Stroud, Jonathan – Eisfestung, Die

Kinder empfinden, denken, fühlen und letztlich handeln ganz anders als Erwachsene. Die Welt mit Kinderaugen gesehen, ist nicht die gleiche wie aus unserer Perspektive. Im Erwachsenenalter vergessen wir leider viel zu oft, was Kinder wirklich berührt, wovor sie Angst haben, und dass eben die Wahrheit für beide Parteien grundsätzlich niemals die gleiche sein kann.

„Kinder an die Macht“ – eine Parole für den neuen Roman „Die Eisfestung“ des Autors Jonathan Stroud, die hier durchaus ihren Sinn ergibt. Handeln Kinder immer nach ihrem ganz eigenen Gerechtigkeitssinn, ohne sich über die Konsequenzen im Klaren zu sein? Wann wird aus einem Spiel bittere und tragische Realität? Grenzen verschwimmen in einer Form von emotionaler Grauzone, vernebelt durch Empfindungen, Ängste und die Erfahrungen mit den Erwachsenen, die ohnehin nicht die Tragik der Situation verstehen können.

Ist dies wirklich so?

Viele Kinder- und Jugendbücher laden den Leser auf eine Reise durch die Zeit ein, an einem Ort, den sie früher mal gekannt haben, zu Erlebnissen und Empfindungen, die wir in die tiefsten Schubladen unseres Gedächtnisses verbannt haben. Dem englischen Autor Jonathan Stroud, der durch die Bartimäus-Triologie einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht hat, gelingt dies unglaublich gut. Vorab sei zu sagen, dass der Roman aufwühlend geschrieben ist und uns wirklich dazu anleiten kann, darüber nachzudenken, wie verschieden Kinder und Erwachsene eine Situation wahrnehmen und ihr begegnen können.

_Die Geschichte_

An einem klirrenden, eiskalten Winternachmittag erkundigt die kleine Emily eine noch recht gut erhaltende Burgruine. Für Kinder ein fast schon magisch anziehender Ort voller vielversprechender Abenteuer und Gefahren, nicht nur für Emily. Dort trifft sie auf einige Kinder aus der Nachbarschaft, eine Schneeballschlacht entbrennt vor den Festungsanlagen und sie findet in Marcus und Simon zwei Verbündete, die ihr Schicksal teilen.

Marcus, ein charismatischer und aufgeweckter Junge, zieht die beiden Freunde in seinem Bann aus Geschichten rund um die alte Burg. Er erzählt von vielen Schlachten und Belagerungen, die vor dem Tor auf den Hängen der Anlage stattgefunden haben. Jetzt in der Winterzeit finden keine touristischen Besichtigungen der Ruine statt, nur ein städtischer Wächter schaut ab und an nach dem Rechten.

Emily und Simon sind eher vorsichtig und skeptisch, doch lassen sich sie sich von Marcus dazu überreden die verbotene Burg zu erkunden und gegebenenfalls zu erobern. Im ersten Eroberungsfeldzug werden die drei aber von dem Wächter erwischt und kurzerhand verjagt. Die erlittene Schmach möchten sie diese natürlich wieder wettmachen.

Angesteckt von der Idee, verabreden sich die drei Abenteurer für den nächsten Tag. Eine Kriegslist wird erdacht, eine Ausrüstung geplant und der Entschluss gefasst, die Burg in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zu belagern und letztlich zu erobern. Ziel ist es, in dem alten Gemäuer eine Nacht zu verbringen.

Den drei Eroberern gelingt dieser tollkühner Plan, doch am anderen Morgen verschlafen Marcus, Simon und Emily. Das unschuldige Spiel wird zu einer dramatischen Situation für Marcus, denn dieser hat seinen Erzählungen nach zu urteilen nicht zu Unrecht Angst vor seinem gewalttätigen Vater.

