Jules Verne – 20.000 Meilen unter dem Meer (Teil 1 von 2, Gruselkabinett 118)

Männer-Action: Die Jagd auf das Seeungeheuer

Nachdem 1866-67 monatelang Berichte über ein angeblich gesichtetes Seeungeheuer, das auch für Schiffsuntergänge verantwortlich sein soll, die Spalten der Gazetten gefüllt haben, wird der französische Meeresbiologe Prof. Pierre Aronnax von der amerikanischen Regierung gebeten, an einer Expeditionsreise auf dem Schiff „Abraham Lincoln“ teilzunehmen. Sein ihm äußerst ergebener junger Diener Conseil begleitet den Professor auf dieser Reise ins Ungewisse…

Der Verlag empfiehlt sein Hörspiel ab 14 Jahren.

Der Autor

Jules Gabriel Verne wurde 1828 in Nantes geboren und starb 1905 in Amiens. Bereits während seines Jurastudiums schrieb er nebenher, manchmal mit einem Freund, Theaterstücke und Erzählungen. Sein erster Erfolgsroman „Fünf Wochen im Ballon“ erschien 1863. Seine großen Romane wie etwa „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ (1867) waren in der Folge Bestseller. Heute wird er neben H. G. Wells als einer der Begründer der modernen Science-Fiction-Literatur angesehen.

Mit „Die Eissphinx“ schrieb er eine Fortsetzung von E.A. Poes Horrorerzählung „The Narrative of Arthur Gordon Pym“. Sein erster Zukunftsroman „Paris im 20. Jahrhundert“ lag lange Zeit verschollen in einem Tresor und wurde erst vor ca. 30 Jahren veröffentlicht. Dessen Lektüre lohnt sich, auch wegen der erhellenden Erläuterungen der Herausgeberin.


Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher und ihre Rollen:

Jürgen Thormann: Prof. Pierre Aronnax
Julian Tennstedt: Conseil
Dietmar Wunder: Ned Land
Uli Krohm: Kapitän Nemo
Hans Bayer: Kommandant Farragut
Sascha von Zambelly: Mr. Jones
Marc Gruppe: Zeitungsjunge

Marc Gruppe schrieb wie stets das Buch und gemeinsam mit Stephan Bosenius setzte er es um. Die Aufnahme fand im Titania Medien Studio und im Planet Earth Studio statt und wurde bei Kazuya c/o Bionic Beats abgemischt. Die Illustration stammt von Ertugrul Edirne.

Handlung

Das „Extrablatt“ verkündet es ganz New York City: Schon wieder hat ein Seeungeheuer zugeschlagen. Diesmal hat es die „Moravia“ mit ihren 237 Passagieren an Bord versenkt. Man schreibt den 5. März 1867, und Professor Pierre Aronnax, Spezialist für Meeresbiologie, rätselt über die Natur des Ungeheuers. Es muss ein großer Wal sein, spekuliert er, und zwar einer mit einem spitzen Horn an der Schnauze – ein Riesen-Narwal. Diesem sagt er einem Journalisten, der ihn interviewt.

Die Fregatte

Der Zeitungsartikel macht einen Vertreter der US-Regierung auf ihn aufmerksam, der ihn einlädt, sich an Bord der „Abraham Lincoln“ zu begeben, die lossegelt, um das Seeungeheuer zu verfolgen und zu töten. Prof- Aronnax nimmt die Einladung gerne an: So eine Freifahrt bekommt man ja nicht alle Tage, ebenso wenig wie die Chance, eine unbekannte Spezies zu entdecken. Sein ergebener Diener Conseil begleitet ihn an Bord, wo sie eine Kabine beziehen und von Kapitän Farragut begrüßt werden. Der stellt ihn den weltbesten Harpunier vor, und Ned Land scheint, seiner kräftigen Statur nach zu schließen, in der Tat fähig, es mit jeder Art von Wal aufzunehmen, ganz gleich wie groß.

