Berlusconi

Knapp verloren hat Silvio Berlusconi die Wahlen in Italien und zeigt sich als schlechter Verlierer, indem er das Ergebnis anzweifelt. Eine Ära scheint ihrem Ende entgegen gegangen zu sein, soweit es nicht doch noch zu Neuwahlen kommt. Ganz trauen darf man der neuen Realität noch nicht, hatte doch die Wahl selbst bis in die darauf folgenden Tage hinein noch etwas von einem Krimi, der Italien in Atem hielt und die Bevölkerung spaltete.

Grund genug, einen Rückblick auf Berlusconi und seine politische Geschichte zu unternehmen. Vor allem die Frage, ob in Italien unter Berlusconi noch von Demokratie zu sprechen war, galt während seiner Amtszeit als sehr umstritten, vor allem da unter seinem Machtmonopol die Medien die zentrale Rolle einnahmen und die Politik ihrer Logik, ihres Zeitgefühls und ihren Marktgesetzen unterwarfen. Vor allem über das Fernsehen wurde Politik sehr vereinfacht, aber auch deren Inhalte völlig im Verbogen belassen.

Berlusconi war schon Anfang der 80er Jahre Mitglied in der umstrittenen Freimaurerloge [P2,]http://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda__Due die ein Kompendium der Machtelite Italiens darstellte und alle Leiter der Geheimdienste, Offiziere, Generäle und Admirale ebenso umfasste wie auch Minister. Inhaltlich ging es vor allem um die Bekämpfung des Kommunismus, und Berlusconi hat dort wahrscheinlich vor allem seine Bekanntheit und sein Netzwerk ausgebaut und Zugang zu Finanzquellen erhalten. Berlusconi versuchte seine dortige Mitgliedschaft immer herunterzuspielen und wurde deswegen 1990 von einem Gericht in Venedig wegen Falschaussage verurteilt, was bis heute trotz all seiner Verfahren seine einzige rechtsgültige Verurteilung darstellt.

Die strategische Zielsetzung der P2 war u. a., die Unabhängigkeit der Justiz zu durchbrechen und die Schlüsselstellung in den Medien zu erobern, was, entlarvend genug, dann ja auch die zentralen Punkte in Berlusconis politischem Programm darstellte. Er baute das Privatfernsehen auf, und man könnte für italienische Verhältnisse heute sogar sagen: Fernsehen ist Berlusconi. Mit Hilfe dieses Mediums konnte er in die Politik gehen und kandidierte 1994, wobei er sich mit sehr unterschiedlichen politischen Lagern der italienischen Rechten verbündete: auf der einen Seite mit der Lega Nord, auf der anderen Seite mit dem Movimento Sociale Italia (MSI), der sich mit der faschistischen Vergangenheit des Landes identifizierte. Die MSI nannte sich später in Alleanza Nazionale um und wandelte sich zu einer straff organisierten rechten Massenpartei. Lega Nord und AN passten aber damals wie heute nicht wirklich zusammen und vertreten sehr konträre Programme.

Dennoch gelang es ihnen damals die Mitte-Links-Koalition mit Berlusconis amerikanisiertem, personalisiertem Politikspektakel völlig zu überrumpeln. Zwar kamen sie noch nicht an die Macht, aber Berlusconis eigene Partei Forza Italia war mit 21 % die stärkste politische Kraft in der zersplitterten italienischen Parteienlandschaft. Von Anfang an verhielt sich Berlusconi im Parlament nicht wie ein Parteivorsitzender, sondern trat als Boss seiner Partei auf. Bei den Europawahlen 1994 stieg sein Stimmenanteil schon auf über 30 %. Im selben Jahr begann aber auch schon die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Korruption zu ermitteln. Die Lega Nord unter Umberto Bossi realisierte, auf welches unsichere politische Abenteuer sie sich eingelassen hatte, und trat aus der Koalitionsregierung zurück. Die Regierung war gestürzt und Berlusconis erste Amtszeit nach sechs Monaten gescheitert.

Zudem ermittelte erneut die Staatsanwaltschaft gegen ihn. Diesmal ging es um Korruption der Finanzpolizei, illegale Parteifinanzierung, Bilanzfälschung und Richterbestechung. In Spanien wurde wegen Steuerhinterziehung und Verstöße gegen das Kartellrecht gegen ihn ermittelt. 1995 waren die Ermittlungen abgeschlossen und 1998 wurde Berlusconi zu zwei Jahren und neun Monaten Gefängnis schuldig verurteilt. Im italienischen Justizwesen tritt man seine Strafe aber erst an, wenn alle Instanzen durchlaufen sind. 2000 wurde vom höchsten Gericht die Strafe bestätigt. Aber da die Schuld mehr als zehn Jahre zurücklag, kamen Verjährungsbestimmungen zum Tragen. Außerdem gewann er 2001 wieder die Wahlen und wurde überraschend daraufhin gerichtlich für unschuldig erklärt.

