Wachlin, Oliver G. – TATORT: Todesstrafe

Der TATORT begeistert seit 1970 ein Millionenpublikum, kaum ein Tag vergeht an dem nicht mindestens eine Folge entweder in der ARD oder einem der dritten Programme gesendet wird. An solchen Tagen oder bei Gelegenheiten, an denen man keinen Zugriff auf ein Fernsehgerät hat, werden Tatort-Jünger offenbar häufig von Entzugserscheinungen geschüttelt. Der |Emons-Verlag| dealt daher seit Ende September 2009 erfolgreich mit Ersatzdrogen in Form von Buchversionen auf Basis bereits ausgestrahlter Fälle mit besonders beliebten Ermittlern. Das Duo Saalfeld/Keppler übernimmt seit 2009 das Erbe vom Erfolgsgespann Ehrlicher/Kain, welche ihre langjährige TATORT-Laufbahn bei der Leipziger Mordkommission im Jahre 2008 endgültig quittierten.

_Zur Story_

Hans Freytag engagiert sich in der alten „Fabrik“ für Jugendliche seines Viertels, indem er mit ihnen zusammen ein altes Boot aufmöbelt. Der ehemalige Skipper ist allerdings in der Nachbarschaft nicht wohl gelitten, seit seine (Noch-)Ehefrau Sybille ihn des Missbrauchs an der gemeinsamen Tochter bezichtigte. Man hält ihn für einen Kinderschänder, der zudem verantwortlich für zwei ungeklärte Kindermorde sein soll. Es formt sich gar eine Art Bürgerwehr, deren fast alltägliche Übergriffe in Form von Prügeln und Schmierereien Freytag mittlerweile beinahe stoisch erträgt. Diesmal jedoch scheint offenbar jemand die auf dem neuesten Flyer des „Bürgervereins“ geforderte – und dort einzig als gerecht gehaltene – Sühne für Kindermörder in die Tat umgesetzt zu haben: Freytag wird erstochen vor dem Boot aufgefunden. „Todesstrafe“ prangt in großen roten Lettern auf dem Rumpf.

Hauptkommissarin Eva Saalfeld hat lange ringen müssen, bis in Leipzig eine zweite Mordkommission eingerichtet wurde – unter ihrer Leitung. Allerdings war daran auch eine Bedingung geknüpft, nämlich die, ihren Ex-Partner und -Mann Andreas Keppler in den Stab zu holen. Erstaunlicherweise sagt dieser tatsächlich zu, sich in den Osten versetzen zu lassen. Keppler genießt einen legendären Ruf als effektiver Ermittler, gilt aber auch als äußerst sperriger und spröder Charakter. Eva kann ein Lied davon singen, sie waren das Dreamteam in Wiesbaden und noch dazu drei Jahre lang verheiratet. Zehn Jahre ist das her und nun traut sich Keppler erstmals in Evas Heimatstadt. Seine schrullige Art hat er nicht abgelegt und eckt damit erst einmal im Kollegium an. Eva kennt ihren Pappenheimer und muss gelegentlich die Wogen glätten, was aber nicht heißt, dass sie alle seine eigenwilligen Marotten toleriert. Viele davon bringen sie auch nach all der Zeit immer noch auf die Palme.

_Eindrücke_

Die Modernisierung des TATORT schreitet unaufhaltsam voran. Vorbei die Zeiten, in denen ein Mord von öde-stereotypen Kommissaren beinahe keimfrei aufgeklärt wurden. Heute muss man schon einiges mehr bieten, um das Publikum – in diesem Falle auch die Leserschaft – bei Laune zu halten. Einprägsame, mitunter auch schräge Charaktere sind dabei heute schon Pflichtprogramm. Diesen Part hat man hier speziell Keppler vorbestimmt, der stets mit seinem Nachnamen angesprochen wird und wohl auch werden will – selbst von seiner Ex. Die ist burschikos, selbstbewusst und verkörpert das moderne emanzipierte Frauenbild. Im allerbesten Sinne. Keppler hingegen umgibt das Flair des intuitiv-kriminalistischen Genies, dem die Spur eines „Profilers“ anhaftet, jenen Experten, die aufgrund von kleinsten Indizien komplexe Täterprofile abzuleiten vermögen.

