Arthur C. Doyle: Sherlock Holmes – Der Angestellte des Börsenmaklers (Folge 25)

Unterhaltsam: Sherlock Holmes deckt einen Trickbetrug auf

Der junge Hall Pycroft bittet Sherlock Holmes um Hilfe, da die Firma, die eine Anstellung anbietet, einen äußerst merkwürdigen, ja beinahe unseriösen Eindruck auf ihn macht. (Verlagsinfo)

Ist dies nun der dritte oder der vierte Fall in den „Memoirs“? Die Antwort hängt davon ab, ob man eine britische oder eine amerikanische Ausgabe nutzt. In den US-Ausgaben fehlt nämlich meist der als „skandalös“ erachtete dritte Fall „The Adventure of the Cardboard Box“, die in den britischen Ausgaben meist enthalten ist.

Der Verlag empfiehlt das Hörbuch ab 12 Jahren.

Die Serie wurde mit dem „Blauen Karfunkel“ der Deutschen Sherlock Holmes-Gesellschaft ausgezeichnet.

Der Autor

Sir Arthur Conan Doyle lebte von 1859 bis 1930 und gelangte mit seinen ca. 60 Erzählungen um den Meisterdetektiv Sherlock Holmes zu Weltruhm. Dabei begann der Mediziner, der eine eigene Praxis hatte, erst 1882 mit dem Schreiben, um sein Einkommen aufzubessern. Neben mystischen und parapsychologischen Themen griff er 1912 auch die Idee einer verschollenen Region (mit Dinosauriern und Urzeitmenschen) auf, die von der modernen Welt abgeschnitten ist: „The Lost World“ erwies sich enorm einflussreich und wurde schon 13 Jahre später von einem Trickspezialisten verfilmt. Schon 1913 ließ Doyle eine Fortsetzung unter dem Titel „The Poison Belt“ (dt. als „Im Giftstrom“, 1924) folgen.

Hinweis: Jede einzelne SHERLOCK-HOLMES-Erzählung ist auf der englischen Wikipedia gewürdigt worden. Ein Blick lohnt sich: https://en.wikipedia.org/wiki/The_Adventure_of_the_Stockbroker%27s_Clerk.

Marc Gruppe ist der Autor, Produzent und Regisseur der erfolgreichen Hörspielreihe GRUSELKABINETT, die von Titania Medien produziert und von Lübbe Audio vertrieben wird.

Folge 1: Im Schatten des Rippers
2: Spuk im Pfarrhaus
3: Das entwendete Fallbeil
4: Der Engel von Hampstead
5: Die Affenfrau
6: Spurlos verschwunden
7: Der Smaragd des Todes
8: Walpurgisnacht
9: Die Elfen von Cottingley
10: Der Vampir von Sussex / Das gefleckte Band / Der Fall Milverton / Der Teufelsfuß (Neuausgabe)
11: Das Zeichen der Vier (4/2014, Neuausgabe)
12: Ein Skandal in Böhmen (4/2014)
13: Der Bund der Rotschöpfe (5/14)
14: Eine Frage der Identität (9/14)
15: Das Rätsel von Boscombe Valley (10/14)
16: Der blaue Karfunkel
17: Die fünf Orangenkerne
18: Der Mann mit der entstellten Lippe
19: Der Daumen des Ingenieurs
20. Der adlige Junggeselle
21. Die Beryll-Krone
22. Das Haus bei den Blutbuchen
23. Silberblesse (6/16)
24. Das gelbe Gesicht (6/16)
25. Der Angestellte des Börsenmaklers (7/16)
26: Die „Gloria Scott“ (11/16)
27: Das Musgrave Ritual (12/16)
28: Eine Studie in Scharlachrot (3/17)
29: Der Junker von Reigate (4/17)
30: Der bucklige Mann (5/17)

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher und ihre Rollen:

Joachim Tennstedt: Sherlock Holmes
Detlef Bierstedt: Dr. John Watson
Florian Jahr: Hall Pycroft
Matthias Lühn: Arthur Pinner
Marc Gruppe: Kutscher

Die Macher

Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden bei Titania Medien Studio, Planet Earth Studios und im Fluxx Tonstudio statt. Alle Illustrationen – im Booklet, auf der CD – trugen Ertugrul Edirne und Firuz Askin bei.

