Dell, Christopher – Monster. Dämonen, Drachen & Vampire – Ein Bestiarium

_Inhalt:_

Nach einer Einleitung, die generell und ‚artenübergreifend‘ Herkunft und Geschichte/n der Monster beleuchtet sowie ihre Omnipräsenz in sämtlichen menschlichen Kulturen hervorhebt, versucht der britische Kunsthistoriker Christopher Dell, in zehn Kapiteln Ordnung in das ungeheuerliche Gewimmel zu bringen. Hier werden die Informationen der Einleitung aufgegriffen, vertieft und mit zahlreichen Bildern verdeutlicht.

(1) „Götter und Ungeheuer“: Die Kapitel-Überschrift deutet eine enge und zunächst erstaunliche Verwandtschaft an. Allerdings sind „Götter“ den Menschen durchaus nicht immer freundlich gesonnen. Sie verkörpern auch eine einst nur ansatzweise verstandene und deshalb gefürchtete Natur, treten als „Geschöpfe des Chaos“, sogar als „monströse Gottheiten“ auf, unter denen die „Titanen“ der antiken griechischen Mythologie, mesopotamische oder altägyptische Götter sowie „aztekische Schrecknisse“ genauer unter die Lupe genommen werden.

(2) Das Kapitel „Teufel und Dämonen“ beschäftigt sich mit den Monstern des Alten und Neuen Testaments. Hier sind sie erstaunlich selten und wurden erst in ’nachbiblischer‘ Zeit als Symbole des Bösen instrumentalisiert. So entstand „Satan und die Hierarchie der Dämonen“. Sie wurde zur Basis einer wahren Menagerie bösartiger Höllenwesen, die den Christenmenschen nicht nur im Leben piesacken, sondern auch „das Jüngste Gericht“ umrahmen, hinter dessen Schranken sie auf jene Pechvögel lauern, die ins Höllenfeuer geworfen werden.

(3) Im Mittelalter begann die Naturfurcht sich mit einer jungen Wissenschaft zu mischen. Seltsames ‚Wissen‘, geboren aus Hörensagen und Fehlinterpretation, schürte den Glauben an „Zauberische Monster“: „Wesen der Alchimie, Zaubersprüche und Beschwörungen, Golems, Einhörner“.

(4) In den Himmeln vor allem über abgelegenen Landstrichen trieben „Drachen und fliegende Monster“ ihr Unwesen. Erstaunlicherweise gibt es diese in Kulturkreisen, die nachweislich nie direkt miteinander in Kontakt kamen. Die „Drachen des Westens“ rauben freilich Gold und fressen Jungfrauen, während die „Drachen des Ostens“ eher als freundliche Glücksbringer gelten. Weitere berühmte Luft-Monster waren „Lindwürmer und der Vogel Rok“.

(5) Selbstverständlich tummelten sich in den gewaltigen und gefährlichen Ozeanen „Wassermonster“. In den großen Kreis der „Meer- und Seeungeheuer“ gehört der biblische „Leviathan“. In schottischen Flüssen und Seen lauern die „Kelpies“ auf unvorsichtige Wanderer, in Japan sind es die kuriosen „Kappa“. Klein aber gemein und seit der Antike ‚bekannt‘ sind „Sirenen und Meerjungfrauen“.

(6) Auf dem festen Land kann es ebenfalls ungeheuerlich zugehen, zumal sich hier zu allem Überfluss „Transformationen und Hybridwesen“ tummeln. Gemeint sind „Gestaltwechsler, Werwölfe, Wesen bei Ovid, der Minotaurus, hundsköpfige Menschen“, also Kreaturen, die sich ganz oder teilweise als Menschen ‚tarnen‘ können und deshalb besonders gefährlich sind. Der römische Dichter Ovid widmete solchen Geschöpfen seine „Metamorphosen“ – ein ganzer Zyklus von Geschichten, die er aus etwa 250 antiken Sagen destillierte.

(7) Auch das Jenseits galt als Heimat von Monstern. „Geister und Ghule“ gingen auf Friedhöfen um, „Gespenster“ und „Untote“ besaßen einen unheilvoll erweiterten Aktionsradius; auch „böse Geister“ konnten den Menschen in seinem Heim überfallen. Sicher war man nicht einmal bzw. gerade nicht im Schlaf, denn „Träume und Alpträume“ waren geradezu eine Wiege hässlicher Nachtmahre, Monster auch Ausgeburten unruhig verbrachter Nächte.

