P.D. Baccalario – Die Stadt des Windes (Century 3)

Paris: Das Century-Spiel geht in die dritte Runde

Alle hundert Jahre wird die Menschheit herausgefordert. Alle hundert Jahre müssen vier Jugendliche ein großes Abenteuer bestehen. Weitere hundert Jahre später werden erneut vier Jugendliche in Rom auserwählt. Sie verbindet ein Geheimnis. Als ein Mann ihnen ein Köfferchen anvertraut, bevor er weiterflieht, finden sie darin eine seltsame Karte aus Holz. Die Herausforderung beginnt in Rom, der Stadt des Feuers, und wird in New York, der Stadt aus Stein, fortgesetzt.

So wie die Orte des Geschehens den vier antiken Elementen Erde, Feuer, Luft und Wasser entsprechen, so auch die vier Kinder Harvey (Erde), Elettra (Feuer), Sheng (Wasser) und Mistral (Luft). Wurden sie deshalb ausgewählt? Ja, denn es geht in jedem Jahrhundert einmal darum, den Pakt der Menschen mit der Natur zu bekräftigen und zu erneuern, um die Natur gegen die Kräfte des Todes und des Chaos zu beschützen. Doch dazu ist altes Wissen nötig, Wissen, das in Vergessenheit zu geraten droht… Diesmal führt sie das Spiel in Paris zusammen, der Stadt des Windes, der Stadt von Mistral…

Der Autor

Pierdomenico Baccalario wurde 1974 in Piemont geboren. Schon früh begeisterte er sich fürs Lesen und durchstöberte die riesige Bibliothek seiner Eltern nach abenteuerlichen geschichten. An der literarischen Schule schrieb er selt Geschichten, erfand Rollemnspiele und die dazu passenden Welten. Nach der Schule studierte er zunächst Jura, bevor er sich dem Journalismus und dem Schreiben zuwandte. Gleich für seinen ersten Fantasyroman „Die Straße des Kriegers“ wurde er ausgezeichnet. Seine Bücher werden weltweit in über 20 Sprachen übersetzt. Bekannt ist er auch unter dem Pseudonym Ulysses Moore.

Der CENTURY-Zyklus:

1) Der Ring aus Feuer (Element: Feuer)
2) Der Stern aus Stein (Erde)
3) Die Stadt des Windes (Luft)
4) Der Weg zur Quelle (Wasser)

Handlung

Am Ende des zweiten Bandes haben die vier Kinder und ihr Gefährte Ermete de Panfilis den Hinweis erhalten, dass der nächste mystische Gegenstand und der nächste Kreisel in Paris zu finden seien. Beides benötigen sie, um dem Rätsel des Century-Spiels auf den Grund gehen zu können. Mistral ist bereits vor Ort, denn sie wohnt bei ihrer Mutter Cecile und lernt Gesang. Sie soll aufs Konservatorium gehen, findet ihre Lehrerin – eine hohe Ehre. Bin ich wirklich so gut, fragt sich Mistral und liest das seltsame Buch über die Sprachen der Tiere, das ihr Prof. Alfred Van Der Bergers Lebensgefährtin Agata aus New York City geschickt hat. Können Bienen mich wirklich verstehen, wenn ich ihre Sprache singe? Bald wird sie es herausfinden…

Es ist wieder soweit: Die Sommersonnenwende am 21. Juni steht bevor. Sie wartet auf das Eintreffen ihrer Freunde. Elettra und Sheng machen sich von Rom aus per Zug auf den Weg. Sie haben Elettras Vater Fernando im Schlepptau, der ein angesehener Kriminalschriftsteller werden will, es aber vermeiden möchte, nur einen Abklatsch von Dan Browns „Sakrileg“ zu schreiben. Sie freuen sich auf das Wiedersehen mit den anderen, sind aber auch wachsam gegenüber der Gegenseite.

Unterdessen haben Harvey, Elettras Freund, und Ermete eine unangenehme Begegnung: Offenbar hat die Gegenseite sie bereits erwartet. Jene Seite, die das Geheimnis des Century-Spiels für sich gewinnen und den Freunden die alte chaldäische Karte und die fünf Kreisel abluchsen will, mit deren Hilfe die Sterne die Suche der vier Century-Spieler zu steuern scheinen.