Es ist dadurch sicherlich die interessanteste und bislang vielschichtigste Figur der neuen Leipziger Riege, wenn auch in der gesamten Reihe ohne Alleinstellungsmerkmal: Mit Kommissar Klaus Borowski aus Kiel teilt er sich einige elementare Wesenszüge. Obschon er viel sensibler scheint als das Nordlicht. Die Masche, geschlechtsgemischte Ermittlerteams auf das Publikum los zu lassen, ist in der Welt des TATORT nicht neu, sondern ein mittlerweile sehr erfolgreiches und erprobtes Rezept. Man denke an Blum/Perlmann (Konstanz), Lürsen/Stedefreund (Bremen), Odenthal/Kopper (Ludwigshafen) und den schon vorgenannten Borowski. Das Ganze funktioniert natürlich auch hier wieder trefflich – vor allem eben wegen jenes exzentrischen Keppler.

Im TV wird den Kommissaren hauptsächlich von den Drehbuchschreibern Mario Giordano und Andreas Schlüter sowie den Schauspielern Simone Thomalla und Martin Wudtke Leben eingehaucht. Bei der Romanadaption erledigt das Oliver G. Wachlin, welcher übrigens auch für die Novellisierung des Berliner Ermittlerteams Ritter/Stark (z.B. „Blinder Glaube“) verantwortlich zeichnet. Er schlägt sich dabei achtbar. Selbstverständlich gelten im Buch ganz andere erzählerische Spielregeln als auf dem Bildschirm. Gestik und Mimik fallen in diesem Medium naturgemäß flach, der Schreiber muss den Figuren verbal Kontur verschaffen. Leider ist das auch ein zweischneidiges Schwert.

Einerseits erhält man dadurch meist ein detailliertes Bild der Charaktere, andererseits läuft man schnell Gefahr, zu viel preis zu geben. Genau das passiert hier streckenweise. Im Fernsehen lebt das neue Leipziger Duo – anfangs jedenfalls – zum Teil von der zunächst nur leicht angedeuteten Vergangenheit der beiden und besonders von Kepplers geheimnisvollen, ja geradezu unnahbaren Aura. Das geht in der Adaption leider zu oft flöten, da der Leser bereits in diesem ersten Fall vergleichsweise früh recht tiefe Einblicke in die wahre Gefühls- und Gedankenwelt der beiden Hauptakteure erhält, was diese quasi entzaubert. Das beißt sich mit dem aus dem TV gewohnten Ambiente etwas, lässt sich aber anders kaum bewerkstelligen. Wie bereits erwähnt gelten im Buch schließlich andere erzählerische Gesetzmäßigkeiten.

_Fazit_

Ein kurzweiliger, moderner Krimi, der unter der Novellisierung allerdings ein wenig leidet, da er die interessante Atmosphäre und die leichten Verspannungen der beiden Kommissare aus der Fernsehserie nicht 1:1 herüber retten kann. Ansonsten bietet „Todesstrafe“ durchaus solide Kost und eignet sich gut, um das neue Leipziger Team auch Fernsehmuffeln ein gutes Stück näher zu bringen. Die Figuren sind – auch literarisch betrachtet – ausbaufähig und bergen eine Menge Potential für zukünftige Fälle.

_Die Buchdaten auf einen Blick:_

Oliver G. Wachlin: „Todesstrafe“
Begleitbuch zur gleichnamigen ARD-Serie „Tatort“
Nach einem Drehbuch von Mario Giordano und Andreas Schlüter
Emons-Verlag, Dezember 2009
ISBN: 978-3-89705-665-7
176 Seiten, Broschur

_TATORT beim Buchwurm:_
[Blinder Glaube]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5914
[Strahlende Zukunft]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5956

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