Terry Carr (Hrsg.) – The Others (Anthologie)

Classic Science Fantasy: Die superschnellen Teufel sind unter uns

SIE sind bereits unter uns! Das Problem besteht zunächst darin, SIE überhaupt zu erkennen. Denn die meisten sehen aus wie WIR. Doch was wollen SIE? In dieser Anthologie sind sieben Phantastik-Erzählungen amerikanischer und englischer AutorInnen, die zwischen 1941 und 1969 veröffentlicht wurden, vereinigt:
– die Story „Roog“ von Philip K. Dick;
– die Story „They“ von Altmeister Heinlein;
– die Story „The Six Fingers of Time“ von Spaßvogel R.A. Lafferty;
– die Novelle „Be My Guest“ von Damon Knight, selbst ein fleißiger Herausgeber;
– die Story “ Shipshape Home“ (wörtlich: sehr aufgeräumtes Zuhause) von Richard Matheson („I Am Legend“, „The Incredible Shrinking Man“ u.a.);
– die Story „Eight O’Clock in the Morning“ von Ray Nelson (ein Nobody);
– sowie die berühmte Kurzgeschichte „The Blue Lenses“ von Daphne du Maurier, der Autorin von „Rebecca“ und „Wenn die Gondeln Trauer tragen“.

Der Herausgeber

Der US-amerikanische Autor und Anthologist Terry Carr (1937-1987) gab bereits Anfang der 1950er Jahre Fanzines heraus und schrieb Artikel. Unter dem Einfluss der Beatniks versuchte er sich als Autor im Mainstream, allerdings erfolglos. 1961 zog er nach New York City um und ging ins Verlagswesen, wo er Lektor und Literaturagent wurde.

Zusammen mit Donald W. Wollheim, der später den DAW-Verlag gründete, initiierte er 1965 die Reihe „World’s Best SF“ und ab 1971 die Anthologiereihe „Universe“, die nur Erstveröffentlichungen brachte. Nach mehreren Roman-Kooperationen erschien 1978 sein erster SF-Alleingang mit dem Roman „Cirque“, der deutsch bei Heyne erschien. Carr veröffentlichte über 50 Anthologien, wofür er 1987 posthum mit dem HUGO Award als bester Herausgeber geehrt wurde.

DIE ERZÄHLUNGEN

1) Philip K. Dick: Roog (1952)

Boris ist ein braver Wachhund, der das Heim der Cardossis zuverlässig bewacht. Aber auch er hat keine Chance, als die Roogs kommen. Die schnappen sich eines Nachts einfach die „Opfergaben“, die die Menschen in einer Tonne vor der Haustüre abstellen. Und Boris heben sie sich fürs nächste Mal auf…

Mein Eindruck

Die Aliens als Müllmänner? Warum nicht! – Stellen wir uns mal die Story im Kontext des Kalten Krieges vor: Was, wenn die bösen Sowjets es „nur“ auf amerikanischen Müll abgesehen hätten statt auf amerikanische Töchter? Lächerlich genug? – Oder wenn die Alien-Armada käme, um die Menschen um ihren Müll zu erleichtern. Willkommen genug? Aber wir befänden uns dann in der Lage des machtlosen Wachhundes Boris. Und diese Vorstellung ist wohl nicht so angenehm.

2) Daphne du Maurier: The Blue Lenses (1959)

Marda West hat eine Augenoperation hinter sich. Die seit zehn Jahren verheiratete, aber kinderlose Frau weiß nicht, was sie sehen wird, wenn der Verband endlich entfernt wird – oder was sie sehen wird. Sie ist sehr nervös und muss ständig beruhigt werden. Ihr Gatte Jim ist nicht gerade eine Hilfe, denn er ist schwer beschäftigt, das zu Geld zu verdienen, mit dem die erstklassigen Ärzte in der Londoner Harley Street entlohnt werden wollen.

