Thomas Gifford – Aquila

George Washington war eigentlich ein Spion der Briten! Von diesem nie offengelegten Skandal erfährt 1975 der sowjetische KGB, der daraufhin mordlüsterne Agenten ausschickt, um das Beweisdokument zu beschaffen, mit dem man die USA blamieren will … – Dem stellen sich zwei denkbar ungeeignete, aber redliche Verteidiger der Wahrheit gegenüber, die wider alle Wahrscheinlichkeit jede Attacke überleben und die US-Ehre retten können: nie plausibler, oft einfältiger, aber turbulenter Alt-Thriller aus der nostalgischen Vergangenheit der Kalten Krieges.

Das geschieht:

1776 hat sich die englische Kolonie Nordamerika vom britischen Mutterland losgesagt. König George III. von England führt erbittert Krieg gegen die „Vereinigten Staaten von Amerika“, die von ihrem General George Washington zwar engagiert, aber wenig erfolgreich geführt werden. Viele Amerikaner sind treue Untertanen des Königs. Kollaborateure und Spione gibt es in großer Zahl. Der junge Soldat William Davis ist daher nicht erstaunt, als er eine Gruppe britisch-amerikanischer Verschwörer stellt. Dann erkennt er den Anführer der Spione: George Washington höchstpersönlich! Der trägt den Decknamen „Aquila“, flüchtet vor Davis‘ und seinen Kameraden, verliert dabei aber ein Schriftstück, das seinen Verrat offenlegt; die Briten haben ihn zur Unterschrift gezwungen, um ihn besser in der Hand zu haben.

Davis klaubt das Schriftstück auf, doch bevor er den Verrat aufdecken kann, wird er umgebracht. Das brisante Dokument konnte er verbergen. 1975 entdeckt es der Geschichtsstudent Bill Davis aus Boston, Massachusetts, ein Nachfahre des unglücklichen Soldaten William. Er wendet sich ratsuchend an einen fachkundigen Archivar. Dieser spricht im Kreise interessierter Historiker darüber – ein Fehler, denn das geschieht in Bukarest und damit im Staatenverbund des Ostblocks, in dem 1975 die Sowjetunion das Sagen hat. Also erfährt Maxim Petrow, Direktor des Geheimdienstes KGB, von dem Dokument. Er erkennt die Chance, die USA weltweit zu blamieren, indem ausgerechnet zum 200. Jahrestag der Staatsgründung offenbart wird, dass George Washington ein schäbiger Verräter war.

Petrow hetzt Davis Agenten auf den Hals. Doch seine ‚Spezialisten‘ Ozzy und Thorny sind tumbe Schläger und Mörder, die eine blutige Spur durch Boston ziehen. Davis wird von Ozzy und Thorny ‚befragt‘ und umgebracht, hat aber bereits das „Aquila“-Dokument seinem Professor Colin Chandler zugespielt, der daraufhin ebenfalls von den beiden Killern ‚besucht‘ wird. Chandler kann seine Peiniger überrumpeln. Er flieht zur TV-Journalistin Polly Bishop, die eine Sensationsstory wittert. Während das Duo Chandler/Bishop Aquilas Geschichte rekonstruiert, schickt Petrows weitere Schergen aus. Da ist es kein Wunder, dass auch die CIA aufmerksam wird …

Schmuddelbär gegen Weißkopfadler

Welcher Verlust der Zusammenbruch des Ostblocks und das Ende der Sowjetunion für den Thriller – Buch und Film – bedeutet hat, merkt man, wenn man auf ein Werk wie „Aquila“ stößt. Dieser Roman ist bereits 1978, d. h. zur Hochzeit des Kalten Krieges entstanden, als die alten, einfachen, liebgewonnenen Feindbilder „Osten“ (= kommunistisches Reich des Bösen) und „Westen“ (= Hort und Hüter der Freiheit) die Weltsicht prägten.

„Aquila“ erreichte den deutschen Buchmarkt mit deutlicher Verspätung und wohl nur deshalb, weil Autor Thomas Gifford durch seine neueren Thriller wie „Assassini“, „Gomorrha“ oder „Protector“ hierzulande zu Bestsellerruhm gelangte. In seiner US-amerikanischen Heimat sei er schon vorher als „der Mann, der Aquila schrieb“, bekannt gewesen, lockt der deutsche Verlag und deutet im Klappentext die sensationelle Entdeckung eines Bestsellers an.

