Francis Flagg – Die Köpfe von Apex (Gruselkabinett 131)

Action und Revolution: Auf der Welt der Vampirhirne

New York 1927: Justus Miles, ein verwegener Abenteurer, bewirbt sich auf eine Anzeige, in der jemand gesucht wird, der weder Tod noch Teufel fürchtet. Durch die Protektion eines ehemaligen Vorgesetzten aus seiner Zeit im ersten Weltkrieg, Harry „Rusty“ Ward, bekommt er die Stelle. Sein Dienstherr ist ein mysteriöser, alter Mann, der gelähmt zu sein scheint. Erst langsam dämmert es Justus Miles, auf was für ein Himmelfahrtskommando er sich eingelassen hat… (Verlagsinfo)

Der Autor

Francis Flagg (1898-1946) war das Pseudonym des US-Autors George Henry Weiss. Er schrieb zunächst für „Weird Tales“, bevor er sich der SF zuwandte und 1927 „The Machine Man of Ardathia“ in dem Magazin „Amazing Stories“ veröffentlichte. Im folgenden Jahrzehnt gelangen ihm rund 20 Pulp-Fiction-Texte, manchmal auch in Zusammenarbeit mit Forrest J. Ackerman, dem größten Sammler von SF- und Fantasy-Memorabilien überhaupt. In der posthum veröffentlichte Geschichte „The Night People“ (1947) nimmt ein entflohener Sträfling eine Droge und sein Geist entflieht auf einen anderen Planeten. Die „Encyclopedia of Science Fiction“ nennt Flagg einen vergleichsweise sorgfältig arbeitenden Autor.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Michael-Che Koch: Justus Miles
Thomas Balou Martin: Harry „Rusty“ Ward
Helmut Winkelmann: Solino
Horst Naumann: Zoro
Matthias Lühn: Spiro
Rolf Berg, Timmo Niesner, Jannik Endemann, Bodo Primus: Köpfe
Reinhilt Schneider: Ah-eeda

Regie führte Marc Gruppe, der auch das Drehbuch verfasste, und das Hörspiel mit Stephan Bosenius realisierte. Die Aufnahmen fand in den Titania Studios und den Planet Earth Studios statt. Die Illustration stammt von Ertugrul Edirne.

Handlung

Im Herbst 1927stehen die Zeichen schlecht für den Söldner Justus Miles: Er ist arbeitslos, denn alle Kriege haben aufgehört. Der Weltkriegsveteran antwortet auf eine Annonce und entdeckt an der angegebenen Adresse zu seiner Freude seinen alten Sergeant Harry „Rusty“ Ward. Der lässt ihn gleich vor und führt ihn zum Auftraggeber Mr. Solino. Solino sitzt in einem Rollstuhl, trägt einen Morgenmantel und eine Glatze, seine Augen findet Miles merkwürdig. Solino will eine Expedition ausrüsten und warnt Miles vor ihren gefahren. Rusty verbürgt sich für Miles und der wird auf der Stelle engagiert. Das Honorar mutet Miles fürstlich an: 300 Dollar – pro Monat!

Noch in der gleichen Nacht geht es los: Solino muss an Bord eines großen U-Bootes gefahren werden, das von nur einem Maschinisten gesteuert wird. Erstaunliche Technik, findet Miles, als das U-Boot taucht. Ein Kamerad weist Miles darauf hin, dass Solino und der ihm ähnelnde Maschinist wohl nur aus dem Kopf bestehen, der Rest sei Attrappe. Die Ankunft in der Tiefe, wo es einen Tunnel geben soll, ist von einer gewaltigen Kollision begleitet: Das U-Boot ist beschädigt, Solino und der Maschinist tot. Mit vereinten Kräften gelingt es Ward und Miles, das Schiff zu verlassen. Sie befinden sich in einem Hafen voller weiterer U-Boote. Zu sehen ist indes keine Menschenseele.

Nachdem sie Waffen und Proviant geholt haben, treten sie einen Fußmarsch in der Richtung eines grünen Lichtes an, das in einer ägyptisch anmutenden Säulenhalle leuchtet. An einer Wand steht das Standbild einer riesigen Sphinx. Ein riesiger Kristall daneben erweist sich als formbar und warm. Eine Tür führt hinein, wo ein Farbenspiel die Sinne verwirrt. Ein Blitz blendet die zwei Insassen – und schwupps, sind sie woanders. Als sie ins Freie treten, greift ein grünhäutiges Untier sie, doch mit ihren Revolvern vertreiben sie es. Es war seltsam menschenähnlich.

