Arthur Conan Doyle – Ring des Thot, Der (Gruselkabinett 61)

Für die Ewigkeit: eine Liebe und ein Fluch

John Vansittart Smith war eine merkwürdige Gestalt – sicherlich wäre er der Welt noch heute, so viele Jahre nach seiner Forschungstätigkeit am Ende des 19. Jahrhunderts, ein Begriff, wenn er sich nicht durch unvorsichtige Reden über das, was er an einem trüben Oktobertag in der ägyptischen Sammlung des Louvre in Paris erlebt haben will, für alle Zeiten unmöglich gemacht hätte … (Verlagsinfo)

_Der Autor_

Sir Arthur Conan Doyle lebte von 1859 bis 1930 und gelangte mit seinen fast 50 Erzählungen und Romanen um den Meisterdetektiv Sherlock Holmes zu Weltruhm. Dabei begann der Mediziner, der eine eigene Praxis hatte, erst 1882 mit dem Schreiben, um seinen Einkommen aufzubessern.

Neben mystischen und parapsychologischen Themen griff er 1912 auch die Idee einer verschollenen Region (mit Dinosauriern und Urzeitmenschen) auf, die von der modernen Welt abgeschnitten ist: „The Lost World“ erwies sich enorm einflussreich und wurde schon 13 Jahre später von einem Trickspezialisten verfilmt. Schon 1913 ließ Doyle eine Fortsetzung unter dem Titel „The Poison Belt“ (dt. als Im Giftstrom, 1924).

Die Kurzgeschichte „Lot No. 249“ („Die Mumie“, Gruselkabinett Nr. 51) erschien 1892, doch schon zuvor hatte sich 1890 Conan Doyle in „The Ring of Thot“ mit Mumien befasst.

_Die Sprecher_

Tommi Piper: Erzähler
Christian Weygand: Sos-Ra
Patrick Roche: John Vansittart Smith
Tim Schwarzmaier: Parmes
Annina Braunmiller: Atma
Angelika Bender: Sklavin
Manfred Erdmann & Reinhard Glemnitz: Touristen
Patrick Schröder & Max Felder: Diener

Marc Gruppe schrieb wie stets das Buch und gemeinsam mit Stephan Bosenius setzte er es um. Die Aufnahme fand im Fluxx Studio statt und wurde bei Kazuya abgemischt. Die Illustration stammt von Firuz Askin.

_Handlung_

Der britische Ägyptologe John Vansittart Smith recherchiert wieder mal für ein Buch, das ihn berühmt machen soll. Stattdessen wird die Geschichte, auf die er im Pariser Louvre stößt, ihn für immer zum Gespött machen. Dass sein Gesicht selbst entfernt an einen Vogel erinnert, trägt nicht gerade zur Entmutigung seiner Spötter bei.

In der ägyptischen Abteilung des weitläufigen französischen Museums vernimmt Smith, wie zwei Touristen über eine männliche Reinigungskraft tuscheln – und nicht etwa über ihn selbst, wie er zunächst annimmt. Der Bedienstete sehe aus wie einer, der direkt aus dem alten Ägypten selbst stamme. So wird auch Smith auf den bemerkenswerten Mann aufmerksam, er versucht sich aber nichts anmerken zu lassen.

Als er kurz vor Toresschluss zurückkehrt, bemerkt er, wie der Mann eine der kostbaren Mumien nach der anderen aufschneidet. Statt den Frevel zu melden, beobachtet er, wie der Kerl diverse Ringe sammelt. Er zieht sich zurück, um sich Notizen zu machen. Dabei schläft jedoch ein und erwacht erst wieder, als die Kirchenglocke Mitternacht schlägt. Der Ägypter ist immer noch da und versucht, seine Mumienfledderei aufzuwischen. Dabei stößt er auf Smiths Stiefel – der Beobachter ist entdeckt.

Der Ägypter droht mit einem Messer, Smith ins Jenseits zu befördern. Eiligst versichert ihm Smith, dass er keinerlei Absicht habe, ihn zu verraten. Vielmehr bittet er ihn, seine Neugier zu befrieden und ihm seine Geschichte zu erzählen. Was habe ihn dazu getrieben, Leichen aufzuschneiden und ihnen die Ringe abzunehmen?

Der Ägypter nimmt Smith mit in seine bescheidene Wohnung, bevor er ihm seine Geschichte erzählt. Er suche den Ring des Thot, um sich von einem Fluch zu befreien. Geboren sei er zur Zeit des Pharao Ah-mose, der gegen die Hykussos kämpfte und unterlag, also vor rund 3500 Jahren. Als Sohn eines Priesters lernte er alle Geheimnisse des alten Volkes, von der Einbalsamierung bis zu jenem neuen Stoff, den er als „Wasser des Lebens“ bezeichnet. Dieses verlieh ihm Immunität gegen Krankheiten wie die Pest, die dem Einfall der Hykussos vorausging.

