Robert L. Pike – Polizeirevier 52, New York

Ein großer Gangster-Fisch will gegen das Syndikat aussagen, doch dessen Killer sind schneller. Dem blamierten Cop bleiben sechs Stunden, um seinen Kopf zu retten; er setzt das Wissen des Toten für einen privaten Feldzug ein … – Rasanter Polizei-Thriller, der ebenso spannend wie nüchtern vom Allein-gegen-alle-Kampf gegen das Böse erzählt. Seinen Klassikerstatus gewann der Roman durch die meisterhafte Verfilmung mit Steve McQueen in der Rolle des Polizisten („Bullitt“, 1968).

Das geschieht:

Der Polizei von New York steht ein seltener Triumph ins Haus: Johnny Rossi, hohes Tier im organisierten Verbrechen, stellt sich gegen das Syndikat und bietet sich der Staatsanwaltschaft als Zeuge der Anklage an. Diese kann nicht sogleich erhoben werden, denn die Mühlen der Justiz mahlen langsam, was Rossis ergrimmten Ex-Partnern die Möglichkeit bietet, den Verräter noch vor der Verhandlung auszuschalten.

Verhindern soll dies Lieutenant Clancy, ein wortkarger, harter Mann, der sich darüber wundert, dass sich Rossi in New York stellte, obwohl er aus Kalifornien stammt. Bald erfolgen die ersten Attacken aus dem Hinterhalt. Obwohl sich Clancy mit seinem umgangsschwierigen Schutzbefohlenen ständig von einem Versteck zum nächsten bewegt, folgen ihm die Gegner mit verdächtiger Präzision.

Schließlich kommt es zur Katastrophe: Killer des Syndikats stellen Rossi und schießen ihn nieder. Clancys Karriere ist zerstört. Verzweifelt entwirft der Polizist einen kühnen Plan: Er meldet Rossis Tod nicht, sondern gibt vor, dieser habe schwerverletzt überlebt. Etwa sechs Stunden müssten ihm bleiben, die nun durch den scheinbar fehlgeschlagenen Anschlag aufgestörten Bosse zu finden.

Doch es gibt einen von Clancy geargwöhnten aber unbekannten Faktor in dem ohnehin riskanten Spiel: Längst sitzen Leute des Syndikats auch in der Polizeibehörde. Wer ist es, der dort die Fäden zieht, an denen u. a. Clancys Leben hängt? Von Freund und Feind wird der Cop in die Zange genommen, aber er ist nicht nur stur und zäh, sondern auch kompromisslos in seinem einsamen Kampf gegen das Verbrechen …

Unter Druck & unberechenbar

Der einsame Wolf im Kampf ums Überleben: Dieses Bild weckt gleich mehrere Assoziationen, die sich auf die Menschenwelt übertragen lassen. Da ist die Übermacht, der eine Einzelperson gegenübersteht. In diesem Fall ist die Schar der Gegner sogar doppelt so zahlreich. Nicht nur die Killer des Syndikats wollen Johnny Rossi und natürlich Clancy, seinem Schutzengel, den Garaus machen. Als Rossi tot am Boden liegt, hat Clancy in den Augen seiner Vorgesetzten versagt. Statt dies einzugestehen und die – ungerechten aber normalerweise unausweichlichen – Folgen zu tragen, täuscht Clancy die Polizei, von der er ohnehin keine Hilfe erwarten kann, sondern sich nunmehr ebenfalls hüten muss.

Allerdings war diese Unterstützung ohnehin zweifelhaft: Das Syndikat hat einen „Maulwurf“ dort im Polizeiapparat platziert, wo er an elementare Informationen kommt, die an den kriminellen Auftraggeber weitergegeben werden. Von vornherein steht Clancy deshalb auf verlorenem Posten.

Doch es ist ja ein Wolf, der sich der Meute stellt. Deshalb sollte diese nicht nur mit Gegenwehr, sondern auch mit unkonventionellen Einfällen rechnen. Clancy ist keineswegs gewillt, sich den Tatsachen geschlagen zu geben, obwohl diese klar gegen ihn sprechen. Sein Charakter gestattet keine Zugeständnisse, er definiert „Recht & Ordnung“ ohnehin anders als das Establishment, das dieses Wortpaar gern und oft im Mund führt, ohne ihm entsprechende Taten folgen zu lassen.

Wehrhafter Wurm im morschen System

Clancy ist weniger Figur als Archetyp. Er symbolisiert den von Filz, Unterwanderung und Lobby-Unwesen ‚reinen‘ Gesetzeshüter. Darin erinnert er an eine US-amerikanische Ikone: den Pionier, der im harten Überlebenskampf auch die Rechtsprechung in die Hände nahm und dabei den unmittelbaren Nutzen über die gelehrte Auslegung schriftlich fixierter Gesetze stellte. Hierauf basierte – angeblich – eine Justiz, die in menschlicher Nähe tatsächliche Gerechtigkeit garantierte. Entsprechende Vorstellungen reichen weiter zurück in die Vergangenheit und wurzeln u. a. im europäischen Rittertum des Mittelalters, das den „idealen“ Recken feierte, der nicht nur den Feind niederwarf, sondern auch gegen Ungerechtigkeiten aller Art einschritt.

Natürlich haben sich die Zeiten geändert. Clancy ist kein Ritter in schimmernder Rüstung. (Immerhin besitzt er ein blankes Dienstabzeichen.) Sein Idealismus spiegelt sich im Widerstand gegen eine Rechtsprechung, die von heuchlerischen Politikern, gierigen Geschäftsleuten, Karrieristen und schließlich vom organisierten Verbrechen aufgeweicht wurde. Dabei bleibt Clancy Realist: Sein Trick mit dem künstlich am ‚Leben‘ gehaltenen Gauner gilt auch dem Selbstschutz. Der Pionier ist findig, und der Zweck heiligt die Mittel.