Sie treten durch ein Schott, das sie hinter sich verschließen, und treten in eine erleuchtete Halle. Da stehen rund 50 Köpfe in einer Reihe, und der älteste von ihnen fragt die Eindringlinge als erstes: „Wo ist Solino?“

Mein Eindruck

Die beiden Söldner sind auf einer anderen Welt gelandet, wo die Köpfe allein mit Gedankenkraft Dinge bewegen und über die Arbeiter herrschen. Die Arbeiter haben sich mit den grünhäutigen Ureinwohnern dieser Welt verbündet, um gegen ihre Herren aufzubegehren. Unglücklicherweise hat sich ein angelernter Sterblicher namens Spiro in die schöne Arbeiterfrau Ah-eeda verliebt und ist zur Gegenseite übergelaufen. Nun belagern die Aufständischen den Palast. Apex nennt sich die hiesige Lokalität. Um Hilfe zu holen, sollten Söldner wie Ward und Miles Solino und den Maschinisten holen. Aus der Verstärkung wird nun nichts, und das Ende ist nahe. Die Söldner sollen Solinos Waffen holen.

Auf die Frage nach dem Grund für den Aufstand tischt ihnen Zoro, der Sprecher, ein Märchen auf. Die Arbeiter hätten die Maschine angetrieben, die die Köpfe mit dem lebensnotwendigen Blut versorgt. Doch auf dem Weg zum U-Bott fallen die Söldner der Gegenseite in die Hände. Deren Anführer Spiro widerlegt das Märchen: Das Blut, mit dem die Köpfe versorgt werden, stammt nicht aus der Maschine, sondern direkt von den Arbeitern. Diese Art von Vampirismus billigen selbst so hartgesottene Kämpfer wie Ward und Miles nicht. Sie schließen sich dem Freiheitskampf an, der zum Teil auch Spiros Vergeltung für den Raub seines Körpers ist: Er ist selbst nur noch ein Kopf. Seine tage sind daher ebenfalls gezählt.

Ah-eeda hat die beiden Gefangenen freigelassen und ihnen die Flucht ermöglicht. Sie solle doch bitte zur Erde mitkommen. Sie muss sich zwischen Spiro und Miles entscheiden…

Proletarische Fabel

Wer sich nun an Fritz Langs Filmklassiker „Metropolis“ erinnert fühlt, liegt nicht verkehrt. Die da oben, wir da unten – und dazwischen Liebespaar, wie es unterschiedlicher nicht sein. Es ist die klassische Konstellation, die wie für eine Revolution gemacht ist. Interessant ist indes, dass die herrschende Klasse noch nicht oder nicht mehr durch kapitalistische Machenschaften regiert, sondern nur noch durch Gedankenkraft. Diese kraft lässt nun mit dem Ausbleiben des Gedankentreibstoffs nach.

Die Ausbeutung der arbeitenden Massen, des Proletariats, als Vampirismus auszumalen, ist schon recht krude. Für zwölfjährige Leser von Pulp-Fiction-Heftchen war diese Darstellung aber wohl gerade noch verständlich genug. Sie müssen sich sofort an „Dracula“ erinnert gefühlt haben. Der Langzahn aus Transsylvanien entspricht auf einer metaphorischen Ebene den Köpfen von Apex. Diese müssen aber ein schweres Nachschubproblem gehabt haben. Was passiert mit den ausgesaugten Arbeitern und woher bekommen sie Ersatz? Darüber verliert zumindest das Hörspiel keine Silbe.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Rollen sind holzschnittartig festgelegt, aber die beiden Hauptsprecher machen sich einen Riesenspaß daraus, Ward und Miles zum Leben zu erwecken. Das Duo besteht aus Veteranen, die schon durch dick und dünn gegangen sind und einander bedenkenlos vertrauen. Den Einklang merkt man den beiden Sprechern in jeder Zeil an, auf wenn diese Zeilen auf Apex nicht so wahnsinnig geistreich klingen mögen – die Pulp-Vorlage gibt einfach nicht mehr her.

Alle anderen Rollen gehören zu Nebenfiguren. Von diesen sind Zoro, Spiro und Ah-eeda noch die wichtigsten. Sie verblassen in ihren Auftritten gegenüber dem zentralen Duo, bringen aber wenigstens die Handlung weiter. Sehr gut gefiel mir der nuschelnde und lästernde „Kamerad“ an Bord des U-Bootes, der Solino und den Maschinisten als verkleidete Apex-Köpfe entlarvt. Leider ist er in der Sprecherliste gar nicht aufgeführt.

