Gerhard Hecht, Kashgar – Händler der Seidenstraße

In vielerlei Hinsicht war das zu Recht preisgekrönte „Dominion“ ein Dosenöffner. Der Mechanismus von sich repitierenden Kartenereignissen, über die der jeweilige Spieler selbst die Geschicke führt, hat vielen Spieleautoren noch einmal eine völlig neue Richtung vorgegeben, die natürlich konsequent zum großen Kuchen führt, von dem man gerne ein Stück genießen möchte. Ähnliches dürfte sich auch Gerhard Hecht gedacht haben, als er seine Idee für „Kashgar“ – Händler der Seidenstraße“ entwickelt und umgesetzt hat. Allerdings stellt sich schnell heraus, dass der „Dominion“-Vergleich hier nur bedingt angebracht ist. Ja: Es gibt Parallelen, und manche Mechanismen sind geringfügig vergleichbar. Unterm Strich ist die Materie aber doch eigenständig, zumal einige zusätzliche Zugoptionen das Spiel immer wieder verändern können. Wer dem Spiel also Unrecht tun mag, zieht den besagten Vergleich – alle anderen sollten sich erst einmal auf „Kashgar“ einlassen und spätestens nach der dritten Partie eingestehen, dass das Spiel einen wesentlich höheren Reiz ausübt, als man zunächst vermuten mag!

Spielidee:

In „Kashgar“ übernimmt man die Rolle eines Gewürzhändlers, der mit verschiedenen Gehilfen seine Karawanen steuert und schließlich Geschäfte an der gesamten Seidenstraße abschließen muss. Es geht darum, seinen Gewürzbestand im Gleichgewicht zu halten, gleichzeitig aber auch immer neue Gefährten anzuwerben, die natürlich auf ihren Lohn nicht verzichten wollen. Gemeinsam mit den Karawanen muss man Aufträge erfüllen, die ebenso wie manch lukratives Mitglied eben jener Karawanen Siegpunkte einbringt. Wem es zuerst gelingt, 25 Siegpunkte auf sein Konto zu bringen, darf sich zum Sieger krönen lassen und gilt fortan als der gewiefteste Händler der Seidenstraße. Zumindest bis zur nächsten Runde…

Spielmaterial:

* 13 Karten ‚Patriarch‘
* 12 Startkarten
* 76 Standardkarten
* 12 Sonderkarten
* 12 Zusatzkarten
* 40 Auftragskarten
* 4 Spielertableaus
* 4 Mulimarker
* 4 Goldmarker
* 20 Gewürzmarker (jeweils 4 in 5 Farben)

Das Spielmaterial ist zunächst nicht sonderlich spektakulär, inhaltlich aber bestens aufeinander abgestimmt. Besonders schön sind die Holzmarker, die thematisch passend angelehnt sind und Gewürze, Mulis und Gold plastisch symbolisieren. Aber auch die grafische Arbeit ist stark und detailreich – in dieser Hinsicht macht „Kashgar“ zumindest so schnell niemand etwas vor!

Spielvorbereitung:

Vor jeder Partie erhalten die Spieler drei ‚Patriarchen‘-Karten und drei zufällig zugeteilte Startkarten. Dazu gibt es ein Spielertableau mit einem Satz aller vorhandenen Marker. Das übrige Kartenmaterial wird als Nachziehstapel beiseite gelegt, abgesehen von den Auftragskarten, von denen die vier obersten gezogen werden und als offene Auslage dienen.

Die Spieler bilden, angeführt von ihren Patriarchen, nun drei Karawanen, an deren zweite Stelle jeweils eine der Startkarten gelegt wird. Die übrigen Patriarchen (bis auf einen) und Stadtkarten verschwinden bei zwei bzw. drei Spielern wieder in der Schachtel und werden fortan nicht mehr benötigt. Der Startspieler ist anschließend derjenige, der die Stadtkarte mit der niedrigsten Rangzahl sein Eigen nennt.

Spielverlauf:

Die Spieler dürfen in ihren Zügen nun zwischen drei unterschiedlichen, dementsprechend auch mit unterschiedlichen Konsequenzen belegten Handlungsmöglichkeiten wählen:

1. Karawanen-Aktion
2. Abschied-Aktion
3. Passen

Die meist gewählte Aktion dürfte dabei die Verwendung einer der Karawanen-Aktionen sein. Hierzu nimmt man die jeweils vorne positionierte Karte einer beliebigen Karawane und führt die im Text erwähnte Aktion durch – allerdings nur, sofern die nötigen Voraussetzungen (Gewürz- oder Goldbestand) erfüllt werden kann. Sollte dies nicht möglich sein, kann auch keine Karawanen-Aktion mit der ausgewählten Karte durchgeführt werden. In den meisten Fällen, kann man bei dieser Option Gewürze gewinnen oder Aufträge erfüllen. Möglich ist aber auch, Sonderkarten in den Besitz zu bekommen oder den Gegner zu beeinflussen. Hat man die Karawanen-Aktion gespielt, reeiht man die gespielte Karte wieder ans Ende seiner Karawane an. Sie kann nun erst wieder gespielt werden, wenn sie an vorderster Position der Reihe liegt.

