Doctorow, Cory – Little Brother

Google Street View, ELENA, Facebook – kritische Medien schlagen immer wieder Alarm, dass persönliche Daten heutzutage nicht ausreichend geschützt sind. Gerade in letzter Zeit scheinen sich diese Fälle zu häufen. Wohin so etwas führen kann, zeigt „Little Brother“ von Cory Doctorow, ein Jugendbuch, das aber auch für Erwachsene sehr lesenswert ist.

Als Terroristen in San Francisco die Oakland Bay Bridge sprengen, befinden sich Marcus und seine Freunde am falschen Ort. Sie werden von der Heimatschutzbehörde als potenzielle Verdächtige gefangen genommen und auf eine Insel gebracht. Dort werden sie auf brutale Art und Weise verhört. Die Ermittler scheinen es besonders auf Marcus abgesehen zu haben. Der Computercrack bastelt in seiner Freizeit gerne eigene Programme oder Geräte und lässt nichts unversucht, um die Sicherheits- und Bespitzelungsmethoden auf seinem Laptop, den er von der Schule gestellt bekommen hat, zu umgehen.

Diese Schläue wird ihm jetzt jedoch zum Verhängnis. Man verdächtigt ihn, am Anschlag beteiligt gewesen zu sein, kann ihm jedoch nichts nachweisen. Als man ihn und zwei seiner drei Freunde wenige Tage später gehen lässt, droht man ihm, ihn im Auge zu behalten. Die Jugendlichen kehren zu ihren Eltern zurück, die sie für tot gehalten haben, aber sie dürfen ihnen nicht die Wahrheit über ihre Abwesenheit erzählen. Doch einer von ihnen bleibt verschollen. Darryl, Marcus‘ bester Freund, der bei dem Anschlag verletzt wurde, kehrt nicht nach Hause zurück. Marcus ist wütend, glaubt, dass die Heimatschutzbehörde ihn auf dem Gewissen hat. Als ihm klar wird, dass der Anschlag als Grund benutzt wird, um die Überwachung der Bürger auszuweiten, beschließt er, dagegen zu kämpfen. Mit seinen Fähigkeiten gründet er eine Widerstandsbewegung im Internet, die sich „Little Brother“ nennt. Sie müssen zwar im Geheimen agieren, doch sie sind viele – und sie schaffen es tatsächlich, den „Big Brother“ ordentlich in Bedrängnis zu bringen …

Der große Bruder und der kleine Bruder – die Vergleiche mit George Orwells Werk „1984“ kommen nicht von irgendwoher, gibt der Autor es im Nachwort doch als Inspiration an. „Little Brother“ ist deswegen noch lange keine bloße Kopie. Die Handlung kann durchaus für sich alleine stehen, auch wenn sie nicht immer völlig neu wirkt. Viele der Ereignisse in der Geschichte sind die, die man in einem solchen Buch erwartet. „Little Brother“ ist schließlich nicht das erste Buch, in dem ein Einzelner gegen eine böse Regierung kämpft. Doctorow hat es allerdings geschafft, die Thematik zum Einen für Jugendliche aufzubereiten und zum Anderen durch die Computer- beziehungsweise Internetproblematik sehr aktuell zu gestalten.

Für die Jugendlichen wird die Geschichte vor allem durch den jungen Protagonisten interessant. Darüber hinaus dürften viele durch die Computerthematik angesprochen werden und wer ein bisschen Coming-Age-Roman oder Romantik braucht, der kommt ebenfalls auf seine Kosten. Eine interessante, toll geschilderte Liebesgeschichte, die völlig ohne Kitsch funktioniert, lockert die Handlung auf. Man muss nicht unbedingt ein Computerfreak sein, um das Buch zu lesen, denn Marcus ist auch nicht der typische Nerd. Er weiß zwar viel, doch dieses Wissen teilt er mit dem Leser. Immer wieder holt er aus, um Fachbegriffe zu erklären, so dass die Lektüre nebenbei noch sehr lehrreich ist. Dank des einfachen und persönlichen Plaudertonfalls, in dem diese Abschnitte verfasst sind, sind auch sie interessant und überwiegen den Rest der Handlung nicht. Dieser hätte aber trotz der Authentizität und Nahtlosigkeit etwas mehr Spannung, etwas mehr Paranoia ganz gut getan. Stellenweise dümpelt die Geschichte langsam vor sich hin.

Marcus rettet die Situation jedoch in vielen Fällen. Er erzählt locker und wendet sich dabei immer wieder an den Leser. Von der ersten Seite an wirkt er wie jemand, den man persönlich kennt. Er ist sympathisch, dabei aber kein typischer Held. Ein leichter Antiheld, das schon, aber bei Weitem kein Loser. Er wirkt eher wie ein ganz normaler Jugendlicher mit den Problemen, Stärken und Schwächen dieses Alters und es sollte Jugendlichen leicht fallen, sich mit ihm zu identifizieren.

„Little Brother“ hat leichte Schwächen in der Handlung, überzeugt aber ansonsten auf ganzer Linie. Der Schreibstil und der Protagonist sind fantastisch, doch was wirklich wichtig ist, ist die Message des Buches. Cory Doctorow schafft es, eine gewisse Sensibilisierung für das Thema Überwachungsstaat zu schaffen, ohne dabei zu sehr zu übertreiben oder dem Leser eine Meinung aufdrücken zu wollen. Er lädt zum Nachdenken ein – und das nicht nur Teenager. Auch für Erwachsene dürfte die Lektüre von „Little Brother“ lehrreich und interessant sein. Ein ausführliches Literaturverzeichnis am Ende des Buches, das vom Autor kommentiert ist, lädt dazu ein, sich tiefer in die Materie einzuarbeiten.

|Taschenbuch: 490 Seiten
Originaltitel: Little Brother
Aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn
ISBN-13: 978-3499215506|
http://www.rororo.de
[„Website des Autors“]http://www.craphound.com

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