Berlusconi war einfach nur sehr geschickt darin, Verfahren in die Länge zu ziehen und politische Termine vorzuschieben, um nicht vor Gericht erscheinen zu müssen. Solcherart die Verjährung zu erzielen, war nicht ehrenhaft, aber umso wirksamer. Auch hatte seine Medienkontrolle, wodurch er zehn Jahre gegen die Strafverfolgungsbehörden als „kommunistische Staatsanwälte und Richter“ hetzte, sicherlich auch ihren Anteil daran, dass er ohne Konsequenzen davonkam.

Das Ausland war schon immer Berlusconi-kritisch, aber 1999 gelang es ihm mit Hilfe von Helmut Kohl und José Maria Aznar, mit seiner FI tatsächlich als Nachfolgepartei der alten DC anerkannt und damit in den Kreis der Europäischen Volksparteien (EPP) aufgenommen zu werden. Dass der damalige christdemokratische Kommissionspräsident Roman Prodi darüber sehr entrüstet war, änderte nichts. In Italien gewann er wieder Land, als nach einigen Jahren Streitereien die Lega Nord Stimmen verlor und deswegen doch erneut Interesse daran bekam, vielleicht in die Koalition mit der FI und AN zu gehen. 2001 gewann er also wieder die Wahlen, wenn auch knapp – eigentlich hatte er sogar weniger Stimmen als das Mitte-Links-Bündnis, aber die Sitzverteilung im italienischen Parlament und den Senaten ist so kompliziert, dass für normale europäische Verhältnisse in recht merkwürdiger Weise Stimmen gebündelt werden.

Er kaufte mehr und mehr private Fernsehsender und im Grunde gehören ihm mittlerweile alle etwa fünfzig Programme, bei denen es nur um Einschaltquoten geht und die allesamt den gleichen verdummenden und geistlosen Quatsch senden. Privatfernsehen ist in der Hand von Superreichen, von Holdings und Unternehmensgruppen – eine Situation, die auch andernorts Schule macht. An der Spitze stehen Manager, die riesige Summen verdienen, aber die meisten Konsumenten sitzen am unteren Ende der Einkommensskala. In Italien wie auch in den USA und anderenorts ist der Fernsehkonsum bei Familien mit niedrigstem Bildungsstand und Einkommen am höchsten. Diese sozialen Schichten sind auch am wenigsten in der Zivilgesellschaft aktiv. Passivität und ein auf das Privatleben beschränkter Horizont setzen natürlich manipulativer Suggestion nichts entgegen. Statistisch sehen die Italiener mehr fern als alle anderen Westeuropäer, aber noch nicht so viel wie die Amerikaner.

Das krasse Beispiel in Italien ist aber, dass alle Programme von Berlusconi diktiert werden. Faschismusvorwürfe weist er jedoch von sich, weil er ja angeblich auch linke Wähler bediene. Entgegen dem klassischen Faschismus werden abweichende Stimmen nicht zum Schweigen gebracht. Aber ein schönes Zitat von Talkmaster Maurizio Constanze von 2001 drückt es dennoch treffend aus: „Die Macht gehört nicht dem, der im Fernsehen zu Wort kommt, sondern dem, der dir erlaubt, darin zu Wort zu kommen“. Zwar kommen also, kurz geschnitten, viele unterschiedliche Politiker zu Wort, die dann aber anschließend lange aus Regierungsmeinung heraus kommentiert werden.

Die Erfahrung zeigt auch, dass wenn Einschaltquoten sinken, Berlusconi kritische Stimmen aus seinen Programmen herauswirft. 2003 wurde z. B. auch die Berichterstattung über den Generalstreik der Gewerkschaften in den Nachrichten untersagt. Historiker sind sich beim Faschismusvergleich noch sehr uneinig, denn zwischen Mussolini und Berlusconi gibt es auch viel mehr Unterschiede als Ähnlichkeiten. Darin, wie sie sich allerdings medienwirksam aufbauen und über welches Charisma sie verfügen, sind sich die beiden dennoch ähnlich.

Auch die staatliche Gewalt geht in eine faschistische Richtung, wofür die bekannt gewordenen Übergriffe der italienischen Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten wider den G8-Gipfel 2001 in Genua bestes Beispiel sind. In den Polizeikasernen wurde gefoltert und Angereiste Gipfelgegner waren in der Diaz-Schule mitten in der Nacht im Schlaf überfallen und verprügelt worden. Die Rechtfertigung für diesen Überfall waren zwei gefundene Molotowcoctails, wobei sich aber später herausstellte, dass diese von der Polizei selbst hineingeschmuggelt worden waren. Solches Vorgehen gibt es im internationalen Vergleich nur in südamerikanischen Diktaturen.