Geräusche

Die Kulisse der Geräusche hält sich doch recht in Grenzen. Immerhin sind drei Szenen auszumachen: New York City mit seinem Menschengewirr und dem Solino-Haus; das U-Boot mit seinen Maschinengeräuschen; und die diversen Schauplätze von Apex. Die Übergänge sind stets von Donnern und Krachen begleitet, angefangen von der Kollision des U-Bootes bis zum Kampf mit dem grünhäutigen Monster einer Riesenschlange.

Die Schauplätze erinnern an Abraham Merritts bevorzugtes Szenario, in dem ein neugieriger junger Mann tief unter der Erde oder an sonstigen entlegenen Orten auf ein vergessenes Volk stößt – hier sind es die Atlanter. Das sorgt for Exotik, Gefahr und Abenteuer. Die obligatorischen Schüsse dürfen ebenso wenig fehlen wie die Schöne in Not, die es zu erretten gilt.

Musik

Eine klassische Instrumentierung der musikalischen Untermalung erschien den Machern wohl zuviel Aufwand, deshalb verwendeten sie wie schon häufig zuvor die Klänge aus ihrer elektronischen Trickkiste. Die Bandbreite reicht von unheimlichen Klängen über metallische Geräusche bis zum friedlich-heiter klimpernden Piano, das den Ausklang bestreitet.

Das Booklet

…enthält im Innenteil lediglich Werbung für das Programm von Titania Medien: für das Gruselkabinett und die Sherlock-Holmes-Reihe. Auf der letzten Seite finden sich die Informationen, die ich oben aufgeführt habe, also über die Sprecher und die Macher. Die Titelillustration von Ertugrul Edirne fand ich passend und stimmungsvoll. Sie erinnert an „Indiana Jones 1“.

Ab Herbst 2017

Nr. 126: Lovecraft: Kalte Luft
Nr. 127: Poe: Der Fall Valdemar
Nr. 128: Charles Dickens: Der Streckenwärter
Nr. 129: Ulrichs: Manor
Nr. 130: Carolyn Wells: Der Wiedergänger
Nr. 131: Flagg: Die Köpfe von Apex

Ab Frühjahr 2018

Nr. 132/133: Sweeney Todd 1+2
Nr. 134: Willy Seidel: Das älteste Ding der Welt
Nr. 135: Amyas Northcote: Brickett Bottom
Nr. 136: H.G. Wells: Das Königreich der Ameisen
Nr. 137: Robert E. Howard: Aus finsterer Tiefe

Unterm Strich

Die Handlung erinnert zunächst an die Schatzsuche in Robert E. Howards actionreicher Pulp-Story „Das Feuer von Asshurbanipal“ (Gruselkabinett 77). Reichtum und Wohlstand winken den beiden Söldner- und Kriegsveteranen, versprochen von dem geheimnisvollen Mr. Solino. Und sicherlich haben die beiden Glückritter auch Hoffnung auf fette Beute in Apex. Doch sie geraten zwischen die Fronten eines Freiheitskampfes, wie er anfangs des 20. Jahrhunderts gerade in Mexiko ablief (Pancho Villa) – nicht ohne erhebliche Einmischung seitens der Vereinigten Staaten.

Inmitten all der Actionszenen, die in regelmäßigen Abständen für wohlfeile Unterhaltung sorgen, vergisst der Hörer leicht, dass es hier um einen Existenzkampf der Apexianer geht. Freiheit für die aufständischen Arbeiter und Ureinwohner im Austausch gegen das Aussterben der alte Rasse der Atlanter (oh ja, die Atlanter müssen für so manches herhalten). Unsere wackeren Amerikaner sind natürlich Befürworter der Freiheit und Gegner des unmoralischen Vampirismus, dessen sich die Apexianer schuldig machen. Der Hörer kann sich gut vorstellen, dass es solche braven Burschen durchaus auch mit den Schergen eines gewissen Herrn Hitler aufnehmen könnten.

Wer noch mehr über körperlose Gehirne erfahren möchte, dem sei Curt Siodmaks verfilmter Roman „Donovans Gehirn“ (siehe meinen Bericht) wärmstens empfohlen. Auch Stanislaw Lem und andere wussten trefflich die Nachteile einer Entkörperlichung darzulegen. Motto: Finger weg von Monsterhirnen!

Das Hörspiel

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen.

Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für gruselige Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der Hollywoodstars vermitteln das richtige Kino-Feeling. Für Sammler ist die Reihe inzwischen ein Leckerbissen.

Audio-CD
Spielzeit: über 62 Minuten
www.titania-medien.de

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