Michael Bennett – 6 Tote. Thriller

Spannender Maori-Thriller

Ein erbarmungsloser Serienkiller auf der Jagd nach Rache. Die willensstärkste Ermittlerin Neuseelands auf der Suche nach der Wahrheit. Ein uraltes Verbrechen, das beide verbindet. Der Wettlauf beginnt…(Verlagsinfo) „6 Tote“ ist der erste Fall für Detective Senior Sergeant Hana Westerman, eine Maori-Polizistin bei der Kripo von Neuseelands Hauptstadt Auckland.

Der Autor

Michael Bennett arbeitet in Neuseeland als preisgekrönter Regisseur, Produzent und Showrunner für Film und Fernsehen. In seinem Thrillerdebüt „6 Tote“ (O-Titel: „Better the Blood“) verknüpft Bennett seine Leidenschaft für spannende Geschichten mit Fragen von Identität und Herkunft, die eng mit dem kolonialen Erbe seiner Heimat verbunden sind. Mit seiner Partnerin und seinen drei Kindern lebt der Autor in Auckland. (gekürzte Verlagsinfo)

Zum Interview.

Handlung

Detective Senior Sergeant Hana Westerman sitzt gerade im Gerichtssaal wegen eines Vergewaltigungsfalls, als sie eine Mail mit einem Video-Link erhält. Das Video zeigt ein ganz bestimmtes Haus in Auckland, in dem nur Junkies verkehren: „The Palace“. Warum hat gerade sie das Video zugespielt bekommen, fragt sie sich. Nach dem Ausraster, den sie sich gegenüber dem straffrei ausgehenden Täter Patrick Thompson erlaubt, und einem Anpfiff von ihrem Chef und Exmann Jaye fährt Hana mit ihrem Assi, Detective Constable Stan, zum Palace.

Alles sieht hier nach einem ganz normalen Saustall aus, und der Geruch könnte einem Tränen in die Augen treiben. Keine Leiche oder so. Gerade als sie wieder wegfahren wollen, entdeckt Hana das Fenster, das es gar nicht geben dürfte. Als sie zurückgehen, klopft sie die Wände im ersten Stock ab, bis es hohl klingt: Hier wurde eine Tür zugemauert.

Kaum hat sie einen Spalt aufgebrochen, entdeckt sie den von der Decke hängenden Mann an seinem Strick. Er ist längst tot. Ein bekannter Junkie namens Terrence Sean McElvoy. Merkwürdig, dass seine Hände vor dem Oberkörper zusammengebunden sowie seine Fußgelenke gefesselt sind. Am meisten interessiert Hana die zehn Zentimeter tiefe Wunde im Schädel des Opfers. Welche Waffe wäre nötig, um solch eine Wunde zu schlagen? Der Gerichtsmediziner ist ratlos. Unweit vom Palace, am Standort des putativen Videofilmers, findet eine Hana das Symbol einer Spirale. Sie wurde mit McElvoys Blut gezeichnet.

Das Leben wird nicht einfacher für Hana, als ihre 17-jährige Tochter Addison bei ihr einziehen muss. Denn Exmann Jaye lebt mit seiner zweiten Frau Marissa zusammen, und als Addison kiffend und lärmend in eine Polizeirazzia geraten ist, musste er Konsequenzen ziehen. Seine Karriere als einer der Polizeichefs von Auckland sollte nicht seiner Tochter zum Opfer fallen. Hanas Karriere hängt inzwischen wegen des gewieften Jurastudenten Thompson am seidenen Faden, und Jaye verdonnert sie zu Therapiestunden.

Nummer 2

Mord oder Selbstmord, fragt sich Hana, wie alle, beim nächsten Toten. Der 60 Jahre alte Bauunternehmer muss wohl aus dem 20. Stockwerk in den Tod gestürzt sein, und dementsprechend beschädigt sieht sein Schädel aus. Als Hana erneut auf tiefe Kopfverletzungen stößt, behält sie das für sich. Doch als Stan in einem geräteschuppen auf dem Dach des Hochhauses auf Spiralen stößt, wird sie aufmerksam: Jetzt sind es schon zwei. Jemand hat mit einer Tötungsserie begonnen, doch was der Anlass oder Hintergrund ist, stellt sie vor ein Rätsel. Das Video, das sie erhielt, zeigt nur die bekannte Skyline von Auckland, kein einzelnes Haus. Dass diese Toten ebenfalls Botschaften an sie sind, ist klar, doch was sollen sie vermitteln? Na, wenigstens, darf sie jetzt wieder das Kripo-Team leiten, neben sich Jaye.

