Cody McFadyen – Der Todeskünstler (Lesung)

Blutige Wände, blutende Herzen

Das Leben der FBI-Agentin Smoky Barrett scheint völlig zerstört zu sein: Seit sechs Monaten verbringt sie die meiste Zeit in ihrem Zimmer, starrt die Wände an oder lässt sich von ihrem FBI-Psychiater behandeln. Der grausame Doppelmord an ihrem Mann und ihrer Tochter hat die ehemals beste und erfolgreichste Agentin derart geprägt, dass an die Fortsetzung ihrer Polizeikarriere nicht zu denken ist. Bis zum nächsten Fall …

Barrett riecht den Tod bereits, als sie die Tür zum Schlafzimmer des stillen Hauses öffnet. Der Boden ist mit Blut getränkt; auf der Decke und an den Wänden prangen Blutgemälde. Neben den beiden entstellten und geschändeten Opfern kauert ein Mädchen. Sie hält sich eine Pistole an die Schläfe. Der Todeskünstler hat sie besucht, und das nicht zum ersten Mal.

Der Autor

Cody McFadyen, geboren 1968, unternahm als junger Mann mehrere Weltreisen und arbeitete danach in den unterschiedlichsten Branchen. Der Autor ist verheiratet, Vater einer Tochter und lebt mit seiner Familie in Kalifornien. [„Die Blutlinie“ 3120 war sein erster Roman. Weitere Romane mit der Protagonistin Smoky Barrett folgen.

Die Sprecherin

Franziska Pigulla, die deutsche Stimme von Akte-X-Star Gillian Anderson („Scully“), tat sich während ihrer Schauspielausbildung in Berlin als Sprecherin im Hörfunk hervor. Ihre Tonaufnahme ist von erstaunlicher Präsenz und sehr deutlich gesprochen. Sie verfügt über ein beeindruckendes Gespür für Dramatik: Ganz gleich, ob sie sanft und weich Liebeserklärungen haucht, mit knurrendem Grollen droht oder mit größter Lautstärke Befehle oder Flüche brüllt – stets kommt sie völlig glaubwürdig und lebendig herüber. Sie hat u. a. Demi Moore („Ein unmoralisches Angebot“) und Sharon Stone („Begegnungen“) synchronisiert.

Die Textfassung wurde von Arno Hoven gekürzt. Regie führten Stefan Nickels und Kerstin Kaiser. Die Musik stammt von Dennis Kassel und Horst-Günter Hank, die Aufnahme in den dc-Tonstudios leitete Lars Ullrich.

Handlung

Es ist ein Samstagmorgen, und FBI-Agentin Smoky Barrett will eigentlich einen Urlaubstag mit ihrer zehnjährigen Tochter Bonnie verbringen, beispielsweise indem sie mit ihr und „Tante“ Callie, einem Mitglied ihres Einsatzteams, die Sachen von Matt, Smokys ermordetem Mann, ausräumt. Später soll „Tante“ Elena kommen, die ihren Krebs besiegt hat, und die Frau von Alan, einem weiteren Teammitglied, ist. Ihr Chef Jones hat Smoky angeboten, als Ausbilderin nach Quantico in die FBI-Zentrale zu gehen. Aber dann, so überlegt sie, müsste sie auf alle Bindungen verzichten, so etwa zu Tommy, ihrem Lebensgefährten.

Schlachthaus

Alan ruft Smoky nach Canoga Park. Sie fährt mit Callie hin, weil das Opfer unbedingt nur Smoky Barrett sprechen will. Es handle sich um Sara Kingsley, die letzte Überlebende eines Blutbades, bei dem der Killer ihre anderen drei Familienmitglieder auslöschte. Vorsichtig betritt Smoky das verdächtig stille Haus, geht hinauf ins Schlafzimmer. Sie hält inne: Sara hält eine Pistole an ihre Schläfe und singt eintönig vor sich hin. Neben ihr liegen auf dem Bett drei nackte Leichen: die Eltern und Saras Bruder Michael. Selbst blutbespritzt sieht Sara immer noch so schön wie ein Fotomodell aus.

Nun sitzt sie in einem Schlafzimmer, dessen Wände mit Gemälden aus dem Blut ihrer Familie verschmiert wurden. Smoky erreicht durch behutsames Zureden, dass Sara mit ihr das Zimmer verlässt und die Waffe herausgibt. Sara berichtet zitternd, der Killer habe sie erstmals besucht, als sie sechs Jahre alt war. Seitdem habe sie Tagebuch geführt. Smoky müsse es unbedingt lesen. Sobald Smoky dies versprochen hat, fällt das 16-jährige Mädchen in Ohnmacht.

