Gregory, Philippa – Schwester der Königin, Die

Heinrich VIII., König von England (* 28. Juni 1491 in Greenwich; † 28. Januar 1547 im Whitehall-Palast, London), war zweifellos ein Großer unter den Königen seiner Zeit. Er war ein Mann der Künste, der Diplomatie und auch ein nicht zu unterschätzender Militärstratege. In die Geschichte ist er allerdings eingegangen als königlicher Gemahl von sechs Ehefrauen und Liebhaber diverser Mätressen und inoffiziellen Gefährtinnen, als Scheidungen und offene Beziehungen noch nicht gerade an der Tagesordnung waren. Um diese tragischen und dramatischen Ehen ranken sich viele Geschichten und Gerüchte. Heinrich VIII. Tudor war auch ein Tyrann seiner Zeit, er legte sich mit dem römisch-katholischen Glauben an, wurde exkommuniziert und gründete daraufhin die Anglikanische Kirche, deren Oberhaupt er war. Seine allergrößte Sorge zu Lebenszeiten war es, einen Nachfolger für das englische Königshaus zu finden bzw. einen eigenen Sohn zu zeugen.

Seine erste Frau war die seines verstorbenen Bruders Arthur Tudor, Katharina von Aragón. Diese Ehe war ein politisches Bündnis und sollte die Freundschaft zu Spanien festigen, damit man gegenüber dem Erzfeind Frankreich mehr Druck ausüben könnte. Doch Heinrich war ein Lebemann in jeder Hinsicht, er genoss die vielen festlichen Bankette und Turniere, an denen er sich regelmäßig beteiligte. Sein Lebenswandel war ausschweifend und sein in jungen Jahren gutes Aussehen brachte ihm immer weitere Frauen in sein eheliches Bett, die er sich als Mätressen nahm. Er überhäufte die jungen Frauen mit Geschenken und Vergünstigungen, und nicht wenig profitierten auch die Familien der jungen Frauen davon, ihre Väter hatten wichtige Ämter beispielsweise im Kronrat inne oder erwarben Adelstitel und Ländereien.

Da Katharina von Aragón ihm keinen legitimen Sohn schenken konnte und eine Prinzessin gebar – Prinzessin Mary – arbeitete Heinrich auf eine Scheidung hin, die ihm aber die päpstliche Instanz verweigerte. 1520 verliebte er sich in die vierzehnjährige Mary Boleyn, die zwar verheiratet war, doch das war für ihn kein Hindernis und für die umschmeichelte und vom König verwöhnte junge Frau auch nicht. Auch die gesamt Familie Boleyn plante, sich den Königsthron zu erobern, und das ermöglichte die Intrige einer jungen Frau, die ihm einen Nachfolger schenken sollte. Die Liebesaffäre ging fünf Jahre gut. Womöglich schenkte sie Heinrich eine Tochter, die aber offiziell den Namen ihres Mannes Carey annahm.

Ungefähr während der Karnevalszeit 1521 lernte Heinrich VIII. Anne Boleyn kennen, die wie ihre ältere Schwester zuvor eine der Hofdamen seiner Ehefrau Katharina von Aragón war. Um Anne Boleyn ranken sich viele Legenden und Gerüchte, und sie war wohl die bekannteste Ehefrau des berüchtigten Königs von England. Angeblich soll sie Heinrich VIII. mit Zaubersprüchen in ihrem Bann geschlagen und verhext oder mit Zaubertränken gefügig gemacht haben, überdies soll sie hochgebildet gewesen sein und geradezu von Ehrgeiz getrieben ihr Ziel verfolgt haben, Königin von England zu werden – mit allen ihr zu Verfügung stehenden Mitteln. Aber sie bezahlte einen hohen Preis für den majestätischen Titel, denn am 19. Mai 1536 wurde sie, angeklagt wegen mehrfachen Ehebruchs, inzestuöser Beziehungen zu ihrem Bruder sowie Hochverrat, von dem französischen Henker Jean Rombaud mit dem Schwert hingerichtet.

Philippa Gregory hat mit dem Roman „Die Schwester der Königin“ (The Other Boleyn Girl) die tragische Geschichte der Boleyn-Mädchen in fabelhafter und gut recherchierter Form niedergeschrieben. Das Buch wurde 2008 mit den Stars Natalie Portman, Scarlett Johansson und Eric Bana von Justin Chadwick verfilmt.

_Die Geschichte_

Die Adelige Mary Boleyn ist gerade vierzehn Jahre jung, als sie an den englischen Königshof kommt, um dort der Königin Katharina von Aragón als Hofdame zu dienen. Mary ist erzogen worden, für ihre Familie alles zu tun, und wie gewohnt legt sie ihr Schicksal in die Hände ihres ehrgeizigen Vaters und des Onkels, die in ihr nicht anderes sehen als eine nützliche Marionette, um Einfluss zu gewinnen.

