Bernard Cornwell – Der weiße Reiter (Uhtred 2)


Uhtreds Schattenkönigin und die Entscheidungsschlacht

Nordengland im 9. Jahrhundert: Die christlichen Sachsen versuchen ihr Land gegen die heidnischen Wikinger zu verteidigen. Um das Jahr 878 droht auch Wessex, das letzte der fünf angelsächsischen Königreiche, an die Fremden zu fallen. Die Dänen unter den Earls Guthrum und Ubba erobern Wessex – mit Ausnahme eines kleinen Sumpflandes an der Severn-See. Dort versteckt sich Alfred, König von Wessex, mit Familie und Anhängern.

Uhtred, bei den Dänen aufgewachsener Krieger in Alfreds Diensten, kennt die Stärke des feindlichen Heeres genau. Trotz der Übermacht der Dänen will Alfred ein letztes, entscheidendes Mal ins Feld ziehen. Die ungleichen Verbündeten sind sich einig: Eine Niederlage in dieser Schlacht würde den endgültigen Untergang besiegeln. (abgewandelte Verlagsinfo)

Der Autor

Der Brite Bernard Cornwell teilt seine schriftstellerische Tätigkeit auf. Einerseits verfasst er erfolgreiche historische Romane aus der Zeit der Napoleonischen Kriege, in deren Mittelpunkt ein gewisser Sharpe steht, der als eine James-Bond-Figur der Epoche an allen möglichen Brennpunkten auftaucht, so etwa in der Seeschlacht von Trafalgar, aus der Admiral Nelson sowohl als Sieger als auch Leiche hervorging.

Andererseits weiß Cornwell aber auch ziemlich gute Fantasy zu schreiben. Mit „Winterkönig“ begann er eine Trilogie über den legendären König Artus, die komplett bei Blanvalet vorliegt. Inzwischen hat er eine weitere Fantasy-Trilogie veröffentlicht.

Der Saxon-Zyklus (Uhtred-Zyklus)

1. The Last Kingdom, 2004 (dt. Das letzte Königreich, 2007)
2. The Pale Horseman, 2005 (dt. Der weiße Reiter, 2007)
3. The Lords of the North, 2006 (dt. Die Herren des Nordens, 2008)
4. Sword Song, 2007 (dt. Schwertgesang, 2008)
5. The Burning Land, 2009 (dt. Das brennende Land, 2010)
6. Death of Kings, 2011 (dt. Der sterbende König, 2012)
7. The Pagan Lord, 2013 (dt. Der Heidenfürst, 2014)
8. The Empty Throne, 2014 (dt. Der leere Thron, 2015)
9. Warriors of the Storm, 2015 (dt. Die dunklen Krieger, 2016)
10. The Flame Bearer, 2016 (dt. Der Flammenträger, 2017)
11. War of the Wolf, 2018 dt. Wolfskrieg, 2019[6]
12. Sword of Kings, 2019 dt. Das Königsschwert 2020
13. War Lord, 2020 dt. Der Herr der Schlacht 2021

Der Sprecher

Gerd Andresen war 2010 künstlerischer Sprecher und Moderator beim SWR-Rundfunk und Fernsehen (z. B. ARTE), Schauspieler und Kabarettist.

Regie führte Lisa Bitzer, für den Ton war Acoustic Media zuständig.

Handlung

König Alfred ist ein schlauer Fuchs. Er hat seine Spione überall und lässt alles aufschreiben. Um Uhtred an sich und die englische Kirche zu binden, bietet er ihm seine Patentochter Mildrith zur Frau an, und Uhtred geht darauf ein. Wenn er von ihrem riesigen Schuldenberg gewusst hätte, hätte er sicher die Finger von ihr gelassen. Doch sie ist schön genug, um sie zu begehren, und ihr Land nahe Exeter ist nicht zu verachten. Schade, dass sie dort einen Dieb namens Oswald als Verwalter hat.

Alfred schließt einen faulen Friedensvertrag mit den Dänen. Als Geisel überlässt er Guthrum und Ragnar, Uhtreds Ziehbruder, unter anderem auch Uhtred. Die Geiseln sitzen in der Festung Wareham fest und bangen Woche um Woche um ihr Leben. Wehe, wenn Ubba zurückkehrt…

Allein gegen Ubba

Uhtred gelingt es, mit Ragnars Hilfe den Dänen zu entkommen. Er schlägt sich zum Cynuit-Hügel am Severn durch, wo die Kämpen König Alfreds ausharren, belagert von Ubba. Doch im Alleingang wagt er ein gewagtes Manöver: Er will die Schiffe von Ubbas Dänen verbrennen. Es kommt im Schildwall zu einem Zweikampf auf Leben und Tod. Werden die Westsachsen ihm zu Hilfe eilen?