Bei Tag wird Marda von Schwester Brand umsorgt, bei Nacht von der etwas seltsamen Schwester Ansel. Gatte Randolph lässt sich erweichen, dass Schwester Ansel auch nach der Entlassung aus der Klinik Marda betreuen darf. Wenigstens eine Woche, OK?

Nach der behutsamen Entfernung des Verbands entdeckt Marda ihre kleine Welt. Alle Objekte erscheinen normal, doch die Lebewesen keineswegs: Schwester Brand trägt den Kopf einer Kuh, und es gibt überall Wiesel, Eber und anderes Getier. Was soll die Maskerade, verlangt Marda zu wissen. Doch die Schwesternschaft hält dies für einen schlechten Scherz und lässt Marda in Ungnade fallen. Schwester Ansel trägt einen Schlangenkopf.

Da kommt Marda ein schrecklicher Gedanke: Was, wenn sie selbst…?! Sie eilt zum nächsten Spiegel und schaut hinein: Ist sie noch ein Mensch?

Mein Eindruck

In dieser raffiniert erzählten Geschichte gerät eine kinderlose Frau an den Rand des Nervenzusammenbruchs, und zwar aufgrund einer technologischen Neuerung. Solche Innovationen widerfahren uns ja laufend, und deshalb können sich Leser gut in ihre Lage hineinversetzen. Das gruselige an ihrer „falschen Welt“ besteht vor allem darin, dass ihre neuen Mitmenschen fast alle eine bedrohliche Tierspezies verkörpern: eine Schlange, einen Affen, Wiesel, Eber und vieles mehr. Der größte Schocker ist indes die Gestalt, die ihr werter Gatte angenommen hat: er trägt den Kopf eines Geiers. Marda bekommt es nun richtig mit der Angst zu tun. Und sie ist berechtigt: Ihr Gatte will Zugriff auf ihr Privatvermögen, das in einem Treuhandfonds angelegt ist.

Es liegt auf der Hand, dass diese äußeren Erscheinungsformen mit den Einschätzungen ihres innersten Unbewussten korrespondieren müssen: innen ist außen. Die Frage ist allerdings, was passiert, sobald die provisorischen blauen Linsen durch richtige Glaslinsen ersetzt werden, die ein Vierfarbbild ins Sehzentrum durchlassen. Als das passiert, scheint alles wieder in ordnung zu sein – mit Ausnahme von Marda selbst…

3) Richard Matheson: Shipshape Home (1955)

Rick, der Ich-Erzähler, ist ein hart arbeitender Autor, und seine Frau Ruth nimmt ihm die Arbeiten des Haushalts ab. Daher ist sie es, die den Hausmeister dieses Apartmenthauses als erste kennenlernt. „Er ist echt gruselig“, meint sie. Rick beruhigt sie. Sie beide können froh sein, diese Mietwohnung für einen lächerlich niedrigen Preis ergattert zu haben. Und ihre Nachbarn sind auch okay.

„Er hat ein Auge am Hinterkopf“, erzählt Ruth wenig später. Das findet Rick schon etwas kurioser, und er beginnt, sich Sorgen um Ruth zu machen. Schließlich ist sie eine eifrige Leserin von SF-Magazinen. „Ich bin ihm heimlich in den Keller gefolgt“, fährt sie fort. „Und weißt du was? UNTER dem Keller gibt es eine riesige Halle voller Maschinen, ich meine, riesige Maschinen!“

Rick reißt sich von seiner Schreibmaschine los und erforscht mit seiner Frau die Unterwelt dieses Hauses. Alles ist so, wie Ruth gesagt hat: Der Hausmeister hat ein drittes Auge am Hinterkopf und in der Halle unter dem Keller stehen gewaltige Maschinen. Pulp-Fiction-Autor Rick kommt ein schrecklicher Verdacht. Was, wenn das Haus in Wahrheit eine getarnte Rakete ist?!

