Chris Mooney – Secret (Lesung)

Moderne Kripo-Schutzhelfer: Batman, Maria und Hannibal Lecter

Als Emma Hale, eine junge Hardvard-Studentin und Millionenerbin, aus Boston verschwindet, fehlt monatelang jede Spur von ihr. Bis ihre Leiche im Charles River entdeckt wird. Nun ist die Studentin Judith Chen nach zwei Monaten des Verschwindens ebenfalls im Wasser gefunden worden. Die Bostoner Polizeipräsidentin weist der Erkennungsdienstlerin Darby McCormick (aus „Victim“) den Fall zu.

Sie und ihr Kollege Tim Bryson geraten schnell auf die Spur eines in Ungnade gefallenen FBI-Profilers. Was weiß er über die psychiatrischen Akten der beiden Mordopfer? Und welche Rolle spielt der schwerreiche und trauernde Vater von Emma Hale? Darby beginnt, Geheimnisse zu lüften, die besser unentdeckt geblieben wären. Da verschwindet schon wieder eine Studentin. Ihre Zeit wird knapp.

Der Autor

Chris Mooney, aufgewachsen in Lynn, Massachusetts, ist laut Verlag einer der erfolgreichsten neuen amerikanischen Thrillerautoren. Sein Debütroman „Victim“ sorgte in den USA für großes Aufsehen. Er lebt mit seiner Familie in Boston und hat mit „The Dead Room“ bereits den nächsten Roman um die Ermittlerin Darby McCormick veröffentlicht.

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[„Victim“
[„Victim“ (Hörbuch)
[„Missing“
[„Missing“ (Hörbuch)

Die Sprecherin

Mechthild Großmann wurde 1948 in Münster geboren. Ihre langjährige Zusammenarbeit mit dem Wuppertaler Tanztheater von Pina Bausch und ihre Rollen in R. W. Fassbinders „Berlin, Alexanderplatz“ und Caroline Links „Nirgendwo in Afrika“ machten sie international bekannt. Hierzulande kennt man sie zudem aus dem Westfalen-„Tatort“, wo sie die Staatsanwältin Wilhelmine Klemm spielt. (Verlagsinfo)

Im Eimsbütteler Tonstudio, Hamburg, führte Gabriele Kreis Regie.

Handlung

Darby McCormick hat die Narben und Wunden von ihrem letzten Fall (siehe „Victim“) inzwischen verkraftet, sieht sich jedoch Mitte Februar mit einem neuen Fall von Serienmorden konfrontiert. Die reiche Harvard-Studentin Emma Hale, Tochter des Immobilien-Tycoons Jonathan Hale, verschwand im vorigen Herbst, doch erst Monate später fand ihre Leiche angespült im eisigen Charles River. Was war in der Zwischenzeit mit ihr geschehen? Die Polizei hat in ihre edlen Designer-Kleider eingenäht eine kleine Marienstatue gefunden, die den Aufdruck „Unsere Dame der Schmerzen“ trägt. Emma selbst wurde durch einen Pistolenschuss in den Hinterkopf getötet, so als habe der Täter ihr nicht in die Augen sehen können, als er sie ins Jenseits schickte.

Darby wird von der Polizeipräsidentin Bostons beauftragt, ein zweites Ermittlerteam des Erkennungsdienstes zusammenzustellen und mit ihrem Kollegen Tim Bryson zu kooperieren, der bislang nichts zustande gebracht hat. Bryson, so hat Darby erfahren, hat durch Leukämie seine einzige Tochter verloren, und nun bekommt er es mit Jonathan Hale zu tun, der ebenfalls seine einzige Tochter verloren hat. Darby nimmt an, dass die beiden sich gut verstehen werden. Doch Hale ist bislang auf Konfrontationskurs gegangen und hat die Polizei – völlig zu Recht – der Unfähigkeit geziehen. Darby beschließt insgeheim, es besser als Bryson zu machen, auch wenn es diesem wehtut. Sie ahnt nicht, was sie damit in Gang setzt.

|Nr. 2|

Bryson meldet, dass im Hafenbecken die seit Dezember vermisste Studentin Judith Chen tot gefunden worden sei: Schuss in den Hinterkopf, Marienstatue im Hosenbund eingenäht, alles dasselbe Schema. Also ist der Serienmörder wieder auf der Jagd nach einem neuen Opfer.

