A. C. Doyle & Herman Cyril McNeile – Der Tote im Extra-Waggon (Sherlock Holmes Folge 42)

Ein rätselhafter Eierwurf

Samuel Goldberg liegt erschossen in einem Zugabteil des Extra-Waggons, und zunächst deutet alles auf einen Selbstmord hin. Anstelle einer Waffe findet sich jedoch nur ein zerbrochenes rohes Ei am Tatort. Obwohl sich sehr schnell nur ein Mord-Verdächtiger samt Motiv feststellen lässt, zweifelt der Meisterdetektiv an den Aussagen der anderen Zeugen. (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörbuch ab 14 Jahren.

Die Serie wurde mit dem „Blauen Karfunkel“ der Deutschen Sherlock Holmes-Gesellschaft und dem HörKules ausgezeichnet.

Die Autoren

1) Herman Cyril McNeile (28. September 1888 – 14. August 1937), meist bekannt als Cyril McNeile der unter dem Namen „H. C. McNeile“ oder dem Pseudonym „Sapper“ veröffentlichte, war ein britischer Soldat und Schriftsteller der Nachkriegszeit. Er starb wahrscheinlich an den Spätfolgen eines Gasangriffs im Ersten Weltkrieg. Die Wikipedia bringt ihn an keiner Stelle in Zusammenhang mit Sherlock Holmes, was erstaunlich ist, denn McNeile schrieb in erster Linie Detektivgeschichten.

2) Sir Arthur Conan Doyle lebte von 1859 bis 1930 und gelangte mit seinen ca. 60 Erzählungen um den Meisterdetektiv Sherlock Holmes zu Weltruhm. Dabei begann der Mediziner, der eine eigene Praxis hatte, erst 1882 mit dem Schreiben, um sein Einkommen aufzubessern. Neben mystischen und parapsychologischen Themen griff er 1912 auch die Idee einer verschollenen Region (mit Dinosauriern und Urzeitmenschen) auf, die von der modernen Welt abgeschnitten ist: „The Lost World“ erwies sich enorm einflussreich und wurde schon 13 Jahre später von einem Trickspezialisten verfilmt. Schon 1913 ließ Doyle eine Fortsetzung unter dem Titel „The Poison Belt“ (dt. als „Im Giftstrom“, 1924) folgen.

Marc Gruppe ist der Autor, Produzent und Regisseur der erfolgreichen Hörspielreihe GRUSELKABINETT, die von Titania Medien produziert und von Lübbe Audio vertrieben wird.

Folge 1: Im Schatten des Rippers
2: Spuk im Pfarrhaus
3: Das entwendete Fallbeil
4: Der Engel von Hampstead
5: Die Affenfrau
6: Spurlos verschwunden
7: Der Smaragd des Todes
8: Walpurgisnacht
9: Die Elfen von Cottingley
10: Der Vampir von Sussex / Das gefleckte Band / Der Fall Milverton / Der Teufelsfuß (Neuausgabe)
11: Das Zeichen der Vier (4/2014, Neuausgabe)
12: Ein Skandal in Böhmen (4/2014)
13: Der Bund der Rotschöpfe (5/14)
14: Eine Frage der Identität (9/14)
15: Das Rätsel von Boscombe Valley (10/14)
16: Der blaue Karfunkel
17: Die fünf Orangenkerne
18: Der Mann mit der entstellten Lippe
19: Der Daumen des Ingenieurs
20. Der adlige Junggeselle
21. Die Beryll-Krone
22. Das Haus bei den Blutbuchen
23. Silberblesse (6/16)
24. Das gelbe Gesicht (6/16)
25. Der Angestellte des Börsenmaklers (7/16)
26: Die „Gloria Scott“ (11/16)
27: Das Musgrave Ritual (12/16)
28: Eine Studie in Scharlachrot (2 CDs)
29: Die Junker von Reigate
30: Der bucklige Mann
31: Der Dauer-Patient
32: Der griechische Dolmetscher
33: Das graue Haus
34: Die quietschende Tür
35: Der Hund der Baskervilles (2 CDs)
36: Das unheimliche Pfarrhaus
37: Der verschwundene Kutscher
38: Das Haus mit den Zwingern
39: Eine Frage des Teers
40: Die dritte Botschaft
41: Mayerling (2 CDs)
42: Der Tote im Extra-Waggon
43: Der Zuträger
44: Der zweite Hund
45: Harry Price und der Fall Rosalie

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher und ihre Rollen:

