In einer an das viktorianische England angelehnten Welt wächst Robert Burrows auf, ein ganz normaler und unbedeutender Junge aus einer Arbeiterfamilie. Eigentlich soll Robert Werkzeugmacher werden wie sein Vater, aber das Schicksal meint es nicht gut mit ihm:
Die Arbeit mit dem Aether hat seine Mutter in einen Wechselbalg verwandelt und sie eines grausamen Todes sterben lassen. Dasselbe magische fünfte Element, das für den unglaublichen Aufstieg der englischen Industrie verantwortlich ist. Aether treibt die Maschinen der reichen Gilden an, gleichzeitig sind sie abhängig vom Aether. Andere Energiequellen können nicht an die Kraft und Flexibilität des Aethers heranreichen, den man in Bergwerken aus der Erde fördert. Darum vernachlässigt man die Erforschung alternativer Energiequellen.
Doch der Aether ist ein zweischneidiges Schwert: Immer wieder kommt es zu Unfällen, wer zu lange mit dem Aether arbeitet, wird krank und stirbt oder verwandelt sich gar in einen Wechselbalg, Troll oder Kartoffelmann. Während die reichen Gildenmeister ein Leben im Überfluss führen, riskieren rangniedere Gildenmitglieder ihre Gesundheit, gildenlose Menschen leben in Slums und stellen die unterste Schicht der Gesellschaft dar.
Robert Burrows will fort von der grausamen Industrie seiner Heimat und zieht nach London. Doch sein Traum von Freiheit vom Aether verwandelt sich in einen Alptraum. Hart arbeitend geht er zwielichtigen Beschäftigungen nach, hat nur wenige Freunde und nur seinen eisernen Willen als Kapital.
„Aether“ ist die Geschichte von Robert Burrows, der in den Rang eines Gildengroßmeisters aufsteigen und seine große Liebe finden wird. Sein Glück und Leid gleichermaßen verdankt er dem Aether …
Der in den Midlands um Birmingham aufgewachsene Ian R. MacLeod schreibt in seinem Roman „Aether / The Light Ages“ über sehr englische Themen. Die viktorianische Epoche und die Thematik erinnern an Charles Dickens, während seine Sozialkritik eher mit der eines China Miéville zu vergleichen ist. Allerdings ist MacLeod vornehmlich ein distanzierter Beobachter, der sich mit Wertungen oder Kritik viel mehr zurückhält als Miéville.
Seine Hauptfigur Robert Burrows ist Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Trotz des Fokus auf Robert behält MacLeod stets eine gewisse Distanz vom Geschehen, was es leicht macht, die Handlung kritisch zu reflektieren. Dabei kommen emotionale Momente nicht zu kurz. Wird der Tod der Mutter sehr nüchtern geschildert, ist die sich im zweiten Teil des Buches anbahnende Liebesgeschichte ergreifend. Dennoch werden einfühlsamere Szenen ebenso wie Schilderungen der sozialen Missstände durch diese Erzählweise ihrer Intensität beraubt. Die unkommentierte und oft langatmige Schilderung des quasi-viktorianischen Englands verliert schließlich ihren Reiz, das Buch beginnt stark und fällt dann drastisch ab, bis MacLeod endlich zur Sache kommt; er redet zu lange um den heißen Brei herum: die Aether-Problematik.
Aether erinnert bewusst an Uran; die Mutationen, die er auslöst, sind Folgen einer Verstrahlung. Trotzdem setzt man beharrlich auf den Aether – nicht einmal die Elektrizität hat man erfunden, per Aether ins unermessliche verstärkte Dampfmaschinen sind das Nonplusultra. Erst mit dem unerwarteten Erlöschen des Aethers, was eher an Erdöl denn Kernkraft erinnert, beginnt man mit der Suche nach alternativen Energiequellen.
„Aether“ gefällt mit vielen Bezügen zur Realität in einer verfremdeten und doch sehr bekannten viktorianischen Parallelwelt. Sprachlich ist MacLeod ein sehr visueller Schriftsteller, er lässt den Blick des Lesers of schweifen. Die Übersetzerin Barbara Slawig hat exzellente Arbeit geleistet, auch die Aufmachung und Qualität des Buchs können auf ganzer Linie überzeugen.
Bei so vielen brisanten und aktuellen Themen verwundert jedoch, wie distanziert MacLeod beobachtet. Auch wenn diese Sachlichkeit durchaus angenehm ist, fehlt einfach ein Standpunkt, der rechte Biss bisweilen. Der Wandel der Gesellschaft und der Aufstieg Roberts werden hier nicht aggressiv durch einen Klassenkampf erreicht, sondern sind die Folge des Versiegens des Aethers. Robert ist ein getriebener, passiver Charakter. So dümpelt die Story bisweilen dahin, denn die Faszination des quasi-viktorianischen Englands erlischt schnell; diese Epoche und ihre Probleme sind trotz aller moderner Bezüge dem Leser einfach zu bekannt.
Etwas mehr Dramatik, Pep und Biss anstelle der distanzierten Beobachterperspektive hätten dem Roman gut getan; trotz dieser Schwächen ist er jedoch ansprechend und intelligent. Gerade der Verzicht auf derbe Plastizität und vorgekaute Schlussfolgerungen oder Kommentare könnte die Lebensgeschichte Robert Burrows für viele Leser interessant machen.
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