Interview mit Michael Bennett, Krimi-Autor aus Neuseeland

Interview mit Michael Bennett, Krimi-Autor aus Neuseeland

Als Polizistin in Auckland und getrennt lebende Mutter einer Teenie-Tochter, hat Hana Westerman sich angewöhnt, stets nach vorn zu blicken. Doch ihr schwierigster Fall hat gerade erst begonnen: Ein mysteriöser Tippgeber weist ihr den Weg zu einem Toten, aufgehängt in einem geheimen Raum. Zu diesem Zeitpunkt ahnt Hana noch nicht, dass sie es mit dem ersten Serienkiller in der Geschichte Neuseelands zu tun hat. Doch warum hat der Täter ausgerechnet sie auf seine Fährte gelockt? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, muss Hana sich ihrer Vergangenheit stellen – und damit dem dunkelsten Kapitel ihrer Vergangenheit … (Verlagsinfo)

Der Autor

Michael Bennett (Ngāti Pikiao, Ngāti Whakaue) arbeitet als preisgekrönter Regisseur, Produzent und Showrunner für Film und Fernsehen in Neuseeland (Aotearoa). »6 Tote« ist der erste Fall für Detective Senior Sergeant Hana Westerman. In seinem Thriller-Debüt verknüpft Michael Bennett seine Leidenschaft für spannende Geschichten mit Fragen von Identität und Herkunft, die eng mit dem kolonialen Erbe seiner Heimat verbunden sind. Mit seiner Partnerin und seinen drei Kindern lebt Michael Bennett in Auckland (Tāmaki Makaurau). (Verlagsinfo)

„Michael Bennett (Ngāti Pikiao, Ngāti Whakaue) is an award- winning screenwriter, director and author. His first book, a non-fiction novel telling the true story of New Zealand’s worst miscarriage of justice, In Dark Places, won Best Non- Fiction Book at the 2017 Ngaio Marsh Awards. Michael’s second book, „Helen and the Go-Go Ninjas“, is a time-travel graphic novel co-authored with Ant Sang.

Michael’s short films and feature films have won awards internationally, and have screened at numerous international festivals including Cannes, Toronto, Berlin, Locarno, New York, London, and Melbourne. Michael is the 2020 recipient of the Te Aupounamu Māori Screen Excellence Award, in recognition of members of the Māori filmmaking community who have made high level contributions to screen storytelling.

He lives in Auckland, Aotearoa (New Zealand) with his partner Jane, and children Tīhema, Māhina and Matariki.“ (Amazon.de)

Wie würden Sie Ihre ungewöhnliche Ermittlerin beschreiben?

Die Figur Hana Westerman geht auf eine Menge außergewöhnlicher Frauen in meinem Leben zurück; meine Lebensgefährtin, meine Tanten, Schwestern und Töchter und meine Mutter – ihr Mädchenname ist Westerman. Hana sieht sich mit Problemen konfrontiert, die die meisten Menschen nachvollziehen können; sie ist eine Frau in einem klassischen Männerberuf und eine Māori in einem von Weißen dominierten Polizeiapparat, sie will ihrer willensstarken, unberechenbaren, politisch engagierten Tochter eine möglichst gute Mutter sein, und ihr Ex-Mann hat sie beruflich überflügelt und ist jetzt ihr Vorgesetzter. Aber sie ist eine erstklassige, geborene Polizistin, die mit einer einzigartigen, furchterregenden Herausforderung konfrontiert wird – sie muss in einem Wettlauf gegen die Zeit einen Mörder finden, bevor er erneut tötet. Sie ist die Einzige, die das Morden beenden kann.

Warum ist Auckland der perfekte Schauplatz?

Auckland wird oft unter den zehn lebenswertesten Orten der Welt geführt, mit seiner großen landschaftlichen Schönheit und dem malerischen, von Leben erfüllten Hafen. Sie ist die erste größere Stadt seit Pompeji, die auf einem aktiven Vulkanfeld errichtet wurde – sie ist von fast fünfzig Vulkanen umgeben, und diese spektakuläre Landschaft spielt eine große Rolle in dem Buch. Aber die Geschichte dieser wunderschönen Stadt hat auch eine Schattenseite. Die Vulkanerde in Auckland ist mit Blut getränkt, von den Ereignissen in jüngerer Vergangenheit, die alles andere als idyllisch ist – die blutige Kolonisierung im 19. Jahrhundert.

Was ist das zentrale Thema Ihres Thrillers?

