|“Vom Winde verweht mit brasilianischem Feuer“|, so preist das Buchcover Ana Velosos Erstlingsroman an und hängt die Messlatte für Freunde „historischer Schmöker mit Liebesgeschichte inklusive“ sehr hoch, doch so viel sei vorweggenommen: Dieses kurze Zitat verspricht nicht zu viel, denn wer Margaret Mitchells „Vom Winde verweht“ geliebt hat und vielleicht noch ein Fan von „Fackeln im Sturm“ ist, der ist bei Ana Veloso sehr gut aufgehoben.
Die siebzehnjährige Vitória da Silva lebt auf der blühenden Kaffeeplantage Boavista zusammen mit ihrem älteren Bruder Pedro und ihren Eltern. Vita liebt das Leben und wird von ihm geliebt, an jedem Finger hat die hübsche junge Dame einen Verehrer, aber keiner konnte bislang ihr Herz erobern, doch das soll sich ändern, als ihr Bruder mit drei seiner Freunde zu Besuch auf die Plantage kommt. Eines Nachmittags taucht an der Tür der Plantage ein verwahrloster Mann auf, dem Vita kurzerhand die Tür vor der Nase zuknallt, weil er sich erdreistet hat, an der Vordertür statt am Dienstboteneingang zu klingeln. Zu Vitas Schande stellt sich hinterher allerdings heraus, dass sie damit Pedros Freund León Castro des Hauses verwiesen hat, der abends geschniegelt und gestriegelt auftaucht und sich als der berühmte Journalist und Abolitionist vorstellt.
Von Anfang an knistert es zwischen Vita und León, der sie immer wieder mit diesem Missverständnis aufzieht und sich als ihr persönlicher Sklave gibt. Als Vita daher einige Zeit später eine Einladung von León zu einer Theaterpremiere in Rio de Janeiro erhält, setzt sie alle Hebel in Bewegung, um tatsächlich nach Rio reisen zu können, doch leider bekommen ihre Eltern spitz, was Vita plant, und verpassen ihr Hausarrest. Doch das wird Vita und León nicht trennen können. Als Vitas Bruder Pedro und seine Angebetete Joanna nämlich ihre Verlobung auf Boavista feiern, ist auch León eingeladen, der Vita ebenso verfallen ist wie sie ihm.
Als sie bei einem nächtlichen Treffen von einem Unwetter überrascht werden, flüchten sie sich in eine Hütte und erleben dort ihre erste gemeinsame Liebesnacht, die Vita allerdings ungewollt ein „Geschenk“ hinterlässt, sie wird nämlich schwanger. In einem Brief setzt sie León von der Schwangerschaft in Kenntnis, doch dieser unternimmt eine längere Reise und ist für Vita unerreichbar. Diese ist am Boden zerstört und tief verletzt, verzweifelt wägt sie ihre Alternativen ab. Soll sie das Kind abtreiben oder zur Adoption freigeben und anschließend ins Kloster gehen? Oder soll sie womöglich einen ihrer ungeliebten Verehrer heiraten? Keine der Alternativen erscheint ihr erträglich, doch als schließlich ein Brief Leóns eintrifft, erleichtert dieser ihr die schwere Entscheidung …
Ana Velosos Debütroman ist großes Kino; sie zeichnet eine exotische Welt im ausklingenden 19. Jahrhundert. Vita lebt ein glückliches Leben auf der florierenden Kaffeeplantage ihrer Eltern und genießt den Reichtum. Aufgrund der Krankheit ihrer Mutter muss Vita schon früh Verantwortung übernehmen, doch ihre starke Persönlichkeit erleichtert ihr diese Arbeit. Erst als León sich aus der Verantwortung stiehlt, wächst ihr alles über den Kopf. Wir erleben eine Welt in Brasilien, die noch dominiert ist von der Sklaverei, doch dann platzt der berühmte Sklavereigegner León Castro in das Leben der da Silvas und ist bei Vitas Eltern natürlich kein gern gesehener Gast. Als eines Tages der stumme Félix von Boavista verschwindet, ahnt noch niemand, dass León ihm zur Flucht verholfen hat und Félix nun auf seiner Plantage arbeitet und dort lesen und schreiben lernt.
Zu der Zeit, in der die Geschichte beginnt, bricht das System in Brasilien zusammen, die Sklaverei steht kurz vor der Abschaffung und auch die Monarchie ist deutlich marode geworden. All diese Umwälzungen erleben wir hautnah mit, auch den Tag, als die Sklaven plötzlich befreit sind und ihre Plantagen verlassen, um ihr Glück in der Stadt zu suchen. Die vormals reichen Plantagenbesitzer stehen vor dem Nichts und müssen nun ihren eigenen Haushalt führen und die Plantagen verfallen lassen, da sie niemanden haben, der den Kaffee ernten kann. Doch Vita hat vorgesorgt; sie lebt bereits als reiche Frau in Rio, die ihr Geld in andere Industriezweige investiert und gut angelegt hat, was ihr so viel Wohlstand beschert hat, dass sie ihre ganze Familie damit weiter versorgen kann.