In Cornwall

Nach der Schlacht am Cynuit, in der er Ubba tötete, braucht Uhtred Silber, um seinen Stammsitz Bebbanburg zurückerobern zu können. Trotz des Friedens überschreitet er, als Däne verkleidet, mit einigen Westsachsen die Grenze zu Cornwalum, um dort Beute zu machen. Hier leben keine Sachsen, sondern ihre Vorgänger, die keltischen Britonen. Sie pflegen noch sehr seltsame Bräuche. Am Hof von König Peredur verliebt er sich in die Zweit- bzw. Schattenkönigin Iseult, die seherische Fähigkeiten besitzt – solange sie jungfräulich ist. Vielleicht weiß sie sogar, wo Peredur sein Silber versteckt hat.

Sieg und Todesurteil

Uhtreds Truppe soll die Burg eines Rivalen angreifen. Doch zu seiner Bestürzung erweist sich der Feind als – noch mehr Dänen! Da er mit seinen wenigen Männern und Peredurs Leuten unterlegen ist, verbündet er sich mit dem Seeräuber Swen vom Weißen Pferd und schlägt Peredur vernichtend. Er nimmt sich Königin Iseult und den Silberschatz, dessen Versteck sie ihm verrät. Doch Peredurs Priester Asser hat alles mitangesehen und bringt die schlimme Kunde direkt zu König Alfred. Der verurteilt Uhtred zum Tode…

Der Fall von Exeter

Während des Gottesurteils, einen Schwertkampf mit Graf Oddas Kämpen Steorpa, ergreifen die Dänen unter Guthrum ihre Chance und überrennen Exeter. Alfred, seine Familie und Uhtred mitsamt Gefährten stecken in der Stadt fest. Uhtred sieht in Alfred, den er in den rauchenden Ruinen findet, den einzigen Weg, um seinen Besitz Bebbanburg und seinen Titel als Adliger von Northumbrien zurückzubekommen. Deshalb befreit er ihn, seine Familie sowie die geschändete Nonne Hild und führt ihn ins Marschland der Flussmündung des Severn: Angleney. Keine Dänenarmee, die noch bei Trost ist, würde sich in den unwegsamen Sumpf wagen.

In den Marschen

Doch Uhtred gelingt es, die Flotte Swens vom Weißen Pferd, der sich mit Guthrum verbündet hat, zu zerstören und die Seeleute im Sumpf zu dezimieren. Unterdessen versucht Uhtreds Gefährtin Iseult ihre Heilkunst sowohl am König wie auch an dessen Sohn. Der Säugling droht am Sumpffieber zu sterben. Mit Blutmagie heilt Iseult den kleinen Edward. Doch Blutzauber fordert immer auch ein Opfer…

Vor der letzten Schlacht

Alfreds Sohn ist gerettet, Priester kommen und verbreiten die Nachricht von Alfreds Überleben. Der König lässt alle Kämpfer Englands nach Wessex rufen. Da Swen und Guthrum nur noch über ein dezimiertes Heer gebieten, muss und kann eine einzige Schlacht über Englands Zukunft entscheiden: um die Festung Aethendun. Doch der König hat nicht mit dem Verrat in den eigenen Reihen gerechnet…

Mein Eindruck

Anno 866 stehen die englischen Königreiche vor der Auslöschung, denn die Invasion der Dänen überrennt sie einfach. Letzte Bastion der – selbst 400 Jahre zuvor eingewanderten – Sachsen ist das Königreich Wessex, wo 871 Alfred widerrechtlich zum König gekrönt wird. Eigentlich müsste nämlich Aethelwold, Alfreds Neffe, den Königstitel erben, doch der ist ein Trunkenbold ohne Kampferfahrung.

Grenzgänger

Der Sachse Uhtred, vormals Osbert, wird zum Grenzgänger zwischen den beiden Kulturen, Völkern und ihren jeweiligen Armeen. Wider Erwarten prädestiniert ihn genau diese Vertrautheit mit den Dänen, bei denen er aufwuchs und zum Mann wurde, zu einer Funktion als Diplomat, Kämpfer und Berater, quasi ein mittelalterlicher Geheimagent in einer jeweils wechselnden Spezialtruppe. Die Sachsen halten den langmähnigen Heiden für einen dümmlichen Haudrauf und Werkzeug, die Dänen betrachten ihn als Verräter. Eines ist klar: Der Sieger wird Uhtreds Geschichte schreiben. Vorerst gibt es davon zwei Versionen: seine eigene und die seiner Feinde. Dumm nur, dass ihm seine Feinde immer zuvorkommen. Odda junior beansprucht den Sieg über Ubba für sich.