Sie eilen zu ihren Nachbarn. Phil und Marge können nicht glauben, was ihnen Rick und Ruth erzählen, doch dann beginnt das ganze Haus zu vibrieren: Die Motoren werden gestartet…

Mein Eindruck

Solche Mieter sind wirklich nicht zu beneiden. Sie werden möglicherweise beobachtet, und ihre Paranoia ist völlig gerechtfertigt. Andererseits könnte es sich nur um den Jux eines SF-Autors handeln, mag der Leser denken, und alle Beobachtungen rühren nur von seiner blühenden Phantasie her. Die eminent flott zu lesende Story kombiniert SF mit Horror und malt dem Leser aus, wie es wirklich wäre, wenn die Aliens schon längst hier wären und ihre Experimente mit uns durchführen würden.

Moment mal! Big Brother beobachtet uns doch schon längst – mithilfe unserer Handys! Jeder, der die Ausrüstung hat, kann unsere Aufenthaltsorte und Wege nachverfolgen, ja, sogar vorhersagen, was wir als nächstes kaufen werden. Dabei braucht das Raumschiff der „Privatsphäre“ nicht einmal abzuheben. Wie für Rick und Ruth gibt es kein Entrinnen.

4) Ray Nelson: Eight o’clock in the Morning (1963)

Die Aliens sind gelandet und haben die Erde erobert. Es weiß nur keiner, denn sie haben mit TV und Rundfunk ihre Propagandamaschine eingerichtet, die allen Menschen eintrichtert, dass sie Freunde seien und die Erdlinge der Regierung gehorchen sollen. Diese „Faszinatoren“ führen auch Hypnosesitzungen durch wie in einem Varieté. Dort hypnotisieren sie die Erdlinge, damit sie gehorchen. Es gelingt bei allen außer George.

George Nada ist – nomen est omen – ein Nobody, aber seit er die Reptiliengesichter der Aliens sehen kann, fühlt er sich nicht mehr wohl. Das bleibt nicht unbemerkt. Sein Blockwart von der Polizei ruft ihn an, um ihm mitzuteilen, dass er, George, am nächsten Morgen um acht Uhr sterben werden. Keine schönen Aussichten, findet George, und macht sich auf den Weg, um Faszinatoren zu töten. Weil diese mit Funkgeräten ausgestattet sind, bemerken sie jeden einzelnen Mord, alarmieren die Polizei und geben eine Fahndung über TV, Rundfunk usw. heraus.

Seine Freundin Lil, die ebenfalls hypnotisiert ist, hat einen Nachbarn, Mr. Coney, der sich als Alien entpuppt. Als George dort eindringt und alle Bewohner tötet, entdeckt er menschliche Überreste – und ein Becken mit Alien-Nachkommen. Auch diese müssen dran glauben. Draußen schnappt er sich Lils Wagen und will aus der Stadt fliehen, doch Straßensperren verhindern das. Georges Gesicht ist überall. Die Aliens müssen wirklich Angst vor ihm haben, aber warum? Als ihm der Grund klar wird, weiß er, was er tun muss…

Mein Eindruck

Der Hintergrund dieser Geschichte klingt wie Putins Russlands: Alle Medien sind gleichgeschaltet, die unbotmäßigen ausländischen Medien verboten, nun werden die Bürger einer Gehirnwäsche unterzogen, auch mittels Hypnose. Die Ziele der Aliens leuchten ein: Sie wollen die Erde als „Lebensraum“ für ihre Nachkommen. Auch davon sollen die eroberten Erdlinge nichts mitbekommen. Alles ist eine Frage der Wahrnehmung und ihrer Verzerrung.

Doch wehe, wenn auch nur ein Mensch nicht für diese totale Verzerrung der Wirklichkeit empfänglich ist und infolgedessen zum Gegenangriff übergeht. Er muss unbedingt zur Strecke gebracht und , wie Nawalny, für immer weggesperrt werden, damit der Plan funktionieren kann. Als dieser eine seine Wichtigkeit erkennt, weiß er, was er zu tun hat: Das Wort an die Bevölkerung richten und sie aufklären.