Der Untergang

Die Fahrt führt die „Abraham Lincoln“ durch den ganzen Atlantik bis hinunter nach Kap Hoorn, wo sie die Stürme meistern muss. Der Dampfsegler folgt Sichtungen und Meldungen von einem Seeungeheuer und gelangt so schließlich Mitte Juli, also nach einem Vierteljahr, in den Stillen Ozean, der seinen Namen vollauf verdient. Die Suche verläuft zunächst ergebnislos, so dass Anfang November die Stimmung an Bord auf dem Tiefpunkt angelangt ist. Farragut bedingt sich noch drei Tage aus, dann will er umkehren. Am dritten Tag entdecken sie das Seeungeheuer. Oder umgekehrt.

Am Abend sieht Ned Land etwas im Wasser leuchten: Es ist gewaltig groß und erstaunlich schnell. Der kanadische Harpunier lässt sofort darauf feuern. Der erste Schuss geht fehl, doch der zweite Schuss sitzt – und prallt ab. Dies ist kein Tier, sondern, Prof. Aronnax – glaubte es kaum – ein Unterseeboot. Und es hält jetzt auf die Fregatte zu…

An Bord der „Nautilus“

Nach dem verheerenden Untergang der Fregatte gibt es nur drei Überlebende: Professor Aronnax, seinen Diener Conseil und den Harpunier. Sie klammern sich an Wrackteile der „Abraham Lincoln“. Da taucht vor ihnen ein stählerner Koloss aus den Fluten auf. Aber wer mag an Bord sein. Und ist er ihnen freundlich oder feindlich gesonnen?

Eine Luke öffnet sich und bietet einen Weg, Antworten auf diese Fragen zu finden…

Mein Eindruck

Es gibt viele Vertonungen dieses berühmten Romans und viele davon vermitteln das Gefühl, es handle sich um ein Abenteuer für zwölfjährige Jungs. Der Ansatz von Titania Medien zielt jedoch auf ein älteres Publikum. Hier ist die Action wie ein Militärmanöver inszeniert, und die Figuren scheuen sich nicht, vom Töten und Versenken zu reden. Schließlich gilt es ja, ein Meeresungeheuer unschädlich zu machen, oder?

Das einzige Science-Fiction-Element ist Kapitän Nemos Unterseeboot „Nautilus“. Und so utopisch war diese Idee schon damals, also 1866/67 nicht mehr, denn schon im amerikanischen Bürgerkrieg, der 1865 zu Ende ging, setzten die Südstaaten das U-Boot „Monitor“ ein, um ein feindliches Segelschiff zu versenken. Die Technik war also ebenso vorhanden wie der grundlegende Entwurf. Notwendigkeiten wie Luftversorgung, Tiefensteuerung und Antrieb waren alle bereits erkannt, nur die Rolle der Elektrizität wurde noch nicht „richtig“ eingeordnet. Bei Verne wird die „Nautilus“ offenbar mit E-Motoren angetrieben, was doch recht modern ist. Sie ist deshalb wesentlich leiser als dampfgetriebene Schiffe – und entkommt daher ihren lauschenden Verfolgern ein ums andere Mal.

Die Theorie des Professors, es könne sich bei dem Seeungeheuer um einen Riesen-Narwal handeln, ist auch nicht an den Haaren herbeigezogen, denn die große Ära der Walfänger ist anno 1867 gerade in ihrem Endstadium. Nur im Eismeer werden noch Wale vorgefunden, alle anderen wurden bereits massakriert. Deshalb kommt der Harpunier Ned Land erst vor den Falkland-Inseln, also in der südlichen Polarregion, zum Einsatz – bei befreundeten Walfängern. Die Theorie des Narwals wird nicht allzu eingehend verfolgt, man beschränkt sich auf die wichtigsten Argumente, etwa den Stoßzahn. Man muss kein Zoologe sein, um diesen Ausführungen folgen zu können.