Joachim Tennstedt: Sherlock Holmes
Detlef Bierstedt: Dr. John Watson
Regina Lemnitz: Martha Hudson
Lutz Reichert: Inspektor Lestrade
David Nathan: Stationsvorsteher
Patrick Bach: Schaffner Joe
Horst Naumann: Rev. John Stocker
Ursula Wüsthof: Mrs. Stocker
Patrick Stanke: Harry Carter
Jürgen Thormann: Major Blackton
Bert Stevens: Arzt
Bodo Primus: Mr. Meredith

Die Macher

Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden bei Titania Medien Studio bei Advertunes, Planet Earth Studios und im Fluxx Tonstudio statt. Alle Illustrationen – im Booklet, auf der CD – trugen Ertugrul Edirne und Firuz Askin bei.

Handlung

Sherlock Holmes hat beschlossen, mit seinem Freund Dr. Watson aufs Land zu fahren, doch dass auch Inspektor Lestrade mitkommen soll, bereitet Watson viel Verdruss. Doch Lestrade hat die Tickets. Alle warten am Bahnhof Morley Junction auf ihren Zug. Der Stationsvorsteher sagt ihn, dass ihr Zug um 9:30 Uhr Verspätung habe. Als der Zug endlich eintrifft, hält er gar nicht an, sondern koppelt nur einen Extra-Waggon ab und fährt gleich weiter. Hat man sowas schon mal gesehen? Solche Extra-Waggons gebe es nur im Königreich, merkt der Stationsvorsteher an, doch der Schaffner Joe werde sich darum kümmern. Ja, aber der Zug ist weg, nicht wahr?

Zur Entrüstung bleibt wenig Zeit, denn Schaffner Joe meldet einen Mord. „Ruft die Polizei!“ Doch die ist schon da, sagt Lestrade und stellt sich und seine Begleiter vor. Er bittet, den Tatort sehen zu dürfen. Als Joe das Trio in das betreffende Abteil führt, wollen sich gerade drei der Passagiere aus ihren Abteilen verdünnisieren. Der Stationsvorsteher hält sie auf, während Joe die Leiche zeigt. Deswegen habe der Reverend den Zug auf offener Strecke per Notbremse angehalten.

Der Tote ist ein gut gekleideter Mann um die fünfzig, der auf dem Boden liegt und eine fatale Kopfwunde aufweist. Offensichtlich wurde er erschossen. Es handelt sich um Samuel Goldberg, einen bekannten Buchmacher aus London, und ausnahmsweise ehrlich, urteilt Holmes. Goldbergs Gepäck ist noch da, was einen Raubmord ausschließt. Auffällig sind lediglich in zerschlagenes rohes Ei an der Tür und unterm Sitz, sowie ein Paar Handschuhe, das der Größe nach zu schließen nicht Goldberg gehörte. Joe schwört, dass Tür und Fenster geschlossen waren. Aber wie kam dann das Ei hinein?

Die Passagiere wurden wieder eingefangen und stehen nun zur Vernehmung bereit. Major Blackton hat es auffallend eilig, zu einer Hunde-Show zu gelangen, deren Jury er vorsitzen soll. Er hielt die Leiche für einen Selbstmörder. Rev. Stockton samt Frau haben ebenfalls nichts gesehen, was hilfreich wäre. Bleibt also noch Mr. Harry Carter. Er gibt zu, dass die Handschuhe seien sind. Nicht nur das: Er schuldete Goldberg die stolze Summe von 1000 Pfund Sterling. Das Gespräch, das zufällig zustande gekommen sei, war offenbar ebenso unangenehm wie unergiebig. Als er ging, vergaß er seine Handschuhe, doch er schwört, das Fenster des Abteils sei offen gewesen.

Für Inspektor Lestrade ist Carter der Mörder. Denn Selbstmord ist mangels einer Tatwaffe auszuschließen. Während Lestrade das Abteil verlässt, sammeln Holmes und Watson die Eierschalen auf, und siehe da: Auf der zusammengesetzten Schale ist ein Name aufgedruckt. Na, wenn das kein Hinweis ist! Allerdings sind rohe Eier selten tödliche Geschosse. Als Lestrade mit einem Arzt und einer Pistole zurückkehrt, ist für ihn der Fall aufgeklärt: Carter hatte in seinem Gepäck auch eine Pistole – für die Hasenjagd, wie er behauptet. Schade nur, dass das Kaliber nicht zu der Kugel passen will, die der Arzt zutage fördert.

