Mai, Klaus-Rüdiger – Vatikan, Der. Geschichte einer Weltmacht im Zwielicht

Rom ist nicht nur die Hauptstadt Italiens und gehört mit seinen Sehenswürdigkeiten zum Weltkulturerbe, es ist zugleich Sitz des Vatikanstaates, doch in dieser unabhängigen Form erst seit 1929.

Der Vatikanstaat ist eine kleine Enklave inmitten der ewigen Stadt und mit einer Fläche von nur 0,44 km² und ca. 932 Einwohnern (davon nur 552 Staatsbürger) der kleinste Staat auf unserem Planeten. Zu diesem Staat gehören der Petersdom, der Petersplatz und die berühmte Sixtinische Kapelle, ebenso diverse Nebengebäude sowie die vatikanischen Gärten.

Oberhaupt dieser kleinen Gemeinde, die im Grunde eine Monarchie darstellt, ist der von Kardinälen gewählte Papst, der sogenannte Stellvertreter Gottes auf Erden. Er vertritt den Vatikan auf internationaler Ebene, nicht nur im Glauben, sondern mit allen souveränen Rechtsmitteln und Gesetzen, Pflichten und Mitspracherechten in den Gremien und politischen Vereinigungen.

Touristen, die die schöne Stadt Rom besuchen, werden zwangsläufig auch den Vatikan aufsuchen wollen. Die Vatikanischen Museen – die größte Sammlung in Europa -, der Petersdom und -platz sowie die Sixtinische Kapelle sind einmalig und sehenswert und stecken voller Geheimnisse.

So geographisch winzig der Vatikan wirkt, ist er dennoch eine Weltmacht und verfügt ebenso wie Russland oder die USA über eine Art von Armee. Zwar keine militärisch ausgebildeten Heere, aber doch Divisionen tiefgläubiger Menschen, deren Anzahl übermächtig erscheint. Der Vatikan ist und bleibt einer der mächtigsten und undurchsichtigsten Staaten auf unserem blauen Planeten. Er ist ein Symbol, nicht nur für den katholischen Glauben, und seine politische Macht und sein indirekter Einfluss wirken auf das Leben von Milliarden Menschen.

Entgegen allen Versuchen, die Kirche zu unterdrücken oder gar ihre Päpste zu töten, um ein etwaiges politisches Ringen zu gewinnen, haben der Glauben und auch die Institution Kirche überlebt. Sie wusste sich immer zu wehren, intrigierte mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung standen, und es gab so manches düsteres Kapitel in ihrer Biographie. Auch ihre Finanzmacht ist noch immer beispiellos und völlig undurchsichtig, selbst für anerkannte Experten. Seit jeher übt der Vatikan eine Faszination auf die Menschen aus, seine Geheimnisse und Mythen und die symbolische Nähe zu Gott wirken mystisch und anziehend.

Aus unserer Geschichte ist der Vatikan nicht mehr wegzudenken, und ebenso wenig aus unserer Gegenwart. Doch die Kirche ist alles andere als unfehlbar: Vergessen wir nicht die Inquisition, die es noch bis zum 20. Jahrhundert gab, oder das Verhalten der Kirche zu den Staaten während der beiden Weltkriege. Wenn wir in der Geschichte noch weiter zurückgehen, so begegnet uns ein wahres Register der Sünden: Hexenverbrennungen, Auftragsmorde, Vetternwirtschaft und Fälschungen, Inzest und gar Sodomie, um nur einige wenige hier zu nennen. Der Biograph des amtierenden Papstes Benedikt XVI. und Autor des internationalen Bestsellers „Geheimbünde“, Dr. Klaus-Rüdiger Mai, hat in seinem gerade erschienen Buch „Der Vatikan“ dem Kirchenstaat einen Spiegel vorgehalten.

In diesem Buch durchleuchtet er kritisch und kompetent, aber unerwartet unabhängig den in seiner Geschichte einzigartigen Staat. Dessen sichtbaren und unsichtbaren Machtmittel und Strukturen werden hier durch die gesamte Zeit seiner Existenz, von den Anfängen bis in die aktuelle Gegenwart analysiert und interpretiert.

_Inhalt_

Schon kurz nach der Kreuzigung und dem Tod Christus‘ zogen seine Jünger, allen voran Petrus, durch die Regionen bis nach Rom; selbst der ungläubige Thomas pilgerte nach Indien, um dort Jesus‘ Lehren zu verbreiten.

Petrus kam um das Jahr 62 nach Rom, und diese Metropole galt zu jener Zeit als Mittelpunkt der zivilisierten Welt. Kulte und Religionen aus allen Teilen des Römischen Reiches wurden in der Stadt praktiziert, wenn auch nicht immer offiziell, sondern still und verschwiegen geduldet. Neben den römischen Göttern gab es dort vornehmlich noch griechische und ägyptische. Die verschiedenen Kulte wurden schnell gemischt und in eine Beziehung zu den römischen Reichsgöttern gesetzt, die es zu ehren galt. Petrus fand bereits einige christliche Gemeinden vor; meistens bestanden diese aus freigelassen Sklaven und ärmeren Römern oder feinfühligen Römerinnen, die dem Adel angehörten.