John Simmons, der Schichtführer des Spurensicherungsteams, kratzt sich am Kopf. An diesem Tatort präsentieren sich ihm einige Rätsel. Hier wurde nicht planlos zerhackt, sondern der Killer ging absolut methodisch und planvoll vor. Aber warum wehrten sich Laurel und Dean Kingsley nicht? Wurden sie betäubt? In Saras Zimmer, das unter weißen Wänden und Decken völlig schwarz eingerichtet ist, steht der mit Blut geschmierte Spruch: „Dieser Ort = Schmerz“. Der zuständige Polizist Franklin findet Saras Tagebuch und nachdem er es hat fotografieren lassen, händigt er ihr und ihrem Team die Kopien aus. Ein anonymer Anrufer weist Smoky darauf hin, dass es in Granada Hills noch mehr Tote gebe.

Mehr Tote

In dem Apartmentblock steht die Tür von Nr. 20 offen. An den Wänden hat der Mörder wieder in Blut geschrieben: „Dieser Ort = Gerechtigkeit“. Ein älterer Mann und eine junge Frau liegen hingeschlachtet auf dem Bett. Der Mann wird als der Argentinier José Vargas, 58, identifiziert, ein Schleuser im Menschenschmuggel, der über ein langes Vorstrafenregister verfügt. Wie schon am Pool der Kingsley finden sich an ihm ebenfalls Striemen und Narben von Bastonade, die durch Stockhiebe auf die nackten Fußsohlen ausgeführt wird. Diese Bestrafungsform gibt es im Orient und in Südamerika, weiß Smoky. Führt hier jemand einen Rachefeldzug durch? Smoky, eine empathische Profilerin, vermutet sexuellen Missbrauch des Täters durch brutale Männer.

Der Anfang

Sara hieß ursprünglich Sara Langström und war die Tochter wohlhabender Eltern namens Linda und Sam, die sie sehr liebten. Doch an ihrem sechsten Geburtstag kam der Todeskünstler in ihr Leben und begann, mit ihr ein Kunstwerk zu erschaffen, das er ihr gegenüber als „Ein zerstörtes Leben“ bezeichnete. Sara erzählt dies teils in ihrem Krankenhausbett, teils in ihrem Tagebuch, das Smoky nun zu lesen beginnt. Saras Schmerz sei seine Gerechtigkeit, sagte er, und begann systematisch und zehn Jahre lang, alles zu zerstören, was Sara liebte und jeden zu töten, der es wagte, Sara Liebe zu schenken. Er behauptete, er handle im Auftrag Gottes. Was für ein Gott ist das?

Durch das Tagebuch wird Smoky sehr erschüttert, und ihrem Team, das Kopien liest, ergeht es nicht anders. Sie sind sich einig darüber, dass eine zehnjährige Entwicklung sich ihrem Höhepunkt, ihrem Finale nähert. Doch welche Rolle spielt dabei Sara, so dass der Killer erst jetzt zuschlägt? Und warum fordert er ausgerechnet Smokys Team derartig heraus? Befindet sich in ihren Reihen jemand, den er ebenfalls töten will? Smoky lässt Sara von Kirby Mitchell bewachen, einer freiberuflichen „Sicherheitsagentin“.

Connection

Die Verbindung zur Vergangenheit, die Smoky schließlich die Augen öffnet, ist Linda Langströms Vater. Wie Smokys Chef Jones berichtet, war Lindas Vater ebenfalls in seinem Team, das 1979 gegen Kinderschmuggler aus Südamerika und Europa ermittelte. Der Chefermittler war ein gewisser Haliburton, und er hatte fünf Kinder in Schutzhaft genommen, damit sie gegen ihre Peiniger aussagten, unter denen sich auch ein gewisser José Vargas befand (eben jener, der nun in Granada Hills tot aufgefunden wurde).

Unter den Kindern war ein bewundernswerter Junge namens Juan, der seinen Schicksalsgenossen stets Hoffnung gab. Aber einen Tag vor dem Gerichtstermin, bei dem sie aussagen sollten, verriet ein Maulwurf in der Truppe das Versteck. Alle Kinder wurden entführt und, soweit Jones weiß, in Mexiko getötet. Aber was, wenn eines von diesen Kindern überlebt hat? Was, wenn er nach 27 Jahren – er wäre jetzt 36 Jahre alt – seinen Rachefeldzug gegen die amerikanischen Ermittler zu Ende brächte, und zwar mit dem Mord an seinem hochrangigsten Ziel: FBI Assistant Director Jones?!