Bei Hana Westermans Jagd nach dem Mörder geht es um die offenen Wunden der Kolonialisierung, mit denen die Māori und das heutige Neuseeland konfrontiert sind. Vor zwei Jahrhunderten kam eine fremde Macht, ohne legitimes oder moralische Recht, hier zu sein, in unser Land. Mit Unterstützung der bestausgerüsteten Streitkraft der Welt (der britischen Armee) nahmen sie meinen Vorfahren ihr Land, ihre Selbstbestimmung und Autonomie. Heutzutage sind Māori in allen sozio-ökonomisch Bereichen massiv benachteiligt – das betrifft den Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem und die Lebenserwartung; die verheerenden Folgen generationsübergreifender Armut sind Depressionen, Selbstmord, Kindesmissbrauch und Kinderarmut.

Es gibt kein indigenes Volk auf der Welt, von dem so viele Menschen im Gefängnis sitzen. Das Durchschnittsvermögen eines Māori beträgt 20.000 Dollar und das eines Weißen 120.000 Dollar. Das Erbe der Kolonisierung ist nicht nur ein verstaubtes Kapitel in einem Geschichtsbuch. Es ist etwas ganz Reales.

Bei Hana Westermans Jagd nach dem Mörder in „6 TOTE“ geht es um die offenen Wunden, mit denen die Māori und das heutige Neuseeland konfrontiert sind, allerdings im leserfreundlichen Kontext einer spannenden, rasanten Kriminalgeschichte.

Das Konzept des Utu spielt eine wichtige Rolle in Ihrem Thriller. Können Sie erklären, was es damit auf sich hat (ohne etwas zu spoilern)?

Alles, was ich über das Utu gelernt habe, geht auf das Konzept des Gleichgewichts zurück. Die indigenen Völker verbindet der fundamentale Glaube an das Prinzip der Balance – in ökologischer, geschlechtlicher, sozialer und ethnischer Hinsicht –, ein Prinzip, das der Rest der Welt noch nicht ganz verstanden hat. Beim Utu geht es nicht um Rache oder Bestrafung, das ist zu einfach; es geht um die Wiederherstellung der Balance. Ob die Morde in 6 TOTE dem Gedanken des Utu entsprechen oder nicht, ist eine spannende Frage, mit der sich die Polizistin und der Mörder im Laufe der Geschichte auseinandersetzen.

Wie haben Sie es geschafft, die modernen Themen des Buches (non-binäre Charaktere, politischer Aktivismus, Vergewaltigungskultur und Rap) und die historischen Themen (Neuseelandkriege, historische Konflikte zwischen Māori und Kolonialmächten) so gut auszubalancieren?

Lustigerweise sind die Dinge in Aotearoa bzw. Neuseeland einfach so – zumindest in unserer Familie! Māori waren schon seit dem Jahre Null Geschichtenerzähler*innen. Wir haben schon immer Geschichten durch whaikōrero (förmliche Reden) und whakairo (Schnitzkunst) übermittelt.

Heutzutage gibt es unzählige kreative neue Medien, die unsere Geschichten in die Welt bringen. Meine Familie ist durchgehend umgeben von außergewöhnlichen, kraftvollen, wunderbaren Menschen, die nur so vor Kreativität strotzen – Rapper*innen, Dichter*innen, Komponist*innen, Autor*innen, Filmemacher*innen, Künstler*innen, Musiker*innen, Screenwriter*innen, Maler*innen, Designer*innen, Schauspieler*innen und Fotograf*innen. Es ist fast anstrengend. Und gleichzeitig ist es wundervoll.

Wenn wir so zusammensitzen, sei es die eigene Familie oder gemeinsam mit den vielen kreativen Köpfen in meiner Bekanntschaft, dann reden wir immer über das Leben, die Liebe und die Hoffnung, darüber, wo wir jetzt sind und wie wir hierhergekommen sind. Meine Tochter ist ein internationaler Slam Poet Champion. Ihre Gedichte verfasst sie auf Englisch und auf Māori und ich zitiere eines davon im Addendum des Buches:

„Wenn mich meine Cousins aus England besuchen,
zeige ich ihnen, wie rot die Straßen Aucklands
erscheinen, sobald man sich daran erinnert, was unter
ihnen begraben ist, ich rufe ihnen ins Gedächtnis, wie
die Knochen von Schießpulver gebleicht wurden, das
ist Neuseeland, und es ist tot.“

Als Künstler*innen ist es unsere Pflicht, diese Sachen zu verstehen und darüber zu sprechen – Die Vergangenheit ist nicht einfach vorbei, sie hat Nachwirkungen auf alles, was wir heute tun, wer wir sind und wohin wir gehen.