Die junge Frau findet sich sehr schnell am königlichen Hof zurecht und genießt das Vertrauen und die Freundschaft ihrer Königin, die sie oftmals den anderen Hofdamen vorzieht. Ihr Ansehen wächst von Tag zu Tag, und auch dem König fällt Mary schnell auf.

Ihre Schwester Anne Boleyn wird wenig später ebenfalls Hofdame der Königin, und auch sie fällt mit ihrer wohlerzogenen Art sofort auf. Ihre in Frankreich erlernten höfischen Manieren und auch ihre Mode unterscheidet sich vollkommen von der der englischen, und damit zieht sie nicht nur die anderen adeligen Männer im Palast in ihren Bann.

Als dem ehrgeizigen Onkel und dem Vater das Interesse des englischen Königs an den beiden jungen Frauen auffällt, werden diese schnell zum Spielball innerhalb der königlichen Politik. Marys Onkel ruft als Familienoberhaupt den Familienrat zusammen und gibt seinen Plänen ein Gesicht. Es trägt das Antlitz seiner Nichte Mary, die von nun an unter der Regie von Anne den König erobern und binden soll. Kein einfacher Schachzug, sondern ein Spiel mit dem Feuer, das den Beteiligten schnell die Existenz kosten kann.

Mary fügt sich wie gewohnt und ohne viele Widerworte den Befehlen und Wünschen ihrer Familie. Nur wenig später ist es Mary gelungen, den König mit ihrer unschuldigen und gewinnenden Art zu überzeugen, und sie schenkt ihm eine Tochter und einen Sohn. Der Familienklan der Boleyn sieht sich schon als Teil des Königshauses, aber Mary fühlt sich immer unwohler in ihrer Rolle und hat gegenüber ihrem Ehemann William Carey arge Gewissensbisse, der sie immerhin nicht verstößt und trotz alledem zu ihr hält und ihre Kinder annimmt.

Mehr und mehr gewinnt Anne dafür an Einfluss, und der Familienrat beschließt aufgrund dieser offensichtlichen Tatsache, die Rollen der beiden Schwestern zu tauschen. Anne ist skrupelloser, ehrgeiziger und immer Herrin der Lage. Sie versteht es, den König zu locken und zu manipulieren und sie ist überdies eine aufmerksame und wohlüberlegte Beobachterin.

Auf der königlich-politischen Bühne bewegt sie sich vollkommen sicher, mit dem einzigen Ziel vor Augen, eines Tages Königen von England zu werden.
Die einzige Schwierigkeit besteht darin, die Ehe mit Katharina von Aragón, der Ehefrau von Heinrich VIII., in Frage zu stellen und annullieren zu lassen. Um das zu erreichen, sind ihr alle Mittel recht …

Mary sieht ihren Einfluss am Hofe schwinden und vernunftgemäß das Glück ihrer Kinder im Vordergrund, daher steht sie Anne nicht mehr als Rivalin gegenüber. Der Weg zum königlichen Thron ist frei für Anne Boleyn …

_Kritik_

Philippa Gregory gelingt es in „Die Schwester der Königin“, dem englischen Hof mit seiner ganz eigenen kleinen Welt und den darin lebenden Menschen ein lebhaftes Antlitz zu verleihen. In den Jahren 1521 bis 1536 geschieht im englischen Königshaus, das halb Europa beherrscht, viel Gegensätzliches. König Heinrich VIII. stellt sein persönliches Glück über dasjenige Englands, und sein Streben nach einem Nachfolger, einem legitim gezeugten Sohn als Erbfolger wird zu einer fixen Idee. Für diese legt er sich mit der römisch-katholischen Kirche an, duldet eine Exkommunikation und gründet ganz pragmatisch eine eigene, ihm unterstellte christliche Glaubensgemeinschaft – die Anglikanische Kommunion wird geboren.

Es sind wirre und gefährliche Zeiten, die dem König zum Ruf eines tyrannischen Herrschers verhelfen. Sein politisches Geschick lässt nach, und die Spanier sind alles andere als begeistert darüber, wie er mit seiner Ehefrau Katharina von Aragón umspringt. Er jedoch nimmt alles in Kauf, um einen Sohn zu zeugen. Anne Boleyn verführt den König geschickt mit ihren Reizen, doch alle Beteiligten spielen mit ihrem Leben und sind sich des Risikos, das sie dabei tragen, durchaus bewusst.

Heinrich VIII. redet sich gern die Lage schön: Er war mehr Optimist als Realist. Für Komplimente und Schmeicheleien war er charakterlich zeitlebens empfänglich. Anne setzte genau diesen Schwachpunkt ein, um als Majestät angesprochen zu werden.

Philippa Gregory beschreibt ihre authentischen Charaktere sehr anschaulich und menschlich. Alle Facetten der Boshaftigkeit, Falschheit, aber auch der Opferbereitschaft und nicht zuletzt der Menschlichkeit werden hier in vollem Ausmaß bedacht. Mary und Anne Boleyn bewegen sich auf einem schmalen Grat; eine unheilschwangere Stimmung, die sich durch die gesamte Geschichte zieht.