In diesem Sinn stellt Clancy eigene Nachforschungen an. Die Suche nach den faulen Äpfeln im Baum des Systems findet natürlich nicht im stillen Büro statt. Ohnehin ist dies noch computerfrei, weshalb Köpfchen, Beine und der Finger am Abzug von Bedeutung sind. Selbstverständlich wird Clancys Mission von Misserfolgen begleitet, die zu tumult- und geschossreichen Zwischenfällen führen: Schließlich ist dies ein Krimi mit Thriller-Charakter!

Kampf ohne Pausen

Bereits ohne die Sechs-Stunden-Frist gleicht Clancys Dienstalltag einem Kampf gegen Windmühlenflügel. Tage und Nächte gehen quasi ineinander über, denn das Verbrechen schläft nie, während das Gesetz bzw. diejenigen Vertreter, die sich ihm verpflichtet fühlen, dem Bösen hinterherstolpern. Clancy ist erschöpft, was Autor Pike unterstreicht, indem er jedes Kapitel mit der Nennung von Tagesdatum und Uhrzeit enden lässt: Clancy ist scheinbar nie im Bett. Die permanente Müdigkeit verstärkt die Gefahr, da Clancy, der ohnehin auf Messers Schneide balanciert, immer wieder abzurutschen droht.

Dabei muss er auf der Hut sein, denn die Kollegen sind nicht nur argwöhnisch, weil sie allmählich zu ahnen beginnen, dass Rossi, der ausgeschaltete bzw. verstummte Zeuge (= „mute witness“) tot ist. Nicht nur der Maulwurf bereitet Clancy Kopfzerbrechen: Welcher Polizist steht sonst noch auf der Gehaltsliste des Syndikats und ist deshalb sein Feind? Diese Unsicherheit zermürbt den Beamten zusätzlich.

Von der klassischen „Law-&-Order“-Atmosphäre vergangener Krimi-Zeiten ist in dieser Geschichte nichts mehr zu spüren. Die Fronten sind unklar, und Verbrechen lohnt durchaus, wenn und weil es sich das System zunutze macht. Clancy beißt bzw. schießt sich durch, während er im Wettlauf mit der Zeit und seinen Gegnern versucht zu überleben und dem Gesetz Geltung zu verschaffen. Das wirkt in Pikes Roman deutlich hausbackener als in dessen Verfilmung („Bullitt“; 1968), die dank eines charismatischen Hauptdarstellers (Steve McQueen), eines ausgezeichneten Drehbuchs und eines Regisseurs auf dem Höhepunkt seines Könnens (Peter Yates) eine Klasse für sich darstellt. Nichtsdestotrotz bleibt „Polizeirevier 52, New York“ – auch hierzulande noch vor dem Film erschienen und deshalb nicht den werbewirksamen „Bullitt“-Titel tragend – eine spannende Lektüre.

Autor

Robert Lloyd Fish wurde am 21. August 1912 in Cleveland, US-Staat Ohio, geboren. Er wuchs in dieser Stadt auf und studierte später Ingenieurswesen an der dortigen Case School of Engineering. Nach seinem Abschluss (1933) arbeitete Fish häufig im Ausland; 1953 ließ er sich mit seiner inzwischen gegründeten Familie in Rio de Janeiro nieder.

Eine erste Krimi-Story erschien in „Ellery Queen Mystery Magazine“. Zahlreiche Kurzgeschichten folgten, wobei sich vor allem die Sherlock-Holmes-Persiflage „Schlock Homes“ großer Beliebtheit erfreute. 1960 veröffentlichte Fish seinen ersten Roman. „The Fugitive“ erzählt von einem Überlebenden der nazideutschen Konzentrationslager, der nach Südamerika reist, um dort eine Organisation von entwischten Immer-noch-Nazis zu unterwandern. Für dieses Buch wurde Fish mit einem „Edgar Allan Poe Award“ für den besten Roman eines neuen Autors ausgezeichnet. Interpol-Ermittler Jose daSilva trat bis 1975 in neun weiteren Büchern auf.

Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Fish durch die Verfilmung seines Romans „Mute Witness“ (1963; dt. „Polizeirevier 52, New York“). „Bullitt“ entstand 1968 mit Steve McQueen in der Titelrolle unter der Regie von Peter Yates. Der Film markierte einen Meilenstein des (Action-) Kinos und wurde zum oft zitierten (bzw. imitieren) Klassiker. Dass Fish (erneut unter seinem Pseudonym „Robert L. Pike“) zwei weitere Romane schrieb, in denen Frank Bullitt = Lieutenant Clancy die Hauptrolle spielte, ist weniger bekannt.

Am 23. Februar 1981 ist Robert L. Fish in Trombull, Connecticut, gestorben. An ihn erinnert u. a. der „Robert L. Fish Memorial Award“, mit dem die „Mystery Writers of America“ seit 1984 die beste Krimi-Kurzgeschichte des Jahres auszeichnen.

Taschenbuch: 184 Seiten
Originaltitel: Mute Witness (New York : Doubleday 1963)/Bullitt (New York : Avon Books 1968)
Übersetzung: Heinz Bruck
www.fischerverlage.de

E-Book
ISBN-13: 978-3-10-561292-7
www.fischerverlage.de

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