Nasaw, Jonathan – Kuss der Schlange, Der

Treue Fans von Jonathan Nasaw und seinem Erstlingsroman [„Die Geduld der Spinne“ 82 dürfen in Nasaws neuestem Werk nun ein Wiedersehen feiern mit dem Serienkiller Ulysses Maxwell. Seine Mordserie liegt bereits einige Zeit zurück, doch nachdem er in einem psychiatrischen Institut von seiner Persönlichkeitsstörung geheilt wurde, soll ihm nun der Prozess gemacht werden. Für diese wundersame „Heilung“ ist Dr. Al Corder verantwortlich, der dank einer Elektroschocktherapie den handzahmen Lyssy als Persönlichkeit etabliert hat. Lyssy hat sich seitdem viele Freiräume erspielt, er darf unbewacht spazieren gehen und ist auch im Hause des Arztes ein gern gesehener Gast, doch ahnt niemand, dass dunkle Stimmen in Lyssys Kopf spuken, die immer mehr Platz fordern.

Auch Lily leidet an einer Persönlichkeitsspaltung, seit sie in ihrer Kindheit von ihren Eltern schwer missbraucht worden ist. Mehrere weitere |Alters| helfen ihr, über diese erlittenen Grausamkeiten hinweg zu kommen. Da gibt es beispielsweise die selbstbewusste Lilith, die immer dann hervorkommt, wenn Lily sich ängstigt und mit einer Situation nicht mehr klarkommt. Als sie dann vom Tod ihrer geliebten Großeltern hört, wechselt Lily die Identität und bringt erst Lilah und dann auch wieder Lilith hervor, die sich mit einer Rockerbande auf die Reise begeben. Als Lilith dann vergewaltigt wird, weiß sie sich anders zu helfen als Lily; sie beißt ihrem Vergewaltiger die Nase ab und flüchtet. Doch Dr. Irene Cogan und E. L. Pender können sie aufspüren und bringen sie auf Wunsch von Lilys Onkel in das gleiche Institut, in dem auch der Serienmörder Maxwell von seinem dissoziativen Identitätssyndrom geheilt werden konnte.

Lyssy verliebt sich auf den ersten Blick in die verschüchterte Lily, aber dann wechseln beide ihr Alter und begegnen sich bald als Max und Lilith wieder, die sofort ihre Seelenverwandtschaft entdecken und die Flucht planen. Dieser Flucht stehen natürlich einige Menschen im Wege, die sodann ihr Leben lassen müssen. Auf eigene Faust verfolgen Cogan und Pender das mörderische Pärchen, um Schlimmeres zu verhindern. Die beiden sind jedoch auf Rache aus, und da spielen natürlich auch Cogan und Pender eine wichtige Rolle, da sie zumindest Maxwells Leben auf dem Gewissen haben. Ein Katz-und-Maus-Spiel beginnt, in dessen Verlauf viel Blut fließen und viele Persönlichkeiten auftauchen werden …

Nach seinen zwei Vampirthrillern widmet sich Jonathan Nasaw nun wieder seinem angestammten Genre, dem Psychothriller. Und hier beruft er sich auf seine alten Stärken, nämlich die Persönlichkeitsspaltung und seine bekannten und bewährten Charaktere: Maxwell, Pender und Cogan. Nur leider funktioniert diese Ansammlung im vorliegenden Thriller nicht. „Der Kuss der Schlange“ ist gerademal 444 Seiten kurz, doch bis zur Hälfte dauert es, bis Max und Lilith aus dem Institut fliehen und ihren mörderischen Rachefeldzug beginnen. Dieser beginnt allerdings zunächst mit einem weiteren Persönlichkeitswechsel, denn Corder kann vor seinem Tod noch Lyssy heraufbeschwören, der Lilith zunächst in ihrer Flucht behindert, denn Lyssy ist handzahm und möchte gar nicht aus dem Institut fliehen, wo er so viele Privilegien gewonnen hat, dass er sich dort wohlfühlt. Und auch Lilith muss bald wieder Lily Platz machen, die allerdings ungewohnte Stärken an sich entdecken kann. Sie erinnert sich daran, dass Irene Cogan ihr einst erzählt hat, dass man die Persönlichkeitsstörung heilen kann, indem die verschiedenen Alter in einer Persönlichkeit integriert werden; so nimmt sie nach und nach Liliths Selbstbewusstsein an und überwindet auch ihre Kindheitstraumata.

