Wolfgang Kramer & Michael Kiesling – Nauticus

Eine Kooperation von Michael Kiesling und Wolfram Kramer klingt wie das Schlaraffenland für eifrige Brettspieler – immerhin haben beide Autoren in der jüngeren und ferneren Vergangenheit einige wichtige Meilensteine gesetzt und sind beide auch schon mit dem „Spiel des Jahres“-Emblem bestätigt worden. In „Nauticus“ macht das Duo nun gemeinsame Sache und hat sich nicht lumpen lassen, einen Titel zu erstellen, der viele komplexe Inhalte beherbergt, nach einiger Eingewöhnungszeit aber doch einen richtig tollen Spielfluss gewährt, dessen gehobener Anspruch für beide Masterminds wohl als selbstverständliche Voraussetzung gegolten haben dürfte. Denn auch wenn sich die grobe Umschreibung von „Nauticus“ relativ schlicht liest, so stecken doch viele, ja wirklich sehr viele kleine Details in der Spielsystematik, die erst nach und nach (und sicherlich nicht nach der ersten Partie) wirklich zum Vorschein kommen.

Darum gehts:

„Nauticus“ vereint zwei Berufsbilder zu einem feinen Gesamtstück; die Spieler schlüpfen nicht nur in die Position eines Reeders, der Schiffe unterschiedlicher Größe errichten muss, sondern übernehmen auch gleich den Part des Seefahrers, der mit eben diesen eigens konstruierten Ein- oder Mehrmastern ihre Waren verschiffen sollen. Doch die Zeiten sind hart, gute Arbeiter schwer zu finden, und da sich die generellen Aufgaben sehr vielfältig gestalten, muss man an allen Ecken und Ende nachsteuern, damit die Werft aktiv bleibt, der Warenfluss aber auch ununterbrochen läuft. Für beides ernten die Spieler Siegpunkte in gestaffelter Höhe, so dass eine Kombination aus Warenlieferant und Schiffsbauer immer Hand in hand gehen muss. Stauen sich nämlich im Lager die Waren, weil nicht alle Schiffsteile angebaut sind, wird der Empfänger meckern. Baut man indes im Eiltempo und vernachlässigt die Aktivitäten auf dem Warenmarkt, müssen die Schiffe ohne Inhalt in See stechen. Wer hieerbei den bestmöglichen Balanceakt hinlegt, wird am Ende die meisten Siegpunkte einfahren und „Nauticus“ gewinnen!

Spielmaterial:

* 18 Bugplättchen
* 18 Heckplättchen
* 18 1er-Schiff-Plättchen
* 9 Mittelteil-Plättchen
* 72 Masten (4 x 15 Masten je Wappen + 12 Masten mit Krone)
* 72 Segel (4 x 15 Segel je Wappen + 12 Segel mit Krone).
* 48 Warenplättchen (je 12 x Kaffee, Getreide, Salz und Fisch)
* 42 Münzen (26 x 1 Taler und 16 x 5 Taler)
* 1 Ankerplättchen
* 1 Übersicht (Siegpunkte bei Spielende)
* 1 Startspielerfigur
* 1 Rundenmarker
* 4 Siegpunktmarker (je 1 pro Spielerfarbe)
* 28 Arbeitersteine
* 12 Passe-Plättchen (4 Sets mit jeweils -3, -2, -1 Siegpunkten)
* 1 Drehscheibe
* 1 Spielplan
* 1 Spielanleitung
* 4 Lager
* 4 Plättchen „Extra-Aktion“
* 8 Aktionsplättchen

Womöglich ist „Nauticus“ zunächst einmal nicht jener grafische Blickfang, den man von vergleichbaren Titeln gewohnt ist. In diesem Fall ergibt das aber auch wirklich Sinn, denn die vielen Spielmaterialien mit all ihren unterschiedlichen Funktionen wollen im Spiel immer gut getrennt sein – und da wäre eine visuelle Überfrachtung schon arg kontraproduktiv. Nichtsdestoweniger wird das Spiel thematisch adäquat umgesetzt und im zweckdienlichen Sinne, hier und dort aber auch im Hinblick auf einzelne Feinheiten sehr gut dargestellt.

Und dennoch hebt sich „Nauticus“ mit seinen feinen mechanischen Teilen aus der Masse ab, sei es nun beim Drehrad, das in der Mitte des Spielbretts platziert wird, oder eben bei der Gestaltung des Tableaus, welches die Teilnehmer als Lager und gleichzeitig als Wertungsorientierung verwenden. Praktikabilität ist definitiv ein hohes Gut in dieser Gemeinschaftsarbeit – und das trotz fehlender spektakulärer Bilder nicht ohne gewisse optische Vorzüge.