5) R.A. Lafferty: The Six Fingers of Time (1960)

Als Charles Vincent an diesem Morgen erwacht, wundert er sich verschlafen, warum sich die Dinge so langsam bewegen. Doch als er einen Blick auf die Uhr des Versicherungsgebäudes auf der anderen Straße wirft, wird ihm klar, wieso: Für etwa fünf Minuten Normalzeit vergehen auf dieser Uhr nur fünf Sekunden, also ein Sechzigstel. Mit anderen Worten: Er selbst bewegt sich um das Sechzigfache schneller als seine Umgebung. Deshalb erscheint er den Autofahrern und Passanten auf der Straße wie ein Gespenst, so etwa als er in einem Taxi die Handbremse zieht.

Unbekümmert erledigt Charles im Büro erst einmal einen Rückstand von zwei Tagen in zwei Stunden auf, dann schläft er ein wenig. Als er erwacht, herrscht wieder Normalzeit, wie ihm seine Kollegin Jenny klarmacht. Charles geht zum Arzt. Dr. Mason hat schon von zwei anderen solchen Fällen gehört – beide starben binnen eines Monats. Er warnt Charles, es langsamer angehen zu lassen.

Doch Charles hat in einer Bar eine schicksalhafte Begegnung: ein Mann ohne Gesicht. Der fragt ihn nach dem Zusammenhang zwischen Extradigitalis und Genie. Charlie findet die Frage nicht lustig, besitzt er doch einen doppelten Daumen an der linken Hand, also einen überzähligen Finger – Extradigitalismus. Der Fremde ist um das Sechzigfache schneller als er selbst, zaubert gefüllte Gläser herbei, faselt etwas von einem Geheimnis und einem Klub der Schnellen wie er selbst, dem Charlie beitreten soll, wenn er soweit sei. Weil der Kerl so einen Schwefelgeruch an sich hat, will sich Charlie dieses Angebot lieber gut überlegen.

Zunächst hat er eine Menge Spaß mit seiner Schnelligkeit. Dann lernt er 50 Sprachen, liest die Weltliteratur und vertieft sich in die Geschichte. In den öffentlichen Bibliotheken – er zahlt nirgendwo Eintritt – verbreitet sich das Gerücht eines Gespenstes. In den Büchern über Kulturgeschichte stößt er auf den Ansatz des Geheimnisses und auf sumerischen Tontafeln auf die entscheidende Aussage: Vor der menschlichen Zeitrechnung mit fünf und zehn rechneten Wesen bereits mit sechs, zwölf und sechzig. Doch wo die Bezeichnung für diese Wesen stehen sollte, klafft nur eine Lücke.

Auch der Mann ohne Gesicht, der wieder auftaucht, verrät ihm den Namen nicht. Doch er erneuert sein Angebot. Und als Charles diesmal ablehnt, beginnen die Schmerzen, die ihm die Superschnellen zufügen. Soll er wirklich klein beigeben? Jenny und Dr. Mason machen sich wirklich Sorgen um Charlie: Mit 30 Jahren sieht er schon aus wie ein Neunzigjähriger…

Mein Eindruck

Obwohl der Zusammenhang zwischen einem sechsten Finger und der beschleunigten Bewegung nie plausibel erklärt wird, beeindruckt die Geschichte doch ein wenig. Sie erklärt nicht nur die Existenz von Geistern, sondern auch von Teufeln. Diese bewegen sich superschnell. Und außerdem dienen sie dazu, den Umstand zu erklären, warum die Stunde nur sechzig Minuten hat und nicht etwa hundert.