Vor diesem dramatischen Hintergrund erzählt Ana Veloso die Geschichte der Vita, die in der Tat viele Charakterzüge einer Scarlett O’Hara trägt. Natürlich ist sie das schönste Mädchen weit und breit, das sich vor Verehrern kaum retten kann, aber ihr Herz verschenkt sie dann an einen Rebellen, mit dem ihre Eltern nicht einverstanden sind. Genau wie Rhett und Scarlett zwischen Liebe und Hass schwanken, ist auch die Beziehung von Vita und León von großer Leidenschaft, aber auch viel Leid und Schmerz geprägt, da sie einfach nicht zueinander finden wollen.
Zu Beginn schafft es Ana Veloso überzeugend, die magische Anziehungskraft zwischen Vita und León zu beschreiben, von der ersten Begegnung an knistert es zwischen den beiden, und dem erfahrenen „Historienschmöker-Leser“ ist natürlich sofort klar, dass sich zwischen ihnen eine leidenschaftliche und dramatische Affäre entwickeln wird. Als Vita dann aber schwanger wird und León durch die Lande reist, anstatt sich um seinen entstehenden Nachwuchs zu kümmern, kommt es zum Bruch zwischen den beiden. Vita schickt León einen Hilferuf, auf den León gar nicht reagiert.
Als sie sich einige Zeit später wiedersehen, erfährt Vita, dass León von ihrer Schwangerschaft nichts gewusst hat. Doch anstatt das Missverständnis aufzuklären, eiern die beiden ziellos umeinander und verletzen sich fortan bewusst gegenseitig. Mir ist Vitas Verhalten ehrlich gesagt nicht ganz klar geworden. Sie hätte eventuell die Möglichkeit gehabt, ihre Beziehung zu León zu retten, aber sie macht es nicht. Hier konnte Ana Veloso das Handeln ihrer beiden Hauptfiguren leider nicht ganz glaubwürdig schildern. In punkto Charakterzeichnung überzeugt Ana Veloso nicht auf ganzer Linie, denn auch Vitas Bruder Pedro zeigt teilweise merkwürdige Anwandlungen, die nicht immer schlüssig erscheinen. Aber vor dem exotischen Hintergrund und vor allem der spannenden historischen Rahmenhandlung mag man das Veloso durchaus verzeihen.
Während sich Ana Veloso zu Beginn des Buches noch auf die Familie da Silva konzentriert und sich die gesamte Handlung auf Boavista abspielt, spaltet sich die Erzählung im weiteren Verlauf der Geschichte in mehrere Handlungsstränge auf. So begleiten wir den stummen Félix auf seiner Flucht vor der Sklaverei, die er ohne Leóns Hilfe nie geschafft hätte. Dank León erhält Félix Arbeit und kann das Schreiben erlernen, sodass er sich mithilfe einer Tafel schließlich auch verständigen kann. Die Geschichte um Félix, der es schafft, in Rio sein eigenes Leben zu führen, nimmt später viel Raum ein und fügt sich stimmig in das Buch ein, was aber erst sehr spät klar wird, wenn uns Ana Veloso gen Ende mit einigen erschütternden Details füttert. Auch von Pedro und seiner Frau Joana werden wir viel zu lesen bekommen, sodass wir uns manchmal über weite Strecken des Buches von Vita trennen müssen. Genau das hat mich aber immer wieder zum Weiterlesen verleitet, weil ich natürlich wissen wollte, wie es mit den beiden Hauptfiguren weitergeht. Ohne den bunten Strauß an Nebenhandlungen hätte „Der Duft der Kaffeeblüte“ mit Sicherheit nicht sein volles Aroma entfaltet und kein solches Tempo entwickelt.
Am Ende bleibt ein sehr positiver Eindruck zurück. Ana Veloso versetzt ihre Leser in das 19. Jahrhundert und nimmt uns mit nach Brasilien auf eine florierende Kaffeeplantage, die schließlich aber verfällt, als die Sklaven befreit werden und niemand mehr den Kaffee ernten kann. Vor diesem spannenden Hintergrund zeichnet sie eine tragische und bewegende Familien- und Liebesgeschichte, die einen einfach gefangen nehmen und hinreißen muss. Wer schon „Vom Winde verweht“ verschlungen hat, wird auch dieses Buch lieben!
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