Durch ihre Kombinationsgabe fällt Darby etwas Ungewöhnliches im Fall Emma Hale auf: Warum trug Emma ihr Platinmedaillon an einer Halskette, als man sie fand, aber nicht, als sie verschwand? Der einzige gültige Schluss: Ihr Entführer und Mörder muss in ihre Wohnung eingebrochen sein, um das Halskettchen zu stehlen. Nach Überwindung aller Barrieren schaut sich Darby Emmas Wohnung an, insbesondere den begehbaren Kleiderschrank, in dem sich die Schmuckschatullen der Millionenerbin befinden. Alles ist unverändert. Da geht das Licht aus.

|Mister X|

Im Dunkel tritt ein ungewöhnlich großer Mann auf Darby zu, die bereits mit ihrer Dienstpistole auf ihn zielt und den Notruf gewählt hat. Friedlich legt er seine Pistole ab und redet mit ihr. Er scheint sie ganz genau zu kennen, was sie verunsichert. Sie bemerkt nun, dass er ungewöhnlich bleich ist und seine Augen völlig schwarz sind, als hätte er keine Iris. Ein echt unheimlicher Typ, findet sie. Da hört sie die Sirenen der herbeigerufenen Streifenbeamten. In diesem Moment der Ablenkung verschwindet der Kerl durchs Fenster und über die Feuerleiter. In seiner zurückgelassenen Pistole findet sich panzerbrechende Munition, die auch kugelsichere Westen durchschlägt. Darby hat großes Glück gehabt.

Die Überwachungsvideos in dem Apartmenthaus Emma Hales geben nichts über den Kerl preis. Und die Ü-Videos von dem Einbrecher, der Emmas Medaillon klaute, hat Jonathan Hale. Bei einem erneuten Einbruch bei Hale verschwinden auch diese Aufnahmen, aber wenigstens kennt Bryson den großen Eindringling, der Darby begegnete. Es handelt sich um Malcolm Fletcher, einen ehemaligen Profiler des FBI, der in einem Serienmordfall in Saugus, Pennsylvania, mit Bryson zusammenarbeitete.

Als Darby und Bryson Hale besuchen, erfahren sie entsetzt, dass dieser private Ermittler und einen Publicity-süchtigen Pathologen, Ali Karim, eingeschaltet hat, weil er der Polizei misstraut. Und Ali Karim hat ihm einen Mann empfohlen, dessen Beschreibung genau auf Malcolm Fletcher passt. Na, prächtig, jetzt pfuschen ihnen auch noch die Privatschnüffler ins Handwerk, murrt Darby. Doch Fletcher erweist sich als hilfreich und schickt ihr ein paar Hinweise. So stößt sie auf ein geschlossenes Psychiatrie-Institut, das für den Abriss vorgesehen ist. In einer der Zellen, in denen Kriminelle untersucht wurden und eingesperrt waren, findet sie eine kleine Marienstatue – und das Foto einer jungen Frau, die hier vor 26 Jahren verschwand: Jennifer Sanders. Reicht die Mordserie etwa schon derart lange zurück?

|Nr. 3|

Hannah Givens hätte nie zu ihrem Entführer ins Auto steigen sollen, aber es herrschte Schneesturm in Boston und sie war froh über eine Mitfahrgelegenheit. Und schließlich ist er ja ein Kommilitone, oder? Allerdings befindet sie sich nun an einem unbekannten Ort in einer Art Gefängniszelle. Sie erinnert sich, wie er ihren Kopf auf das Armaturenbrett gestoßen und sie dann mit Chloroform betäubt hat. Sie mag ihn kaum ansehen, denn sein Gesicht ist von Brandwunden übersät und nur ein Auge sichtbar. Seine linke Hand ist zu einer Art Klaue verkrümmt. Kein Wunder, dass er sie selbst auch nicht ansehen mag.

Er beteuert, dass er sie liebe und sich um sie kümmern werde. Doch auf dem Fenstersims steht eine kleine Marienstatue. Die Mutter der Schmerzen hat die Arme ausgebreitet, als wolle sie Hannah Givens trösten …

Mein Eindruck

Religiös motivierte Serienmörder gibt es mittlerweile jede Menge, aber was in letzter Zeit zu uns herüberschwappt, sind Romane über katholisch inspirierte Serienmörder. Man sehe sich nur Joathan Hayes „Martyrium“ an oder auch Richard Montanaris Rosenkranz-Killer in [„Crucifix“. 2818 Offenbar haben die Amerikaner, insbesondere die neuenglischen Protestanten, ein Problem mit den Katholiken. Es ist ja auch einfach, ein paar Mysterien („Sakramente“) des Katholizimus herzunehmen und sie so zu verunstalten, dass sie wie antirationale, heidnische Rituale aussehen – je verzerrter, desto besser.