Aus der bekannten Hollywood-Verfilmung kennt der Hörer bereits die Innenausstattung der „Nautilus“. Aber sie erweist sich als Nebensache: Dies ist keine Spazierfahrt für Touristen, sondern vielmehr ein paramilitärischer Einsatz, auf dem die Passagiere nur als Gefangene geduldet – und als Arbeitskräfte genutzt werden. Diese Aspekte kommen in den gekürzten Jugendbuchversionen stets zu kurz. Aber sie sind wichtig, um das fatale Ende der Fahrt über 20.000 Meilen unter den Wellen vorzubereiten – siehe den 2. Teil.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Prof. Aronnax ist die Figur, aus deren Blickwinkel wir das Geschehen verfolgen. Seine Ansichten, Meinungen, Beobachtungen, Gedanken und Äußerungen sind daher am wichtigsten. Er ist mehr oder weniger die Hauptfigur, was umso erstaunlicher ist, weil doch Kapitän Nemo den Ort des Geschehens beherrscht, nämlich die „Nautilus“. Wie auch immer: Mit Jürgen Thormann ist die Rolle ausgezeichnet besetzt. Er ist bringt Autorität, die Weisheit des Alters und die Ausgeglichenheit eines erfahrenen Mannes ein.

Sein genaues Gegenteil bildet der aufbrausende, misstrauische und zupackende Charakter Ned Land – ein Action-Mann par excellence. Dieter Wunder, die deutsche Stimme von „James Bond“-Darsteller Daniel Craig ist da durchaus auf der richtigen Position. Gut, dass dieser junge Bursche außerdem noch einen Fluchtplan austüftelt. Der Diener Conseil hat in seiner Ergebenheit wirklich nichts zu sagen außer „Ja“ und „Amen“. Julian Tennstedt ist in dieser Rolle nicht unbedingt herausgefordert.

Uli Krohm erfüllt die Rolle des betagten und einsamen Kapitäns Nemo einerseits mit Melancholie, wenn es um das Leben eines Eremiten geht, andererseits mit praxisorientierter Tatkraft, wenn es um das Überleben in den Tiefen des Meeres geht. Dass Nemo ein Feingeist auf Abwegen ist, belegt nicht nur sein Orgelspiel (Bachs „Toccata“, die jeder kennt), sondern auch die Tatsache, dass er seine Memoiren schreibt – und wegschließt. Vielleicht vermittelt sich dem Zuhörer, wie verwirrt der Geist Nemos ist – und verursacht ihm die entsprechende Gänsehaut.

Alle anderen Rollen sind mehr oder weniger Beiwerk – und tauchen im zweiten Teil gar nicht mehr auf.

Geräusche

Die Geräusche sind so realistisch, wie man sie von einem Spielfilm erwarten würde. Allerdings beschränkt sich die Geräuschkulisse nur auf das Notwendigste. Wenn jemand einen Brief oder eine Zeitung liest, dann raschelt Papier, aber das Ticken einer Standuhr tritt in den Hintergrund. Wenn also der grandiose Untergang der „Abraham Lincoln“ inszeniert, dann ist nicht Chaos zu hören, sondern Bersten und Krachen, Schreie, Rufe – und schließlich sehr viel Blubbern und Plätschern.

Klasse finde ich immer die Geräuschkulisse auf einem Schiff: Die Wellen rauschen, die Takelage ächzt und knarrt, die Möwen schreien, das Nebelhorn dröhnt. Die Geräuschkulisse UNTER Wasser sind allerdings dem 2. Teil vorbehalten.

Die Musik

Auf dieses Hörspiel haben die Macher (s. o.) viel Mühe verwendet. Diesmal kommt die Musik nicht aus dem Synthesizer oder Computer, sondern wird von einem Orchester beigesteuert. Diese klassisch instrumentierte Untermalung steuert die Emotionen des Hörers. Die Expedition ist von heiterer, flotter Musik begleitet, aufziehende Gefahr von tiefen, dräuenden Kadenzen begleitet, und actionreiches Geschehen ist von dramatischen Intervallen gekennzeichnet. Da sehnt sich der Hörer schon bald nach gelasseneren Tönen, um entspannen zu können. Es ist ein deutlicher Wechsel von Spannung und Entspannung festzustellen.

Musik, Geräusche und Stimmen wurden so fein aufeinander abgestimmt, dass sie zu einer Einheit verschmelzen. Dabei stehen die Dialoge natürlich immer im Vordergrund, damit der Hörer jede Silbe genau hören kann. An keiner Stelle wird der Dialog irgendwie verdeckt.

