Einen Hohlbein kann man eigentlich (fast) immer lesen, ohne enttäuscht zu werden; und einige Bücher sind richtig spannend („Drachenfeuer“ oder „Spiegelzeit“ z.B.). Nicht dass wir besonders raffinierte oder gar innovative Genre-Stückchen vor uns hätten, aber der „deutsche Stephen King“ kann routiniert und flüssig schreiben, so wie halt King oder Koontz auch. Seine schlechtesten Bücher sind nicht schlechter als deren schlechteste Bücher, seine besten können manchmal gar (fast) mithalten und toppen die Durchschnittsware der Amerikaner, auch die gehobene. Wenn ich für diesen Band dennoch keinen Tipp ausspreche, so hat das drei Gründe, der erste ist bereits genannt: Routine, Handwerk, vom Hocker reißt nichts wirklich, vieles ist vorhersehbar. Der zweite und dritte haben zu tun mit der Verlagspolitik (kaum vorstellbar allerdings, dass Hohlbein keinen Einfluss darauf hat, er ist immerhin Hohlbein).
Hier wird nämlich – zweiter Grund – Irreführung betrieben. Das beginnt beim Untertitel „Fantasy-Stories“; davon enthält der Band eigentlich nur eine waschechte. Der Rest entstammt SF, Horror und dem, was man mitunter „Phantastik“ nennt (weil es weder Horror noch SF usw. ist). Ausschließlich auf Fantasy fixierte Leser (die gibt es!) dürften hier also weitgehend enttäuscht werden. Doch die Täuschung geht noch weiter; man ist gut beraten, sich vor Kauf das Inhaltsverzeichnis anzusehen: Drei der Geschichten, ein knappes Drittel des Textes, stammen gar nicht von Hohlbein, er hat nur die Vorworte geschrieben – und dann ist es vermessen zu titeln „Wohlgang Hohlbein und andere“, „Wolfgang Hohlbein und Dieter Winkler“ etc.
Dritter Grund: Piper recycelt kräftig. Ja, Hohlbein soll künftig stärker in den Verlag eingebunden werden – mindestens mit einer neuen Staffel ENWOR-Romane, die ab 2004 erscheinen wird. Und es ist nur verständlich, dass man möglichst viele Bücher eines unbestrittenen Erfolgsautors herausbringen will. Doch der potenzielle Käufer sollte seine WH-Sammlung durchsehen – falls diese Hohlbeins Fantasy-Selections der Jahre 1999 bis 2001 enthält (erschienen bei Weitbrecht Verlag in K. Thienemanns Verlag), dann besitzt er knapp 180 der 270 Seiten schon. Und von den restlichen 90 Seiten stammen nur 25 von Hohlbein. Anders gesagt: Der Band enthält nur eine (!) bisher nicht veröffentlichte Geschichte des Meisters … und diese, „Das Relief“, ist eine zugegeben schnell und sicher erzählte Horrorstory, aber nichts wirklich Neues. Harvard-Studenten suchen sich für einen Schabernack einen Friedhof aus, aber am Ende sind nicht die anvisierten Kommilitonen die Leidtragenden. Durchschnitt – lieber wieder einmal „Pickman’s Modell“ von Lovecraft lesen (dessen Grundidee hier variiert wird, doch auf nicht unbedingt überzeugende Art und Weise).
Alles Wesentliche zum Band wäre hiermit eigentlich gesagt; für Neugierigere folgt nun die Besprechung der Einzeltexte im Schnelldurchlauf:
„Das Vermächtnis der Feuervögel“, die Titel- und längste Geschichte, bringt einen Drehbuchautor, dessen Agenten und ihre beiden Freundinnen in das übliche alte, fast ruinierte Herrenhaus, dessen letzter Besitzer ein Vogelnarr war. Er vermachte die Immobilie denn auch seinen gefiederten Freunden, und man darf weder das Haus renovieren, noch die Vögel vertreiben, noch die Zimmer bewohnen, in denen sie nisten. Durchschaubar spätestens ab Seite 28, Ende inklusive. Horror Kingscher Machart, Dutzende Male gelesen.
