Hurwitz, Gregg – Ausbrecher, Der

Medikamente! Jeder kennt sie, jeder benutzt sie. Als kleine Helferchen schützen und bekämpfen sie Krankheiten, die unsere Gesundheit, und damit auch unser Leben bedrohen. In der Pharmazie werden biologische und chemische Elemente, aus denen die Medikamente nun ja auch bestehen, verwendet, um die körpereigenen Schutz- und Heilungsmechanismen zu unterstützen. Im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte hat die Pharmabranche enorm an den Krankheiten verdient, mit exorbitantem Profit. Doch hat sie auch Quantensprünge in der Behandlung von Krankheiten gemacht und dabei viele Leben retten oder verlängern können.

Die Pharmakologie ist ein komplexer Apparat geworden, in den der Außenstehende nur schwerlich einen Blick hineinzuwerfen vermag. Das gleich aus mehreren Gründen, denn einer davon ist sicherlich, dass man sich mit den Themen „Krankheit“, „Medikamente“ und „Behandlung“ erst dann auseinandersetzt, wenn es keine anderen Alternativen mehr gibt. Viele Pharmakonzerne werden von großen privaten Unternehmen geführt, nicht zuletzt werden diese auch durch politische Verbände und Steuergelder unterstützt, was uns bis dato gar nicht klar ist. Medizinische Institute, Universitäten, Kliniken, Stiftungen … all das bleibt immer ein wenig im Schatten.

Fakt ist, die medizinischen Großkonzerne sind mächtig und profitieren von den Krankheiten. Ein Geschäft mit zwei Seiten – Leben und Tod gehen hier oft Hand in Hand durch die Flure. Jedes Medikament weist Risiken auf, kalkulierte – aber immer noch Risiken. Neben dem Wohl und der Gesundheit des Menschen, und da machen wir uns bitte nichts vor, liegt natürlich auch der Profit im Vordergrund.

Doch was würde passieren oder ist schon passiert, wenn man ein „Medikament“ entwickelt, das andere überflüssig macht und deren Wirksam- und Verträglichkeit alle anderen Medikamente ins „Aus“ stellt? Kann es nicht auch sein, dass man lieber ein Medikament auf den Markt bringt, was vielleicht teurer ist und regelmäßiger über einen längeren Zeitraum eingenommen werde muss, als ein universelles und einmalig einzunehmendes?

Gregg Hurwitz beschreibt in seinem neuesten Thriller: „Der Ausbrecher“ die Macht- und Preispolitik eines amerikanischen Pharmakonzerns.

_Inhalt_

Der Ex-Elite Soldat Walker Jameson verbüßt seine Haftstrafe wegen illegalem Waffenhandels in einem Hochsicherheitsgefängnis in Kalifornien. Noch knappe 15 Monate warten auf ihn, bevor er seine Strafe vollständig verbüßt hat. Im Gefängnis wird der stille Mann respektiert und gehört keiner Fraktion innerhalb der Gefangenenfraktionen an. Eine Position, die er sich allerdings auch verdienen musste, aber als extrem gut ausgebildeter Elitesoldat, versteht es Jameson, sich gegen alle Machtspielchen und Provokationen zu wehren.

Als Walker Jameson den „Boss“ und somit den Anführer der Gefangenen tötet und kurz darauf eine kleine Revolte erfolgt, nutzt er die Gelegenheit zu fliehen. US Deputy Marshal Tim Rackley und seine Kollegen verstehen nicht, warum Jameson, der ja nur noch eine begrenzte, kurze Zeit vor sich hatte, geflohen ist!

Inzwischen begibt sich Walker Jameson auf einen Kreuzzug, sein Gegner ist ein Pharmakonzern, dessen dubiose Politik und Machenschaften, seiner Schwester den Tod gebracht haben. Systematisch kämpft sich der von Rache getriebene Ex-Soldat durch die Reihen der Konzernleitung, sein Ziel ist, die Gesellschafterfamilie, die er persönlich für die Tragödie verantwortlich macht.

Tim Rackley folgt der Spur des Todes, die Jameson hinterlässt und ermittelt auch zusammen mit seinem Freund und Kollegen Bear auf eigene Faust. Als er Jamesons Ex-Frau aufsucht, erfährt er von ihr, dass sich die Schwester ihres Ex-Mannes erschossen hat. Aber warum? Schließlich hinterlässt die Selbstmörderin einen kleinen Sohn, der eine unheilbare Leberkrankheit hat, und dem quasi nur eine Spenderleber sein Leben retten könnte. So viele mysteriöse Fragen und kaum Antworten wecken das Misstrauen der beiden Ermittler, und je intensiver sie sich mit Jameson und seinen Opfern auseinandersetzen, desto nachvollziehbarer wird seine Motivation.

Walker Jameson ist ein Profi, eiskalt und berechnend verfolgt er sein Ziel und Tim Rackley, der selbst eine militärische Ausbildung genossen hat, bevor er Marshal wurde, begreift schnell, dass er hier selbst zum Gejagten werden wird, sollte er Jameson aufhalten wollen.