Das Booklet

… enthält im Innenteil lediglich Werbung für das Programm von Titania Medien. Auf der letzten Seite finden sich die Informationen, die ich oben aufgeführt habe, also über die Sprecher und die Macher.

Im Booklet finden sich Verweise auf die im Frühjahr 2017 kommenden Hörspiele aufgeführt:

Nr. 120 + 121: Der Unsichtbare 1+2 (H.G. Wells)
Nr. 122: Die Insel des Dr. Moreau (H.G. Wells)
Nr. 123: Die Zeitmaschine (H.G. Wells)
Nr. 124 + 125: Der Krieg der Welten 1+2 (H.G. Wells)

Unterm Strich

So mancher Fan der Gruselkabinett-Hörspiele mag sich angesichts des Titels von Jules Verne verwundert die Augen reiben: Gibt es nun Science Fiction statt gediegener Schauermärchen? Doch man sollte erst einmal dieses Hörspiel in voller Länge genießen, bevor man vorschnell ein falsches Urteil fällt.

Schon immer bildete der Faktor der von Monstern verursachten Action einen gehörigen Anteil an den Gruselkabinett-Inszenierungen. Man denke etwa an die großartigen LOVECRAFT- und HOWARD-Vertonungen. „Der Ruf des Cthulhu“ (2016) setzte Maßstäbe und einen vorläufigen Höhepunkt. Offenbar hat die Verlagsleitung gemerkt, dass solche actionbetonten Titel mehr Umsatz bringen als die weichgespülten Stimmungsbilder mit den immer gleichen Gespenstererscheinungen. Es erscheint nur konsequent, dass diese Neuorientierung im Frühjahr mit gleich vier Titeln von H.G. Wells (s. o.) fortgesetzt wird. Für gruselige Action ist auf jeden Fall gesorgt.

Und es mangelt diesen Titeln auch keineswegs an emotionaler Wirkung oder relevanter Aussagekraft. Die Figuren begeben sich regelmäßig in Gefahr, und das Finale des 2. Teils gipfelt in einem dramatischen Angriff auf das Schiff. Der Autor Verne hat es verstanden, nicht nur einen abenteuerlichen Stoff zu schreiben, sondern auch Aussagen zu verpacken, die bis heute das Publikum ansprechen.

Wozu ist beispielsweise eine Supertechnologie wie ein elektrisches U-Boot nutze, wenn es nur dazu dient, unschuldige Schiffe zu versenken – und so Tausende von Menschenleben zu vernichten? (Siehe „Lusitania“ oder „Lacona“ usw.) Die heutigen Marine-U-Boote, die auch Deutschland eifrig baut und verkauft, sind ohne weiteres dazu in der Lage, große Schiffe zu versenken und, sofern mit Atomraketen bestückt, ganze Länder oder Kontinente zu verwüsten.

Nötig ist zu diesem wahnwitzigen Einsatz nur ein irregeleiteter, gemütskranker Kapitän wie Nemo. (Man denke aber auch an die rivalisierenden Kapitäne in „Jagd auf Roter Oktober“.) Im Hörspiel wird Nemos psychologische Entwicklung nur angedeutet, doch der Terror, den er verbreitet, hat eine menschlich nachvollziehbare Wurzel – und sein Antrieb ist Hass. Kommt einem das nicht allzu bekannt vor?

Das Hörspiel

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern wie Jürgen Thormann (Michael Caine u.v.a.) oder Dietmar Wunder (Daniel Craig) einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen.

Besonders gut gefielen mir die sehr sorgfältig ausgearbeitete Geräuschkulisse, die so realistisch wie möglich ist, um das zunehmend unheimliche Geschehen über und unter den Wellen auszugleichen. Dazu gehört der Kampf gegen Haie und Meeresspinnen, aber auch gegen den Angriff der Riesenkalmare. Der Untergang der „Abraham Lincoln“ ist ein wahrer Ohrenschmaus, selbst wenn der Anlass weniger erfreulich ist.

Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für gruselige Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der Hollywoodstars vermitteln das richtige Kino-Feeling.

Audio-CD: 58 Min.
Info: Vingt Milles Lieus Sous Les Mers, 1870
www.titania-medien.de

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