Lehtolainen, Leena – Im schwarzen See

Dank Leena Lehtolainen mischt auch Finnland mit, wenn es um die erfolgreichsten skandinavischen Kriminalromane geht. Die Krimis der finnischen Erfolgsautorin sind im eigenen Land bereits erfolgreich verfilmt worden, aber auch in Deutschland erscheint mit „Im schwarzen See“ bereits der achte Fall, in dem Maria Kallio ermittelt. Bereits vor zwölf Jahren veröffentlichte Lehtolainen ihren ersten Kriminalroman und zählt heute zu den erfolgreichsten und renommiertesten finnischen Schriftstellerinnen. Ähnlich wie bei Henning Mankell ist es auch bei Lehtolainen die menschliche Seite an ihrer Kriminalkommissarin, die ihren Romanen die besondere Note verleiht und dadurch sicherlich sehr zum Verkaufserfolg ihrer Romane beiträgt.

Im aktuellen Lehtolainen-Krimi ist Maria Kallio nach der Geburt ihres zweiten Kindes wieder in den Polizeidienst zurückgekehrt und muss dort sogleich einen Mord aufklären. Der Verlagsbesitzer Atro Jääskeläinen meldet seine Frau Annukka Hackman als vermisst, und tatsächlich wird sie bald ermordet im See Humaljärvi aufgefunden. Es scheint, als wäre sie mit ihrer eigenen Waffe erschossen worden, während sie gerade im See schwamm. Annukkas Exfreund Hannu Kervinen arbeitet als Pathologe für die Kriminalpolizei und bricht völlig zusammen, als Annukka, die er immer noch über alles liebt, als Mordopfer auf seinem Untersuchungstisch landet. Doch damit nicht genug, wird Kervinen des Mordes verdächtigt, weil er Annukka auch nach ihrer Hochzeit immer noch nachgestellt hat. Aber auch Atro Jääskeläinen hat für die Tatzeit kein wirklich wasserdichtes Alibi.

Eine dritte vielversprechende Spur führt zur Familie Smeds, da Annukka vor ihrem Tod an einer Biografie über den berühmten Rallyefahrer Sasha Smeds geschrieben hat. Während ihrer Nachforschungen über Sashas Leben muss Annukka auf eine heiße Sensationsgeschichte gestoßen sein, denn sie wollte um alles auf der Welt diese Biografie veröffentlichen, auch wenn sie nicht mehr von Sasha autorisiert werden sollte. Merkwürdigerweise finden sich in Annukkas aktuellem Manuskript keine verdächtigen Geschichten, die einen Mord rechtfertigen würden. Maria Kallio tappt lange Zeit im Dunkeln und muss zusätzlich mit privaten Problemen kämpfen. Seit sie wieder zur Arbeit geht, beschwert sich ihr Mann Antti zunehmend darüber, dass sie sich nicht mehr um ihre Familie kümmert. Er sitzt dagegen arbeitslos in der ungemütlichen Wohnung und versorgt die gemeinsamen Kinder. Als schließlich wichtige Informationen an die Presse gegeben werden, Zwistigkeiten in Maria Kallios Kollegenkreis auftauchen und sie bemerkt, dass ihr Vorgesetzter Jyrki Taskinen vielleicht doch mehr für sie ist als nur ein guter Freund, erhält Maria einen geheimnisvollen Anruf von Hannu Kervinen. Kurz darauf wird eine weitere Leiche gefunden und der Zeitdruck lastet mehr denn je auf den ermittelnden Beamten …

Leena Lehtolainen steigt sofort mit einem Mord in ihre Romanhandlung ein und schafft damit das erste Spannungsmoment, das uns an ihr Buch fesselt. Anschließend lässt sie sich allerdings sehr viel Zeit, um eine glaubwürdige Rahmenhandlung zu entwickeln, die für eine gelungene Atmosphäre sorgt und das Buch mit Leben füllt. Hier passiert nicht gleich ein zweiter Mord, der auf einen psychopathischen Serienkiller hindeuten würde, sondern Lehtolainen stellt uns alle verdächtigen Personen und die handelnden Figuren eingehend vor. Dabei tauchen wir richtiggehend in Maria Kallios Gedankenwelt ein und erleben dadurch all ihre Sorgen und Probleme hautnah mit. Ihr Beruf und ihre Familie wachsen ihr über den Kopf, zusätzlich fühlt sie sich in der engen Wohnung unwohl. Hinzu kommt Anttis Antriebs- und Mutlosigkeit, die ihn sogar überlegen lässt, eine Arbeitsstelle in England anzunehmen. In diese schwierige Situation platzen eine schwere Grippe ihres zweijährigen Sohnes Taneli und ein verdächtiges Paket von einem Gefängnisinsassen für ihre kleine Tochter Iida, außerdem kommen die Ermittlungen kein Stück voran. Maria weiß nicht weiter und muss schließlich mit einem Wechselbad der Gefühle, Zwist und Eifersucht unter ihren Kollegen kämpfen.