Dazu muss man wissen, dass die Zeitmathematik zusammen mit der Astronomie im Zweistromland erfunden wurde. Und der historische Garten Eden der Bibel lag ebenfalls dort – leider aber auch der Baum der Erkenntnis mit der Schlange darin. Die Geschichte deutet an, dass diese teuflische Schlange immer noch nach dem Schwefel und Schlamm jenes Landes riecht. Soll sich also Charlie den Teufeln anschließen? Hoffentlich nicht! Schließlich gelingt es ihm, das Geheimnis der Beschleunigung zu lüften. Wir werden es jedoch nie erfahren, denn Charlie tritt endlich den wohlverdienten Langen Schlaf an…

6) Damon Knight: Be My Guest (1958)

Kipling Morgan ist ein Golfprofi geworden, eine Tatsache, die seine Bekanntschaft, die Golferin Angelica MacTavish, überhaupt nicht nachvollziehen kann, denn Kip hat an der Uni von Los Angeles Atomphysik und Chemie studiert. Während sie nach der Trauerfeier für Prof. Liebert zusammen in einer Bar zechen, erzählt er, wie er Professor Liebert kennenlernte, den verkannten und kürzlich verstorbenen Erfinder eines neuen Vitamins. Das Geheimnis, was das Vitamin bewirkt, habe Liebert mit ins Grab genommen – er starb mit nur 41 Jahren, hinterließ aber eine recht bemerkenswerte Tochter namens Nancy.

Nun kommt auch heraus, dass Kip dieser Nancy seine Liebe gestanden hat, sehr zum Missfallen von Angelica, die sich durchaus für Kip interessiert. Angelica ist die Forschungsassistentin eines Politikers in L.A., der wohl bald zum Bürgermeister aufsteigen wird. Als Kip mit Angelica sein Haus betritt, finden sie ein Chaos vor – und eine nur spärlich bekleidete Nancy, die Kip auf einen Drink Pflaumensaft einlädt. Nach einer Standpauke verlässt sie das Schlafzimmer – durchs Fenster. Angelica ist angesichts dieser Rivalin alles andere als erfreut und verabschiedet sich mit harten Worten.

Der Wandel

Am nächsten Morgen hört Kip nach dem Genuss eines mysteriösen Getränks, das Pflaumensaft plus Cognac plus X sein könnte, Stimmen in seinem Kopf und als er in den Spiegel schaut, sitzen da vier blaue Geister auf seinen Schultern. Kip kombiniert messerscharf, dass ihm Nancy hinterlistig das Spezialvitamin ihres Vaters in den Pflaumensaft gemischt hat. Die vier blauen Geister stellen sich artig vor: Es sind Männer aus verschiedenen Zeitaltern, aber allesamt bereits tot. Es hat den Anschein, als wären sie von Nancy auf Kip gewechselt.

Unsichtbar

Als Kip in einem Restaurant von den Kellnern ignoriert wird, dämmert ihm, dass auch mit seiner eigenen Sichtbarkeit etwas nicht stimmen könnte. Als er Mrs. Liebert, die Witwe, nach Nancy fragt, erfährt er, dass die junge Frau verschwunden sei. Doch vor Ort kann er Nancy einwandfrei vor dem Liebert-Haus sehen. Nancy behauptet, das Vitamin ihres Vaters verursache eine Art Unsichtbarkeit. Eine kurze Demonstration auf dem Gehsteig genügt. Sobald sie sich jemandem auf der Straße in den Weg stellt, wird sie umgangen, mitunter sogar unbewusst. Kip ist bestürzt, als es ihm genauso ergeht. Panisch bittet er Angelica um Hilfe, doch dieser ergeht es ebenso.

Zusammen macht sich das ungleiche Trio daran, dem Rätsel auf den Grund zu gehen und diesen geisterhaften Zustand zu beenden. Doch die Tücke steckt im Detail: Die durch das Vitamin sichtbar gewordenen Geister wechseln nicht etwa den Wirt, sondern vermehren sich noch. Und sollte man sie dennoch man vertreiben können, werden sie durch eine weitere Gruppe Untermieter ersetzt…

Mein Eindruck

Kip und seine zwei Frauen haben zwei Probleme: erstens die geistigen Untermieter, die nur sie sehen und hören können; und zweitens, dass sie selbst für andere nicht wahrnehmbar sind. Letzteres kann ja ganz lustig sein, wie Kips Eskapaden in der Stadt zeigen, und Angelica spielt Mäuschen in einer ultrageheimen Zusammenkunft auf politischer Ebene.