Hana hat in der Dusche eine Eingebung: Wenn man eine der Spiralen über ein Maori-Gesicht legt, würde man ein Ta Moko erhalten, eine Gesichtstätowierung. Der Haken an der Sache besteht darin, dass jedes Ta Moko individuell ist, weil es Rang, Identität und Zugehörigkeit erzählt, ja, sogar von Heldentaten berichtet. Glücklicherweise ist die Leiterin der Stadtbücherei von Auckland sehr hilfsbereit, als Hana und Stan darum bitten, historische Sammlungen solcher Ta Mokos sichten zu dürften.

Als sie auf das Zeitungsfoto aus dem Oktober 1863 stoßen, sehen sie zunächst nur die sechs britischen Soldaten, die stolz ihre Trophäe präsentieren: Im Hintergrund hängt ein Maori-Häuptling nackt und gefesselt von einem Puriri-Baum, den jeder in der Stadt kennt. Während Stan ein Foto vom Ta Moko macht und eine Übereinstimmung sucht, erinnert sich Hana an den Schock, als sie erkannte, wohin ihr erster Polizeieinsatz sie mit 18 Jahren führen sollte: Auf den heiligen Berg Mount Suffolk, wo friedliche Demonstranten um Rückgabe dieses heiligen Bodens erbitten. Der brutale Cop-Einsatz fand trotzdem statt: Maori gegen Maori. Dieser Tag änderte Hanas Leben. Ihre Sippenangehörigen stempelten sie nämlich zur Verräterin. Das war bitter.

Nummer 3

Simon Masterton war in seinem jungen Leben ein begabter Shakespeare-Darsteller. Sein Hamlet war eine Wucht. Nun befindet er sich an sehr dunklen, sehr stillen Ort, so still wie er selbst… Als Hana und Stan ihn in den Bunkern unter dem Gipfel des Mt. Suffolk entdecken, stoßen sie auf das alte Foto und die Abstammungslinien, die zu den Soldaten führen. Drei Linien sind bereits per Schnüre etabliert, bleiben noch drei. Dann tropft Mastertons Blut auf Hanas Handy, sie erschrickt, das Handy fällt zu Boden und geht aus. Finsternis herrscht ringsum, dann hört sie das stetige Tropfen von Blut wie ein Countdown…

Mein Eindruck

Der Thriller um Hana Westerman und ihre Lieben ist spannend und dramaturgisch geschickt erzählt. Der Täter legt falsche Fährte, um Hana & Co. in die Irre zu führen und ganz woanders zuzuschlagen. In dieser Erzähltechnik zeigt sich ein routinierter Drehbuchschreiber, der die Aufmerksamkeit des Lesers lenkt und ihn auch gerne in die Irre führt.

Was den Plot etwas knifflig macht, ist die Identität und Denkweise des Täters. Er ist intelligent, aber von Rachsucht erfüllt. Dass er ein Maori sein muss, ergibt sich aus seinen Motiven – und aus der Tatsache, dass er 18 Jahre zuvor bei der Räumung einer Besetzung des heiligen Berges durch Maori dabei war. Er wurde Zeuge, wie die gerade mal 18-jährige Polizistin, wiewohl selbst Maori, die Maori-Aktivisten auf Geheiß der weißen Bosse von der heiligen Stätte wegschleppte. Einer der Aktivistinnen war seine Mutter. Jetzt ist sie tot, doch ihre Geisterstimme spricht immer noch zu ihm – und erteilt ihm Anweisungen…

Von fern erinnert der Thriller an Tony Hillermans Krimis um die Navajo Tribal Police und an Stan Jones‘ Inuit-Krimis in Alaska. Ethno-Krimis sind mittlerweile in. Dieser Trend hat Bennetts Thriller sicher den Weg geebnet. Da er aber selbst ein Maori ist, hat er eine Herausforderung: Wie kann er als Maori einen Mann verurteilen, der selbst für die geraubten Rechte der Maori eintritt, wenn auch mit gewaltsamen Mitteln? Wie kann er objektiv bleiben?

Die Methode des Erzählens hilft ihm, das Problem zu lösen. Viele Handlungsstränge verbinden die Figuren miteinander und kommentieren einander indirekt. So muss beispielsweise Hana Westerman dir Kritik ihrer Tochter Addison, einer indigenen Sängerin, ertragen und verarbeiten, als diese das Handyvideo zugespielt bekommt, in dem Hana eine alte Maori-Frau wegträgt. Wie konnte Hana so etwas Schlimmes nur tun, fragt sie ihre Mutter.