Smoky bekommt eine neue Botschaft des Todeskünstlers überbracht. Von einem Polizisten …

Mein Eindruck

„Der Todeskünstler“ hält den Leser bzw. Hörer ständig auf Trab, wenn Smoky Barrett mit ihrem FBI-Team ermittelt. Ständig ergeben sich neue Gesichtspunkte, Erkenntnisse, ereignen sich unerwartete Dinge. Damit der Leser bzw. Hörer nicht völlig konfus wird durch diesen Überfluss an Informationen, hat der Autor klugerweise vier Auszüge aus Saras Tagebuch eingeschoben. Darin bietet sich wohltuende Kontinuität, wenn Sara ihren Leidensweg über zehn Jahre hinweg schildert.

Das Tagebuch

Aber diese Kontinuität ist keineswegs beruhigend, sondern mit mehreren aufwühlenden Szenen angereichert. Von den beiden Mordinszenierungen des Todeskünstlers haben wir bereits erfahren: Er hat die Kingsleys getötet, aber zehn Jahre zuvor bereits die Langströms. Und was war dazwischen? Ohne zu viel verraten zu wollen, sei doch nochmals an das Ziel des Todeskünstlers erinnert, ein „zerstörtes Leben“ zu schaffen. Seine perfide Logik dahinter, auf die Smoky erst spät stößt, lautet: So, wie ihr mich in meiner Kindheit verraten und zerstört habt, so werde ich nun eines von euren Kindern zerstören. Der Mörder ist die Gestalt gewordene Nemesis der lateinamerikanischen Kinder für das, was die Amerikaner und andere Nationen an Grausamkeiten zugelassen haben.

Sara landet im Waisenhaus, kommt zu Pflegeeltern, diese werden getötet (man kann sich ja denken, von wem), landet wieder im Waisenhaus, bricht alle Kontakte ab. Smoky braucht erstaunlich lange, um zu begreifen, warum Sara selbst nicht gegen den Todeskünstler vorgeht. Der Killer hat natürlich eine Geisel genommen, ein Mädchen, dessen Leben Sara sehr am Herzen liegt. Und es ist nicht die einzige Geisel. Smoky zeigt auch eine lange Leitung, wenn sie herausfinden soll, was Sara selbst vorhat.

Tom und Jerry

Natürlich setzt der Autor wieder mal die im Genre üblichen Kniffe ein. Eine falsche Identität gehört ebenso dazu wie jede Menge Ablenkungsmanöver und Irreführungen – was die Angloamerikaner kurioserweise einen „red herring“, einen roten Hering, nennen. Eine diese Ablenkung ist ein Frontalangriff auf das FBI-Hauptquartier von L. A., und das ist eine der besten Szenen des Romans.

Es ist das gewohnte Katz-und-Maus-Spiel, aber es steht nicht von vornherein fest, ob das FBI nun die Katze oder die Maus ist. Eigentlich hätte ich noch erwartet, dass der Killer einen direkten Angriff auf Smokys stumme Adoptivtochter Bonnie startet, aber diese Erwartung war ein Resultat einer Fehleinschätzung. Der Mörder geht ja nicht wahllos vor, sondern nur gegen ganz bestimmte Leute, mit denen er eine Rechnung offen hat. Und am Schluss sieht er sich selbst mit dem Resultat seiner „künstlerischen Arbeit“ konfrontiert: mit einem Revolver vor seiner Nase.

Am Schluss werden wie üblich sämtliche losen Fäden eingesammelt und sortiert, und das bedeutet, dass die weibliche Hauptfigur sich ganz dem Heilen und Sorgen widmen kann. Und endlich entschließt sich Bonnie, schließlich wieder zu sprechen. Der Schluss ist versöhnlich, ohne allzu sentimental zu werden.

Die Sprecherin

Das Hörbuch fordert den Hörer dazu heraus, sofort nach dem Ende einer CD die nächste einzulegen, denn die CDs enden regelmäßig mit einer Art Cliffhanger, der neugierig und gespannt auf die Fortsetzung der Geschichte macht. Das ist ein bewährter Kniff, um in der Geschichte Spannung zu erzeugen. Hinzu kommt, dass die Geschichte im Präsens erzählt wird, so dass der Leser bzw. Hörer geradezu hautnah am Geschehen beteiligt ist. Jedenfalls verging die Geschichte für mich wie im Flug.