Als frischer Familienvater steht er zwischen Verstand und Mitgefühl. Seine Pflicht Jameson aufzuhalten geht nicht konform mit dem Eingeständnis, dass er ihn im Grunde versteht. Doch es kommt, wie es kommen muss – einer Konfrontation wird man nicht aus dem Weg gehen können, und zum ersten Mal in seiner Laufbahn hat Tim Rackley Angst davor zu sterben, denn sein Gegner ist wahrlich zum Fürchten …

_Kritik_

Die Reihe um und mit dem sympathischen US Marschal geht weiter. Der Autor Gregg Hurwitz baut seine Charaktere von Band zu Band weiter aus. Auch in „Der Ausbrecher“ ist das Familienleben der Rackleys wieder eine Konstante innerhalb der Handlung. Tim Rackley und Dray (Andrea) sind Eltern geworden und genießen den Tumult, den der kleine Racker vollbringt, sehr.

Das Besondere an dieser Reihe ist es, dass sich das Privatleben der Rackleys immer wieder mit dem beruflichen vermischt. Sympathisch und vor allem menschlich beschreibt der Autor seine Protagonisten. Wenig heroisch, dafür umso mehr sensibler präsentieren sich die Charaktere.

Spannend ist der vorliegende Roman „Der Ausbrecher“ allemal. Doch als Thriller gesehen, geht es hier weniger um die Actionszenen, viel mehr bewegt sich der Autor in den Dialogen, beispielsweise wenn Walker Jameson sich bewusst wird, was er unwiderruflich verloren hat und in welcher Verantwortung er sich seinem Neffen gegenüber nun befindet. Walker ist ein verlorener Charakter, auf einem Kreuzzug, den er nicht gewinnen kann, jedenfalls nicht ohne Verluste einzukalkulieren. Trotz seiner Gewalttaten ist Walker Jameson nicht nur Täter, sonder auch ein Opfer. Er ist ein Produkt aus einer militärischen Maschinerie, die nicht immer menschlich arbeitet.

Dass er also dem Leser sympathisch erscheint, ist nicht weiter verwunderlich, auch Tim Rackley hat neben seiner Hochachtung und gehörigen Respekt, auch Sympathie für ihn übrig. Das aus vielerlei Gründen: Zum einen erkennt er sich selbst wieder, teilweise mit Erschrecken, denn was wäre aus ihm geworden, wenn er weiterhin seiner militärischen Laufbahn gefolgt wäre? Würde er ebenso einen durchdachten Kurzschluss bekommen, und zu Richter, Staatsanwalt und Henker werden, um sich in diesem Labyrinth zu verirren? Er war schon mal kurz davor, siehe [„Die Scharfrichter“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3295 , vom Weg abzukommen. Als er Jamesons Ex-Frau und seinem Neffen begegnet und versteht, warum der ehemalige Elite-Soldat auf Rache aus ist, wirkt er erschüttert.

Seine sensible und offene Frau Dray konfrontiert ihn immer wieder mit seinen Pflichten und gibt ihm den notwendigen Rückhalt. Ohne Dray, die immer wieder als sein „Gewissen“ und seine geistige Inventur dient, wäre Tim ein verlorener Mensch. Ohne Dray, würde Tim den entflohenen Jameson höchstwahrscheinlich mit wenig Intensität verfolgen, zu viel lässt er sich von dem Fall kompromittieren.

„Der Ausbrecher“ ist ein Wechselbad zwischen Gefühlen und einer spannenden Handlung. Und auch der Humor kommt hier nicht zu kurz, etwas untypisch für die Reihe, aber durchaus gut platziert, wenn der jüngste Spross der Rackleys nichts als Unsinn im Kopf hat und diesen auch intensiv in seinem Umfeld auslebt.

Sehr, sehr interessant beschreibt der Autor, Gregg Hurwitz, die Preis- und Machtpolitik des Pharmakonzerns. Und zwar so komplex und authentisch, dass der Leser gern mehr davon „verstehen“ möchte, wie solche Pharmafirmen funktionieren. Der eine oder andere Leser wird sich gedanklich dann mehr damit befassen, wenn er zu einem Medikament greift, selbst dann, wenn es sich nur um eine harmlose Kopfschmerztablette handelt. Leitlinien eines Konzerns, eines Pharmakonzerns sind wohl primär der Gewinn, der Profit, vielleicht die Außendarstellung des Unternehmens, daneben natürlich die Aktionäre und Gesellschafter, und irgendwann vielleicht am Ende dieser Kette findet sich der Patient wieder! Es lohnt sich jedenfalls mal darüber nachzudenken, denn die Theorie, die uns der Autor vor Augen hält, ist erschreckend nahe an der Realität.

_Fazit_

Der Thriller bietet also vieles, neben einer angemessen Spannung noch ein wenig Hintergrundwissen, benachbart von Humor und ernsten Dialogen, die von Verantwortung, Verpflichtung und Selbstachtung sprechen.

„Der Ausbrecher“ von Gregg Hurwitz, erschienen im Knaur Verlag, verspricht dem Lesen einen hochklassigen Thriller, der nicht durch Tempo, sondern durch Menschlichkeit überzeugt. Nach „Die Meute“ ist der vorliegende, vierte Band um den „Troubleshooter“ Tim Rackley eine deutliche Steigerung.

Gregg Hurwitz hat sein Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft und seine nun sehr realitätsnahe Handlung wird sich, so hoffe ich, auch in den nächsten Bänden wiederfinden.

„Der Ausbrecher“ ist ein Pageturner seines Genres und absolut empfehlenswert.

|Taschenbuch: 592 Seiten
Originaltitel: Last Shot
ISBN-13: 978-3426636930|
[www.droemer-knaur.de/home]http://www.droemer-knaur.de

_Gregg Hurwitz bei |Buchwurm.info|:_
[„Die Scharfrichter“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3295
[„Die Sekte“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4403
[„Blackout“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5400
[„Die Meute“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6481

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