Er teilte dieses Wissen und die Eigenschaft mit seinem besten Freund Parmes, und gemeinsam taten sie Gutes. Doch dann verliebte sich Parmes in die wunderschöne Atma, die Tochter des Gouverneurs von Avaris im Nil-Delta, und damit begann das Verhängnis. Denn Atma verliebte sich ihrerseits – allerdings nicht in Parmes, sondern in Sos-Ra.

Als die Zeit kam, dass der vermeintliche Verrat von Parmes aufgedeckt wurde, stand dessen Sinn keineswegs nach Versöhnung, sondern nach Rache: Er offenbarte Sos-Ra, dass er ein Gegenmittel gegen das Wasser des Lebens gefunden und getrunken habe. Er werde sterben – doch Sos-Ra niemals, denn die letzte geheime Zutat werde Sos-Ra niemals finden können.

Und so kam es, dass auch Atma, statt sich von Sos-Ra retten zu lassen, der Pest zum Opfer fiel – und ihren Geliebten gebrochenen Herzens der Ewigkeit überließ. Zumindest bis heute, denn er, Sos-Ra, habe endlich die geheime Zutat im Ring des Thot gefunden …

_Mein Eindruck_

Im Gegensatz zu „Die Mumie“, wo es um die Wiedererweckung eines Toten geht, handelt „Der Ring des Thot“ vom Gegenteil: Der ewig Lebende will endlich die Gnade erlangen, die jedem Sterblichen zuteil wird: einen natürlichen Tod. Beide Geschichten appellieren an das Interesse der Londoner Leserschaft, das von esoterischen Gesellschaften wie der von Madame Blavatsky geweckt wurde. Ein guter Schuss Lebensüberdruss, wie ihn Sigmund Freud diagnostizierte („Zur Psychopathologie des Alltagslebens“, 1904, und „Das Unbehagen in der Kultur“ 1930), dürfte die Leser neugierig auf Themen wie die Überwindung des Todes gemacht haben.

Andererseits war Ägypten total in, nicht zuletzt aufgrund von Verdis Oper „Aida“, die Ende 1871 in Kairo uraufgeführt wurde. Forscher wie die Vorläufer von Howard Carter fanden am Nil sagenhafte Schätze und malten sich Wunder was aus, welche Art von Volk diesen irrsinnigen Totenkult erdacht und ausgeführt haben mochte. Arthur Conan Doyle, Schöpfer von so gegensätzlichen Figuren wie dem kühlen Denker Sherlock Holmes (1887 ff.) und dem cholerischen Forscher Prof. Challenger („The Lost World“, 1912), wandte sich selbst erst nach dem 1. Weltkrieg dem Mystizismus und Spiritismus zu.

Der ehemalige Schiffsarzt, der die Antarktis und Afrika besucht hatte, sah offenbar jede Menge Potenzial im Drama um die Überwindung des Todes wie auch des ewigen Lebens. Leider ist seine Liebesgeschichte in der vorliegenden Story derartig klischeehaft ausgeführt, dass sich kaum eine Augenbraue hebt, wenn wie vorauszusehen (denn alle Schönheit muss sterben, um tragisch zu werden) die geliebte Schöne das Zeitliche segnet, der Liebende hingegen, auf ewig verdammt, zurückbleibt – wäre da nicht eine winzige Hoffnung.

Die Frage, warum Sos-Ra ausgerechnet dann die Mumien aufschnitt, als John V. Smith – ein Allerweltsname mit einem Twist – zugegen ist, ist natürlich müßig: Es ist einfach dramaturgisch notwendig, damit jemand Zeuge von Sos-Ras Drama und Geschichte ist und sie aufschreiben kann. Dass sich Smith damit in seiner Zunft zum Gespött macht, ist ein Vorausverweis auf Doyles eigenes Schicksal, als er Vorträge über Fotos von Elfen hielt, die sich als Fälschung zweier Mädchen herausstellten. So viel zur poetischen Gerechtigkeit.

_Die Sprecher_

Nach einer schier endlosen Exposition, die uns John V. Smith vorstellt, gelangt die Story endlich zum eigentlichen Erzähler: Sos-Ra wird von Christian Weygand recht eindringlich dargestellt. Das muss auch so sein, denn seine Geschichte ist nicht nur der Dreh- und Angelpunkt des Gesamttextes, sondern liefert das eigentliche Thema der Geschichte: Erlösung aus ewiger Verdammnis. Christian Weygand bringt uns Sos-Ra nahe und wirkt glaubwürdig, wenn Sos-Ra um Atma wirbt und trauert.

