Was tut man nicht alles aus jugendlichem Übermut? Jeder erinnert sich sicherlich an die eine oder andere peinliche Blamage, die er in jungen Jahren auf Grund seines Alters erlebt hat. Dumm nur, wenn die Schandtat auch im Erwachsenenalter noch Folgen hat. Eine solche Situation beschreibt Jennifer McMahon in ihrem Thriller „Die dunkle Stimme der Schuld“.
Henry und Tess haben sich auseinander gelebt. Ihre Ehe, die in der gemeinsamen Collegezeit ihren Ursprung hat, ist nicht mehr das, was sie einmal war. Beide kümmern sich nur noch um ihre eigenen Probleme, aber nicht mehr um sich. Und auch nicht richtig um ihre neunjährige Tochter Emma, die eine unsichtbare Freundin namens Danner hat und gemeinsam mit ihrer realen Freundin Mel versucht, die Eltern wieder zusammen zu bringen.
Eines Tages finden sie in Henrys Werkstatt Fotos und ein Tagebuch aus der Jugend von Emmas Eltern. Sie stellen fest, dass die beiden damals mit ein paar anderen in einer Gruppe namens „Die barmherzigen Demontisten“ waren. Sie glauben, dass sie die Eltern vielleicht dadurch wieder zusammen bringen können, dass sie ihre Collegefreunde per Post einladen.
Was die Beiden nicht wissen: Der Sommer der barmherzigen Demontisten endete tragisch. Die Zeit, die die fünf Mitglieder gemeinsam in einer abgelegenen Waldhütte verbrachten, war vor Allem durch die Reibereien zwischen den jungen Menschen geprägt. Ihre eigentliche Absicht war es, kreativ zu sein, doch die charismatische Anführerin Suz nahm ihren Wahlspruch „Um etwas zu verstehen, muss man es zerstören“ etwas zu ernst …
Henry und Tess dachten eigentlich, sie hätten mit den barmherzigen Demontisten damals ein für alle mal abgeschlossen. Doch als die Verwandte eines der damaligen Mitglieder sie anruft, um zu sagen, dass Spencer sich umgebracht hat, nachdem er eine Karte der barmherzigen Demontisten bekommen hat, bricht ihre Welt zusammen. Weiß jemand etwas von den Ereignissen vor knapp neun Jahren? Auf einmal geschehen merkwürdige Dinge …
„Die dunkle Stimme der Schuld“ beginnt ziemlich gemächlich. McMahon erzählt von den Eheproblemen von Tess und Henry und stellt Emma, eine altkluge, etwas merkwürdige Neunjährige, ausführlich vor. Ab und zu wirft sie Erinnerungen an die Jugendzeit von Tess und Henry dazwischen und man ahnt, dass es eine Tragödie gegeben hat. Wie die aussieht und wie sie sich letztendlich auf die Gegenwart nieder schlägt – dies erfährt man erst am Ende, doch dazwischen kommt definitiv keine Langeweile auf. Die Autorin versteht es, allmählich Spannung aufzubauen, indem sie stückweise Details aus der Vergangenheit offenbart. Zudem müssen sich die beiden Erwachsenen endlich mit den damaligen Ereignissen auseinandersetzen, was sehr schmerzhaft für sie ist, aber dafür sehr spannend für den Leser. Jener wird wenig Glück haben, wenn er versucht, die Handlung zu entwirren und die vorkommenden Personen nach Gut und Böse zu trennen. Dafür ist die Geschichte zu verworren – allerdings im positiven Sinne. Die Autorin führt die einzelnen Handlungsstränge am Ende so geschickt zusammen, dass keine Fragen offen bleiben und sich, nach überraschenden Wendungen, alles auflöst. Vorher muss sich der Leser jedoch immer wieder fragen, was er da jetzt in den Händen hält. Ist es tatsächlich ein Thriller oder könnte es auch eine Horrorgeschichte sein? Die Autorin spielt wahnsinnig geschickt mit diesen beiden Genres, ohne dass man als Fan des jeweils anderen über den Ausgang enttäuscht wäre.
Neben dieser überaus spannenden Handlung glänzt die Autorin auch in den anderen Bereichen. Die Personen sind überdurchschnittlich gut gezeichnet. Sie wirken authentisch, haben Ecken und Kanten und ziehen einen in den Bann. Besonders hervor zu heben sind dabei die jüngeren Charaktere. Emma, die Tochter von Henry und Tess, und ihre Freundin, die wissensdurstige Mel, lockern die Geschichte mit ihrer kindlichen Sicht auf. Hinzu kommt, dass beide sehr intelligente Kinder sind, die von den anderen als Außenseiter abgestempelt werden. Während Emma eher etwas verrückt wirkt, ist Mel bodenständig und versucht den Dingen auf den Grund zu gehen. Sie ist eine kleine Besserwisserin, deren Neugierde die Geschichte überhaupt erst in Gang bringt.
Die Erwachsenen verblassen gegenüber diesen zwei fast ein bisschen, doch auch sie wirken sehr real. Da das Buch aus wechselnden Perspektiven erzählt, gestaltet die Autorin die Abschnitte der Mädchen wesentlich „kindlicher“ als die der Erwachsenen. Dies ist eine Bereicherung für die Geschichte, die ansonsten flüssig und flott geschrieben ist. McMahon erzählt zwar immer wieder über das Gefühlsleben ihrer Protagonisten, sie hält sich dabei aber so knapp und präzise, dass es die Thrillerhandlung nicht stört.
Alles in allem ist „Die dunkle Stimme der Schuld“ ein unglaublich spannender Thriller. Die Handlung ist fesselnd, stellenweise auch verwirrend, doch nach der geschickten Auflösung bleiben keine Fragen offen. Dass zwei Kinder – und eins davon mit einer unsichtbaren Freundin – eine wichtige Rolle im Buch spielen, macht es nur zusätzlich interessanter.
|Originaltitel: Dismantled
Deutsch von Margarete Längsfeld und Sabine Maier-Längsfeld
509 Seiten, Taschenbuch
ISBN-13: 978-3499253164|
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