Gabella, Matthieu (Autor) / Jean, Anthony (Zeichner) – Einhorn, Das – Band 1: Der letzte Tempel des Asklepios

_Story_

1565, das Zeitalter der Renaissance: Während in ganz Europa die Religionskriege schwelen, steht die Medizin vor einem revolutionären Umbruch. Die Wissenschaft entdeckt völlig neue Facetten des menschlichen Körpers und steht vor der Aufklärung einiger brisanter Geheimnisse. Als jedoch in Paris gleich mehrere Mediziner tot aufgefunden werden, unterliegen die neuen Resultate einer Verschwörung monströsen Ausmaßes. Ambrosius Paré, königlicher Chirurg und Freidenker, verpflichtet sich der Ermittlungsarbeit und entdeckt ein viel weiter reichendes Phänomen.

Gemeinsam mit den Asklepiaden, einer sektenähnlichen Organisation, stellt er sich den unbekannten Gegnern und begibt sich auf die Spuren verschollener Persönlichkeiten. Dann jedoch wird ihm bewusst, dass auch er auf der Liste derjenigen steht, die zum Abschuss freigegeben sind. Aber just in dem Moment, als er die Gefahr richtig einzuschätzen lernt, nehmen die Dinge eine ungeahnte Wendung. Paré stößt auf Wesen, die nicht nur die Medizin, sondern die gesamte Welt in Frage stellen werden. Alles, woran er je geglaubt hat, scheint plötzlich nur noch ein Mythos zu sein …

_Persönlicher Eindruck_

Auch in diesem Monat beehrt uns der |Splitter|-Verlag wieder mit dem Auftakt einer neuen Serie und desgleichen mit einer phänomenalen Geschichte, die sich wie bislang kein zweiter Comic mit den nach wie vor beliebten Verschwörungstheorien auseinandersetzt, dieses Mal jedoch nicht auf den Klerus bezogen, sondern einzig (und zumindest bis jetzt) allein auf das Wesen des menschlichen Körpers. Matthieu Gabella führt seine Leser zurück ins 16. Jahrhundert und damit in ein Zeitalter, als die Pest noch eine Bedrohung war und die Medizin mitsamt ihrer Glaubensgrundsätze an ihre Grenzen stößt. Ganz Frankreich wird von der Bedrohung des schwarzen Todes überschattet, und lediglich einige Idealisten sehen sich imstande, die Forschung dahingehend zu betreiben, die Gefahr zu beseitigen. Doch Frei- und Querdenkern wird im Paris des Jahres 1565 kein Platz eingeräumt, wie auch Ambrosius Paré schmerzlich erfahren muss. Infolge einer ganzen Reihe aufeinanderfolgender Mysterien stößt er auf das wahre Geheimnis der Asklepiaden und erfährt schließlich von niemand Geringerem als Nostradamus (1503 – 1566) von der tatsächlichen Motivation dieser Organisation.

Jene grobe Rahmengeschichte erlaubt dem Autor die Verwendung eines recht breit gefächerten inhaltlichen Fundus, begonnen mit der improvisierten Einbeziehung der Zeitgeschichte über die Kreation von neuen Mythen und Legenden bis hin zur Integration der Glaubenskriege, die auch vor der Entwicklung in der Medizin keinen Halt machen. Protagonist Paré erfährt von der Existenz sechs zusammengehöriger Tapisserien und ihrer stummen Botschaft und entdeckt bei seiner Aufklärungs- und Ermittlungsarbeit immer mehr gravierende Täuschungen, die seine letzten Jahre als Forscher völlig über den Haufen werfen. Totgeglaubte melden sich zurück, die Asklepiaden gewinnen in ihrer wahren Existenz an neuer Bedeutung, und nicht zuletzt diese seltsamen Kreaturen, deren Fähigkeiten sein anatomisches Denken fast wertlos erscheinen lassen, zerstören selbst seine revolutionären Grundsätze, die ihn bis an den Hof gebracht haben.

Im Zuge dessen entwickelt sich Stück für Stück ein recht komplexes Handlungskonstrukt voller Intrigen und mystischer Begebenheiten, gipfelnd in ständigen Konfrontationen der ebenfalls geheimniskrämerischen Bünde, die sich hier mehr oder minder lose zusammengeschlossen haben, um für Ideale zu kämpfen, deren tatsächliches Leitbild wiederum nur vage zu erkennen ist. Daraus ergibt sich für den Leser ein recht schwieriger Einstieg, weil auf gleich allen Ebenen Ungereimtheiten entstehen, die in diesem Fall jedoch für den gesamten Verlauf förderlich sind, da sie den von der ersten Seite an kreierten Mythos aufrechterhalten, jegliche Überraschungseffekte gewährleisten und der Geschichte unheimlich viel Spielraum ermöglichen, so dass ein Höchstmaß an Spannung schon nach wenigen Skizzen selbstverständlich erscheint.

Bis zuletzt entsteht so ein geradezu fantastisches Epos voller fesselnder Eindrücke, rasendem Tempo und wagemutigen Inhalten. Dank Gabellas Partner Anthony Jean ist es zudem gelungen, die brillante Story auch mit den perfekten Rahmenbedingungen auszustatten. Dazu gehört neben beeindrucken Illustrationen auch die packende Erzählatmosphäre, die sich in wirklich allen Nuancen der Handlung widerspiegelt, sei es nun bei der Einführung der tragenden Persönlichkeiten oder aber in der Gestaltung des Settings. Letzten Endes kann man über dieses Erstwerk aus Gambellas neuer Serie daher auch nur staunen; „Der letzte Tempel des Asklepios“ ist ein zeitgenössisches Comic-Monument, in dem historische Schwerpunkte auf fabelhafte Art und Weise mit einem fiktiven Mythos verschmelzen. Selbst nach all dem, was der Verlag mittlerweile vertrieben bzw. publiziert hat, schleicht sich bei „Das Einhorn“ erneut der Eindruck ein, man habe |das| Comic-Event des Jahres unter seine Fittiche genommen. Wer nämlich mitreden möchte, |muss| hier zugreifen!

http://www.splitter-verlag.de

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