Der Glaube an nur einen Gott war in den Augen des römischen Senats unerklärlich und man fürchtete zugleich das Wachstum dieses neuen Glaubens und seiner Gemeinschaft – eine Gefahr für das gesamte Römische Reich. Als Rom zwei Jahre später brannte, machte Kaiser Nero die christliche Gemeinschaft hierfür verantwortlich, und Tausende wurden durch Kreuzigung, Zerfleischung durch wilde Tiere und ähnlich grausame Methoden ermordet. Dies verstärkte den Glauben jedoch nur noch und die christliche Gemeinde wuchs und wuchs. Petrus wurde Oberhaupt dieser kleinen Gemeinde, schließlich war er ein persönlicher Zeitzeuge und kannte Jesus persönlich.

Die Römer versuchten, seiner habhaft zu werden und ihn als Aufwiegler hinzurichten; der Legende nach bekehrte er seine Verfolger und floh erneut, aber auf seiner Flucht begegnete er diesem Mythos nach Jesus, der auf dem Weg war, sich ein zweites Mal kreuzigen lassen. Petrus erkannte seine Berufung und stelle sich schließlich diesem Schicksal. Auch er wurde gekreuzigt, allerdings kpüfüber.

Die Leiche Petrus‘ wurde auf dem Vatikanischen Hügel in einem einfachen, namenlosen Grab beigesetzt. Diese Stelle des Grabes wurde zu einem Mysterium und von Generation zu Generation weitergegeben. Mit seinem Tod schuf Petrus ein Fundament für die Ewigkeit, genauso, wie es laut Matthäus vom Herrn verheißen worden war.

Über die Jahrhunderte wurde der Einfluss der Kirche auf die größten Nationen und Staaten immer mächtiger. Es grenzt an ein Wunder, dass alle Nachfolger Petrus‘ – die Päpste – ihrer Kirche zu dem Machtzentrum verhalfen, das sie zurzeit noch immer ist.

„Der Vatikan“ erzählt von den Taten und geschichtlichen Ereignisse einer jeden Epoche der Kirchenhistorie. Neutral und sachlich schildert Klaus-Rüdiger Mai den Einfluss der Stellvertreter Gottes auf die unruhige politische Lage im Mittelalter, in dem es kaum Jahre des Friedens gab und jeder Herrscher oder König sein eigenes Reich begründen wollte. Doch auch die Kirchenfürsten sind nur Menschen und viele strebten selbst nach persönlicher Macht und Einfluss. Das Königreich des Himmels bestand für viele von ihnen bereits in der Monarchie des Papsttums und seiner weltlichen Macht auf Erden.

Glaubenskriege erschütterten Europa über Jahrhunderte hinweg. Für die Kirche kämpften im Heiligen Land während der Kreuzzüge die Tempelritter, und viele europäische Adlige befreiten dabei nicht etwa Jerusalem oder das Grab Christ, sondern fanden zu Tausenden ihren Tod. Letztlich wurden die legendären Tempelritter für die Kirche geopfert, nicht wegen ihres Glaubens, sondern wegen ihrer Schätze. Ebenso erging es in französischen Landen den Katharern, die fast ausgerottet wurden.

Ebensolch ein dunkles Kapitel waren die Hexenverfolgung und die Inquisition, und auch hier spielten Besitz, Einfluss und Geld die Hauptrolle, und nicht der Glaube. Von Jahrhundert zu Jahrhundert wandert der Autor zusammen mit den Päpsten durch die historischen Ereignisse und bildet solcherart letztlich eine überragende und gut strukturiere Biographie der Kirche heraus. Dunkle Kapitel der Neuzeit wie die Judenverfolgung im Dritten Reich werden hier realistisch und weniger düster und anklagend geschildert und spiegeln eine weniger negative Charakterisierung wider.

In den letzten Kapiteln geht der Autor auf Johannes Paul II. und seinen Kampf gegen den Kommunismus ein, ebenso erscheint die kirchliche Organisation Opus Dei in einem erklärenden Licht, wirtschaftliche Aspekte werden ebenso geschildert wie die schmale Gratwanderung zwischen Wissenschaft und Religion oder die Suche nach dem personifizierten Bösen, um dem Teufel ein Gesicht geben zu können.

Am Ende gestattet sich der Autor einen Ausblick auf die Zukunft des Vatikans aus heutiger gesellschaftlicher und politischer Sicht. Im Anhang wird das Geflecht der christlichen Kirche in einen Schaubild aufgeschlüsselt und auch die anderen großen christlichen Glaubensrichtungen werden dem Leser erklärt. Eine Liste der Päpste und Ergänzungen an Literatur zu diesem Thema runden das Buch gekonnt ab.

