Hellmann, Brigitte (Hrsg.) – Mit Nietzsche auf der Gartenbank

_Die Herausgeberin_

Briigitte Hellmann, man liest nichts von ihr selbst, weder ein Vor- noch ein Nachwort. Die Münchner Lektorin und Herausgeberin verschiedener Anthologien beschränkt sich darauf, einen allwissenden Blick über die Literatur schweifen zu lassen und mit kundiger Hand auszuwählen. „Mit Platon unter Palmen“, „Mit Sokrates im Liegestuhl“, „Mit Buddha unterm Sonnenschirm“ oder mit „Kant am Strand“ sind Titel ihrer Lesebücher, die sich dem lesemüden Publikum im erfolgsträchtigen Gewand der |Strandkorbliteratur| nähern, also so wenig mühsam sein sollen, dass reiner Genuss so nebenhin möglich ist.

_Mit Nietzsche auf der Gartenbank_

Dort tummeln sich nun neben der Herausgeberin nicht weniger als 24 Denker, Physiker und Literaten, aus denen Friedrich Nietzsche herausragt, denn von den 27 Versatzstücken gehören drei ihm. Dabei hätte er sicher einige seitwärts heruntergeschubst, die da mit versammelt sind, denn dem Khalil Gibran hätte er das Herz geneidet, Herder für einen Schwätzer gehalten und Kant für einen philiströsen Haarspalter. Dank der Herausgeberin kommen aber auch sie und alle 24 zu Wort.

Im Strandkorb gönnt man sich nicht einfach ein Sammelsurium von Ansichten, die natürlich nicht auf Europa beschränkt, sondern bis in den Fernen Osten reichen, sondern die Gedanken schweifen eine Bahn, die mit dem Zweifel am Wert der Philosophie und geläufigen Wahrheitsbegriffen beginnt, wo Nietzsche der ersteren Ahistorizität vorzuwerfen hat. Es wurde ihm schwer, bei so viel Fertigem vor der Nase, noch neue Akzente zu setzen, verlegt sich auf die „unscheinbaren Wahrheiten“ und hofft, dass „der geistreiche Blick jetzt mehr gelten darf, als der schönste Gliederbau und das erhabenste Bauwerk“.

|Die Physiker|

Die kundige Hand wählte hier den britischen Erfolgs-Wissenschaftsautor Marcus Chown, der die Aufmerksamkeit auf die Zunahme des Informationsgehaltes des Universums seit dem Urknall lenkt, die er mit 10^86 beziffern kann, indem er die anfänglich 1000 Zellen des Uruniversums mit der Zahl der heutigen Lichtteilchen vergleicht, die in zwei Zuständen existieren können. Das sei auf die Quantentheorie zurückzuführen. Dass diese allerdings erst durch die Wahrnehmung als vorhanden anzusehen sind, was ebenfalls eine Konsequenz der Quantentheorie ist, die das Vorhandensein einer Realität ja in Frage stellt, entgeht ihm dabei. Leider fehlt es den Physikern, außer vielleicht Heinz Pagels, immer noch an poetischer Kraft, der das so schön als „ein Tischleindeckdich“ beschrieb.

|Die Weisen|

„Selbst der Weiseste von uns beugt sich unter der schweren Bürde der Liebe; doch in Wahrheit ist die Liebe so leicht wie die muntere Brise des Libanons“, entspannt Khalil Gibran die Situation, bevor uns der britische Astronom Martin Rees auf der vergeblichen Suche nach Außerirdischen vorrechnet, dass die Wahrscheinlichkeit, dass alle durch einen Asteroiden umkommen, nicht größer ist als die Berechtigung der Flugangst jedes Einzelnen. Aber all das ist klein gegen den Atomtod, der immer noch droht und dessen Wahrscheinlichkeit er mit einem Drittel veranschlagt. Da kann man dann schon mal Descartes und Aristoteles in unabhängigen Versatzstücken streiten lassen, ob man und wer eine Seele besitzt. Im Untergangsszenario zwinkert uns Heine zu: „Holde Frauenblumen, welche/ Kaum erschlossen ihre Kelche/ Den geliebten Sonnenküssen,/ Hat der Tod schon fortgerissen“.

|Die Menschlichen|

Wer sie mag, dem geben Fromm und Herder noch ein paar Worte über Menschliches. Wer lieber schmunzelt, zieht sich Tucholsky im gedachten Strandkorb ein. Man kann auch Kant wieder einmal nicht ganz verstehen, wenn er uns den Ursprung des Bösen erklärt. Das wird aber gut durch Schopenhauer pariert, der uns entdeckt, dass Mitleiden ein besseres Regulativ ist als alle Gesetze oder auch Religionen, denn „der gänzliche Mangel an diesem ist es also, der den Menschen der Ruchlosigkeit überführt“.

|Die Abschließenden|

Hier kann man Rilke, nicht ganz so verdichtet, in einem Märchen erleben, wo er die Eigenwilligkeit der Hände Gottes beschreibt und damit eine kindergeplagte Nachbarin unterhält. Nietzsche lässt für den, ders noch nicht kennt, seinen Zarathustra noch mal den Papst trösten, der wegen Todesfalls den Einzigen über sich verloren hat. Hanna Johansen verrennt sich in einem an sich vergnüglichen Versatzstück ein wenig in der Vielköpfigkeit gedachter Erdenbewohner. In einem längeren Poem bescheidet Gottfried Keller die Neunmalweisen mit den Versen „Bau ich aus Blütendüften/ Und Mondschein mir ein Schloss,/ Drin biet ich allen Trutz/ Und eurem Schülertross!“

_Fazit_

Wir lehnen uns nach der Kurzweil im Strandkorb zurück, einen Gran klüger, und glauben, dass die anderen es im Grunde auch nicht viel besser wissen.

|Taschenbuch: 160 Seiten
ISBN-13: 978-3423346801|
[www.dtv.de]http://www.dtv.de

_Christian Rempel_

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