Harvey wird vom Flughafen direkt in die Wohnung von Mademoiselle Cybel entführt, einer ebenso fettleibigen wie amoralischen Person, die einen privaten Dschungel ihr Eigen nennt. Unter dem Glasboden ihrer Wohnung tummeln sich echte Piranhas, und im Gestrüpp lauern Giftschlangen und -spinnen, von fleischfressenden Pflanzen ganz zu schweigen. Ihr Folterversuch wird jedoch vereitelt, als eine weitere Frau eingereift. Sie nennt sich Zoe und eine Freundin von Prof. Van der Berger.

Harvey führt die Frau, die ihm geholfen hat, zu den anderen Freunden. Er erfährt, dass sich Elettra und Sheng auf einem Alpenpass vor ihren Beschattern in Sicherheit gebracht und die ganze Strecke nach Paris entweder per Anhalter oder auf einem Moped zurückgelegt haben. Kein Wunder, dass Sheng zum Umfallen müde ist. Und Elettra ist eifersüchtig auf Mistral! Harvey kann es kaum fassen. Bei nächster Gelegenheit gibt er ihr einen Kuss, damit sie ihm wieder wohlgesonnen ist.

Madame Zoe, die seltsam stark parfümiert ist, hat ihnen etwas zu geben: eine große goldene Taschenuhr, die angeblich für Kaiser Napoleon in Venedig gefertigt worden ist. Ist dies der mystische Gegenstand – oder wieder nur eine Art Wegweiser? Tatsächlich verfügt die Uhr über verborgene, aber nützliche Eigenschaften, wie sich bald erweist.

Wie üblich suchen die vier Kinder Rat bei der chaldäischen Karte. Darauf legen sie die Straßenkarte von Paris und lassen ihre fünf Kreisel darauf suchen. Wo droht Gefahr, wo ist ein sicherer Ort, wo finden sie das mystische Objekt und wo müssen sie einem Wachhund aus dem Weg gehen? Madame Zoe behauptet, das gesuchte Objekt müsse ein Schiff sein, denn schließlich sei Paris ja ein Ort des Wassers. Und auch die Uhr zeige ja ein Schiff, mit einer Frau als Galionsfigur.

Die Himmelsmacht, die Paris dominiert, ist jedoch kein Wassergott, sondern die altägyptische Fruchtbarkeitsgöttin Isis, auch die Weiße Göttin oder die Verschleierte genannt. Und Isis bestimmt, welchen Weg die vier Freunde zu ihr nehmen müssen…

Unterdessen sendet Mademoiselle Cybel ihre Helfer aus, um die fünf Freunde zu beschatten und ihnen die Karte abzujagen: Kellner, Hotelbedienstete, Wachleute usw. Doch sie ahnt nicht, dass Mistral einen ganz besonderen Schutzengel hat, der Tag und Nacht in den eigenartigsten Verkleidungen über sie wacht.

Mein Eindruck

Der universalgelehrte Autor weiß durchaus Originalität mit historischen Kenntnissen zu verbinden. Zugleich macht er seinen Leser unauffällig mit uralten Ideen auf eine Weise bekannt, dass diesem die Ideen neu vorkommen. Spannende Unterhaltung und Bildungsvermittlung gehen in der CENTURY-Tetralogie Hand in Hand. Nach Rom und New York führt die Reise diesmal nach Paris und schließlich im Schlussband nach Shanghai.

Wie schon in den beiden Bänden zuvor gilt es für die fünf Freunde, ihre Kombinationsgabe einzusetzen, um etliche Rätsel zu lösen. Erstaunlich, dass sie dabei fast nie eine Suchmaschine bemühen müssen. Und auch Facebook spielt keine Rolle – sie sind sich selbst genug Freunde, danke! Dafür wird hier umso mehr per Handy telefoniert, und auch SMS kommen zu Ehren. Leider verfügt auch die Gegenseite über diese Hilfsmittel und schreckt sogar vor dem Anzapfen von Festnetztelefonen nicht zurück.