_Kritik_

Das Geheimnisvolle am Vatikan sind wohl die Legenden und zugleich die Unantastbarkeit dieses kleinen Staates, der zu einer Weltmacht geworden ist. Was verbirgt sich in den Geheimarchiven und Bibliotheken des Kirchenstaates? Zu vielen Kammern und Räumen hat nur der Papst Zutritt – welche Geheimnisse bewahrt das Oberhaupt der Katholischen Kirche? Zumindest unbezahlbare Kulturgüter und Schätze kann man als Besucher in den Vatikanischen Museen bestaunen – nicht alle Exponate darunter sind wohl legal in die Räumlichkeiten gelangt. Und die Sixtinische Kapelle, in der die Kardinäle das Oberhaupt unter Ihresgleichen wählen, ist wahrlich ein Augenöffner für jeden Kunstliebhaber.

Klaus-Rüdiger Mai hat ein umfassendes geschichtliches Werk über den Vatikan verfasst. Wo Licht in dieser Historie erstrahlt, wirft der Autor punktgenaue Schatten, und möglichst neutral beurteilt er die Entscheidungen der historischen Kirchenfürsten im Detail. Das Buch ist mit Sicherheit kein umfassendes Werk – diese Aufarbeitung könnte man nur schwerlich in Buchform fassen; die wichtigsten, konkretesten Ereignisse werden jedoch angerissen und in komprimierter Erzählung wiedergegeben. Dies ist keine Anklageschrift, keine Auflistung eines katholischen Sündenregisters; der Autor hält sich an Fakten, und nur an diese. Trotzdem unterlässt er es ab und an nicht, durch kritische Untertöne seinen Worten noch mehr Gewicht zu verleihen. Er nimmt andererseits die Kirche durchaus auch in Schutz oder erklärt, aus welchen Zwängen heraus die Päpste in manchen Situation so handeln mussten. Doch auch die Kirche selbst ist durchaus selbstkritisch und nicht so arrogant, ihre eigenen Versäumnisse und Fehler nicht einzugestehen. Darwin sagte einmal, dass die Wissenschaft Gott nicht ausschließe; es hat lange gedauert, bis auch die Priester dies offen akzeptieren konnten, ohne zugleich selbst als Ketzer zu gelten.

Wer sich für Kirchgeschichte interessiert und die Entscheidungen der Päpste vergangener Zeit, für ihr Wirken in guten wie auch schlechten Zeiten, der ist mit dem Buch „Der Vatikan“ gut beraten. Wer allerdings erwartet, dass Mysterien erklärt und Geheimnisse aufgedeckt werden, könnte enttäuscht sein. An keinem anderen Ort der Welt wird ein derart geballtes Schriftwissen über die Jahrhunderte hinweg der Öffentlichkeit vorenthalten, und das sicherlich manches Mal völlig berechtigt. Doch leider gewährt uns auch Herr Mai keinen klärenden Blick auf diese verborgenen Archive.

Kritisch sei zu anzumerken, dass Themen wie beispielsweise der Sinn des Zölibates oder die Rolle der Frau in der von Männern dominierten Kirche in diesem Werk völlig untergehen, wobei dies aufgrund der inhaltlichen Trennung von Vatikanstaat und Katholischer Kirche nachvollziehbar ist. Der Autor konzentrierte sich neben der Entstehung und der Entwicklung des katholischen Glaubens nur auf die Päpste, ihren Stand und ihre Wirkung auf politische Entscheidungen.

Das Buch endet in unserer Gegenwart mit dem jetzigen Papst, der den Weg Johannes Paul II. weitergehen wird – ein offener, diplomatischer Weg, um die Kirche auch in diesem Jahrhundert weiter zu stabilisieren. Die Kirche wird sich immer auch ihren Schäfchen anpassen müssen, um nicht vom Strom der Zeit hinfortgerissen zu werden.

_Fazit_

„Der Vatikan“ ist vor allem ein umfassendes Werk über das Leben und Wirken der Päpste, angefangen von Petrus bis zu unserem heutigen Papst Benedikt. Geheimnisse bleiben jedoch auch hier Geheimnisse; es gibt andere Bücher und Romane, die sich mit Verschwörungstheorien und Mysterien rund um Kirche und Vatikan beschäftigen.

Doch auch die Geschichte dieses winzigen Staates, der doch die Rechte und auch Verpflichtungen einer Weltmacht innehat, ist nicht weniger spannend zu lesen. Die Vergangenheit wurde durch die Kirche in erheblichem Maße geschrieben, die Gegenwart wird von ihr beeinflusst. Hier erfährt der Leser vieles über dieses Wirken.

_Der Autor_

Klaus-Rüdiger Mai studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie in Halle-Wittenberg und arbeitete als Regisseur und Autor für das Theater. Über viele Jahre war er als Drehbuchautor, Dramaturg und Produzent für das Fernsehen tätig. Im Gustav Lübbe Verlag erschien von ihm „Benedikt XVI. Joseph Ratzinger: Sein Leben – Seine Ziele“ (2005) und „Geheimbünde – Mythos, Macht und Wirklichkeit“ (2006). Zu einer ARD-Dokumentation über Papst Benedikt XVI. im Jahr 2007 schrieb er das Drehbuch.

http://www.luebbe.de

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