(8) Als die Wissenschaft im 18. und 19. Jahrhundert dem Glauben an Ungeheuer die Grundlage zu nehmen begann, fanden „Monster in Volkserzählungen“ ein Reservat. „Untiere aus der Wildnis“ wie „Riesenwölfe, die Tarasque, der Krampus“ wurden – oft schon mit mehr als einem Funken Humor – ins ‚Leben‘ gerufen.

(9) Zumindest einige Ungeheuerlichkeiten musste der Mensch nicht hinnehmen. „Wie man Monster bekämpft“ erinnert an „Helden und Untiertöter“, die oft die Grundlage für ebenso spannende wie erbaulich-lehrreiche Geschichten über „Heilige und Ungeheuer“ bildeten.

(10) Geblieben ist in der Gegenwart die Freude am Monster als Relikt einer Welt, die „Jenseits der Landkarten“ noch unentdeckte Winkel und Abenteuer bieten kann. Die frühe Wissenschaft bot Raum für eine „‚Natur‘-Geschichte“, die „monströse Rassen“ und andere Kreaturen neben die uns bekannte Flora und Fauna stellte. Heute halten die „Kryptiden“ auf die Sache nach dem Yeti oder dem Ungeheuer von Loch Ness die Tradition lebendig. Doch „die letzte Grenze“ bildet das Weltall, das womöglich allerlei außerirdische Monster beherbergt.

|Der Mensch braucht seine Monster|

Sie repräsentieren das Chaos-Element in einer Welt, die nur zum Teil verstanden und deshalb gefürchtet wird: „Monster“ geben dem Schrecken immerhin Gestalt – eine fürchterliche Gestalt, die bereits erklärt, dass seltsame oder schlimme Dinge geschehen. Dieser Versuch einer in der Psychologie wurzelnden Erklärung scheint weltweit die Kulturen zu einen, denn Monster gibt es zu allen Zeiten und auf sämtlichen Kontinenten. Autor Christopher Dell zeigt uns steinzeitliche Höhlenzeichnungen sowie Skulpturen oder Reliefs aus zwar späteren, aber ebenfalls versunkenen Hochkulturen; es ist davon auszugehen, dass jene Zeitgenossen, die in den Lücken zwischen den belegten „hot spots“ existierten, ebenfalls von Monster geplagt wurden.

Das Thema ist vielschichtig und auf weniger als 200 sowie meist bebilderten Seiten nicht einmal annähernd auszuschöpfen. Christopher Dell versteht sein Buch als Einführung in eine Welt, die uns auch im 21. Jahrhundert begleitet. Monster werden nicht mehr gefürchtet, sondern dienen der Unterhaltung. In allen Medien der Gegenwart sind sie präsent. Dabei wirken sie so modern, dass man meinen könnte, sie seien für ihren aktuellen Ruhm geschaffen worden. Dell stellt klar, dass dem keineswegs so ist. Auch die Monster von heute sind Relikte uralter Traditionen. Nicht alle haben sie die Jahrtausende überstanden, aber sie sind zäh: Manches Ungeheuer, das beispielsweise über die Leinwände dieser Welt tobt, ist schon einmal dagewesen und war nur abgetaucht.

|Das Problem des Überblicks|

Angesichts des Füllhorns grotesker Geschöpfe, das Dell über uns ausschüttet, wird verständlich, welchen Quellen die Monster der Moderne entspringen. Schon die Ausblendung der griechischen Antike würde eine Unzahl klassischer Blockbuster-Bestien verschwinden lassen. Dells Verdienst ist es, diesen ‚europäischen‘ Monstern die mindestens ebenso vielfältige Menagerie der asiatischen Gruselgestalten gegenüberzustellen. Nur singulär bleiben Verweise auf Südamerika, während Australien und Afrika ausgespart sind.