Handlung

Als Holmes seinen Freund John Watson besucht, hat er eine Bitte: Ob Watson ihn wohl nach Birmingham begleiten könnte, um einen neuen Fall zu lösen – jetzt sofort? Aber immer! Der Arzt gibt nur seinem Kollegen nebenan Bescheid, Patientenanfragen zu übernehmen, dann kann es schon losgehen. Die Kutsche wartet bereits, und darin sitz der Klient des Detektiv. Er stellt sich als Hall Pycroft vor, seines Zeichens arbeitsloser Börsenmakler.

Vorgeschichte

Auf der Zugfahrt nach Birmingham erzählt Pycroft seine Geschichte Watson – und auch Holmes, obwohl der sie ja schon kennt. Pycroft ist von einem Mann besucht worden, der offenbar alles über ihn wusste – von der Pleite der bisherigen Firma und seiner Bewerbung bei der nächsten Firma. Der Unbekannte bietet ihm den Posten eines Geschäftsführers der Eisenwarenhandlung Franco-Midland Hardware an und zahlt ihm einen Vorschuss von enormen 100 Pfund. Es fällt Pycroft nicht schwer, das Angebot anzunehmen, doch dann begannen die Merkwürdigkeiten.

Dieser Mister Pinner lässt ihn eine Erklärung schreiben, dass er den Posten annehme, und unterschreiben. Auf keinen Fall solle Pycroft bei Mawson, seinem geplanten nächsten Londoner Arbeitgeber, Bescheid geben, dass er nicht kommen werde – angeblich aufgrund einer Wette. Ach ja, und er solle das Büro der Franco-Midland Hardware Company in Birmingham aufsuchen. Dort erhalte er weitere Instruktionen.

Die Adresse erweist sich als falsch, doch ein Mann, der Pinner zum Verwechseln ähnlich sieht, nimmt Pycroft in Empfang. Angeblich sei er Pinners Bruder. Er führt ihn in die Büroräume: Sie stellen sich als eine Flucht unmöblierter Zimmer direkt unterm Dach heraus. Bevor er sich verabschiedet, gibt dieser Pinner Pycroft eine Sisyphus-Arbeit auf. Am nächsten Tag ist Pycroft noch nicht fertig und bittet um Aufschub. Kein Problem, sagt Pinner, bevor er verschwindet. Da fällt Pycroft auf, dass dieser Mann die gleiche Art von schlampig angefertigtem Goldzahn hat wie sein angeblicher „Bruder“ in London. In was ist er da nur hineingeraten?

Birmingham

Das wollen Holmes, Watson und er herausfinden, als sie Pinner heimlich hinauf in dessen Büroräume folgen. Pinner hat gerade die Abendausgabe einer Londoner Zeitung gekauft und sieht kränklich aus. Pinner klopft und stellt Mr. Price und Mr. Harris alias Holmes und Watson. Sie würden sich für die Stelle bei der Franco-Midland Hardware interessieren. Doch Pinner achtet gar nicht auf ihn. Er verlässt das Zimmer und geht nebenan.

Als er die Tür abschließt, um seine Besucher auszuschließen, merken Holmes und seine Begleiter, dass hier etwas ganz schrecklich schiefläuft. Sie beeilen sich, die Tür aufzubrechen…

Mein Eindruck

Der Fall erinnert den Holmes-Kenner sofort an den Fall „Der Bund der Rothaarigen“ (siehe die bereits erfolgte Vertonung durch Titania Medien und meinen Bericht dazu). Eine unerwünschte Person – in diesem Fall Mr. Pycroft – wird durch eine sinnlose, aufwendige Aufgabe vom eigentlichen Geschehen ferngehalten, aber für einen unauffälligen Zweck benötigt. Dieser Zweck ist im vorliegenden die Handschriftenproben von Pycroft.

Mit dieser Probe ist es dem Komplizen Pinners möglich, bei Pycrofts geplantem nächsten Arbeitgeber Mawson als Pycroft aufzutreten (es gab KEIN Bewerbungsgespräch) und Vorbereitungen für seinen kriminellen Coup am folgenden Wochenende zu treffen.

Doch welchen Beitrag leistet eigentlich der Meisterdetektiv, fragt sich der Hörer verwundert. Er fährt ja im Grunde nur von London nach Birmingham, wobei er seinen Freund und Chronisten Watson mitschleift. Nun, ein wenig mehr Verdienst sollte man ihm schon zubilligen. Er deckt den Schwindel um die fiktive Firma auf, weist auf die missbrauchte Handschrift hin und nimmt diesen Mann namens „Pinner“ selbst in Augenschein.