Die Gegenseite wird aus Shanghai gesteuert, von einem Mann, der sich Heremit Devil nennt. Er hat Zoe zu seiner Helferin gemacht, damit sie sich in das Vertrauen der vier Century-Spieler einschleicht, von denen er weiß (er übersieht Ermete geflissentlich), und ihm deren Erkenntnisse weiterleitet. Allerdings hat er nicht mit der Schlauheit Harveys und mit Elttras übersinnlichen Fähigkeiten gerechnet.

In einer der besten Szenen dieses Bandes entkommen Harvey und Elttra den skrupellosen Fängen Zoes, indem sie einen gerade startbereit angebotenen Fesselballon kapern und damit über Paris fliegen. Schon bald folgen ihnen nicht nur die Kameras und Augen der Touristen – es ist ja Mitte Juni – sondern auch das Tatütata der Polizeisirenen. Der Wind bläst den Ballon allerdings nicht in einen aufnahmefreundlichen Park, sondern direkt auf die Kathedrale von Notre-Dame zu! Die spitzen Türmchen drohen den Ballon aufzuspießen und zu zerreißen. Jetzt ist guter Rat teuer…

In der Seine-Metropole wandeln die Kinder auf den Spuren des Alchimisten Nicolas Flamel, der angeblich den Stein der Weisen gefunden hat, und auf denen der alten Ägypter. In einem kleinen Nebensaal des größten Museums der Welt, des Louvre, schläft der übermüdete Sheng ein. Er wird von einem Mann geweckt, den er für den Museumswärter hält. Doch dieser zeigt ihm die älteste bekannte Darstellung der Tierkreiszeichen: den Tierkreis von Dendera – genau über Shengs Kopf! Und dort erblickt er wieder Isis. Welche Rolle nur spielt die Göttin für sie, und warum wird sie immer mit einem Schiff und Segel dargestellt? Und warum färben sich Shengs Augen gelb, wenn er sie sieht?

Auch Shengs Freundin Mistral wird fündig. Sie hat sich an einen der von den Kreiseln angezeigten Punkte auf der Stadtkarte erinnert und sucht in den Gassen der Altstadt, bis sie zu einem Antiquitätenladen gelangt. In dessen Schaufenster steht ein Kästchens, auf dem eine mechanische Tänzerin zu einer berückenden Melodie tanzt. Diese Melodie ist es, die Mistral seit Tagen nicht aus dem Sinn geht. Und als sie im Park diese Melodie singt, kommen die Bienen zu ihr. Denn dies ist ja ihre Sprache. Diese Entdeckung wird Mistral schon bald nützlich sein, als sie sieht, wie ihr Freund Sheng von einem Balkon stürzt…

Im ersten Band, der in Rom spielte, wurde am Schluss der Auftragsmörder Jacob Mahler so schwer verletzt, dass die Freunde ihn für tot hielten. Doch das ist er nicht. Wieder ausgestattet mit seiner todbringenden Geige taucht er in der Nähe der Kinder auf und beobachtet sie. Was sollen wir davon halten? Und warum übergibt er Mistrals Mutter zwei Partituren von Gustav Mahler, dem österreichischen Komponisten?

Der Doku-Teil

Das Buch hat einen unschätzbaren Vorzug gegenüber einem Hörbuch, nämlich einen vierfarbigen Mittelteil, der auf Hochglanzpapier sämtliche Schauplätze des Buches dokumentiert, und zwar nicht nur mit einer Straßenkarte, sondern auch mit Fotos und Dokumenten wie etwa Kassenbons aus den vielen Gebäuden, die eine Rolle spielen. Das Metro-Netz von Paris ist in vollem Umfang abgebildet. Und alle Abbildungen sind nummeriert und in einem Index erklärt.

Sofort findet sich der Leser im Labyrinth von Paris gut zurecht. Zudem sieht alles durch die Dokumente äußerst realistisch aus. Hat die Schnitzeljagd in Paris etwa wirklich stattgefunden, fragt man sich unwillkürlich.