Denn die ausgezeichnete Sprecherin Franziska Pigulla macht es dem Hörer sehr schwer, eine Haltung kritischer Distanz einzunehmen. Sie charakterisiert jede Figur in der Geschichte individuell, so dass man sie gut unterscheiden kann. Aber die Charakterisierung erzeugt auch Gefühle: Wir spüren, dass der Todeskünstler manisch und zynisch ist, während sein sechsjähriges Opfer sich bemüht, nicht vor Furcht den Verstand zu verlieren. Liebevoll und zärtlich schildert die Sprecherin das Familienleben der Langströms, welches sich erheblich von dem der Kingsleys unterscheidet. Sie flüstert und ruft, doziert und kann kindlich klingen, wenn es angebracht ist.

Pigulla zieht die Thriller von weiblichen Autoren vor, weil hier ganz einfach mehr weibliche Hauptfiguren vorkommen – was bei Autoren wie Michael Connelly oder Preston/Child eher die Ausnahme bildet. In der Erlebnis- und Gefühlswelt solcher Hauptfiguren kann sie ihre eigene Sensibilität und ihre dunkle, tiefe Stimme viel besser einbringen als in kühl kalkulierende James-Bond-Action. Sie liebt es zudem, Kinder darzustellen. Und von denen gibt es ja in diesem Buch eine ganze Reihe: Sara natürlich, aber auch Bonnie und Saras Freundin Teresa. Hier braucht sie sich keine Zwang anzutun, auch mal zu schluchzen oder zu schniefen.

Das bedeutet nicht, dass Männer zu kurz kommen. Teresas Ziehvater Dennis ist zwar ein Monster, aber er wird genauso glaubwürdig dargestellt wie etwa ein Polizist oder ein anderer Bürger. Allein schon durch die Klangfarbe ihrer Stimme gelingt es Pigulla, einen solchen Kerl zu charakterisieren. Die entsprechende Situation sorgt dann für weitere Nuancen in der stimmlichen Darstellung. Pigulla wäre eine ausgezeichnete Interpretin von Karin Slaughters Thrillern.

Unterm Strich

Wie schon in „Die Blutlinie“ schockiert der Autor sein Publikum erst durch detailliert ausgetüftelte Schilderungen von blutigen und skrupellosen Taten, fasziniert es jedoch gleichzeitig mit dem Rätsel: Was für eine Art von Mensch und Hirn kann sich solche Gräueltaten ausdenken? Und vor allem: Was bezweckt der irre Täter damit? Die andere Komponente der Handlung sind die oftmals erschütternde Schicksale der Opfer, von denen nicht zuletzt auch die ermittelnde FBI-Agentin Smoky Barret eines ist. Ihr Gesicht wurde zerschnitten, die Narben entstellen ihr Gesicht. Die zynische Medienrealität verurteilt sie daher zu einem Schattendasein in der zweiten Reihe: als Postergirl ungeeignet.

Wenn man unter die Oberfläche der ziemlich gruseligen Story schaut, entdeckt man Aussagen, die sich sehr kritisch mit der amerikanischen Realität auseinandersetzen. Die genannte Medienrealität ist eines Ziele, aber auch die Ermittlung im Jahr 1979 ist ein weiteres. Hier setzt ja der Killer an, eine Art Racheengel. Und zu guter Letzt wird wieder mal der Menschenschmuggel von Kindern aufgegriffen, wie es vor kurzem schon Tess Gerritsen in ihrem Roman [„Scheintot“ 3913 (O-Titel: „Vanish“) getan hat. Der Haifischkapitalismus in einer Nation, die sich von christlichen Fundamentalisten wie George W. Bush regieren lässt, wird nun einfach auf die eigenen Kinder angewendet, die in Sara Langström verkörpert sind. Wer lange genug sucht, dürfte noch auf viele weitere solche Schicksale stoßen. Und das nicht nur in der Fiktion.

Der emotionale Vortrag der Sprecherin sorgt dafür, dass dem Hörer diese zweigesichtige Geschichte – insbesondere Saras Tagebuch – gehörig unter die Haut geht. Im Finale führen die Handlungsfäden von Saras erzähltem Leben und Smokys geschilderter Ermittlung zusammen, und der Hörer stellt sich bang die Frage, ob die Sprecherin die emotionale Spannung dieser Konfrontation angemessen handhaben kann. Die Frage ist überflüssig. Pigulla nimmt auch solche Szenen souverän in die Hand. Dabei tritt sie hinter den Figuren zurück, ein Kunststück, das sich der Hörer eigentlich von jedem Sprecher wünscht, das aber nur selten vollbracht wird.

Fazit: Ein – wenn auch teils recht blutiger – Volltreffer.

CD: 427 Minuten auf 6 CDs
Originaltitel: Face of Death, 2007
Aus dem US-Englischen übersetzt von Axel Merz.
ISBN-13: 9783785734124

www.luebbe.de/luebbe-audio

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