Außerdem ist es Holmes, der erkennt, was dieser „Pinner“ gerade hinter der verschlossenen Tür vorhat. Um was es sich genau handelt, darf hier leider nicht verraten werden. Nur so viel: Holmes liefert der Polizei den Komplizen des Londoner Verbrechers, der Mawsons Tresor ausrauben wollte. Die Action erfolgt also erst ganz zum Schluss, ist aber in der Vertonung durchaus dramatisch genug, um den Hörer zufriedengestellt zurückzulassen – ähnlich etwa wie im Fall von „Das gelbe Gesicht“ (vertont bei Titania, von mir rezensiert).

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Dr. Watson nimmt die Stelle des zweifelnden gesunden Menschenverstandes gegenüber Holmes ein, welcher ein getriebener Junkie der Vernunftarbeit zu sein scheint. Watson ist der Gemütsmensch, ein Jedermann mit dem Herz auf dem rechten Fleck. Holmes jedoch ist nicht nur Kopfarbeiter, sondern auch Schauspieler und Manipulator von Menschen.

Sherlock

Es gibt mehrere Hauptfiguren, die auch stimmlich herausragen. Am besten gefällt mir Joachim Tennstedt als Sherlock, denn was er in diese Figur hineinlegt, ist sehr sympathisch und humorvoll – so als würde ein strahlender John Malkovich völlig entspannt aufspielen (liegt’s am Koks?). Holmes‘ einziger Fehler ist seine Ablehnung des weiblichen Geschlechts oder vielmehr des Umgangs mit dessen Vertretern. Das soll aber weniger an latenter Homosexualität liegen, als vielmehr an seiner Abneigung gegen jede Art von emotionaler Sentimentalität.

Aber Holmes ist auch ein ausgezeichneter Schauspieler, Fechter und engagierter Boxer. Ab und zu treibt er sich als aktiver Detektiv in Londons Sauwetter herum und kehrt völlig ausgehungert ins Hauptquartier zurück. Dann darf Mrs. Hudson, die auch hier moralisches Zentrum auftritt, ihm Essen kredenzen. In der Vertonung der nächsten Episode „Die Gloria Scott“ schlagen Holmes und Watson bei Mrs. Hudsons Schnittchen verheerend zu und hauen richtig rein.

Watson

Dr. John H(amish) Watson, 36, ist das genaue Gegenteil seines Freundes: jovial, höflich, frauenfreundlich und durchweg emotional, außerdem glücklich verheiratet. Leider sind seine logischen Schlüsse von dementsprechend unzulänglicher Qualität. Das war zu erwarten und dürfte keinen überraschen.

Watsons Aufgabe besteht vor allem in der des Chronisten für Holmes. Diese lukrative Aufgabe versetzt ihn zuweilen in die Lage, rasch aufbrechen zu müssen und lässt ihm ab und zu gehärtetes Blei um die Ohren fliegen („Das Zeichen der Vier“). Aber durch Holmes lernte Watson seine spätere Frau Mary Morstan kennen (dito).

Während Hall Pycroft durch Florian Jahr kompetent gesprochen wird, gilt es doch, die Leistung von Matthias Lühn in seiner Rolle als Trickbetrüger Arthur Pinner hervorzuheben. Wie Pinner den leichtgläubigen Angestellten Pycroft einwickelt und dann zu einer völlig sinnlosen Tätigkeit überredet, ist schon ein akustisches Schauspiel. Mir jedenfalls wird dieser kleine, aber wichtige Auftritt in Erinnerung bleiben. Merke: Auch scheinbar kleine Nebenrollen sind mitunter von zentraler Bedeutung für den Erfolg einer Inszenierung. Ohne Pinners Eindruck würde der Plot nicht funktionieren.

Geräusche

Eine schier unglaubliche Vielfalt von Geräuschen verwöhnt das Ohr des Zuhörers. Der Eindruck einer real erlebten Szene entsteht in der Regel immer. Papierrascheln, klappernde Teetassen, knisterndes Kaminfeuer – all diese Samples setzt die Tonregie zur Genüge ein, um einer Szene eine Fülle von realistisch klingenden Geräuschen zu vermitteln. Diesmal kommt noch die Kutsche hinzu, als deren Steuermann der Regisseur Gruppe selbst zu hören ist. Bei der Action im Finale sollte man genau hinhören, um alles mitzubekommen.

