Gemmell, David – Sturmreiter (Rigante 4)

Mit „Sturmreiter“ beendet David Gemmell (1948-2006) seinen Zyklus um das keltische Volk der Riganten. Zivilisationskritik und der Kampf um die Bewahrung der Naturkultur der Keltoi-Stämme standen im Mittelpunkt der ersten beiden Bände „Die Steinerne Armee“ und „Die Nacht des Falken“, die in einer an die spätrömische Zeit angelehnten Welt spielten. Der Rigante-Zyklus zeichnet sich besonders durch diesen ungewöhnlichen Mix aus historischem Roman, Heroic Fantasy und aktuellen Themen aus.

„Rabenherz“ und „Sturmreiter“ spielen 800 Jahre später in einer Zeit, in der die Siege der legendären Könige Connavar und Bane nur noch Legenden sind. Die Riganten wurden zu den einschlägig bekannten Highlandern, geschlagen und unterdrückt von den Varliern, ihrer Kultur weitgehend beraubt. In diesem bereits spätmittelalterlichen Szenario gibt es schon Pistolen und Musketen.

Während Kaelin Ring den Aufstand der Schwarzriganten gegen den grausamen Landlord Moidart anführt, einen kalten und gefährlichen Mann, der die Riganten abgrundtief hasst, entdeckt der „Erlöser“-Ritter Winter-Kay bei einem Überfall auf ein Dorf vermeintlicher Ketzer ein uraltes Artefakt: den Schädel eines toten Seidh-Gottes (angelehnt an die „Sidhe“ des inselkeltischen Sagenkreises) der Rigante. Dieser dunkle Gott bemächtigt sich des ehrgeizigen Winter-Kay und verstärkt dessen Ehrgeiz.

Bald ist Winter-Kay zu Lord Winterbourne geworden, Vertrauter des Königs und Anführer der Erlöser-Ritter. Er nutzt geschickt den Bürgerkrieg zwischen den Royalisten und Anhängern der Republik für seine eigenen Zwecke aus und hegt auffälliges Interesse an den im Norden lebenden Riganten. Bald fällt sein Blick auch auf Gaise Macon, den ungeliebten „Sohn“ des Moidart. Ungeliebt, da der Moidart nicht weiß, ob er sein Sohn ist oder der seines verhassten Rivalen Lanovar, dem letzten großen Rigante-Führer, der ein Verhältnis mit seiner Frau hatte. Gaise hat ein grünes und ein goldbraunes Auge – wie Lanovar, die Großmutter des Moidart oder auch der legendäre König Connavar …

In den Wirren des Bürgerkriegs kämpfen der Moidart und Gaise für den König, der immer mehr unter den Einfluss Winter-Kays gerät. Bald müssen die Riganten unter Kaelin Ring, der Moidart und sein entfremdeter Sohn Gaise sich widerwillig verbünden gegen den neuen und übermächtigen Feind. Der dunkle Gott in Winter-Kay will sich der verbliebenen Magie der Rigante bemächtigen, sie vernichten und damit das Schicksal der Welt besiegeln.

_Wenn man zu dem werden muss, was man am meisten hasst_

Gaise Macon, der „Sturmreiter“, stellt in gewisser Weise das Negativ Banes in „Die Nacht des Falken“ dar. Während Bane der verhasste Sohn des großen und geehrten Königs Connavar war, der stets versuchte, seinem Vater nachzueifern, nie anerkannt wurde, bis seine Liebe in Hass umschlug, ist bei Gaise das Gegenteil der Fall. Sein Vater ist der von allen gehasste, grausame Landlord, und Gaise versucht ein guter Mensch zu sein, niemals so zu werden wie der böse Moidart.