Ersteres lässt sich jedoch nicht beheben, denn kaum hat Kip es mal geschafft, seine gespenstischen Untermieter durch rabiate Methoden – Alkohol, Drohung mit Selbstmord etc. -, so folgen ihnen andere Untermieter. Es ist einleuchtend, dass die unterschwellige Beeinflussung dieser Geister den gleichen Zweck hat wie bei den o.g. „Faszinatoren“: Sie beeinflussen die Menschen in ihrem Sinne und können sich auf diese Weise weiter ausbreiten. Dieser Zweck wird allerdings unkoordiniert angestrebt, bis Kip endlich durch verquere Logik erkennt, dass alle Geister einen Organisator haben müssen. Diesen auszuschalten, erweist sich als gar nicht so einfach.

Es ist eine Farce, die der Autor erzählt: Obwohl es sich um eine klassische Geistergeschichte handelt, soll sie eine komische Wirkung erzielen. Dazu muss sich der Held zum Affen machen, und die beiden Frauen haben die Aufgabe, ihm die Stichwörter zu liefern. Angelica steht für eine Frau mit Köpfchen, wohingegen Nancy überhaupt keinen Kopf, sondern nur verwirrte Gefühle zu besitzen scheinen. Die beiden ergänzen sich perfekt, wenn sie auch naturgemäß aufeinander eifersüchtig sind: Jede will diesen Kerl für sich haben. Diese Konstellation ist vorsintflutlich und patriarchalisch.

Die Lösung erfolgt pseudowissenschaftlich, indem Kip nacheinander das mysteriöse Vitamin zu sich nimmt. Wie im Märchen entfaltet sich der heilende Zauber erst beim dritten Mal. Davor sind Chaos und Verwirrung der Gefühle angesagt, als befände man sich in einer Komödie von Shakespeare.

Mehrere Male hatte ich den Eindruck, dass die Novelle viel zu lange für ihre Bedeutung und Aussage sei. Aber wahrscheinlich dachte der Autor, dass er für den Umfang, den ihm der Herausgeber eingeräumt hatte, auch entsprechend viele Wörter abliefern musste. So geht es, wenn sich Herausgeber einander einen Gefallen tun.

7) Robert A. Heinlein: They (1941)

Er sitzt im Gefängnis und spielt Schach mit dem Arzt, der ihn auf seinen Geisteszustand untersuchen soll. Warum er an eine Verschwörung gegen ihn glaube? Ganz einfach: Sobald er auftauchte, benahmen sich die Erwachsenen anders, redeten über das Wetter und so. Am nächsten Morgen kommt seine Frau, Alice. Wie überflüssig und lästig. Auch sie fragt ihn, weshalb er an eine Verschwörung glaube. Ganz einfach: Als sie damals verreisen wollten, regnete es vor der Haustür in Strömen, aber als er zurück in sein Arbeitszimmer eilte und dort die Jalousie öffnete, herrschte draußen eitel Sonnenschein – paradox. Alles klar?

Der Chef der Glaroons, der mittlerweile auch New York City und Harvard University demontieren lässt, glaubt, dass der Insasse binnen zwei Tagen ausbrechen wird. Wahrscheinlich wird er doch noch alles herausfinden…

Mein Eindruck

Die Story hat eigentlich keine Handlung, aber das liegt nur daran, dass sie sich um eine Wahrheitsfindung dreht und um einen Bewusstseinszustand. Kann es ein falsches Leben geben, wenn man es zulässt? Der Häftling findet sich nicht mit den Vorgaben des menschlichen Lebens, wie sie für die Masse gelten, ab. Ja, er findet nicht einmal seinen eigenen Körper angemessen, so als wäre er kein Mensch, sondern nur eine Art Schauspieler.