Die Flucht ist geprägt von zahlreichen Persönlichkeitswechseln, in Maxwell kämpfen Max und Lyssy um die Vorherrschaft, aber kaum ist ein Messer im Spiel, dringt auch Kinch, der Metzger, wieder hervor. Doch im Grunde sind es nur noch Max und Lyssy, die stark genug sind, um sich länger im Körper des Serienkillers zu halten. Sobald aber Lyssy das Sagen hat, brauchen die Opfer nichts zu fürchten, und so kommt es, dass auf dem Rachefeldzug auch das eine oder andere Opfer überlebt, wenn nämlich Lyssy und Lily beschließen, Gnade walten zu lassen.

Cogan und Pender versuchen derweil, die Spur des Pärchens aufzunehmen, ohne aber zu wissen, welche Persönlichkeiten dort gerade die Vorherrschaft haben und ob Maxwell Lily entführt hat und diese selbst zum Opfer geworden ist, oder ob diese womöglich aktiv an der Flucht beteiligt ist. Noch sind Cogan und Pender die Verfolger, doch da Maxwell und Lilith noch einige Rechnungen mit den beiden offen haben, werden sie bald zu den Verfolgten. So erwacht Cogan eines Nachts und sieht sich ihrem ehemaligen Peiniger gegenüber, der in ihr Haus eingedrungen ist und Cogan nun als Geisel hält.

Das Buch nimmt leider nie so richtig Fahrt auf, da das Tempo durch das Auftauchen von Lyssy und Lily immer wieder ins Stocken gerät und Nasaw viel Zeit darauf verwendet, die Beziehung des mörderischen Pärchens unter Berücksichtigung aller ihrer Alters zu beleuchten. Hier sind natürlich viele Aspekte zu erörtern, da die verschiedenen Alters so unterschiedliche Charakterzüge aufweisen. Ausgesprochen hanebüchen wird es schließlich im Showdown, wenn Cogan und Pender die beiden aufspüren und sie überwältigen wollen. In diesem Showdown wechseln Lily und Maxwell so oft ihr Alter, dass man fast schon den Überblick zu verlieren droht; hinzu kommt, dass die aktuellen Alter immer versuchen, ihre Mitmenschen zu täuschen, indem sie die Charakterzüge eines anderen Alters annehmen. So spielt sich Lily als Lilith auf, um Maxwells Vertrauen zu erlangen, aber auch Maxwell gibt sich oft genug als Lyssy aus, um der Verfolgung durch Lily, Pender und Cogan zu entgehen. Dies artet in ein heilloses Wirrwarr aus, das eher ärgert als mitreißt.

Jonathan Nasaw hat viel Potenzial verspielt, denn der Klappentext klingt noch ausgesprochen vielversprechend und gaukelt dem Leser vor, hier würde sich ein mörderisches Serienkillerpärchen auf eine blutige Flucht begeben. In Grundzügen stimmt das auch, doch beschreibt der Klappentext nur den zweiten Teil des Buches, der erste widmet sich ausschließlich dem Institut und dem Kennenlernen von Lily und Lyssy, außerdem gerät auch die Flucht nicht halb so blutig wie angekündigt. So viele Spannungsbremser finden sich in der Story, dass der Thriller nicht so recht zu packen weiß.

Unter dem Strich hat Jonathan Nasaw leider nicht an seine alten Psychothrillererfolge anknüpfen können. Er beruft sich nahezu ausschließlich auf bereits dagewesene Komponenten, die in „Die Geduld der Spinne“ noch so überzeugend umgesetzt waren; der vorliegende Thriller artet allerdings zu einem lieblos geschriebenen Abklatsch aus, der insbesondere zum Ende hin arge Hänger hat und einen faden Nachgeschmack hinterlässt. So bleibt nur zu hoffen, dass sich Nasaw für den nächsten Psychothriller wieder etwas ganz Neues ausdenkt, denn die Geschichte um Ulysses Maxwell scheint mir inzwischen arg ausgefranst zu sein.

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_Jonathan Nasaw auf |Buchwurm.info|:_
[„Blutdurst“ 2299
[„Seelenesser“ 926
[„Angstspiel“ 430
[„Die Geduld der Spinne“ 82

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