Dieser Fantasyroman erinnert in seinem Kern an nichts so sehr wie an Ridley Scotts Film „Gladiator“ und an Kubricks „Spartacus“. Doch sowohl die Ausgangslage als auch die Ergebnisse der dramatischen Ereignisse der Gladiatorenkämpfe unterscheiden sich in entscheidenden Punkten von jenen verfilmten Geschichten. Und das bringt dem Buch einige Pluspunkte ein. „Midnight Falcon“ ist der zweite Roman um das keltische Volk der Rigante, das sich der Bedrohung von jenseits des Meeres gegenübersieht: den Armeen des Imperiums von Stone, das stark an das antike Rom erinnert.
Die Rigante-Saga:
Band 1: „Sword in the Storm“ (1998; dt. als „Die steinerne Armee„)
Band 2: „Midnight Falcon“ (1999, dt. als „Die Nacht des Falken”)
Band 3: „Ravenheart“ (2000, dt. als „Rabenherz”)
Band 4: „Stormrider“ (2001, dt. als „Sturmreiter„)
Der Autor
David Gemmell (geb. 1948), früher selbst einmal Soldat, ist der führende britische Autor (wenn nicht sogar weltweit) von Fantasy-Action-Romanen. Besonders bekannt wurde er ab 1984 mit der Drenai-Saga, in der kernige Helden wie „Druss die Legende“ in einem untergehenden mittelalterlichen Reich schier aussichtslose Kämpfe ausfechten.
Seine zweite Romansequenz dreht sich um die magischen Sipstrassi-Steine (1987-94). Dazu gehören auch einige Romane, die in einer Post-Holocaust-Zukunft angesiedelt sind („The Jerusalem Man“). Ein dritter Romankomplex umfasst die historischen Fantasien um Alexander den Großen: „Der Löwe von Makedonien“ und „Der dunkle Prinz“ (1990/91). Die Falkenkönigin-Duologie dreht sich um eine heldenhafte Kriegerin: „Eisenhands Tochter“ und „Die Keltenkriege“. Es handelt sich eindeutig um Heroic Fantasy.
Mit „Morningstar“ schrieb Gemmell Jugend-Fantasy und unter dem Pseudonym „Ross Harding“ mit „White Knight, Black Swan“ einen Gangster-Thriller.
Handlung
Die Handlung von „Die Nacht des Falken“ verläuft im gleichen einfachen Schema wie schon in „Die steinerne Armee/Sword in the Storm“: Aufbruch, hin und zurück, Entscheidungen (mehrere Höhepunkte).
Die Hauptfigur ist diesmal Bane the Bastard, der uneheliche Bastardsohn von König Connavar. Schon sein ganzes Leben hasst Bane, der Midnight Falcon, seinen Vater dafür, dass dieser nie seine Mutter besucht hat. Banes Mutter starb geächtet, kummervoll und einsam. Daher hat sich Bane für ein Leben als Gesetzloser, am Rande der Gesellschaft der Rigante entschieden. Bis dann Dinge geschehen, die ihn dazu zwingen, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Davon handelt dieser Roman.
Der 17-jährige Bane hat einen Freund namens Banouin, den Sohn des Händlers Banouin und der Seherin Vorna. Banouin hat nicht nur ihre seherischen und heilenden Fähigkeiten übernommen, sondern ist, ganz im Gegensatz zu Bane, auf dem besten Weg, ein Gelehrter zu werden. Und wo findet man in der Welt die größte und höchste Gelehrsamkeit? Natürlich in der Hauptstadt der mächtigsten Nation der Welt: in Stone, jenseits des Meeres.
Bane begleitet seinen jungen Freund, und das erweist sich als sehr hilfreich, denn der Kämpfer kann dem Gelehrten mehrmals das Leben retten. Was aber Banouin abstößt: Bane scheint das Töten im Kampf zu genießen. Schließlich gelangen sie in die rigantische Hafenstadt Accia am Meer, wo sich Banouin nach Stone einschiffen will. Sie übernachten bei einem ehemaligen General, einem Renegaten Stones. Bane verliebt sich auf der Stelle in dessen schöne Tochter Lia. Leider ist ihrer beider Glück nicht von Dauer.
Schon am nächsten Tag tauchen zwei „Ritter von Stone“ auf, die offenbar den Auftrag haben, den abtrünnigen General und seine Familie auszulöschen. Sie sollen die Götter von Stone verraten haben. Während sich Banouin furchtsam aus dem Staub macht, gelingt es Bane, einen dieser Profikiller zu töten. Doch zu seiner Verzweiflung kann er nicht verhindern, dass der zweite Ritter seine geliebte Lia tötet. (Ich erspare euch lieber die blutigen Details.) Bane selbst wird tödlich verwundet, doch die Göttin Morrigu, der wir schon mehrmals begegnet sind, bewahrt ihn vor dem Gang ins Schattenreich.
Bane setzt ins Reich von Stone über und heuert in der Hafenstadt Goriasa in einem Circus an, um als Gladiator erstens Geld zu verdienen und zweitens seine Fähigkeiten als Schwertkämpfer so weit auszubilden, dass er es mit jenem Ritter, der ihn fast getötet hätte, aufnehmen kann. Rache für Lia ist sein ständiger Gedanke, und er weiß auch schon den Namen jenes Ritters: Voltan.