|Gottesmutter|

Diesmal ist die Jungfrau Maria, die Gottesmutter, an der Reihe, zu einer Phantasmagorie eines Geisteskranken umfunktioniert zu werden. Denn Walter Smith, Hannahs Entführer, ist eindeutig paranoid und schizophren. Er redet mit Maria, seiner Schutzheiligen, und sie hilft ihm sogar, perfide Pläne zu schmieden, um seinen Verfolgern zu entkommen. Wäre der arme Walter, der wegen seines verbrannten Gesichts nie eine Frau auf normale Weise bekommen könnte, ein zweiter Hannibal Lecter, dann einer, der einen direkten Draht zum Himmel hat. Wer sich mit ihm anlegt, muss schon eine Art Drachentöter sein.

|Der Henker|

Und der tritt denn auch auf. Allerdings ist es einer, der sich außerhalb des Gesetzes stellt und Walter der Selbstjustiz der rachsüchtigen Menschen ausliefert, hier also Emmas Hales Vater. Das ist gerade so, als wäre Hannibal Lecter in „Roter Drache“ von der Leine (man denke an die Verfilmung) gelassen worden, um den gesuchten Täter zu apportieren. Er spielt in diesem Szenario einen Henker, der wie weiland Pontius Pilatus seine Hände in Unschuld wäscht. Soll doch Hale die Drecksarbeit machen.

|Selbstjustiz|

Malcolm Fletcher bewegt sich zwar im Halbdunkel, ist aber moralisch um einige Grade besser als Lecter, besonders dann, wenn er Darby, seiner speziellen „Freundin“, ähnlich wie Lecter der Agentin Clarice Starling die wertvollen Hinweise gibt, die sie zum Ziel führen. Fletcher scheint kein Problem mit Selbstjustiz zu haben, Darby aber schon. Allein schon von Berufs wegen. Sie redet Hale sogar ins Gewissen, die Finger von Selbstjustiz zu lassen, aber natürlich ohne eine Wirkung zu erzielen.

|Weiß und Schwarz|

Na, wer Helfer wie diesen Batman-Verschnitt namens Malcom Fletcher hat, der braucht auf Ärger nicht lange zu warten. Deshalb treiben Darby und Fletcher Tim Bryson in die Enge, der unerwartet viel Dreck am Stecken hat. Wie in einem klassischen Superhelden-Comic stellt nicht Bryson den Bösewicht, sondern dieser den Polizisten.

In einer Umkehrung der moralischen Wertigkeit wird aus dem gerechten Verfolger Bryson ein Bösewicht, der durch einen fiesen Winkelzug dazu beitrug, dass vor 26 Jahren eine Krankenschwester starb und Walter Smith seinen mörderischen Beutezug beginnen konnte. Doch nichts ist schwarz oder weiß, und so wird auch Brysons Missetat durch seine Zwangslage, seiner krebskranken Tochter helfen zu wollen, als entschuldbar hingestellt. Das ist sie aber keineswegs, schließlich geht es um Unterschlagung von Beweismitteln.

|Kirche 2.0|

Die Handlungsfäden scheinen im Mittelteil weniger im Polizeirevier und den Labors zusammenzulaufen, sondern vielmehr in jenem romantisch verfallenen Sanatorium, das abwechselnd als Kirkland und Sinclair-Institut tituliert wird. Es ist ein malerisches Labyrinth mit einem Verhau von Verstecken, ideal für lichtscheue Gestalten wie Walter Smith. Der Erzähler erwähnt ausdrücklich den Film [„Creepers“ 3093 als Story, die hier ihren Schauplatz haben soll. Vielleicht ist wirklich David Morrells spannender Thriller gemeint.

Wichtiger ist jedoch, dass in diesem neogotischen Bau aus einem Schauerroman des 19. Jahrhunderts sich ein Ort befindet, der für den früheren Psychiatrie-Insassen Walter Smith von ganz zentraler Bedeutung ist: die Marienkapelle. Hier kann der Geisteskranke ungestört zu seiner Behüterin sprechen, und sie antwortet ihm sanft und liebevoll. Liebe, die er all sein Leben vermissen musste.

Dieser Ort der katholischen Heiligenverehrung macht das psychiatrische Sanatorium zu einer Kirche der Neuzeit, allerdings zu einem Zerrbild: Kirche 2.0. Eigentlich fehlen in diesem Szenario nur noch pädophile Priester, wie sie in den USA und Kanada bereits angeklagt worden sind. Der Papst musste sich für deren Taten entschuldigen. Walter Smith lässt sich als missratener Priester Marias betrachten, der das Zölibat missachtet und so zu einem Peiniger junger Frauen wird. Allenthalben stößt man in diesem Roman auf Katholikenphobie. Das macht ihn für mich zu einem minderwertigen Buch.