Wer ein wenig die Historie dieser Epoche kennt und mit den tragischen Figuren Heinrich VIII. und Anne Boleyn vertraut ist, der weiß, wie die Geschichte enden wird. Es ist nicht die Spannung der Unwissenheit, die diesen Roman so interessant und lesenswert macht, es ist vielmehr die Art, wie die Figuren auf dem Schachbrett der Politik positioniert werden.

Die Geschichte und das persönliche Schicksal der Protagonisten gehen dem Leser sehr nahe. Es stimmt traurig, wenn man bedenkt, wohin es führen kann, wenn eine Familie entgegen aller Vernunft für die Macht kämpft, dabei ihre Menschlichkeit verliert und die Ihren ins Verderben reißt.

Mary Boleyn liebte den König als Person, als Mann, nicht nur als Herrscher mit Einfluss und Macht. Ihre Schwester dagegen opfert ihre große Liebe für dieses Spiel um Macht und majestätische Würde. Besonders ergreifend empfand ich das Schicksal der ersten Ehefrau Katharina von Aragón. Niemals aufgebend und immer hoffend, erwartet sie ein trauriges Schicksal, das sie desillusioniert im Exil annehmen muss. Auch den Bruder Georg Boleyn erwartet ein unrühmliches Ende, auch er, fällt der Intrige zum Opfer – doch zu welchem Gegenwert?

Heinrich VIII. wird als der Charakter dargestellt, der in dieser Gestalt geschichtlichen Forschung wahrscheinlich am nächsten kommt. Ein vielversprechender, arroganter und eigensinniger Charakter war er, so wie ihn die Autorin beschreibt. Er spielt bei weitem nicht die charakterliche Hauptrolle, eher eine Nebenfigur mit deutlichen Tiefen, die aber nicht als abgründige Verhaltensformen interpretierbar sind. Sein Wille, einen Nachfolger zu zeugen, einen Sohn, der die Königswürde und -bürde übernimmt, ist logisch begreifbar, nicht jedoch um den Preis, den auch er letztlich zahlen muss. Etwas schade fand ich, dass seine Gedanken und seine Persönlichkeit ein wenig untergegangen sind, aber es gibt andere Literatur, die vergleichbar gut und vielversprechend ist und sich stärker mit dem Herrscher selbst auseinandersetzen. Es lohnt sich, sich mit ihm zu befassen.

Wer war Anne Boleyn wirklich? Die neueste Geschichtsforschung beschreibt sie, wie Philippa Gregory auch, als eine gewissenlose, charismatische und gebildete Frau, die wenn sie es musste, vielleicht auch über Leichen ging, dies zumindest in Erwägung zog. Sie war eine von ihrem eigenen Machtstreben verurteilte junge Frau, die mit ihrem Ehrgeiz auch ihren eigenen Niedergang beschwor. Im Roman ist sie keine Figur, an deren Schicksal sich man positiv erinnert, aber auch hier stellt sich die Frage, ob es ihr eigener Charakter und ihre Erziehung waren, die sie zur Intrigantin machten, oder ob nicht die wahren Schuldigen die Hintermänner, also der eigene Vater und der Onkel gewesen sind. Anne Boleyn war die Königin der Tausend Tage, und oftmals wird sie für ihren Tod heroisiert, in anderen Romanen kommt ihr Charakter entsprechend weitaus positiver zur Geltung.

Philippa Gregory hat für den Roman ausgezeichnet recherchiert, auch das wird im Nachwort von ihr angemerkt und unterstreicht nur noch ihre Professionalität als Autorin historischer Romane. Es gibt nur wenige zeitliche oder erzählerische Freiheiten in der historisch verbürgten Handlung. Einzelne Passagen sind freilich von ihr frei interpretiert, aber auch dann sprechen die Indizien ganz klar für Gregorys Interpretation.

_Fazit_

„Die Schwester der Königin“ ist ein hochinteressanter historischer Roman, der den Leser zugleich zu unterhalten weiß. Es geht hier einmal nicht um Schlachten und Kriege, obwohl man sagen kann, dass in diesem Falle das Bett des Königs einem Schlachtfeld gleichkommt.

Der Roman ist leicht verständlich geschrieben und macht Lust darauf, mehr über die drei Boleyn-Geschwister zu erfahren. Wer sich also für englische Geschichte und das Schicksal von Anne Boleyn interessiert, kann guten Gewissens zu „Die Schwester der Königin“ greifen.

|Originaltitel: The Other Boleyn Girl
Aus dem Englischen von Ulrike Seeberger
Taschenbuch, 693 Seiten|
http://www.aufbau-verlag.de
http://movies.universal-pictures-international-germany.de/dieschwesterderkoenigin/
http://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich__VIII.__%28England%29

|Philippa Gregory auf Buchwurm.info:|
[„Die Schwiegertochter“ 2865

Schreibe einen Kommentar