Zu Beginn des Spiels werden alle Karawanen vom Patriarchen angeführt. Mit dieser Karte kann man vom Nachziehstapel der Standardkarten die beiden obersten Karten ziehen und eine davon in die entsprechende Karawane einreihen. Nur auf diese Weise ist es möglich, seine Karawanen zu erweitern. Gleichzeitig bedeuten größere Karawanen aber auch größere Zeitspannen bis zur Verwendung einer gewünschten Karte. Hier ist also Behutsamkeit geboten, damit wichtige Karten nicht erst nach sechs, sieben oder gar mehr Runden wieder eingesetzt werden können!

Eine weitere Möglichkeit, seinen Zug zu bestreiten, besteht in der sogenannten Abschied-Aktion, die jedoch nicht allen Karten vorbehalten ist. Ein Abschied bedeutet, dass diese Aktion einmalig gespielt werden kann und die Karte dann aus der Karawane verschwindet. Auch hier sollte man gezielt überlegen, ob eine Abschied-Aktion den Einsatz wert ist, weil es sich bei den betroffenen Karten oftmals auch um wertvolle Figuren handelt, die womöglich auch Siegpunkte einbringen würden, sollten sie am Ende des Spiels noch in einer Karawane ausliegen. Wer sich dennoch für den Abschied entscheidet, führt die Aktion im Textfeld noch aus und legt die Karte anschließend ab.

Die meisten Karten überlassen den Spielern auch noch die Möglichkeit, einfach gar nichts zu tun und in der laufenden Runde zu passen. In diesem Fall wird die gewählte Karte zwar auch ans Ende der Karawane gelegt, die darauf befindliche Aktion wird aber nicht durchgeführt.

Reihum wird nun Runde für Runde gespielt. Aufträge werden erfüllt, karawanen werden verstärkt, Siegpunkte werden gesammelt – bis zu jenem Punkt, an dem der erste Spieler 25 Punkte erreicht hat. Sobald dies der Fall ist, wird die Runde noch zu Ende gespielt und anschließend gewertet. Der Spieler, der nun die meisten Siegpunkte hat, gewinnt das Spiel. Sollte es zu einem Gleichstand kommen (gar nicht so abwegig!), siegt der Spieler, der als letztes die entsprechende Punktzahl erreicht hat.

Persönlicher Eindruck:

Es ist auf den ersten Eindruck gar nicht zu verstehen, dass die Meinungen zu „Kashgar – Händler der Seidenstraße“ so weit auseinander gehen. Von der gelegentlich zitierten Langeweile bzw. den fehlenden Einflussmöglichkeiten beim vorliegenden Spielmechanismus ist nämlich absolut keine Spur. Es geht letztendlich nämlich darum, langfristig zu planen und seine Karawanen so anzuordnen, dass man mit seinen jeweiligen Karten ein Gleichgewicht erzielt und somit sowohl Gewürze und Gold/Mulis aufstockt, gleichzeitig aber auch immerzu die Gelegenheit erhält, Aufträge auszuführen und Siegpunkte zu erzielen. So gibt es zum Beispiel vermeintliche Stinker-Karten wie den Gewürzhändler, der in der Endabrechnung einen Siegpunkt kostet, der es aber immerzu ermöglicht, alle erdenklichen Aufträge zu erfüllen. Hat man ihn nicht in seinen Reihen, wird dies mit fortschreitender Spieldauer zu immer größeren Schwierigkeiten führen. Und so verhält es sich eigentlich mit allen Kartentypen, die es nützlich einzusetzen gilt, von denen man aber auch nicht zu viele in seine Auslage bringen sollte, um die Balance nicht unnötig zu beeinträchtigen.

Ein wichtiger Punkt zu diesem Kosmos-Titel ist aber zweifelsfrei der Spannungsgehalt, der sich nun mal nicht wegdiskutieren lässt. Selbst aussichtslos anmutende Partien können noch gedreht werden, auch wenn die Konkurrenz in den ersten Runden schon massiv Siegpunkte erzielt hat und man bereits glaubt, nicht mehr viel erreichen zu können – bei „Kashgar“ gilt: abgerechnet wird erst am Schluss, und bis hierhin kann noch eine Menge passieren.

Insofern überzeugt das Spiel definitiv mit einem weiterentwickelten irgendwo vertrauten Mechanismus, mit einer tollen Grafik, aber schlussendlich eben auch mit einem sehr hohen Wiederspielreiz. Die sehr fokussierte Spielregel und das ausgewogene Verhältnis von vergleichsweise schlichter Mechanik und hohem Strategiefaktor tun ihr Übriges dazu, „Kashgar“ auf jeden Fall auf die Empfehlungslisten derjenigen zu setzen, die kein überproportioniertes Spielmaterial benötigen, um an Spieltiefe zu gelangen. Das gelingt dem Titel von Gerhard Hecht nämlich auch ohne viel Schnickschnack!

Autor: Gerhard Hecht
Verlag: Kosmos
ASIN: B00DUF0RDM
empfohlenes Alter: ab 12 Jahre
Anzahl Spieler: 2-4 Spieler
www.kosmos.de

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