Im Krieg lernt Gaise, dass in ihm wie in jedem Menschen der Keim des Bösen steckt. Oft muss er grausame Entscheidungen in der Art des Moidart treffen, um größeres Übel zu vermeiden. Diese Erkenntnis droht ihn zu zerbrechen; zur Verzweiflung seines Vertrauten und ehemaligen Lehrers Mulgrave wird Gaise fast genauso hart und gnadenlos wie der Moidart. Dieser hingegen wird zur Symbolfigur des Widerstands gegen Winter-Kay, geachtet von allen, sogar den Riganten. So endet „Sturmreiter“ auch mit folgendem höchst ironischen Satz: „‚Erzähl uns vom Moidart‘, bat ein Mann. ‚Sie sagen, er ist ein Heiliger.'“

Gemmell verwischt hier die so vermeintlich klaren Fronten der Schwarzweißmalerei. Die Umstände diktieren das Verhalten seiner Helden. So kann ein böser Charakter wie der Kopfjäger Huntsekker auch seine guten Seiten haben, tapfer und selbstlos sein. Ja, sogar der Moidart kann zum Helden werden, während Gaise für das Wohl aller kämpft und dabei Gräuel begeht – und oft sogar geradezu begehen muss, was ihm das Herz bricht. Ihm, der alles sein wollte, nur nicht wie sein Vater.

Die Besessenheit Winter-Kays, dessen Name an den stets missgünstigen Kaye/Keie der Artussagen angelehnt ist, erinnert an frühere Werke Gemmells wie „Der dunkle Prinz“. Die übernatürlichen Fähigkeiten, die er seinen Rittern verleiht, und die Verbindung zur „Quelle“ findet man bereits in früheren Bänden des Rigante-Zyklus wie „Die Nacht des Falken“ aber auch in seiner Drenai-Saga. Die Tragik Winter-Kays und seiner Ritter ist ihr hehrer Anspruch, die fanatischen Eiferer werden ihre eigenen Ideale aus dem Blick verlieren.

Faszinierend ist, wie Gemmell seinen Nebenfiguren Leben einhaucht und sie weiterentwickelt. Neben der Wandlung des bereits erwähnten Huntsekker werden auch Figuren aus früheren Rigante-Romanen auftauchen. Um Kaelin Ring und Gaise Macon werden sich die Nachfahren der Generäle und Vertrauten Connavars scharen, die Highlander besinnen sich ihrer Wurzeln und der alte Geist der Keltoi lebt noch einmal auf.

_Fantasyliteratur mit kritischer Botschaft_

Gemmell zerschlägt das starre Gut-Böse-Schema der Fantasyliteratur und zeigt die Dualität des Menschen auf – Gut und Böse liegen oft ununterscheidbar nahe beieinander. An Kämpfen, unglücklicher Liebe und Heldentum mangelt es nicht, Gemmell nimmt jedoch bewusst die Kehrseite der Medaille unter die Lupe und zeigt, wie aus Engeln Teufel werden – und umgekehrt. Der nachdenklich machende Epilog zeigt parabelhaft sehr deutlich die starke Zivilisationskritik Gemmells. Die naturverbundene Lebenweise und Mystik der Rigante-Highlander/Keltoi wird zwar romantisiert, dennoch ist Gemmell sehr überzeugend, wenn er darlegt, wie unsere moderne Zivilisation die Eigenschaften verstärkt, die uns selbst und unserer Umwelt schaden.

Die Übersetzung ist wieder einmal von Gemmells deutscher Stimme, Irmhild Seeland, was für ihre Qualität spricht. „Sturmreiter“ ist ein würdiges und tief schürfendes Finale für den Rigante-Zyklus, der zweifellos einen der Höhepunkte von Gemmells Werk darstellt. Freunden anspruchsvoller Fantasy im historischen Gewand kann ich ihn nur empfehlen.

„Sturmreiter“ erscheint nur in broschierter Form und ist im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht als Band der gebundenen Reihe „Bibliothek der Phantastischen Literatur“ erhältlich.

_Der Rigante-Zyklus im Überblick_

Band 1: [„Die Steinerne Armee“ 522
Band 2: [„Die Nacht des Falken“ 169
Band 3: [„Rabenherz“ 498
Band 4: [„Sturmreiter“ 2961

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