Die Generationen geraten in Konflikt miteinander, so etwa auch Jaye, Hans Exmann, mit seiner zweiten Frau. Die unbestrittene moralische Instanz ist die alte Sprecherin des lokalen Stammes, eine Kuia. Von ihr erlangt Hana eine Art moralischer Absolution – ein wunderbar intensiver Augenblick. Die Kuia ist es auch, die den landesweiten Protest gegen den Feldzug des Serienmörders organisiert. Dies führt zur ängstlichen Verwunderung der Weißen zu einem friedlichen Protestmarsch durch die Straßen von Auckland. Eine sehr schöne Szene.

Doch die Jagd des Killers auf die letzten Nachkommen des Mordes von 1863 geht weiter, und folglich kann auch die Jagd der Cops auf ihn nicht enden. Es kommt zu unvermittelten Konflikten, weiteren falschen Fährten und einer finalen Geiselnahme. Diesmal muss sich Addison fragen, ob sie die direkte Begegnung mit dem Mörder, der einen einzigen Toten rächen will, überleben wird. Denn auch sie gehört zu den Nachkommen eines der Männer von damals – ein sorgsam gehütetes Geheimnis ihrer Familie. Und der Mörder ist ihr einstiger Dozent für Kulturgeschichte…

Die Übersetzung

Die beiden Autoren berücksichtigen die Maori-Sprache in jeder Hinsicht: überall, wo sie im Text verwendet wird. Das angehängte Glossar ist daher die folgerichtige Ergänzung zum Text und sehr hilfreich bei der Lektüre. Allerdings gibt es keine Aussprachehilfe außer einem diakritischen Zeichen an diesen Ausdrücken. Letztere sind allerdings nicht jedem Leser geläufig. Als Faustregel gilt: Wo der Oberstrich über einem Vokal steht, wird dieser Vokal betont und gedehnt.

S. 125 + 180: Kein Fehler, sondern ein Zitat, das mehrfach wiederholt wird und sich im Originaltitel wiederfindet: „Besser das Blut Unschuldiger vergießen, als gar keins. Und die Schuld verblasst mit der Zeit nicht.“ Dieser Wahlspruch des Terroristen hat weitreichende Konsequenzen.

Unterm Strich

Die Handlung des Thrillers ist spannend von Anfang bis Ende. Wer meint, als gewiefter Krimikenner den nächsten Schachzug des Killers vorausahnen zu können, sieht sich bald auf eine falsche Fährte geführt. Es bleibt also spannend bis zum Schluss, und nur in der Mitte gibt es, wie so häufig in Krimis, einen Durchhänger, weil sich die Ausrichtung ändert.

Inzwischen entwickelt der Leser Sympathie, wenn nicht sogar Empathie mit dem Täter. Dessen Handeln ist nicht sinnlos, sondern sogar moralisch gerechtfertigt: Sein Rachefeldzug soll der Gerechtigkeit dienen, die die Weißen den enteigneten und übervorteilten Ureinwohnern schulden. Die alten Verträge wie der von Waitangi – sie enthalten so viele Missverständnisse durch Falschübersetzung, dass sie bis heute Anlass zu Streit und Gerichtsprozessen sind. Auch die weise Kuia deckt eine Fehlübersetzung auf. Dies bringt Hana Westerman, die jetzt zwischen beiden Welten vermitteln muss, auf eine neue Spur.

Die Geschichte und die Kultur durchdringen die ganze Erzählung, bestimmen die Handlungen der Figuren – von denen es erfreulich wenige gibt – und bestimmen den Schluss, als der Mörder seinen Feldzug beendet. Die Abfolge der Generationen ist für Maori sehr wichtig, denn sie bedeutet die Weitergabe nicht nur von Genen, sondern vor allem von spirituellem Wissen. Drei Generationen sind in der Handlung konfliktreich miteinander über zwei Zeitebenen miteinander verknüpft. Der Autor handhabt diese Ebenen mit Souveränität, denn er ist ja selbst ein Sohn und Vater, der zwei Clans angehört. So bringt er nicht nur spürbare Ehrerbietung für die weise Kuia auf, sondern auch tiefes Verständnis für junge Frauen – und selbst für Jungs, die keine Jungs mehr sein wollen, sondern ein drittes Geschlecht.

Im Nachwort des Autors wird erwähnt, dass Mt. Suffolk ein erfundener Ort sei, ebenso wie der lokale Stamm (Iwi). Das macht nichts, denn beides wirkt dennoch sehr glaubwürdig. Hana Westerman und ihre Fälle haben uns Westlern sicher noch mehr zu erzählen. Und vielleicht trägt dies nicht nur zum besseren Verständnis der Maori bei, sondern sogar zu mehr Gerechtigkeit gegenüber diesen Ureinwohnern.

Taschenbuch: 367 Seiten
Info: Better the blood, 2022;
Aus dem Australien-Englischen von Frank Dabrock und Martin Ruf.
ISBN 9783453427303

www.heyne.de

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