Als Drehbuchautor und Film- und Fernsehproduzent wissen Sie, wie man interessante Figuren erschafft und vielschichtige Geschichten erzählt. Wie hat sich das Schreiben eines Thrillers davon unterschieden?

Ich arbeite seit fünfundzwanzig Jahren als Filmemacher und Drehbuchautor, und der Wechsel vom Drehbuch zum Roman war vollkommen organisch. Alfred Hitchcock hat mal gesagt: „Ich kann keinen Roman lesen, ohne mir jede einzelne Szene bildhaft vorzustellen.“ Das beschreibt ziemlich genau meinen Arbeitsprozess, ob nun bei einem Drehbuch oder einem Roman – die Szenen flimmern über die kleine Kinoleinwand in meinem Kopf; die Figuren bewegen sich durch ihre Welt, sie reden, küssen sich und kämpfen miteinander, und ich schreibe einfach auf, was ich sehe und versuche hinterherzukommen!

Das Großartige an einem Roman ist, dass man nicht wie bei einem Drehbuch auf hervorragende Schauspieler*innen angewiesen ist, um etwas über die Gefühle der Figuren zu erzählen. In einem Roman kann man sehr viel tiefer in das Innenleben der Figuren eintauchen, in ihre Gedanken und Gefühle, beschreiben, was sie riechen, was sie im Innersten bewegt – das lässt sich auf der Leinwand sehr viel schwerer vermitteln.

Was war für Sie die größte Herausforderung während des Schreibens? Und wie haben Sie diese überwunden?

Ich denke oft, dass das Dasein als Schriftsteller*in mit dem einer Katze auf einem heißen Blechdach vergleichbar ist. Das Schreiben und Veröffentlichen eines Buches beinhaltet viele komplexe Emotionen. Aufgeregt sein ist natürlich eine davon. Aber auch Nervosität. Und um ehrlich zu sein, auch blanke Angst (zumindest bei mir)! Vielleicht ist das die größte Herausforderung und die seltsamste Grundvoraussetzung für die Tätigkeit als Schriftsteller*in – die Katze zu sein, die sich freiwillig auf ein glühend heißes Blechdach begibt.

Eine ganz besondere Herausforderung, der ich beim Schreiben dieses Buches gegenüber stand, war die Pandemie. Ich denke, jede*r von uns hat erkannt, dass die Lockdowns für unsere Welt in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung waren, sowohl im Hinblick auf das Arbeits- als auch auf das Privatleben. Sobald die ersten Flüge nach dem ersten Lockdown im Winter 2020 wieder gingen, bin ich zu einer kleinen Hütte an einem wilden Strand auf der Südinsel Neuseelands geflogen. Dort habe ich meinen ersten Manuskriptentwurf geschrieben. Ich schrieb den ganzen Tag, sammelte Treibholz, während die Sonne unterging. Ein Freund, der in der Nähe lebte, kam abends vorbei und wir grillten Fisch über dem Treibholzfeuer, tranken billigen Whiskey und lösten die Probleme der Welt (und manchmal auch ein paar unserer eigenen).

Der erste Entwurf des Manuskripts entstand aus einer Explosion von Energie, nach all diesen Monaten, in denen ich in den gleichen vier Wänden festsaß. Um ehrlich zu sein, war ich ein bisschen am Boden zerstört, als ich diesen Entwurf beendet hatte. Das war wirklich eine ganz besondere Zeit!

Welche persönlichen Motive leiten Sie beim Schreiben, und wie geht es mit Hana Westerman weiter?

Man schreibt, weil man etwas zu sagen hat, weil dieses Feuer in einem brennt und man sich Gehör verschaffen möchte. Als Māori und Künstler liegen mir Themen am Herzen, bei denen Fragen der Kultur und der Identität im Zentrum stehen. Und ich liebe Krimis, adrenalingeladene Geschichten, die man nicht mehr aus der Hand legen kann. Auch in meinem zweiten Roman hat die brillante Māori-Polzistin Hana Westerman beruflich wie privat eine Menge um die Ohren und sie wird in eine dunkle Welt aus ungeklärten Morden und Gewalttaten geführt.

Das Interview führte Daniela Neuper von der Presseabteilung des Heyne-Verlags.

Taschenbuch: 368 Seiten
O-Titel: Better the blood
Aus dem Englischen von Frank Dabrock und Martin Ruf.
www.heyne.de

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