Spielvorbereitung:

Bevor das Spiel beginnen kann, muss der Spielpan erst einmal aufgebaut werden. Dazu gehört die Anordnung des Drehrads und seiner Aktionsplättchn, die in jeder einzelnen Runde zufällig verändert wird. Alle übrigen Spielmaterialien verschwinden zunächst einmal in passender Sortierung neben dem Brett und werden als Nachfüllstapel bereitgelegt. Jeder Spieler erhält nun ein Lager samt Übersicht und den gleichfarbigen Siegpunktmarker. Zusätzlich erhält er vier Arbeiter, Taler im Wert von 15 Einheiten und die Plättchen für die Extra-Aktion und das Passen. Sind die einzelnen Spielmittel aufgeteilt, kann das Spiel mit der ersten von fünf (oder vier bei zwei Spielern) Runden gewinnen.

Spielablauf:

Beginnend mit dem Startspieler wählen die Spieler nun in ihrem Zug eine der anfangs noch acht möglichen Aktionen aus. Hierbei können Rumpfteile gekauft, Waren besorgt, Masten und Flaggen beschafft oder auch Arbeiter angeworben werden. Auch die Aufstockung seiner beschränkten finanziellen Mittel ist möglich, hier sind die Handlungsmöglichkeiten zumindest am Anfang einer jeden Runde noch sehr variabel. Der aktive Spieler wählt nun eine der vorhandenen Aktionsplättchen auf der Drehscheibe aus und entscheidet sich, ob er die Aktion durchführt bzw. ob er eventuell auch passt. Letzteres ergibt gerade dann Sinn, wenn man eine Aktion nicht sonderlich sinnvoll nutzen kann. Für diesen Fall dreht man eines seiner Krone-Plättchen um und verringert dadurch auch eine Reduktion der Siegpunkte am Ende des Spiels. Wählt man hingegen eine Aktion und mag diese auch spielen, kann man einige Vorzüge und Boni, die auf der Drehscheibe abgebildet sind, für sich nutzen. Man kann diese Aktion auch mehrfach nutzen, allerdings muss man dann auch Zusatzzahlungen leisten, ie nicht immer wirklich erschwinglich sind. Hat man seine Aktion nun durchgeführt, dürfen auch alle Mitspieler diese Aktion nutzen und davon profitieren – oder eben passen. Der einzige Unterschied: Der Bonus gilt nur für den aktiven Spieler!

Nachdem alle Spieler reihum die ausgesuchte Aktion durchgeführt haben, wird das Aktionsplättchen auf der Drehscheibe umgedreht; es kann in der laufenden Runde nicht meehr verwendet werden. Anschließend geht der Startspielerstein im Uhrzeigersinn weiter und der nächste Spieler darf eine der nun noch verbliebenen Aktionen wählen. Gleichsam gilt: Nur er darf den Bonus nutzen. Die Mitspieler, die gleichzeitig von dieser Aktion profitieren könnten, sollten aber jederzeit gut überlegen, ob es Sinn ergibt, beispielsweise Schiffsteile oder Waren zu nehmen. Zwar sind sie in der aktuellen Phase gratis zu bekommen, jedoch müssen alle teile, die nicht in der eigenen aktiven Phase gewählt werden, erst einmal im Lager bevorratet werden und können erst über eine weitere Aktion auf der Drehscheibe ins Spiel gebracht werden. So besteht die Möglichkeit, dass man das Lagr schnell füllt, den Schiffssbau und die Verschiffung aber nicht zügig voranbringen kann, weil die Aktion schon gespielt oder eben anderweitig nicht mehr verfügbar ist. Gierig alles mitzunehmen ist also in „Nauticus“ nicht immer der strategisch klügste Weg!
Im Laufe der Runde versuchen die Spieler nun Schiffe in unterschiedlicher Größe zu bauen, Waren an Land zu ziehen, mit den streng limitierten Arbeitern hauszuhalten, den Geldbestand im Blick zu haben und auch immer wieder das Verhältnis zwischen Waren und Schiffen im Gleichgewicht zu halten. Letzteres ist schließlich auch das Zünglein an der Waage; größere Schiffe bieten nämlich mehr Platz für Waren und bringen auch mehr Siegpunkte ein, ihre Fertigstellung und ihr endgültiger Einsatz verzögern sich aber dementsprechend. Genau diese Verteilung der Balance ist auch der Kniff im gesamten Spiel, an dem sich später auch Sieg und Niederlage messen lassen.

Nachdem nun sieben Aktionsplättchen von der Drehscheibe gewählt wurden (nicht jeder Spieler ist pro Runde gleich oft am Zug!) und noch eines übrig bleibt, wird die Runde beendet. Die Drehscheibe wird neu bestückt, die Kosten und die dort verzeichneten, ‚virtuellen‘ Arbeiter, die man zusätzlich nutzen darf, grenzen demzufolge auch an ein anderes Plättchen, soll heißen die gleiche Aktion muss nun unter anderen Bedingungen ausgeführt werden. Und so beginnt die Runde dann wieder mit der Auswahl der gesamten acht Plättchen und endet, wenn sieben Aktionen gespielt sind.