Die Musik

Das Intro, eine Art flott-dezente Teemusik, bildet den heiter-beschwingten Auftakt des Hörspiels und deutet die häusliche Idylle von Baker Street 221B an. Von einem Score im klassischen Sinn kann keine Rede mehr sein. Hintergrundmusik dient nur dazu, eine düstere oder angespannte Stimmung zu erzeugen, und zwar nur dort, wo sie gebraucht wird. Hier steigert sich die Spannung sehr dezent von Szene zu Szene. Besonders gefiel mir der Einsatz einer schottischen oder irischen Flöte, die die Kutschfahrt von Watsons Haus zum Bahnhof begleitet. Solche Motive sollten die Macher häufiger einsetzen.

Das Booklet

Das Titelmotiv zeigt die Szene, in der die drei Gentlemen aus London die Tür aufbrechen, hinter der sich der Betrüger Pinner zurückgezogen hat – um was zu tun?

Im Booklet sind die Titel des GRUSELKABINETTS verzeichnet sowie Werbung für den verstorbenen Illustrator Firuz Askin zu finden. Die letzte Seite zählt sämtliche Mitwirkenden auf. Die CD und der Einleger sind mit den Sherlock-Holmes-Motiven versehen, die die Reihe von Anfang an begleitet haben.


Unterm Strich

Ganz gleich, ob dies nun der dritte (USA) oder vierte (GB) Fall in den „Memoiren“ ist, so hat er es durch seine relative Belanglosigkeit nie unter die Top Ten der Sherlock-Fälle geschafft. Er steht auf einer Stufe mit den ähnlich trickreich gelagerten Fällen „Der Bund der Rothaarigen“ und „Die drei Garridebs“. Der Unterschied liegt in Pycrofts Misstrauen gegenüber Pinner, dem Betrüger.

Nur der Kenner riecht den Braten früh, alle Einsteiger dürften rätseln, was denn nun eigentlich Pycrofts Problem ist. Doch sie sollten Holmes und Watson vertrauen, dass hier etwas ganz Oberfaules abläuft – aber an zwei verschiedenen Orten. Bemerkenswert finde ich übrigens auch die Wirkung einer einzigen Zeitung auf den Verlauf der Geschichte. Um 1893 wird die Abendausgabe einer Londoner Zeitung ebenfalls schon am gleichen Abend mehrere hunderte Kilometer nördlich ausgeliefert – das hätte es nur 40 oder 50 Jahre zuvor nicht gegeben, etwa in den Romanen von Charles Dickens.

Im Original wird auch verraten, welche Aktien bei Mawsons geraubt wurden: Wertpapiere von Eisenbahn- und Bergbaugesellschaften. Offensichtlich hielt der Dieb sie für besonders wertvoll – im Hörspiel wird ihr Wert mit rund 100.000 Pfund Sterling angegeben – eine fürstliche Summe. Auch dies ist ein interessanter kultureller Hinweis darauf, was um 1893 in der Welt wichtig und folgenreich war – oder dafür erachtet wurde. Dass es für den guten Pycroft keinerlei Arbeitslosenversicherungsgeld gab, kommt mir hingegen gar nicht verwunderlich vor. Solche Errungenschaften gab es selbst im Kaiserreich oder der Weimarer Republik erst sehr viel später.

Das Hörspiel

In mehreren Rückblenden erzählt Pycroft auf der Kutsch- und Bahnfahrt nach Birmingham von seinem Fall. Und weil Holmes diese Details schon kennt, hält er sich zurück, wohingegen Watson umso mehr Ausrufe des Erstaunens usw. von sich gibt. Langweilig wird daher dieser Bericht daher nicht. Vor Ort angekommen, schließt sich abends die erwähnte Action an, sozusagen der Showdown. Doch der verläuft ganz anders, als der Hörer erwartet hat.

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen.

Die Sprecherriege für diese neue Reihe ist höchst kompetent und renommiert zu nennen, handelt es sich doch um die deutschen Stimmen von Hollywoodstars wie John Malkovich (Tennstedt) und George Clooney (Bierstedt). Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für spannende Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der Hollywoodstars Clooney und Malkovich vermitteln das richtige Kino-Feeling.

Audio CD: ca. 46 Min. Spieldauer
Info: The Memoirs of Sherlock Holmes: The Adventure of the Stockbroker‘s Clerk, 1893
www.titania-medien.de

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)