Religionskrieg

Aber die Invasion der Dänen bedeutet auch einen Krieg der Religionen. Da die Sachsen Christen sind und ihr König Alfred ein Superchrist, erscheinen ihnen solche ungetauften Typen wie Uhtred als seelenlose Monster. Alfreds mächtige Frau Aelswith graut vor Uhtred, und der Adelige Odda der Jüngere will Uhtred durch Intrigen ins Jenseits befördern. Daher sollte es nicht verwundern, wenn König Alfred den Krieger zu seinem Werkzeug machen will und ihn notfalls auch verrät, etwa als Geisel in der von Dänen besetzt gehaltenen Festung Wareham.

Warum nur will sich Uhtred nicht taufen lassen, fragen sich die Sachsen – und seine sächsische Frau Mildrith erst recht. Der Grund wird erst mit der Zeit, als sich die Figur entwickelt, deutlich: Es ist die christlich-sächsische Kirche, der er sich vollständig unterwerfen müsste. Die Kirche ist eine landesweite Organisation, die keineswegs als NGO oder non-profit auftritt: Sie lebt vom Zehnten (Mildrith ist hochverschuldet), Zinsen und natürlich jeder Menge frommer Spenden. Dass sie sich ein Stück Land nach dem anderen unter den Nagel reißt, widerspricht offenbar nicht ihrem menschenfreundlichen Auftrag. In einem Prozess erhebt der Bischof von Devonshire sogar Anspruch auf Uhtreds Land. Begründung: nicht entrichtete Schulden.

In der Roman-Serie kommen die Kirche und ihre Vertreter – einzige Ausnahme ist Pater Beocca – moralisch ganz schlecht weg. Aber politisch ist die Kirche ein Machtfaktor, der nicht zu vernachlässigen ist. Und die Dänen? Sie bringen keinen einzigen Priester mit, und nur ein als „sorcerer“ (Hexer) verunglimpfter Wahrsager namens Storri tritt auf, um Ubba zu beraten. Endstand des Krieges der Religionen: Eins zu null für die Christen..

Figuren

Es ist sehr zufriedenstellend zu verfolgen, wie sich alle Hauptfiguren weiterentwickeln. Der Grenzgänger Uhtred wird zunehmend zu einem Botschafter fremden Gedankenguts und Wissens – er darf sogar seine britonische Königin Iseult Heilhandlungen am Königskind vornehmen lassen. „Hat Gott in seiner unendlichen Weisheit nicht auch die Heiden erschaffen?“ fragt er Alfred. Wer würde sich schon über Gottes Weisheit stellen wollen?

Alfred entwickelt sich aus einem furchtsamen Theologen und Historiker – er lässt alles aufschreiben und den römischen Philosophen Boethius übersetzen – über die Zwischenstation eines magenkranken Zweiflers zu einem handelnden und entscheidenden Herrscher, der sich auch schon mal mit dem Blut seiner Feinde besudelt. Der Zyklus zeichnet diese erstaunliche Wandlung binnen sieben Jahren minutiös (871-878) nach.

Zu Uhtreds Freunden zählen die dänisch erzogene Sächsin Brida, der Sachse Leofric und der sächsische Pater Beocca. Brida bleibt, obwohl ursprünglich Sächsin, auf dänische Werte und Bräuche geeicht. Leofric, der sächsische Hauptmann, nimmt sogar dänische Kampftaktiken an – solange es seinem Sieg dient. Er ist der einzige, der Uhtred „Arschling“ nennen und zum Zweikampf auf Leben und Tod herausfordern darf. Er ist der kriegerische Mentor Uhtreds. Leider fällt er in der entscheidenden Schlacht und steht für weitere Abenteuer nicht mehr zur Verfügung.

Pater Beocca schließlich wird ein echter Kriegermönch. Der anfängliche Federfuchser in der Bebbanburg ist zeitlebens Uhtreds Mentor und Beschützer, nicht immer erfolgreich. Am Schluss aber wirft er Uhtred denjenigen Speer zu, mit dem der Held den grausamen Gegner niederstrecken wird. Frauenfiguren wie Hild, die ehemalige Nonne (ihr Name bedeutet „Kampf“), Mildrith und Iseult durchlaufen alle Wandlungen.

Der Sprecher

Die Lesung verfügt weder über mehrere Sprecher noch über Musik oder Geräusche. Dennoch gelingt es dem hervorragenden Sprecher Gerd Andresen, die Figuren zum Leben zu erwecken und folglich ihr Schicksal für den Hörer spannend zu machen. Graf Ragnar ist ein kerniger Wikinger, der mal wütend auftreten kann, mal fröhlich lacht. Pater Beorca ist, ähnlich König Alfred, ein sanftmütiger, leiser Redner, der den Hörer nötigt, ihm zuzuhören.