Das steht wiederum in einer komplexen Beziehung zu der finalen Enthüllung, dass die Welt der Menschen tatsächlich nicht von Menschen erfüllt ist, sondern von Schauspielern, die Glaroons sind: Die Erde ist ihnen schon längst untertan. Warum ist es ihnen dann aber so wichtig, dass der Häftling an eine menschliche Erde glaubt? Und er ist ja nicht der einzige Häftling. Soll er produktiv sein wie alle anderen auch? Das ist doch eigentlich nicht nötig, denn das Ende der Erde ist ja eh gekommen.

Je näher man sich mit dieser Erzählung befasst, desto mehr Fragen wirft sie auf.

Unterm Strich

Der bekannte Herausgeber Terry Carr ist es in dieser Anthologie über Paranoia gelungen, einige Literaturstars zu versammeln. Das Originaltitelbild listet sie nach ihrer Bedeutung im phantastischen Genre auf: Heinlein, du Maurier, Matheson, Damon Knight, Philip K. Dick (der heutzutage an die Spitze dieser Liste gehört), R. A. Lafferty und schließlich ein Nobody namens Ray Nelson.

Wer sind die Anderen, mag sich so mancher Leser fragen. Dass sie unter uns sind, steht nicht in Frage, aber was sie unter uns treiben, muss erst noch herausgefunden werden. Die erste Phase besteht in der Erkenntnis, die an Wahnsinn denken lässt: eine Verschiebung der Wahrnehmung, eine Ver-rückt-heit. So ergeht es Marda in ihrem Krankenbett, als sie Mediziner und Schwestern mit Geier- und Schlangenköpfen erblickt.

Phase 2: Was wollen die Anderen? Nur unser Bestes! Also unsere Freiheit, unseren Lebensraum, unseren Gehorsam, unsere geistige Gesundheit – und unsere beruhigte Ruhigstellung, zumindest so lange, bis sie ihre Ziele erreicht haben, einen nach dem anderen. Für manche wie etwa Nancy Liebert ist das genug. Sie hat aufgegeben und den Kampf als aussichtslos bewertet.

Phase 3: die Selbstbefreiung. Sie erweist sich als gar nicht so einfach, wie so mancher Held und manche Heldin herausfinden muss. Manche müssen, wie die Held*innen bei Thorne Smith, erst einmal den Teufel Alkohol – oder auch ein Vitamin – zur Brust nehmen, um zur wahren Erkenntnis zu gelangen. Manchmal reicht aber auch schon eine andere Brille, wie bei Marda. Die neue „Realität“ kann mit unwillkommenen Erkenntnissen aufwarten. Paranoia und Entfremdung gehen fröhlich Hand in Hand.

Wie in jeder belletristischen Darstellung stehen die Darstellungen symbolisch für etwas anderes. Die Aufgabe des Lesers besteht darin, sich nicht nur unterhalten zu lassen, sondern auch herauszufinden, worin Wahrheit und Botschaft hinter dem Symbol bestehen. Sind die Aliens, die das Weiße haus übernommen haben, wirklich die unwillkommenen Anhänger der jeweils anderen Partei? Hegen die Ärzte und Krankenschwestern in Mardas Luxusklinik wirklich stets finstere Absichten oder ist nur ihre paranoide Wahrnehmung die Ursache? Augenzwinkernd erzählt uns R.A. Lafferty, wie die Superschnellen uns umgeben. Auch er muss uns erklären, ob das Anderssein – etwa der Superschnellen – des Teufels oder doch ein Himmelssegen ist. Vielleicht weiß das nur Roog, der brave Hund.

Hinweis

Meines Wissens wurde diese außergewöhnliche Anthologie nie ins Deutsche übersetzt. Eine Ausnahme bilden die Story „Die sechs Finger der Zeit“, die unter dem gleichen Titel von W. Jeschke herausgegeben wurde, „They“ von Heinlein, „Roog“ von Dick und schließlich Die erstklassige Geschichte von Altmeisterin Daphne du maurier.

Taschenbuch: 192 Seiten
Originaltitel: The Others, 1969

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