Sobald nun alle Runden gespielt wurden und die Schiffe mit ihren Waren losgezogen sind, wird gewertet. Der Spieler, der nun die meisten Siegpunkte an Land gezogen hat, ist der Sieger. Gerade bei der ersten Partie sollte man sich dabei nicht auf die vorgegebene Zeit von 90 Minuten Spieldauer verlassen, da die Systematik komplexer ist, als man zunächst vermutet und es eine Weile dauert, bis man die möglichen Strategien durchschaut hat. Aber gerade das zeichnet diesen Titel wohl auch aus!

Persönlicher Eindruck:

„Nauticus“ ist definitiv kein Spiel für Gelegenheitsspieler, dies schon einmal vorweg. Die einzelnen Mechanismen sind zwar sehr gut aufeinander abgestimmt, es bedarf aber einer Menge Planungsgeschick, um das angesprochene Gleichgewicht zu halten. Insofern ist es schon verwunderlich, dass Kramer und Kiesling nicht auf der Auswahlliste zum „Kennerspiel des Jahres“ gelandet sind, denn die Vielzahl zusammengehöriger Mechanismen und die stark ausgeprägte strategische Komponente bringen genau die Voraussetzungen mit, die man für einen derartigen Titel und den entsprechenden, anerkennenden Preis auch beansprucht. Dies bedeutet gleichzeitig auch, dass man von „Nauticus“ so schnell nicht mehr loskommt, denn es ist oftmals ärgerlich, wenn man mit kleinen Fehlentscheidungen den Spielverlauf auf den Kopf stellt und zu seinen Ungunsten entscheidet – aber eben das macht den Reiz an diesem Spiel aus.
Man muss auf jeden Fall eine Menge Details im Auge behalten und einige seiner Züge schon weit im Voraus planen. Immer wieder lauern die Verlockungen auf Boni und Gratisartikel, doch so lukrativ manches Angebot auch erscheinen mag, so schnell kann sich das Spiel dann auch querstellen und gegen einen arbeiten – so zum Beispiel wenn man darauf setzt, ein größeres Schiff zu bauen, das dann aber viel zu lange benötigt, bis es endlich fertiggestellt wird. Ähnliches kann geschehen, wenn die Arbeiter knapp werden, wenn die Waren ausgehen, wenn die falschen Aktionsplättchen in der gegebenen Reihenfolge gespielt werden, und, und, und. Dementsprechend intensiv wird das Spiel mit jeder weiteren Partie, da man langsam aber sicher durchschaut, auf welche strategischen Eckpunkte es ankommt und an welchen Stellen man gerne mal dazu neigt, sich in seiner Planung zu verzetteln. Man wird fortlaufend besser, die Gegner aber auch, und spätestens nach der dritten Spielrunde entpuppt sich „Nauticus“ dann als kleines Mekka für Taktikfüchse, die mit bestens ausgeprägtem Planungsverständnis um die Siegpunkte buhlen.

Die wichtigste und auch schätzenswerteste Qualität des Spiels ist daher auch schlussendlich seine inhaltliche Langlebigkeit. Es besteht de facto gar nicht erst die Möglichkeit, dass zu irgendeinem Zeitpunkt Langeweile aufkommt oder der Reiz sich verschiebt. Ebenfalls sehr angenehm ist bei all diesen Fakten die Tatsache, dass nicht jeder vorgeschobene Sieganwärter zwingend auch im Alleingang das Spiel entscheidet. Mit kleinen taktischen Glanzstücken kann man sich schnell wieder eine neue, bessere Ausgangslage verschaffen und anschließend wieder viele Ungünstigkeiten ausgleichen. Entschieden wird in den meisten Partien tatsächlich erst in der letzten Runde – und genau so soll es auch sein.

Nur eines, und das wurde in diesem Fazit schon mal vorangeschoben, sollte man sich vor Augen führen. „Nauticus“ entwickelt sich und benötigt etwas Zeit, bis sich das ganze Spielsystem gänzlich geöffnet hat. Verzweifelt man im ersten Spiel vielleicht noch an den vielschichtigen Mechanismen und Aktionsmöglichkeiten, wird man in seinem Handeln immer sicherer. Daher sollte man diesen Titel auch nicht wählen, wenn man mal kurz ein kleines Spielchen beginnen möchte. Dafür ist dieses Kooperationsprodukt nämlich absolut ungeeignet. Vielspieler hingegen entdecken an dieser Stelle mehr als nur einen Geheimtipp, nämlich eines der besten strategischen Spiele, das der Kosmos Verlag in seiner langen Historie jemals veröffentlicht hat. Umso bedauerlicher, dass die prestigereiche Auszeichnung am Ende nicht in Betracht gezogen wurde. Verdient hätte „Nauticus“ diese definitiv!

Autoren: Michael Kiesling & Wolfgang Kramer
Verlag: Kosmos
ASIN: B00DUC8FGQ
empfohlenes Alter: ab 12 Jahre
Anzahl Spieler: 2-4 Spieler
www.kosmos.de

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