Die Sprunghaftigkeit ist glücklicherweise nicht so gravierend wie befürchtet. Dell hat sein Thema trotz des knappen Raumes gut im Griff. Man muss sich freilich damit abfinden, dass erschöpfende Kenntnisvermittlung nicht das Ziel dieses Buches ist. Dann ist es möglich, die knappen, aber informativen Texte zu würdigen. Dell springt nicht von einem Monster zum nächsten. Er schafft zeitliche und räumliche Zusammenhänge, die eine gewisse Globalität der Monster erklären.

|Bunte Welt der Bestien|

Im Vordergrund stehen ohnehin die Bilder. Gemeint sind Abbildungen historischer Gemälde, Stiche, Figuren, Masken, Karten etc. aus vielen Jahrhunderten. Zwar mag der Mensch Monster einst gefürchtet haben, er hielt sie jedoch schrecklich gern im Bild oder als Figur fest. Auch hier spielen psychologische Aspekte eine Rolle; die Beschäftigung mit dem Objekt der Furcht hilft, diese zu überwinden. Eine andere Begründung ist handfester: Künstler stellen gern Monster dar, denn das Böse ist meist interessanter als das Gute. Daran hat sich definitiv nichts geändert, wie unter anderem jeder Horrorfilm-Freund bestätigen wird, der die Minuten zählt, bis Held und Heldin endlich das Schwätzen & Turteln einstellen und das Ungeheuer auftaucht.

Die schier unendliche Vielfalt bizarrer, verdrehter, der ‚ordentlichen‘ Realität spottender Gestalten unterstreicht diese Faszination. Der menschlichen Fantasie war und ist in der Erfindung von Monstern offensichtlich keine Grenze gesetzt. Dass sie sich nicht nur in die Kryptozoologie oder in den UFO-Wahn, sondern auch in jene Sicherheit geflüchtet haben, die Film, Fernsehen oder die digitale Spielwelt ihnen bieten, erwähnt Dell nur am Rande. Multimedial werden die Monster uns zuverlässig über weitere Jahrhunderte begleiten!

|Ein Fest für die Augen|

„Monster“ liegt als Buch deutlich schwerer in der Leserhand als andere, oft deutlich seitenstärkere Bücher dieser Größe. Dies liegt an einem besonders hochwertigen Papier. Es ist dick, verhindert jedes Durchscheinen und gibt Farben brillant und Bilddetails deutlich wieder. Noch unter der Lupe löst sich das Motiv nicht in Farbpunkte auf. Stattdessen werden neue Einzelheiten sichtbar.

Berühmte, anonyme und obskure Künstler haben sich an Monsterdarstellungen versucht. Mal stehen Ungeheuer im Mittelpunkt einer Darstellung, dann wieder bilden sie eher dekorative Elemente. Dell sind stets die Monster wichtig. Er beschränkt sich bei den Abbildungen deshalb oft auf entsprechende Ausschnitts-Vergrößerungen. Diese sind freilich nicht immer glücklich gewählt; Dell ignoriert dann einen Zusammenhang, den erst das Gesamtmotiv widerspiegelt.

Diverse Abbildungen wirken übermäßig bunt. Sie scheinen nachträglich für dieses Buch koloriert worden zu sein. Auch dies stört die ursprüngliche Aussage. Wirklich übel sind jene Abbildungen, die aus verschiedenen Vorlagen ‚komponiert‘ wurden. Ihnen wohnt keinerlei Informationswert mehr inne; sie sind nur noch Dekoration. Erfreulicherweise dominiert die Originaltreue.

Insgesamt hätte dem Werk ein strengeres Layout gutgetan. Die Bilder quellen förmlich über die Ränder hinaus, und oft sehen wir links ein Motiv, das sich mit der Abbildung auf der rechten Seite ‚beißt‘. Zudem wirkt die Bildauswahl willkürlich. Dell springt wie entfesselt durch Raum und Zeit und lässt einen roten Faden vermissen. Manchmal ist weniger mehr, weil es sauberer gegliedert ist.

Ungeachtet solcher Kritik ist „Monster“ eine Fundgrube für den Phantastik-Freund, der sich einen Spaß daraus machen kann, ’seine‘ Lieblingsmonster in ihren historischen Gestalten wiederzuerkennen. Zudem ist nach der Lektüre eines definitiv klar: Für seine Liebe zu Monstern muss sich niemand schämen – sie wird uns Menschen offensichtlich in die Wiege gelegt!

|Gebunden: 192 Seiten
Originaltitel: Monsters – A Bestiarium of the Bizarre (London : Thames & Hudson Ltd. 2010)
Übersetzung: Brigitte Hilzensauer
ISBN-13: 978-3-8503-3437-2|
[Verlagshomepage]http://www.cbv.at

Schreibe einen Kommentar