Tatsächlich feierte unter Berlusconi die faschistische Kultur fröhliche Urständ: faschistisch in ihren Losungen, faschistisch in ihrer Brutalität und faschistisch in ihrer mutwilligen Missachtung der elementarsten Rechte von Festgenommenen. In seiner Amtszeit wurde Mussolinis Faschismus neu bewertet und im offiziellen Sprachgebrauch der Mitte-Rechts-Parteien gilt der Faschismus als nicht gar so verwerflich; Mussolini sei durch Hitler vom Weg abgekommen und erst nach der Einführung der berüchtigten Rassengesetze 1938 sei das Regime entgleist. Auch die Lega Nord erklärte 1994, dass Frauen es unter dem Faschismus gut gehabt hätten. 2003 erklärte Berlusconi, Mussolini habe niemanden umgebracht, er sei ein „milder“ Diktator gewesen und habe seine Gegner anstatt ins Gefängnis auf Inseln wie Ponza und Ventotene „in die Ferien“ geschickt. Solche Behauptungen sind historisch unhaltbar. Sogar die rechtsgerichtete Presse Italiens beklagte die haltlosen Lügen Berlusconis. Unter seiner politischen Geschichte von 1994 bis 2003 wurden viele „gute“ Faschisten rehabilitiert. Die italienischen Schulbücher wurden nach „objektiven Kriterien, die die historische Wahrheit respektieren“ umgeschrieben, da sie angeblich bisher zu linkslastig waren.

Auch die Justizangelegenheiten, denen Berlusconi durch Verjährung entging, zeigen die gleichen Tendenzen. Seine Mitangeklagten bekamen ja 2003 elf Jahre Gefängnis, aber auch sie sitzen nicht ein, da noch nicht alle Instanzen durchlaufen sind. Zudem hatte Berlusconi mit einem schnell durchs Parlament gejagten Gesetz erreicht, dass den Inhabern der fünf höchsten Staatsämter für die Dauer ihrer Amtszeit Immunität zugebilligt wird. Am 20. Juni 2003 konnte er verkünden: „Mein Leidensweg ist zu Ende“. Mehr als 60 % der Italiener sprachen sich gegen dieses Immunitätsgesetz aus, und selbst unter den Wählern der Regierungskoalition waren nur 25 % für das Gesetz. Aufgrund der Medienmacht und ihrer Propaganda hatte aber auch nur noch ein Drittel der Italiener Vertrauen in die Justiz. 2004 entschied das Verfassungsgericht, dass das Immunitätsgesetz gegen die Verfassung verstößt. Berlusconi kam doch vor Gericht, wurde in drei Punkten für unschuldig erklärt, aber der Hauptanklagepunkt war verjährt. Von seinen neun Verfahren seit 1996 kam sechsmal die Verjährungsfrist zum Tragen, in den übrigen Fällen war er in der zweiten Instanz freigesprochen worden.

In der Außenpolitik verlor er an Ansehen wegen seiner liebdienerischen Beziehung zu Bush und weil er sein Land zu einem der ersten Mitglieder der „Koalition der Willigen“ beim Angriff auf den Irak machte. Das war gegen das religiöse Gefühl des katholischen Italiens und auch gegen die Meinung der Bevölkerung überhaupt. 90 % der Italiener sprachen sich gegen den Krieg aus.

Seit 2002 hat sich ein neuer unerwarteter Widerstand in Italien organisiert, der sich aus der globalen Protestbewegung der 18- bis 25-Jährigen speist und locker in den Sozialforen der meisten größeren Städte organisiert ist. Italiens Social Forum ist das mitgliederstärkste und bestorganisierte in Europa. Millionen Menschen werden für Demos aktiviert. Diese Zahlen übertrafen die kühnsten Hoffnungen der Organisatoren und gehen auch über alle vergleichbaren Zahlen der Vergangenheit hinaus, übertreffen sogar den „heißen Herbst“ der Arbeiterkämpfe 1969 – 70. Auffallend ist der Anteil der Mittelschicht, der weder mit Berlusconis Politik noch mit der Mitte-Links-Koalition zufrieden ist.

Im Frühjahr 2006 hat er die Wahl verloren und damit wurde die Gefahr gestoppt, dass er im Herzen Europas ein voll entwickeltes, durch Medien gesteuertes persönliches Regime errichtet. Aber noch reagiert er bissig und angriffsfreudig auf das Wahlergebnis und man darf seine Entschluss- und Widerstandsfähigkeit nicht unterschätzen. Was in Italien passiert, hat nach wie vor vielfältige Folgen für die Zukunft der Demokratie in der ganzen Welt.

Mehr über Berlusconi erfährt man in einem recht preisgünstigen Buch beim |Wagenbach|-Verlag:

Paul Ginsborg
[BERLUSCONI]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3803124972/powermetalde-21
Politisches Modell der Zukunft oder italienischer Sonderweg?
192 Seiten, Paperback, Wagenbach Verlag 2005
ISBN 3-8031-2497-2

|Infolinks:|
[Propaganda Due]http://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda__Due
[Silvio Berlusconi]http://de.wikipedia.org/wiki/Silvio__Berlusconi
[Parlamentswahlen in Italien 2006]http://de.wikipedia.org/wiki/Parlamentswahlen__in__Italien__2006