Die Übersetzung

Ein Italiener hat das Buch übersetzt, doch leider kennt sich Nicola Bardola zwar optimal mit Italien und seiner Kultur aus, aber nicht hundertprozentig mit Deutschland, seiner Sprache und seiner Kultur. Ich habe zwölf Fehler festgestellt, die meisten davon Druckfehler, aber auch zwei Ausdrucksfehler und einen Stilfehler. Erstaunlich hoch ist auch die Zahl der Kommafehler. Das ist eine betrübliche Negativbilanz.

Seite 67: „wie ein Walross in einem Schlammloch“. Der Vergleich hinkt, weil Walrosse nur am Polarkreis leben und es dort keine Schlammlöcher gibt, in denen sie sich wälzen könnten. Solche Löcher sind nämlich stets gefroren.

Seite 104: Carbonium. Geläufiger unter der Bezeichnung „Kohlenstoff“.

Seite 145: „Madonna“. Hier ist nicht die Sängerin gemeint, sondern „die Madonna“, also die Heilige Jungfrau Maria und Muttergottes.

Unterm Strich

Ich habe dieses spannende Buch in wenigen Tagen gelesen. Es ist verständlich und flott im modernen Filmstil erzählt, außerdem findet die Handlung im Präsens statt, also sehr unmittelbar und anschaulich. Der jugendliche Leser lernt beim Abenteuer der Fünf jede Menge über die lange Geschichte der Seine-Metropole (Nicolas Flamel, Notre Dame, die erste Kirche aus dem Jahr 542), die alten Ägypter und natürlich Napoleon und seine fantastische Uhr.

Dass dieser Roman nicht sofort an den im Text erwähnten Bestseller „Sakrileg“ von Dan B rown erinnert, liegt teils an den jugendlichen Hauptfiguren, teils an den mystischen Zusammenhängen, aber auch an dem völligen Mangel an einer expliziten Botschaft („Magdalena war die Gattin Jesu und gebar einen Sohn in Frankreich“). Entscheidend ist aber der völlige Mangel an tödlicher Gewalttätigkeit. Es kommen nur zwei Menschen zu Tode und die haben es verdient. Da freuen sich die Piranhas.

Zurück zur Stadt Paris. Von den Einwanderern aus Nordafrika ist nur an einer Stelle die Rede, und Farbige kommen praktisch gar nicht vor. So erscheint Paris, wie auch die anderen Städte, eher als pittoreskes Spielbrett in drei Dimensionen denn als lebendiger Organismus, der alle möglichen Probleme (Umweltverschmutzung, Kriminalität, Verkehr usw.) hat. Kein einziges Mal tritt ein Kommissar oder dergleichen auf.

In Band zwei habe ich den Mangel an Emotionalität moniert. Diesmal spielen Gefühle eine wichtige Rolle, so etwa zwischen Harvey und Elttra sowie zwischen Mistral und Sheng (während sich Ermete ständig am Telefon mit seiner Mutter auseinandersetzt, sozusagen als komisches Kontrastprogramm). Der Höhepunkt der Buches, der in einer Kirche spielt, ist auch der der intensivsten Emotion: Ergriffenheit. Kein Leser wird sich dieser Wirkung entziehen können. Zwar schreibt der Autor quasi Telegrammstil, aber in den feierlichsten Szenen ist weniger eben mehr.

Die Doku

Ein besonderer Bonus ist der Dokumentationsteil in der Mitte des Buches, den man sich keinesfalls entgehen lassen sollte. Hiermit erweckt der Autor den Anschein, dass er selbst dort war, um das Abenteuer der Fünf zu dokumentieren. Auf diese Weise wird die Handlung anschaulich.

Jede Seite des Buches ist mit einem der sechs Kreisel markiert, die eine ganz besondere Rolle auf der hölzernen Karte spielen, die auf dem Titelbild abgebildet ist. Schade, dass die deutsche Übersetzung durch Bardola so mit Fehlern gespickt ist. Druckfehler könnte man ja verschmerzen, aber sprachliche Fehlgriffe sind einfach nur ärgerlich. Hier hätte der Verlag sorgfältiger arbeiten müssen. Das gibt Punktabzug.

Hardcover: 352 Seiten
Originaltitel: Century 3: La città del vento, 2007
Aus dem Italienischen von Nicola Bardola.
ISBN-13: 9783833932038

www.luebbe.de

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