Im Jahre 1978 feierte Stephen King just seinen Durchbruch als Schriftsteller. Zu diesem Zeitpunkt konnte er noch nicht ahnen, welches Ausmaß sein Ruhm und vor allem die Verkaufszahlen seiner Bücher in den folgenden Jahren erreichen würden. Der junge King hatte deshalb ein offenes Ohr für seinen damaligen Verleger, der ihm, dem besten, aber noch jungen Pferd in seinem Autorenstall, einen Vorschlag machte: Er sollte eine Abhandlung über das Unheimliche in seinem gesamten Spektrum – Bücher, Filme, Fernsehen etc. – schreiben!
So absurd war der Gedanke nicht. Zum einen sollte das spätere „Danse Macabre“ kein „richtiges“ Fachbuch werden, das akademischen Ansprüchen genügen musste, sondern durfte populärwissenschaftlich und allgemeinverständlich gehalten werden. Zum anderen war Stephen King durchaus prädestiniert für eine solche Aufgabe. Seit frühester Jugend liebte er den unterhaltsamen Horror in allen seinen Spielarten. Mit der gesunden Neugier des wahrhaft Wissbegierigen hatte er Berührungsängste vor „Schund“ und Trash gar nicht erst aufkommen lassen: Der junge Stephen sah, las und hörte alles mit derselben Neugier. Gleichzeitig begann er bald, sich Gedanken über das zu machen, was ihm so große Freude bereitete. Auf dem College lernte King schließlich, wie man Fakten sammelt, auswertet und präsentiert; die Fans wissen selbstverständlich, dass der Meister seine berufliche Laufbahn als Universitätsdozent begann. Dass er damit ziemlich erfolglos blieb, war wohl nicht seine Schuld. So schlecht kann er aber nicht gewesen sein, wenn man „Danse Macabre“ als Maßstab für den Seminarleiter King werten möchte.
Ein „Insider“, der seine Arbeit reflektieren, in ihren thematischen Gesamtzusammenhang stellen und das Ergebnis auch noch verständlich ausdrücken kann, ist ein Geschenk für jene, die sich über diese Arbeit informieren möchten. „Danse Macabre“ ist weit mehr als der Beweis für Kings immenses Wissen über die Welt und das Wesen des Horrors, sondern darüber hinaus ein Sachbuch, das sich trotz seines eindrucksvollen Umfangs genauso spannend wie ein King-Roman lesen lässt. Kein Wunder: Weil ihn das Medium Sachbuch der Verpflichtung zu akademischer Sachlichkeit enthebt, kann King es sich leisten, seine Ausführungen mit autobiografischen Einsprengseln anzureichern.
Wo viel Licht, da viel Schatten, wie es so schön heißt … So lehrreich und unterhaltsam Kings Plaudereien über die Welt des Unheimlichen sich lesen – eine grundsätzliche Frage bleibt nach der Lektüre unbeantwortet: Welchen Sinn macht „Danse Macabre“ heute eigentlich noch? Entstanden ist dieses Buch im Jahre 1981. Seit dem „Redaktionsschluss“ hat sich der Inhalt nicht mehr geändert. Kings allgemeingültige Ausführungen über das Wesen des Horrors bleiben davon weitgehend unberührt. Doch zwei Jahrzehnte sind eine kleine Ewigkeit, wenn sie in der populärkulturellen Welt verstreichen.
Zudem kannte schon 1988, als die erste Erstausgabe von „Danse Macabre“ erschien (damals im |Heyne|-Verlag), das deutsche Publikum die meisten Filme, auf die King sich bezieht, höchstens vom Hörensagen. Dank der Freiwilligen Selbstkontrolle und ähnlicher Einrichtungen (die vorgeben, keine Zensur auszuüben, die es ja offiziell in diesem unseren Lande nicht mehr gibt …) wird sich daran auch nichts ändern.
Noch einmal viele Jahre später sind Kings Referenzwerke, die ihm der Verdeutlichung seiner Aussagen dienen, endgültig im Museum (bzw. auf der Müllkippe) für Filmgeschichte gelandet. Schlimmer noch: Die Zeit ist nicht stehen geblieben. Ob gedruckt oder gedreht – die Historie des Horrors hat sich seit 1981 mehr als nur entwickelt, sondern ist durchaus ganz neue Wege gegangen. Darüber hinaus haben viele Schlüsse, die King einst guten Gewissens und nicht selten genial gezogen hat, in der Zwischenzeit eine Neubewertung erfahren.
Es ist müßig darüber zu spekulieren, wieso ein hoffnungslos veraltetes Buch in neuem Gewande, aber inhaltlich völlig unverändert neu aufgelegt wird: Sein Autor heißt Stephen King, und der gehört heute genauso zu den Stars der Horrorszene wie 1981. Die seither (bzw. seit der deutschen Ausgabe von 1988) herangewachsenen Fan-Generationen werden die Gelegenheit, neue, d. h. bisher nie gelesene Worte aus der Feder des Meisters zu lesen, begeistert wahrnehmen. Erst während der Lektüre wundert sich der oder die Leser/in womöglich darüber, dass gleich zwei Dezennien (Freddy! Jason! Michael Myers 2ff.!) durch völlig Abwesenheit glänzen. Bedauerlich, denn was hätte King wohl zur „Scream“-Trilogie, zum „Blair Witch“-Phänomen, usw. zu sagen – die Liste der wichtigen oder „nur“ interessanten Etappen auf dem Weg zum Horror von Heute ist schier endlos.
Leider ist Stephen King schon lange dem Stadium entwachsen, in dem man ihn mit Geld oder sanfter Überredung zu literarischem Schaffen veranlassen könnte – in unserem Fall ist damit natürlich die vollständige Überarbeitung und Ergänzung von „Danse Macabre“ gemeint. So wird vor allem ein nostalgisches Interesse befriedigt, wobei diese Zielgruppe womöglich eher schmal bleibt.