Der Gladiator Bane steigt unter der Ausbildung eines Veteranen zu einem Star auf, der schließlich auch in Stone auftreten kann. Hier trifft er Banouin wieder. Beide geraten in Gefahr, denn in der Reichshauptstadt haben die Blutroten Priester eine Schreckensherrschaft errichtet, die sich gegen alle missliebigen Bürger richtet, insbesondere aber gegen den Baumkult. Dessen Anhänger sind Pazifisten und stellen allein dadurch die Militärideologie des Reiches infrage. Banouin hat eindeutige Sympathien für den Baumkult entwickelt.
Doch der Hohepriester der Stadt hat vor, den Imperator – wir kennen Jasaray bereits – zu stürzen und sich selbst auf den Thron zu setzen. Das wissen die beiden Riganter mit ihren Freunden zu verhindern, doch sie geraten selbst in Lebensgefahr. Und so freut sich Bane, endlich seinem Erzfeind Voltan in der Arena gegenübertreten zu können…
Danach kehren alle Riganter in ihre Heimat zurück, um die Entscheidungsschlacht gegen Jasaray zu schlagen. Wie dieser Kampf ausgeht, ist mit einigen Überraschungen verbunden. In dieser Schlacht verändert sich die Welt der Rigante für immer.
Mein Eindruck
Wie bereits erwähnt, erinnert der Handlungsverlauf stark an „Die steinerne Armee“, das ebenfalls einem klassischen Schema folgt. Doch Gemmell ist ein versierter Geschichtengestalter. Er wandelt die Figuren und ihre Motive auf einfallsreiche Weise ab, so dass sie teils bekannte Elemente aus den Drenai- und Druss-Romanen aufweisen, teils aus dem neuen Rigante-Zyklus.
Natürlich ist Bane als Charakter wesentlich unsympathischer als der Held Connavar (obwohl der auch kein Unschuldslamm ist). Während sich nämlich Conn für sein Volk aufopferte und engen Umgang mit den Sidhe pflegte, folgt Bane zunächst einem eigensüchtigen Ziel: Rache für seine getötete Geliebte. Auf solche Helden können wir verzichten. Erst nach seiner Rückkehr aus Stone setzt er sich mit seinen bescheidenen Mitteln für seine unmittelbare Heimat ein, denn er wird weiterhin scheel angesehen.
Doch auch in der Entscheidungsschlacht erreicht er nur Pflichterfüllung und somit soziale Akzeptanz, nicht aber seine persönliche Erlösung: die Wiedervereinigung mit seiner Geliebten. Man lese selbst, ob ihm dies vergönnt ist.
Ridley Scotts erfolgreicher Sandalenfilm mit Russell Crowe in der Hauptrolle hat den Weg frei gemacht für eine ganze Reihe von medialen Produkten zur Kultur der Gladiatoren und des Circus. Kubricks „Spartacus“ wird wiederaufgeführt, und auch Bücher zum Thema bleiben nicht aus. „Midnight Falcon“ ist sicherlich eines davon. Gladiatoren haben nämlich den Vorteil, als Außenseiter jedeglicher Gesellschaft durch Überleben und Verdienst bis zu deren jeweiliger Spitze vorstoßen zu können. Genau dies gelingt auch Bane. Das geht aber nur in einer römischen Kultur wie Stone; in Rigantelanden kennt und braucht man keine professionellen Schwertkämpfer.
Natürlich sorgen die Kampfszenen in der Arena für Drama und Action. Aber Gemmell wäre nicht der erfolgreiche Profiautor, der er ist, wenn er seinen Gladiatoren nicht jeweils unverwechselbare, sehr realistische Charakterzüge verliehe. Der Veteran Rage, der Blade in Goriasa ausbildet, ist zum Beispiel schon „altes Eisen“ und völlig ohne Illusionen. Doch er hat einen wunden Punkt: seine Pflegetochter Cara. Und so muss er doch Dinge tun, denen er schon längst entsagt hatte. Als Rage und Voltan in der Arena aufeinandertreffen, ist dies ein Kampf der Titanen.
Unterm Strich
„Midnight Falcon“ ist die direkte Fortsetzung von „Sword in the Storm/Die steinerne Armee“, mit einem zeitlichen Abstand von 17 Jahren. Im direkten Vergleich schneidet „Falcon“ schwächer ab: Das liegt aber nicht an mangelnder Action oder fehlender Magie: Beides ist in zufriedenstellendem Maße vorhanden. Nein, es ist die Figur des Bane the Bastard, für die ich mich nicht recht erwärmen konnte: Er handelt zu lange nur aus Eigennutz und Rache und gelangt erst spät zu uneigennützigen Ansichten und Handlungen. Nun, ich schätze, man muss ihn nehmen, wie er uns gezeigt wird und alle anderen Vorzüge des Buches auskosten.
Die Geschichte der Rigante wird fortgesetzt in „Ravenheart“ und „Stormrider“. Mittlerweile erschien unter dem Titel „White Wolf“ ein neuer Drenai-Roman.
Michael Matzer (c) 2003ff
Der Rigante-Zyklus im Überblick
Band 1: [„Die Steinerne Armee“ 522
Band 2: [„Die Nacht des Falken“ 169
Band 3: [„Rabenherz“ 498
Band 4: [„Sturmreiter“ 2961