von Grote, Alexandra – Mord in der Rue St. Lazare – Maurice LaBréas erster Fall

Mit „Mord in der Rue St. Lazare“ beginnt Alexandra von Grote eine neue Krimireihe, in deren Mittelpunkt der Pariser Kriminalkomissar Maurice LaBréa steht. Hierbei handelt es sich um einen vom Schicksal geplagten Mann, dessen Frau erst vor einem halben Jahr und nur wegen einer fast schon lächerlich geringen Geldsumme überfallen und kaltblütig ermordet wurde. Alexandra von Grote schildert die Person des Kommissars und die stetigen Albträume, mit denen LaBréa ständig zu kämpfen hat – auch bei seinen Ermittlungen.

_Story:_

Nach wie vor klammert sich Kommissar LaBréa in seinen Träumen an die schrecklichen Visionen vom Verlust seiner Gattin Anne. Lediglich die Verantwortung seiner Tochter Jenny gegenüber treibt ihn dazu, sich seine Niedergeschlagenheit nicht anmerken zu lassen. In seinem Job wird Maurice LaBréa aber dennoch tagtäglich mit dem Tod konfrontiert, und jedes Mal keimen auch die Erinnerungen an den Tag, an dem Anne ermordet wurde, wieder auf. So auch in dem Moment, als Kommissar LaBréa die Leiche des brutal ermordeten und mit einem Golfschläger vollkommen entstellten Produzenten Molin auffindet. Einen Tag vor dieser Tat hat der Beamte Molin noch kurz kennen lernen können und schon dabei gemerkt, dass der Kerl ein sehr unangenehmer Zeitgenosse war.

Und genau dies vermutet die Pariser Polizei demnächst auch als Tatmotiv: Zwiste mit seinen Angestellten, die gerade erst mit den Dreharbeiten zum neuen Molin-Streifen „Mord in der Rue St. Lazare“ begonnen haben, und darüber hinaus Affären mit mehreren Karrieredamen in der Filmbranche, die Molin zum Verhängnis geworden sein könnten. LaBréa und sein Team, bestehend aus dem konservativen Franck, der seine Wochenenden auf der Pferderennbahn verbringt, und dem Paradiesvogel John-Marc, dem das Kollegium aufgrund seines schillernden Auftretens auch Kontakte zur Homosexuellen-Szene nachsagt, beginnen alsbald die Ermittlungen in diesem Fall und stoßen dabei auch auf eine ganze Reihe Verdächtiger.

Die erste Spur führt die Beamten direkt in das Team bei den Dreharbeiten, denn wie sich herausstellt, ist der kaltblütige Mord am Produzenten von „Mord in der Rue St. Lazare“ dem ursprünglichen und später abgeänderten Drehbuch nachempfunden worden. Als dann jedoch genau einen Tag später auch Molins Frau umgebracht wird, verliert die Kripo zunächst den Überblick. Dazu kommen einige seltsame Kontakte, deren Spur bis hin zu einem Chemiekonzern nach Kapstadt führen, an dem Molin ebenfalls beteiligt gewesen sein soll. Darüber hinaus rätseln LaBréa und seine Kollegen auch noch, ob es überhaupt einen direkten Zusammenhang zwischen den beiden Morden gibt. Bevor die Spuren jedoch im Sande verlaufen können, bekommt der Kommissar langsam aber sicher ein genaues Bild von den Affären, Betrügereien und Intrigen, in die Molin jahrelang verwickelt war, und kommt so dem Tatmotiv und den beteiligten Personen ebenso schleppend auf die Schliche wie es ihm gelingt, zu seiner Nachbarin Celine den ersten intensiveren zwischenmenschlichen Kontakt nach dem Tod seiner Frau aufzubauen.

Alexandra von Grote ist unter anderem schon als Drehbuchautorin und Regisseurin tätig gewesen und hat sich ihre Erfahrungen in dieser Branche auch für den Auftakt ihrer neuen Krimiserie zunutze gemacht. Dementsprechend ist „Mord in der St. Lazare“ auch voll von Fachbegriffen rund um die Filmbranche und zudem mit einigem Hintergrundwissen im Hinblick auf technische Belange in der Kinoindustrie gespickt. Das verleiht dem Buch von Anfang an die nötige Authentizität bezüglich der inhaltlichen Materie, ohne dass das Ganze in irgendeiner Weise belehrend klingen würde. Erstaunlicherweise macht die Autorin dabei aber auch vor brutalen Fakten nicht Halt, schildert des Öfteren, mit welchen skrupellosen Methoden die Verantwortlichen teilweise umgehen, beschreibt den zweifelhaften Aufstieg so mancher Nachwuchsschauspielerin und stellt die Szenerie im Großen und Ganzen in ein sehr negatives und relativ düsteres Licht.

Doch dies ist nicht das einzige Fachgebiet der Autorin. Als Wahl-Französin ist es ihr auch fabelhaft gelungen, das besondere Flair, das die Stadt Paris umgibt, in der Atmosphäre der Erzählung zu verankern. Hier wird ein Stück französische Kultur, mit allem was dazu gehört, geboten, vom Wein über das Baguette bis hin zu den eigenwilligen Erscheinungsbildern der Hauptfiguren, die man getrost als ‚typisch französisch‘ bezeichnen darf. Die Erzählung um das ermordete Ehepaar kann von diesen Hintergrundinformationen bzw. vom Auffangen der speziellen Atmosphäre der „Stadt der Liebe“ merklich profitieren und bekommt so auch deutlich Farbe, und das noch bevor von Grote mit der eigentlichen Handlung so richtig losgelegt hat.

Sobald die Autorin den Leser aber dann mitten in die Umgebung der beiden seltsamen Mordfälle versetzt, legt sie ein sehr rasantes Erzähltempo vor und steuert in der Mitte des Buches schon auf eine partielle Auflösung zu – die aber dann später wieder komplett verworfen wird. Diesen Teil finde ich persönlich jedoch nicht so gelungen, denn somit schränkt von Grote den Kreis der möglichen Attentäter sehr stark ein. Ebenfalls weniger geglückt ist die Einbeziehung von bis kurz vor Schluss unerwähnten Fakten im Bezug auf die Verbindungen der Familie Mloin nach Südafrika. Dies hätte man schon von vorneherein in die Geschichte integrieren sollen, denn so wirkt das Ganze – obwohl es von Grote letztendlich prima gelingt, die Fäden allesamt zusammenlaufen zu lassen – ein wenig zu aufgesetzt und quasi an die eigentliche Story gehängt. Eigentlich steht der (oder die?) Mörder auf Seite 250 schon fest, dann folgt aber noch einmal ein kompletter Rundumschlag, der alles (und meiner Meinung nach auch zu viel) wieder über den Haufen wirft, und dessen Hintergründe zum Schluss hin auch nicht ganz aufgeklärt werden. Vielleicht geschieht dies ja in der ebenfalls schon veröffentlichten Fortsetzung …

Ansonsten gefällt die Geschichte aber sehr gut, zumal von Grote mit dem eigenwilligen und recht sturen Kommissar LaBréa einen wirklich guten Hauptcharakter eingeführt hat, dessen Charme alleine schon einen großen Reiz ausübt und die Lektüre des Buches zusätzlich belebt. Und sieht man mal von den leichten oben geschilderten Mängeln ab, ist „Mord in der Rue St. Lazare“ über alle Maße hinaus spannend, und das bis zur letzten Seite – und das ist doch genau das, was man von einem guten Krimi erwartet, oder?