Die Sprecherin

Mechthild Großmann hat eine – für eine Frau – sehr tiefe Stimme, die allerdings ein wenig sanfter als die eines Mannes klingt. Die tiefe Stimme verleiht ihr die nötige Autorität, um Iris Böhm würdig vertreten zu können, die bislang auf harte Thriller abonniert gewesen ist (Karin Slaughter, Jiliane Hoffman und auch Mooneys „Victim“). Die Autorität ist deshalb notwendig, weil die Darstellungen doch ziemlich hart sind und man sie einem Weichei einfach nicht abnehmen würde.

Die männlichen Figuren stellt sie stimmlich also ohne Probleme dar, und ein wenig „australischer“ Akzent in der Sprechweise von Malcolm Fletcher hilft dem Hörer, ihn sofort erkennen zu können. Was an einem amerikanisch gerollten R allerdings australisch sein soll, müsste ich erst einmal vor Ort nachprüfen. Wer schenkt mir ein Ticket nach Sydney?

Weibliche Figuren fallen der Sprecherin erwartungsgemäß schwerer. Die Stimmlage für die Sätze von Darby ist nur unwesentlich höher als etwa bei Bryson. Aber es gibt einen Vorteil: Weibliche Figuren dürfen sehr viel emotionaler sein, und so schluchzen und jammern und klagen die Damen eine nach der anderen. Einzige Ausnahme: Darby McCormick.

Zwischen diesen beiden Welten steht der geisteskranke Walter Smith, der auf seine Freundin Maria hört. Er greint, fleht, jammert und nuschelt zum Steinerweichen – wahrlich eine arme Sau. Denn er ist dabei, das Einzige zu verlieren, was ihm etwas bedeutet: die Verbindung zu Maria. Die Kripo, von Darby angeleitet, hat ihm in der Marienkapelle eine Falle gestellt, und nun ist ihm auch dieser Ort verleidet und unzugänglich. Obendrein hat Maria hat auch noch einen besonderen Wunsch, sozusagen für Hannahs würdevollen Abgang. Doch wenn es drauf ankommt, erweist sich Walter als höchst fähiger Killer – genau wie der „Rote Drache“ bei Thomas Harris.

Unterm Strich

Wie man sieht, sind die Grundideen dieses Thrillers alle bereits sattsam bekannt und werden nun noch einmal neu arrangiert. Auch die zentrale Gestalt des zwielichtigen, heimlichen Helfers ist so neu nicht, wenn man sich mal den aktuellen Batman-Film „The Dark Knight“ anschaut. Mit dem Unterschied allerdings, dass Batman, dieser Kämpfer der Gerechtigkeit, niemals einen Fall von Selbstjustiz zulassen, sondern den Übeltäter stets der Polizei übergeben würde.

Was ich zunehmend schwerer goutierbar finde, ist der beobachtbare Katholizismus in den modernen Thrillern. Ist dies nur ein schicke Zutat der Autoren, um jene Zielgruppe anzuziehen, die auf Dan Browns Machwerke abfuhr?

Oder steckt eine neue, lukrativ ausbeutbare Phobie vor dem ganzen mystischen Zinnober der katholischen Ritualen und Mysterien dahinter? Vielleicht sollen ja auch Katholiken selbst einen neuen Kick daraus ziehen, dass ihre Gottesmutter einem Serienmörder als himmlische Lenkerin dient. Nichts ist zu pervers und verdreht, um es nicht doch zwischen zwei Buchdeckel pressen (oder im Internet veröffentlichen) zu können.

Das Hörbuch

Mechthild Großmann gestaltet den Dialog der zahlreichen Figuren lebendig und mit Emotion, allerdings hält sie sich in ihrer Rolle als Erzählerin auch entsprechend zurück. Emotion gibt es nur in den Dialogen, und in so mancher dramatischen Szene gibt es mehr als genug Emotionen. Ich fand, sie machte ihre Sache gut. Über sprachliche Seltsamkeiten wie Fletchers Akzent konnte ich nach einer Weile durchaus hinwegsehen bzw. hinweghören, was es wohl besser trifft.

CD: 317 Minuten auf 4 CDs
Originaltitel: The secret friend, 2008
Aus dem US-Englischen übersetzt von Michael Windgassen
ISBN-13: 978-3-89903-620-6

http://www.hoerbuch-hamburg.de

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