Jennifer Brown – Die Hassliste

Amokläufe an Schulen haben die Welt in den letzten Jahren immer wieder erschüttert. Jennifer Brown behandelt in ihrem Buch „Die Hassliste“ einen solchen Vorfall. Allerdings wählt sie eine ungewöhnliche Perspektive. Die Freundin des Amokläufers berichtet vom Leben danach – und von ihren eigenen Verwicklungen in die schreckliche Tat …

Valerie ist kein Kind von Fröhlichkeit. An ihrer Highschool ist sie eine Außenseiterin und wird „Todesschwester“ genannt, weil sie meistens schwarze Klamotten trägt. Zum Glück hat sie eine Clique von Leuten gefunden, die eine ähnliche Einstellung wie sie haben. Darunter ist auch Nick, ihr Freund.

Valerie setzen vor allem die hübschen und beliebten Schüler zu, wie zum Beispiel Jessica Campbell, die langbeinige Blondine, oder Christy Bruter, die nur zu gerne Schwächere mobbt. Doch auch andere Dinge belasten sie. Die Scheidung ihrer Eltern, ungerechte Lehrer – das Teenagerleben ist eben nicht einfach. Gemeinsam mit Nick beginnt sie deshalb eine Hassliste, in der die beiden alles festhalten, was sie nervt oder was sie nicht leiden können.

Für Valerie ist diese Liste nur eine Spielerei, genau wie die Gedanken der beiden darüber, wie sie sich an ihren Peinigern rächen könnten. Doch eines Tages kommt Nick mit einer Pistole in die Schule und nimmt eine von Christys Attacken als Grund, um in der Cafeteria ein Blutbad anzurichten. Sechs Menschen sterben, etliche werden verletzt – die meisten stehen auf der Hassliste. Erst als die geschockte Valerie sich vor ihn stellt und getroffen wird, hört Nick auf zu schießen – und bringt sich selbst um.

Monate später soll für Valerie endlich wieder der normale Alltag beginnen. Ihre Oberschenkelverletzung ist verheilt, die Sitzungen beim Psychologen haben sie so weit wiederhergestellt, dass sie zurück in die Schule kann. Doch dort fühlt sie sich nicht willkommen. Die Schüler wissen nicht, wie sie mit ihr umgehen sollen. Ist sie eine Heldin, weil sie Nicks Amoklauf gestoppt hat? Oder trägt sie eine Mitschuld, weil sie die Hassliste mitverfasst hat? Daneben ist Nick für Valerie nicht nur einfach ein Amokläufer, sondern auch ihr Freund, über dessen Tod sie hinweg kommen muss …

Jennifer Brown hat ein bemerkenswertes Buch geschrieben, das deutlich macht, dass die Unterscheidung in Täter und Opfer nicht immer einfach ist. Alleine die Wahl der Protagonistin ist sehr mutig. Als Freundin des Amokläufers scheint Valerie in die Sache verwickelt zu sein und die Tatsache, dass sie um Nick trauert, wirkt auf den Leser im ersten Moment ebenfalls etwas befremdlich. Doch Brown stellt ihre Ich-Erzählerin so authentisch und sympathisch dar, dass man ihr Verhalten sehr schnell zu verstehen lernt. Man erkennt außerdem, dass bloßes Schwarz-Weiß-Denken fehl am Platz ist. Valerie steht nicht hinter allem, was Nick getan hat, sondern sieht ihn durchaus in Grautönen, auch wenn sie sich anfangs selbst nicht so klar ist, wie sie damit umgehen soll.

Anders als man es vielleicht erwartet, dreht sich die Geschichte tatsächlich nur um Valerie und ihre Rückkehr ins Leben, in die Schule. Am Anfang werden die Ereignisse rund um die schreckliche Tat wiedergegeben, rutschen mit der Zeit aber in den Hintergrund. Nicks Beweggründe für seine Tat bleiben im Verborgenen, vielleicht sogar zu sehr im Verborgenen. Zu Anfang legt die Autorin noch Spuren aus, wie zum Beispiel ein neuer merkwürdiger Kumpel Nicks, verfolgt diese aber nicht weiter. Dabei wäre es sicherlich interessant gewesen zu sehen, wie der Nick, den Valerie liebte, sich zu dem Nick verwandelte, der Schüler erschoss. Dass dem Leser dieser Umstand kaum auffällt, ist der Erzählkunst der Autorin zu danken. Brown erzählt ohne Längen oder Pausen, wie Valerie allmählich zurück ins Leben kehrt und wie andere Leute in ihrer Umgebung mit den Geschehnissen umgehen. Hervorzuheben dabei sind vor allem ihre Eltern. Abgesehen davon, dass sie sich in einer Ehekrise befinden, die auch ihre Kinder nicht unberührt lässt, reagieren sie nicht immer so, wie man das als Leser erwartet. Gerade Valeries Vater tut sich negativ hervor. Sein Verhalten ist manchmal derart krass, dass man sich tatsächlich fragen muss, wer denn nun der Böse in der Geschichte ist.

Überhaupt sind die Charaktere in der Geschichte sehr stark. Neben Hauptperson Valerie, deren Gefühls- und Gedankenwelt sich vor dem Leser ausbreitet, überzeugen auch die Nebenfiguren durch Ecken und Kanten. Während Valeries Mutter immer wieder an das Klischee einer amerikanischen Mutter erinnert und dabei trotzdem echt wirkt, ist es vor allem der Psychologie Dr. Hieler, der überrascht und überzeugt. Er wirkt in den wenigen Auftritten, die er hat, so sympathisch, dass man sich ohne zu zögern selbst bei ihm in Behandlung begeben würde. Seine humorvolle Art sorgt in dem ansonsten doch eher melancholischen Buch immer wieder für helle Momente. Ein weiteres Positivbeispiel für eine tolle Nebenfigur ist Jessica Campbell, die blonde Cheerleaderin, die sich nach dem Amoklauf mit Valerie befreunden möchte. Diese braucht einige Zeit, bis sie versteht, wieso Jessica dies macht. Dabei wird jedoch deutlich, dass blonde Cheerleaderinnen sich nicht immer so benehmen, wie man das von ihnen erwartet.

„Die Hassliste“ ist trotz des negativen Titels ein Buch, das zeigt, dass jeder Tragödie auch ein Neuanfang inne wohnt. Browns Debütroman geht mit dem Thema Amoklauf anders um als man es erwartet. Die Perspektive, aus der sie schreibt, ist eine andere und die Geschichte kaum vorhersehbar. Auch wenn die Handlung nicht unbedingt voller spannender Ereignisse ist, überzeugt sie doch auf ganzer Linie. Das liegt an den Charakteren, die unglaublich authentisch und gut nachvollziehbar sind. „Die Hassliste“ ist ein tolles Jugendbuch zu einem ernsten Thema, aus dem man viel mitnehmen kann, das aber nie den pädagogischen Zeigefinger erhebt.

Hardcover: 453 Seiten
Originaltitel: |The Hate List
Deutsch von Beate Schäfer
ISBN-13: 978-3423760034
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