Die Ausgangssituation für eine erfolgreiche Aufklärung des Mordfalls ist also denkbar schlecht; hier finden wir fast die gleiche Trostlosigkeit wie im schwedischen Ystad wieder, nur dass Lehtolainen auf brutale Details und fiese Mordtechniken vollständig verzichtet. Ihr aktueller Kriminalroman ist geprägt von persönlichen Problemen der Kriminalkommissarin Kallio, die uns durch diese privaten Schilderungen sehr sympathisch wird.

Aber auch die anderen Figuren werden uns genauer vorgestellt, da Leena Lehtolainen sich auf einen kleinen Kreis von Verdächtigen beschränkt und diese Personen stattdessen eingehend präsentiert, um uns zum Miträtseln zu animieren. Fast schon wie bei Agatha Christie kommt Lehtolainen mit einer Hand voll verdächtiger Personen aus, von denen im Prinzip allerdings jeder der Mörder sein könnte. Immer wieder tauchen neue Verdachtsmomente auf, und wenn ein Tatverdächtiger schon fast als Mörder feststeht, gibt es eine neue Spur, die auf jemand anderen hindeutet. Hier beweist Lehtolainen wirklich großes Geschick für das punktgenaue Einstreuen neuer Informationen, die ihrer Handlung eine neue Wendung geben. Unterschwellig scheint sich alles auf eine bestimmte Person hinzuentwickeln, aber wer weiß, vielleicht überrascht uns Leena Lehtolainen am Ende noch einmal?!

Trotz dieser Lobeshymnen kann man „Im schwarzen See“ wohl nicht generell jedem Krimifreund empfehlen, eher würde ich meinen, dass Lehtolainen wie ihre norwegische Kollegin Anne Holt eher „Frauenkrimis“ schreibt, die sich nicht so sehr auf blutige Details stürzen oder wie bei Wallander auf ausgefeilte Mordtechniken, sondern auf die persönliche Seite der handelnden Personen. So müssen wir uns mit zwei Leichen „begnügen“, obwohl das Buch sicherlich vom Umfang her Platz für mehr gelassen hätte, doch dann hätte Lehtolainen ihre Rahmengeschichte nicht so weit ausbauen können, die jedoch einen Großteil des Lesevergnügens ausmacht. Am Ende trauert man mit Maria Kallio, wenn der Täter gefunden und der Fall aufgeklärt ist, denn hier ist es keine Erleichterung, einen fiesen Mörder überführt zu haben; die Autorin präsentiert uns hier vielmehr ein menschliches Schicksal, für das wir Verständnis haben. Seltsamerweise haben wir deswegen am Ende mehr Sympathien für den Täter als für das Opfer.

Etwas unübersichtlich gestalten die zahlreichen finnischen (und daher für den deutschen Leser komplizierten) Namen das Lesen, denn es dauert eine Weile, bis man jedem Namen einen persönlichen Hintergrund zuordnen kann. Doch da im Grunde genommen jede auftauchende Person ihre Berechtigung in diesem Buch hat, gewöhnt man sich schließlich doch an die fremdländischen Namen. Störend empfand ich dagegen die Geschichte, die Leena Lehtolainen um Maria Kallios Kollegin Ursula rankt. Dieser Handlungsstrang bringt die eigentliche Erzählung nicht voran – ganz im Gegenteil, Ursulas Geschichte bremst sie eher noch aus. Leider finden Ursulas Ränkespielchen keinen echten Abschluss in diesem Kriminalroman und kommen mir deswegen etwas unnötig vor.

„Im schwarzen See“ wird wahrscheinlich nicht der Krimi des Jahres werden, dennoch hat die finnische Erfolgsautorin Lehtolainen wieder einmal einen spannenden und überaus interessanten Kriminalfall ihrer Kommissarin Maria Kallio vorgelegt, der seine Leser (besonders die weiblichen) sehr gut zu unterhalten weiß. Der Roman kommt psychologisch ausgefeilt daher und spielt mit den Sympathien der Leser, da wir am Ende mit dem Täter fühlen und nicht um das Opfer trauern. Bei Lehtolainen kauen wir nicht vor Spannung und Ungeduld unsere Fingernägel ab oder lassen nachts das Licht an, weil die Erzählung brutal und fesselnd ist, die Stärken dieser finnischen Kriminalreihe liegen vielmehr in der Figur der Maria Kallio und den glaubwürdigen Figurenzeichnungen; hier werden die persönlichen Schicksale ins Zentrum der Geschichte gerückt. Wer sich auf diese Erzählweise einlässt, wird mit diesem Roman sicherlich ein paar vergnügliche Lesestunden erleben.

Schreibe einen Kommentar