Graf, Ric – iCool. Wir sind so jung, so falsch, so umgetrieben

Jedes Jahr beglückt uns die deutsche Literaturlandschaft mit einem neuen Gesicht in den Zwanzigern. Was mit Alexa Hennig von Lange und Benjamin von Stuckrad-Barre Ende der Neunziger seinen Anfang nahm, ist Leserealität geworden. Die jungen Wilden bestechen immer mit frechen Büchern zu letztendlich belanglos gewordenen Themen. Sie wecken auch Hoffnungen, die dann bitter enttäuscht werden. Erinnert sich noch jemand an Benjamin Lebert?

Ein ähnliches Buch wie dessen „Crazy“ hat jetzt ein einundzwanzigjähriger Berliner geschrieben. Ric Graf heißt er. Vor zwei Jahren hat er sein Abitur gemacht und vertrieb sich die Zeit danach mit Praktika, unter anderem bei Christoph Schlingensief, sowie mit zahllosen Partys. Ein Buch hat er auch geschrieben: „iCool“. In diesem kann man von Grafs Erfahrungen aus dem Zeitraum von Silvester 2004 bis Ende 2005 lesen. Es ist also kein Roman, vielmehr ein autobiografischer Text geworden. Nach der Lektüre von „iCool“ muss man allerdings feststellen, dass er nicht allzu viel erlebt hat.

Ric Graf nimmt uns mit in die pulsierende Partymetropole Berlin: Wir sitzen in den In-Cafés am Prenzlauer Berg und schlürfen Latte Macchiato oder stürzen in irgendwelchen Elektroclubs ab. Es wird viel geplaudert, geschluckt und die Nase hochgezogen. Ric Graf versucht, eine Generation zu portraitieren, der es an nichts mangelt, außer an Entscheidungsfreudigkeit und Idealismus. „Generation Praktikum“ nennt er sie in einem der besseren Momente des Buches, das sich insgesamt wie die Kolumne eines Berliner Szenemagazins liest.

Doch was bedrückt diese Generation? Während der Latte-Macchiato-Gespräche kommen viele Freunde Grafs zu Wort. Man redet vom Wunsch, berühmt zu sein, seinen Weg im Leben zu finden, über Sex und die nächste Party. Doch es ist nicht alles oberflächlich. Es zeigt sich, dass die Generation Praktikum trotz aller Mobilität und Möglichkeiten sich letztendlich nach Liebe und Sinn sehnt. Die Diskrepanz zwischen den eigenen Vorstellungen am Leben (wenn man denn welche hat) und den Erwartungen der Eltern macht schwer zu schaffen und führt auch zum Scheitern: Ein Freund Grafs begeht nach abgebrochener Entziehungskur Selbstmord.

Es gibt aber auch Momente, an denen man glaubt, dass dieses Buch gar nicht für diese Generation geschrieben wurde. Zwar nimmt Ric Graf selbstbewusst das Wort „uns“ in den Mund und signalisiert damit, für sie zu sprechen, aber wenn er Begriffe wie Metrosexualität, Klingeltöne, Reality TV und Idole wie Shakira oder Pete Doherty erklärt, dann verstärkt sich der Eindruck, dass Graf eher zu der Elterngeneration spricht. Diese wird schockiert sein: Orientierungslosigkeit, Drogen und Sex in allen Lebenslagen werden auf offene Ohren stoßen.

Ebenfalls negativ auffallend ist das zum Teil altkluge Daherreden Grafs. Die Weisheit, dass jeder seine Jugend genießen sollte, und die Erkenntnis, dass Menschen unter dem Druck der Medien leiden und auf ihr Äußeres reduziert werden, ist längst nicht neu. Die Erzählweise könnte auch frischer, eben jugendlicher sein. Die Dialoge mit den Altersgenossen wirken doch sehr geschliffen und längst nicht so spritzig, wie man sie bei Hennig von Langes „Relax“ bestaunen durfte. Richtig ärgerlich wird das Buch dann, wenn ein Besuch bei Benni angekündigt wird und schließlich nur von Dennis geredet wird. Hier hat nicht nur der Autor, sondern auch das Lektorat schlampig gearbeitet.

Nun sollte ich als Rezensent nicht verschweigen, dass ich wie Graf zum Jahrgang 1985 gehöre. In der Gesamtheit der 200 Seiten habe auch ich mich wiedergefunden. Graf schafft es, wesentliche Probleme dieser Generation anzuschneiden. Es fehlt an Initiative und Idealismus, von einer Jugendbewegung ist keine Spur. Er vermisst diese ebenso wie ich. Doch für die präsentierten Erkenntnisse muss ich dieses Buch nicht lesen. Schön ist jedoch, dass Andere im selben Dilemma zwischen Party und Zukunft stecken. Leider unterhält mich das Buch auch nicht, weshalb ich eine Empfehlung für all jene aussprechen kann, die Eltern dieser Generation sind oder Zwanziger, die dringend nach Identifikation suchen. Vielleicht werden sie fündig werden, denn sicher ist auch, dass Graf bei der sich in unzählige Subkulturen teilenden Jugend nicht für alle sprechen kann.

http://www.rowohlt.de

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