„In Namen der Menschlichkeit“ gehört in die Rubrik „SF“, Unterabteilung „Alternative Geschichte“, Regal „häufig gebrauchte Grundideen“: Das Römische Imperium ist 1500 n. Chr. eine Weltmacht, die im Kampf mit dem Toltekenreich liegt – weltkriegsartige Zustände, Millionen Tote usw. Die Römer schicken eine Zeitkapsel mit 4 Mann und 2 Bomben in die Vergangenheit, um das Problem zu lösen, bevor es entsteht. Die Tolteken torpedieren das Unternehmen (im wahrsten Wortsinn); die Legionäre stranden irgendwo, irgendwann. Auf der ersten Seite fällt der Familienname der Hauptfigur: Cyrene, was beim leidlich bibelfesten Leser einen Verdacht weckt; drei Seiten später verdichtet der volle Name Simon Cyrene diesen zur Gewissheit (na? wer hat die passende Bibelstelle parat oder wenigstens die entsprechende Szene aus „Leben des Brian“??). Zum Glück gibt es immer weniger bibelfeste Leser, der immer größere Rest wird daher etwas später (vielleicht) überrascht. – Nee, ich muss hier mal die Katze aus dem Sack lassen: Natürlich ist der Ort der Handlung Jerusalem, die Zeit kurz vor dem Passahfest 33 n. Chr., und gewiss haben wir hier wieder einmal eine Jesus-Geschichte zu lesen. Originell daran sind Hohlbeins Entwurf der Ideologie des Römischen Imperiums – die Symbole Christi: Schwert und Lasergewehr -, die Idee der Gegner – Tolteken unter dem Banner Quetzalcoatls – und sein alternativer Geschichtsverlauf: Das Volk widersetzt sich der Kreuzigung, rebelliert, metzelt Römer, das Imperium wandelt sich, die Apostel werden Kaiser und Könige … Klar kommt es am Ende zu unserer Geschichte, doch wie, ist wieder schwach: Cyrene überlegt sich, wie viele Kriege im Namen Christi geführt werden und wie viele Menschen sterben – und gibt Judas Ischarioth dreißig Silberlinge. Eine fragwürdige Entscheidung, denn Cyrene macht einen ganz intelligenten Eindruck und müsste sich auch fragen, ob es ohne den Namen Christi wirklich weniger Kriege und weniger Tote wären. Ich behaupte mal: Nein. Wir hätten auch ohne die Religion einen Grund gefunden, das fortschrittliche Arabien zu überfallen oder die Indianer niederzumetzeln. Außerdem: Warum sollten die Leute nicht auch gegen die Kreuzigung rebellieren? – Schade, aus der Geschichte hätte sich mehr machen lassen; so jedoch weckt sie die meisten Erwartungen und enttäuscht daher am meisten.
„Das zweite Gesicht“ ist SF, verbunden mit Horror-Elementen, soll vor dem Missbrauch der Medizin warnen und die Frage stellen, ob wir alles dürfen, was wir können. Aber abgesehen davon, dass die Geschichte am Ende eigentümlich unentschieden bleibt, was diese Frage betrifft – sie geht auch unentschieden aus, ist in Teilen vorhersehbar und hat kein überzeugendes Ende.
„Im Schatten der Sonne“ wurde im Internet als Fortsetzungsgeschichte von 14 AutorInnen geschrieben. Macht pro Frau/Mann gut 1 Seite. Das merkt man. Nicht einmal C. L. Moore, Abraham Merritt, Robert E. Howard, Frank Belknap Long und Howard Phillips Lovecraft bekamen 1935 unter dem Titel „The Challenge from Beyond“ eine mehr als nur durchschnittliche Story zusammen (wobei Howards Schluss mit seiner ironischen Howard-Parodie wenigstens ein echter Brüller ist). Doch dieser 14-Mensch-Eintopf hier bleibt fade, verdorben im Sinne des Sprichworts von den vielen Köchen und enthält alles Mögliche, nur nix Nahrhaftes.
„Malicia“ aus der Feder Dieter Winklers, die allererste und bisher nicht veröffentlichte ENWOR-Geschichte, ist dann endlich einmal richtige Fantasy, gewürzt mit Horror-Elementen. Sie kann Howards „Conan“-Geschichten durchaus das Wasser reichen. In den Augen mancher Leser mag das freilich kein Kompliment sein, doch ich habe eine leise Schwäche für den Cymmerier, sofern er von Howard selbst zum Leben erweckt wird, bekenne mich fröhlich dazu und zu dieser Geschichte und empfehle den Puristen, es doch besser zu machen, wenn es so einfach ist, „Trivialliteratur“ zu schreiben. Eine akzeptable, spannende Story, die beste des Bandes – nur eben nicht von Hohlbein.
Esmee Weisleders „Engel laufen nicht!“ beschließt das Buch und ist laut WH die Siegergeschichte eines Schreibwettbewerbs des Hohlbein-Internet-Fanclubs. „Die Anzahl der Storys … war überwältigend, und die Qualität übertraf meine kühnsten Erwartungen (in jeder Hinsicht)“ schreibt der Meister doppelbödig. Je nun. Die Geschichte ist nicht schlecht, dennoch: Wenn sie die beste war, überbietet die Qualität der anderen die Erwartungen nur in einer Hinsicht, nach unten nämlich. Immerhin: konsequent komponiert, straff erzählt, die Hauptfigur lebendig gezeichnet, der Schluss in seinen Grundzügen erahnbar, aber gut ausgestaltet – eine Story auf besserem Fanzine-Niveau. Nicht mehr, nicht weniger.
Fazit dieser langen Rezension? Ein Buch mit wenigen Höhen und etlichen Tiefen, das mehr verspricht, als es hält; für Hohlbein- und/oder ENWOR-Freaks ein Muss, für alle anderen Leser eher fraglich. Nicht allzu enttäuschend freilich, aber das nimmt nicht Wunder – man erwartete ja auch nicht allzu viel …
© 2004 by _Peter Schünemann_
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