Einige Tage vergehen, bis sich die drei Kinder zufällig wieder treffen. Marcus verbirgt sein Gesicht vor den Freunden, aber die grünen und blauen Flecken sind nicht zu übersehen. Marcus erzählt, dass dies sein Vater war, und er verschanzt sich mit seinen neu gefundenen Freunden auf der Burg. Aus diesem Nervenkitzel wird bitterer Ernst, als nicht nur der städtische Wächter, sondern auch die Polizei, die Feuerwehr und selbst die Sozialarbeiter als Belagerer vor den Burgmauern auftauchen.

Das übermütige Spiel schlägt plötzlich in einen eskalierenden Alptraum um.

_Kritik_

„Die Eisfestung“ wurde parallel zu dem Erfolgsroman „Bartimäus“ verfasst. Der subtile Psychothriller für Jugendliche – aber auch Erwachsene – ist ungemein atmosphärisch und fesselnd. Die Geschichte beginnt mit ersten Kämpfen und endet dramatisch in einer Belagerung.

Jonathan Stroud verbindet dabei Fantasie mit der Realität auf eindrucksvolle Art und Weise. Wie schon erwähnt, spielen hier die verschiedenen Sichtweisen der drei Kinder die Hauptrolle. Jeder von ihnen ausgestattet mit individuellen Eigenschaften, aber nicht durch eine langjährige Freundschaft verbunden, erzählen die Situationen in den verschiedenen Abschnitten immer aus einer völlig anderen Perspektive.

Die Wahrheit hat oftmals mehrere Gesichter und zeigt sich nicht immer auf dem ersten Blick. Feind- und Freundschaft, Verrat und Loyalität finden sich als Themen in der Geschichte immer wieder. Zwar entwickelt diese sich langsam, aber entstehen keine Längen, die den Lesefluus stoppen. Wer Bartimäus kennen und lieben gelernt hat, der sollte jedoch nicht erwarten, genau dieses Genre in „Die Eisfestung“ wiederzufinden. Viele werden den Humor und den Sarkasmus vermissen. Die hier vorliegende Story ist dafür nicht wirklichkeitsfremd. Nahezu beklemmend lässt sie uns innehalten und das Buch weglegen, um die geschilderte Situation in der Geschichte zu überdenken.

Vergleichen kann man die Romane rund um „Barti“ nicht mit diesem Psychothriller, wie der Leser nun festgestellt haben wird. Jonathan Stroud hat sich sorgfältig mit der Psyche von Kindern und Jugendlichen befasst, deswegen ist dieses Buch auch gut für die angehenden Erwachsene zu empfehlen, aber gerade Erwachsene werden sich nach der Lektüre Gedanken darüber machen, worüber und vor allem wie ihre Kinder wohl (nach-)denken. Genauso gut aber werden sie über ihr eigenes Verhalten nachdenken müssen, denn die Wahrheit hat auch immer zwei Gesichter – das der Kinder, die lernen, und das der Erwachsenen, die das Erlernte scheinbar fast vergessen haben.

_Der Autor_

Jonathan Stroud wurde 1970 in Bedford, England geboren. Seit er sieben Jahre alt war, schreibt er Geschichten. Zunächst arbeitete Stroud als Lektor, bis er sich dazu entschloss, eigene Kinderbücher zu veröffentlichen. Zusammen mit seiner Frau Gina und seiner Tochter Isabelle lebt und schreibt er in London. Die Jugendromane rund um den Dämon Bartimäus sicherten ihm einen Platz auf den Beststellerlisten und in den Herzen vieler Jugendlichen und Erwachsenen. Die Trilogie wird zurzeit von |Miramax| verfilmt.

|Originaltitel: The Last Siege, 2003
Originalverlag: Random House UK
Übersetzt von Bernadette Ott
Deutsche Erstausgabe
Ab 12 Jahren
Gebundenes Buch, 288 Seiten, 13,5 x 21,5 cm|
http://www.randomhouse.de/cbjugendbuch/

_Jonathan Stroud auf |Buchwurm.info|:_
[Bartimäus – Das Amulett von Samarkand 353
[Bartimäus – Das Auge des Golem 1613
[Drachenglut 3381

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