Aber auch verschlagene Typen wie Ivar der Knochenlose oder Weland können leise auftreten, aber das macht sie umso gefährlicher. Der Sprecher bemüht sich nicht um Exaltiertheit, wie etwa eine betont heisere Aussprache oder gar eine weiblich-hohe Tonlage. Ihm liegt eher das männliche Idiom, was am markigsten klingt, wenn Ragnar bei der Opferung seines Lieblingspferdes am Julfest (= Weihnachten) den Obergott Odin anruft. Er klingt laut und ungewöhnlich tief.

Befehle wie etwa „Schildwall!“ ertönen nahezu mit Stentorstimme, und was darauf häufig folgt, ist die Beschreibung eines Schlachtengetümmels. Mit frohlockender Stimme beschreibt der Sprecher die Freude Uhtreds, des Kriegers, am „Schwertgesang“. Nun, alles andere als Enthusiasmus würde der Hörer verdächtig finden, denn die Kampfszenen gehören zu den wichtigsten in der ganzen Geschichte, insbesondere im Finale.

Unterm Strich

Der Autor erzählt in diesem zweiten Roman der Uhtred-Reihe, wie es König Alfred gelang, die dänischen Invasoren schließlich zu stoppen und zurückzudrängen. Zahlreiche Szenen und Figuren aus dem Buch fehlen in der Verfilmung „The Last Kingdom Staffel 1“. Das Buch ist weitaus komplexer, figurenreicher und m.E. sogar spannender. In der TV-Verfilmung musste eben gespart und Zeit gewonnen werden. Aber Figuren wie Steorpa tauchen später wieder in anderer Funktion auf.

Action, Abenteuer, Liebe, Sex und Humor – alles wurde in das Drama integriert, in das Uhtred verwickelt wird. Er selbst wird zum Mann heranreifen, aber die Ironie am Lob, das ihm Pater Beocca spendet, ist bitter: Uhtred hat Iseult verloren und seinen Sohn, einen Säugling – alles im Dienst am König. Aber Uhtred weiß und sagt es Brida klipp und klar: „Uhtred Ragnarsson kann niemals Uhtred von Bebbanburg werden.“ Den ihm geraubten Stammsitz zurückzuerobern ist sein Ziel. Diesen Plan versucht er im nächsten Roman „Die Herren des Nordens“ umzusetzen.

Die Leistung des Autors

Bernard Cornwell gelingt es, durch Detailreichtum das versunkene Zeitalter zwischen dem Abzug der Römer (ca. 440) und der normannischen Invasion (1066), die ja beide dokumentiert sind, zum Leben zu erwecken, als sei er selbst dort gewesen und zurückgekehrt, um uns davon zu berichten. Viele Funde aus Ausgrabungen und Forschungen haben ihm sicherlich unzählige Indizien geliefert, wie das Leben damals ausgesehen haben könnte. Prof. JRR Tolkien lieferte ihm den sprachlichen Schlüssel, wie jeder Leser des „Herrn der Ringe“ bezeugen kann: Die Reiter von Rohan stammen genau aus jener Epoche, in der der junge Uhtred aufwuchs. Dann kamen die Wikinger und stellten alles auf den Kopf, bevor sie im Danelag siedelten, den von Alfred geduldeten Königreichen an der Ostküste.

Das Hörbuch

Obwohl dies lediglich eine Lesung ist und daher sowohl Geräusche als auch Musik fehlen, gelingt es dem Sprecher, die Geschichte spannend, anrührend und interessant zu gestalten. Ich habe die Lesung in nur einer Sitzung genossen, denn ich wollte unbedingt wissen, wie die Geschichte weitergeht. Zwar hat auch die Kürze von lediglich 414 Minuten verlockend gewirkt, aber die Hauptmotivation bezog ich aus dem gekonnten Vortrag des Sprechers. Dass der Text offenbar erheblich gekürzt wurde, störte mich nicht, eher im Gegenteil.

Der CD-Box ist ein Einleger beigefügt, der wichtige Informationen liefert: eine Landkarte des damaligen Britanniens und ein Verzeichnis der im Text benutzten Ortsnamen mitsamt ihren heutigen Entsprechungen. So taucht York hier als Eoferwic auf und London als Lundene, einem von sieben möglichen, historisch verwendeten Namen. Die „alten“ Namen stellen also eine Auswahl aus den Quellen dar. Welche Quellen dies waren, wird im Booklet angegeben.

Hörbuch: 414 Minuten auf 1 MP3-CD
Originaltitel: The Pale Horseman, 2006
Aus dem Englischen von Karolina Fell
ISBN-13: 9783958620100

www.Audiobuch.com

Der Autor vergibt: (5.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)