Lestrade behauptet, auch Holmes werde diesen vertrackten Fall nie im Leben lösen. Holmes hält dagegen: Er habe das Ei, das Fenster und folglich bald auch den Mörder…

Mein Eindruck

Das Rätsel vergrößert sich, als Holmes ein paar Tage später in die Baker Street 221b zurückkehrt und mit einem Unbekannten einen neuen Partner ihres gemeinsamen Projekts präsentiert. Welchen Projekts, fragen sich Watson und Lestrade. Die Auflösung dieses Rätsels dürfte interessant werden. Aber alle spielen mit, und sogar Mrs. Hudson wird verhaltensauffällig. Insgeheim hat Holmes sie zur Komplizin seiner Ermittlung befördert: Sie sichert Fingerabdrücke. Diese ganze Scharade dient der Überführung des Täters aus Marley Junction. Der Zweck des Schauspiels wird in allen Punkt erfüllt, doch Lestrades Vorschlag, den Ausflug aufs Land nachzuholen, wird von Watson rundweg abgelehnt.

Damit der Hörer mit der Ermittlung mithalten kann, sollte er zwei Dinge begreifen: Früher hatten britische Züge keinen durchgehenden Korridor (wie er im Titelbild angedeutet wird), sondern jeder Passagier bzw. seine Familie hatte sein eigenes Abteil. So ist es auch noch in manchen alten Hitchcock-Filmen zu sehen. Zweitens stellt sich im Laufe der Schilderung des Tathergangs heraus, dass ein zweiter Zug eine wesentliche Rolle für die Tat spielte. Entgegen der unwillkürlichen Annahme, dass er in Gegenrichtung gefahren sein müsse, weil ja die meisten Strecken nur zweispurig sind, fuhr dieser Zug offenbar parallel zum Zug, in dem Samuel Goldberg saß. Ich brauchte eine Weile, um das zu verstehen.

Ist dies alles bekannt, so ergeben sich daraus die Gelegenheit und das Mittel (das Ei ist NICHT die Tatwaffe, keine Sorge), fehlt also noch das Motiv. Berücksichtigt man den Beruf Goldbergs, so liegt auch das Motiv im gleichen Bereich wie bei Harry Carter: Schulden. Dass Goldberg offenkundig Jude ist, spielt keine Rolle, denn der Täter legt keine antisemitischen Ansichten an den Tag (was mich aber angesichts der nationalistischen Ansichten in der 1930er Jahren nicht gewundert hätte – sogar der König war ein verkappter Nazi).

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Dr. Watson nimmt die Stelle des zweifelnden gesunden Menschenverstandes gegenüber Holmes ein, welcher ein getriebener Junkie der Vernunftarbeit zu sein scheint. Watson ist der Gemütsmensch, ein Jedermann mit dem Herz auf dem rechten Fleck. Holmes jedoch ist nicht nur Kopfarbeiter, sondern auch Schauspieler und Manipulator von Menschen.

Sherlock

Es gibt mehrere Hauptfiguren, die auch stimmlich herausragen. Am besten gefällt mir Joachim Tennstedt als Sherlock, denn was er in diese Figur hineinlegt, ist sehr sympathisch und humorvoll – so als würde ein strahlender John Malkovich völlig entspannt aufspielen (liegt’s am Koks?). Holmes‘ einziger Fehler ist seine Ablehnung des weiblichen Geschlechts oder vielmehr des Umgangs mit dessen Vertretern. Das soll aber weniger an latenter Homosexualität liegen, als vielmehr an seiner Abneigung gegen jede Art von emotionaler Sentimentalität.

Aber Holmes ist auch ein ausgezeichneter Schauspieler und engagierter Boxer. Ab und zu treibt er sich als aktiver Detektiv in Londons Sauwetter herum und kehrt völlig ausgehungert ins Hauptquartier zurück. Dann darf Mrs. Hudson, die auch hier moralisches Zentrum auftritt, ihm Essen kredenzen.

Watson

Dr. John H(amish) Watson, 36, ist das genaue Gegenteil seines Freundes: jovial, höflich, frauenfreundlich und durchweg emotional, außerdem glücklich verheiratet. Leider sind seine logischen Schlüsse von dementsprechend unzulänglicher Qualität. Das war zu erwarten und dürfte keinen überraschen.

Lestrade

Der Inspektor ist durchaus selbstbewusst und hat seine guten Momente, doch er neigt dazu, sich mit voreiligen Schlüssen zufriedenzugeben. Dass der Schauspieler Lutz Reichert ((https://de.wikipedia.org/wiki/Lutz_Reichert_(Schauspieler))), mittlerweile runde 70 Jahre alt, durchaus in der Lage ist, „Sherlock Holmes“ an die Wand zu spielen, hat er bereits bewiesen. Er wirkt bereits seit Folge 15 an der HOLMES-Reihe mit („Das Rätsel von Boscombe Valley“, 2013). Dieser Lestrade ist also keine Witzfigur wie Reicherts „Vorgänger“, sondern durchaus ernstzunehmen.