Das kann allerdings auch als Warnung verstanden werden. Wie jedes Gifford-Opus ist „Aquila“ ein turbulenter, aber überaus vordergründiger, und darüber hinaus in jeder Beziehung altmodischer Roman. Das Vergnügen stellt sich erst dann ein, wenn man Spaß an den offensichtlichen Anachronismen einer Welt gewinnt, die sich seit 1978 mehr als nur ein paar Runden weiter gedreht hat.

Aufregende Idee ohne entsprechende Umsetzung

Es ist für die Leser wichtig, sich quasi jenseits des Geschehens zu unterhalten, weil Gifford sie mit fortschreitender Handlung immer offensichtlicher im Stich lässt. Nachdem der Autor „Aquila“ als klassischen Thriller voller Mord und Totschlag (und liebevoll gezeichneten Folterszenen) beginnen lässt, beschließt er auf der Hälfte, seine beiden Hauptfiguren auf eine komödiantische Verfolgungsjagd à la „North by Northwest“ (dt. „Der unsichtbare Dritte“) zu schicken.

Doch während sich auf der Kinoleinwand und unter der kundigen Regie von Alfred Hitchcock Spannung und Humor überaus vergnüglich mischen, gerät Gifford ins Schwimmen. Endlos zieht sich die Flucht des ungleichen, auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesenen, zunächst spinnefeindlichen, dann selbstverständlich verliebten Heldenduos wider Willen dahin, problemlos lassen sich ganze Seiten überspringen, ohne dabei den Handlungsfaden zu verlieren.

Der grimmige Wettlauf um das „Aquila“-Papier degeneriert zum klamaukigen Wettstreit im „Großen Spiel“ der Weltmächte USA und UdSSR. Das Papier selbst, im Prolog aufwändig ins Geschehen gebracht, wird bald völlig bedeutungslos bzw. zum „McGuffin“, der ausschließlich dazu gedacht ist, die Handlung in Schwung zu bringen: eine weitere (ungelenke) Reminiszenz an Hitchcock.

Andere Zeiten, andere Feinde

Freilich mögen die Leser von 1978 in dieser Beziehung anders gedacht haben. Die Selbstverständlichkeit, mit der allmächtige Geheimdienste im Schulterschluss mit der Politik und dem Militär über Jahrzehnte einen verlustreichen und wirtschaftlich ruinösen Kalten Krieg führten, ohne dass dies im moralisch angeblich dominierenden Westen vom braven Durchschnittsamerikaner in Frage gestellt wurde, war erst vor wenigen Jahren durch den Watergate-Skandal ad absurdum geführt, die Glaubwürdigkeit der Regierung bis in die Grundfesten und nachhaltig erschüttert worden.

Vor diesem Hintergrund bekommt Giffords aus heutiger Sicht seltsam laue Kritik ihre Begründung: Verhalten beginnt er, was heute in den Medien und in der Unterhaltung längst alltäglich geworden ist: Die Autorität des Staates wird in Frage gestellt. Dennoch ist „Aquila“ als Thriller weniger ein Adler als eine lahme Ente.

Wer sich beim Rezensenten beschweren möchte, dass er die Katze aus dem Sack gelassen, d. h. George Washington als „Aquila“ identifiziert hat, womit sich Gifford deutlich mehr Zeit lässt, möge sich die Frage stellen, wer denn in Gottes Namen sonst der Verräter hätte sein können! Vermutlich vermag selbst ein waschechter Amerikaner keinen prominenten Teilnehmer des Unabhängigkeitskrieges nennen – außer eben Washington!

Autor

Thomas Eugene Gifford wurde am 16. Mai 1937 in Dubuque, US-Staat Iowa, geboren. Bereits in seiner Studienzeit an der Universität Harvard begann er zu schreiben. Nach seinem Abschluss arbeitete Gifford als Journalist. Ein erster Roman erschien 1975. „The Wind Chill Factor“ wurde zu einem Erfolg, dem Gifford in den nächsten Jahren weitere Thriller und (Historien-) Krimis folgen ließ, von denen einige unter den Pseudonymen Thomas Maxwell und Dana Clarins erschienen. Bestseller wurden die beiden miteinander verknüpften Romane „Assassini“ (1990) und „Saint’s Rest“ (1996; dt. „Gomorrha“), mit denen Gifford schon vor Dan Brown den Munkel-Thriller (= Vatikan als Quelle unheiliger Intrigen und Verschwörungen) populär machte.

Nach langer Krankheit starb Thomas Gifford am 31. Oktober 2000 in seiner Heimatstadt Dubuque.

Taschenbuch: 367 Seiten
Originaltitel: The Glendower Legacy (New York : Putnam 1978)
Übersetzung: Vera Mansfeldt
http://www.luebbe.de

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