchausgabe: Nicht tot genug, S. Fischer Verlag 2008, ISBN 978-3-502-10098-0
www.argon-verlag.de