Die Figur des Parmes ist naturgemäß sein Widersacher und wirkt entsprechend unsympathisch: rechthaberisch, rachsüchtig, arrogant in seinem Triumph über den ehemaligen Freund. Tim Schwarzmaier stellt Parmes entsprechend als Schurke dar. Die schöne Atma spricht durch den Mund von Annina Braunmiller schöne, aber tragische Worte, wie es ihr zukommt – eine moderne Aida.

|Geräusche|

Die Geräusche sind in etwa die gleichen, wie man sie in einem realistischen Spielfilm erwarten würde, und die Geräuschkulisse wird in manchen Szenen dicht und realistisch aufgebaut, meist aber reichen Andeutungen aus. Der Louvre gibt naturgemäß als Geräuschkulisse nur wenig her: keine Vögel, kein Wind und erst recht kein sonstiges Getier, allenfalls eine Tür oder Glocke hier und da.

|Musik|

Die Musik entspricht der eines Scores für ein klassisches Ägypten-Movie oder eine Oper wie „Aida“. Die Akkorde der Tonart sowie die Kadenzen erinnern sämtlich an jene Hollywoodschinken aus den fünfziger Jahren, denen der Megaflop „Cleopatra“ schließlich den Garaus machte. Und weil der Text so kurz und die Musik so schön ist, darf sich der Hörer über ein schönes, langes Outro freuen.

Musik, Geräusche und Stimmen wurde so fein aufeinander abgestimmt, dass sie zu einer Einheit verschmelzen. Dabei stehen die Dialoge natürlich immer im Vordergrund, damit der Hörer jede Silbe genau hören kann. An keiner Stelle wird der Dialog irgendwie verdeckt.

|Das Booklet|

… enthält im Innenteil lediglich Werbung für das Programm von Titania Medien. Auf der letzten Seite finden sich die Informationen, die ich oben aufgeführt habe, also über die Sprecher und die Macher. Die Titelillustration von Firuz Akin fand ich diesmal passend und stimmungsvoll. Firuz Akin macht auch Werbung für sein Buch „Illustration“, das im Heider Verlag erschien.

Diesmal sind in einem zusätzlichen Katalog Hinweise auf die nächsten Hörspiele zu finden:

Nr. 61: Arthur Conan Doyle: Der Ring des Thot (3/12)
Nr. 62: N. Hawthorne: Rappaccinis Tochter (4/12)
Nr. 63: Robert E. Howard: Besessen (4/12)
Nr. 64: F. Marion Crawford: Der schreiende Schädel (5/12)
Nr. 65: Gesellschafterin gesucht! (5/12)

Nr. 66 + 67: Lovecraft: Der Schatten über Innsmouth Teil 1+2 (9/12)
Nr. 68: W. Irving: Die Legende von Sleepy Hollow (10/12)
Nr. 69: W.H. Hodgson: Stimme in der Nacht (10/12)
Nr. 70: Robert E. Howard: Schwarze Krallen (11/12)
Nr. 71: M.R. James: Der Eschenbaum (11/12)

_Unterm Strich_

„Der Ring des Thot“ bildet die langweilig geratene Kehrseite des viel lebhafter und spannender erzählten Textes „Die Mumie“, den Doyle zwei Jahre später veröffentlichte. Der Autor bediente die Mode des Interesses an allem Ägyptischen, die spätestens seit Öffnung des Suezkanals 1856 in den westlichen Imperien herrschte. Er konnte aber auch sein eigenes Interesse an historischen Stoffen ausleben, das er mehrfach in historische Romane goss. So konnte er sich von dem Zwang zur Produktion immer weiterer Sherlock-Holmes-Abenteuer befreien.

Dies zu wissen, hilft der Geschichte aber wenig, doch das Hörspiel versucht, das Beste aus der dürftigen Vorlage zu machen. Die Liebesgeschichte im alten Ägypten, die vor dem historischen Hintergrund der Hyksos-Invasion spielt, scheitert erwartungsgemäß tragisch, doch der besondere Pfiff der Story ist unerwartet: Statt nach Jahrtausenden wieder auferstehen zu dürfen – oder wenigstens die Geliebte erneut zum Leben zu erwecken -, sehnt sich die Hauptfigur nur danach, sich im Tod zu seiner toten Geliebten gesellen zu dürfen.

Um dem Fluch ewigen Lebens entkommen zu können, braucht er den titelgebenden Ring des Thot (des Richters über die Seele der Verstorbenen). Diese Suche hätte Anlass zu einer fröhlichen Schnitzeljagd à la Indiana Jones geben können, doch dies ist uns nicht vergönnt. Stattdessen stolpert der idiotische John V. Smith über den Pechvogel, hilft ihm aber nicht einmal. Er ist nur ein Kiebitz am Rande des Dramas.

Das Hörspiel

Die lange Einleitung, der uninteressante Chronist und die klischeehafte Liebesgeschichte können nicht ausgleichen, was der besondere Pfiff der Story ist. Daher hielt sich mein Vergnügen sehr in Grenzen. Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis.

Spieldauer: über 63 Minuten
ISBN-13: 9783785746387
www.titania-medien.de