Nicht zu vergessen ist der Auftritt von David Nathan, der deutschen Stimmbandvertretung von John Depp und vielen anderen Hollywood-Größen. Nathan spricht den Stationsvorsteher. Seinen besten Auftritt bei Titania Medien hatte er zweifellos als titelgebender Mönch im gleichnamigen Horror-Hörspiel.

Geräusche

Eine schöne Vielfalt von Geräuschen verwöhnt das Ohr des Zuhörers. Der Eindruck einer real erlebten Szene entsteht in der Regel immer. Diesmal sind die Geräusche die der Umgebung eines Bahnhofs, und erst die letzte Szene findet in einem Interieur statt: Tee gluckert beim Einschenken, Tassen und Besteck klappern, ein Glas wird mehrmals ausgetrunken. All diese Samples setzt die Tonregie zur Genüge ein, um einer Szene eine Fülle von realistisch klingenden Geräuschen zu vermitteln.

Die Musik

Das Intro, eine Art flott-dezente Teemusik, bildet den heiter-beschwingten Auftakt des Hörspiels und deutet die häusliche Idylle von Baker Street 221B an. Von einem Score im klassischen Sinn kann keine Rede mehr sein. Hintergrundmusik dient nur dazu, eine düstere oder angespannte Stimmung zu erzeugen, und zwar nur dort, wo sie gebraucht wird. Die Intermezzo-Musik teilt das Hörspiel quasi in drei Akte: die Szene in Marley Junction, die Szene mit Mr. Meredith und schließlich der Epilog, der endlich die Lösung des Rätsels liefert.

Das Booklet

Das Titelmotiv zeigt die Hauptakteure im Bahnhof Marley Junction. Die innere Doppelseite listet die aktuellen und kommenden Titel der Holmes-Reihe und des Gruselkabinetts auf. Die letzte Seite zählt sämtliche Mitwirkenden auf. Die CD und der Einleger sind mit den Sherlock-Holmes-Motiven versehen, die die Reihe von Anfang an begleitet haben.

Unterm Strich

Die Ermittlung ist wieder einmal in zwei Teile unterteilt. Die Bestandsaufnahme des Mordes samt Tatort, wobei ungelöste Rätsel auftauchen: die fehlende Tatwaffe, das zerbrochene Ei, das geschlossene Fenster und der Faktor X. Inspektor Lestrade führt den Hörer zunächst in die Irre, weil er sich mit einem Tatverdächtigen zufriedengibt, der hinreichend motiviert ist und eine Gelegenheit hatte, die tat zu begehen. Allein, die Details wollen gar nicht so recht zu diesem Verdächtigen passen.

Die Lösung des Rätsels bleibt den beiden folgenden Akten des Dreiteilers vorbehalten. Dabei kommt es zu einem sehr hübschen Schauspiel im Schauspiel, was den beiden „Mitspielern“ Watson und Lestrade eine Menge Geistesgegenwart abverlangt, denn Holmes hat sie, wieder mal, nicht in seinen Plan eingeweiht. Da hat der ebenso erstaunte Zuhörer einiges zu schmunzeln. Damit der Fall bis zum Schluss spannend bleibt, spart sich der Meisterdetektiv die Lösung des Falls bis zum Ende auf.

Das Hörspiel

Der Fall ist ein schönes Beispiel für die Formel „Trau dem ersten Eindruck nicht, bis der Meisterdetektiv spricht“. Auf die Lösung, die Holmes für den Tathergang liefert, dürfte selbst der gewiefteste Krimilöser nicht kommen. Herman McNeile hat einwandfreie Krimikost geliefert, und wir bekommen hoffentlich noch mehr solcher kniffligen Fälle präsentiert.

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen.

Die Sprecherriege für diese neue Reihe ist höchst kompetent und renommiert zu nennen, handelt es sich doch um die deutschen Stimmen von Hollywoodstars wie John Malkovich (Tennstedt) und George Clooney (Bierstedt). Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für spannende Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist (relativ) leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der Hollywoodstars Clooney und Malkovich vermitteln das richtige Kino-Feeling.

Länge: über 70 Minuten
ISBN-13: 9783785782002

www.titania-medien.de

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