Endlich wird Atlantis (wieder-) entdeckt, aber leider beanspruchen Hitler-Klone und ihre Schergen die dort gebunkerten Schätze; ein Fall für Dirk Pitt, der dem braunen Pack mit Mut und unter Einsatz von Hightech ordentlich einheizt … – Der 15. Band der Pitt-Serie leidet unter einem überfrachteten Plot und kontraproduktiv grotesken Schurken, kann aber wenigstens als Unterwasser-Abenteuer Boden wettmachen: ganz sicher kein Höhepunkt der Serie, aber als Lesefutter verwertbar.
Das geschieht:
September 1858: Seit Monaten sitzt der Walfänger „Paloverde“ im Antarktis-Packeis fest. Roxanne, die Kapitäns-Gattin vertreibt sich die Zeit mit Märschen durch die unwirtliche Landschaft. Dabei entdeckt sie das Wrack des Ostindienfahrers „Madras“, der im August 1779 mit Mann und Maus mit Schrifttafeln, Statuen und Kultobjekte einer unerhört fortschrittlichen, völlig unbekannten Urzeit-Zivilisation scheiterte. Doch das Eis holt sich die „Madras“ zurück. Roxanne kann nur ein Artefakt bergen: einen Schädel, gearbeitet aus schwarzem Obsidian.
143 Jahre später kommt im US-Staat Colorado in einem Minenschacht das Gegenstück zum Vorschein. Noch interessanter sind die mit Schriftzeichen bedeckten Wände der Kammer, in der dieser Schädel gefunden wurde. Dr. Patricia O‘Connell, Expertin für alte Sprachen, wird gerufen, doch als sie sich daran macht, die Fundstätte zu untersuchen, werden sie und ihre Begleiter durch eine vorsätzlich ausgelöste Explosion tief unter der Erde verschüttet.
Rettung naht: Aus einem mit Grundwasser gefüllten Stollen taucht Dirk Pitt auf, Leiter der Abteilung für Spezialprojekte der „National Underwater and Marine Agency“ (NUMA), die der US-Marine angegliedert ist. Pitt macht Urlaub in Colorado und widmete sich dem Höhlentauchen, als er von dem Unglück erfuhr. Nun hilft er den Eingeschlossenen, als plötzlich maskierte Finsterlinge auftauchen, die alle Anwesenden umbringen wollen, nachdem sie ihnen (und dem Leser) freundlicherweise eröffnet haben, sie hätten „zu viel gesehen“.
Mit Pitt sind die Schurken allerdings an den Falschen geraten. Nachdem er und seine Begleiter sich der Möchtegern-Meuchler entledigt haben, tappen sie im Dunkeln, wieso die Bewegung „Neue Bestimmung“ – so viel kann man immerhin in Erfahrung bringen – versucht, die Entdeckung der Kammer geheim zu halten. Aber Dirk Pitt wäre nicht der Mann, der einst die „Titanic“ hob, wenn er nicht bald einer aberwitzigen Weltverschwörung auf die Schliche käme, die vom alten Atlantis über Hitlers „Führerbunker“ in Berlin bis in das ewige Eis der Antarktis reicht, wo sich das „Vierte Reich“ anschickt, die Welt buchstäblich aus den Angeln zu heben …
Pitt ist Cussler – und umgekehrt
Ein Mann lebt seinen Traum, und es gelingt ihm sogar, die Realität entsprechend umzugestalten: Längst ist kein Geheimnis mehr, dass Dirk Pitt das literarische Alter Ego Clive Cusslers ist – nur eben jünger (und schlanker) und mit mehr Schlag bei den Frauen (1). Aber sonst ist die Übereinstimmung inzwischen fast komplett, sind die Übergänge zwischen Fiktion und Realität fließend. Die NUMA hat ganz im Hier und Jetzt schon 1979 ihre Arbeit aufgenommen (2), Clive Cussler tritt gottvatergleich höchstpersönlich in seinen Thrillern auf, und sogar Pitts mit Oldtimern vollgestellter Flugzeughangar hat sein reales Gegenstück: Cussler nennt inzwischen eine dreistellige Zahl klassischer Automobile sein Eigen.
Seit Dirk Pitt die „Titanic“ hob (3), hält er sich für einen notorischen Tiefseetaucher jedenfalls erstaunlich hartnäckig und hoch auf den Bestseller-Listen dieser Welt. Dabei bedeutete der „Titanic“-Triumph in gewisser Weise schon das Ende des Schriftstellers Clive Cussler: Er hat in einem Vierteljahrhundert keinen Grund mehr gesehen, vom einmal entdeckten Erfolgsrezept auch nur ein Jota abzuweichen. So beginnt „Akte Atlantis“ mit dem typischen Cussler-Prolog, der ein historisches Rätsel der Vergangenheit beschreibt, das nie gelöst werden konnte, bis Dirk Pitt kommt.
Dieses Mal ist es sogar zweiteilig; ganz klassisch geht zum einen ein Schiff unter mysteriösen Umständen verloren, während zum anderen das dramaturgisch stets zuverlässige Weltuntergangs-Szenario eines gewaltigen Kometeneinschlages heraufbeschworen wird, dem dieses Mal nicht die Dinosaurier, sondern wie im Titel angekündigt das sagenhafte Atlantis zum Opfer fällt.
Atlantis für Anfänger
Das hat man oft gesucht in den Jahrtausenden, die seither verstrichen, aber wie so oft bleibt es dem Glückspilz Pitt vorbehalten, es tatsächlich zu finden. Wie er das schafft, verfolgt der Leser gern, denn Cussler variiert zwar nur bekannte Action-Thriller-Elemente, aber er nimmt seinen Auftrag zu unterhalten ernst, was bei der Lektüre jederzeit deutlich wird. In einem Cussler-Thriller ist immer etwas los; „Akte Atlantis“ bildet da keine Ausnahme. Über neun Jahrtausende und den gesamten Erdball spannt sich der Spannungsbogen; ein eindrucksvolles Szenario, das indes in der Summe seiner einzelnen Bestandteile deutlich besser funktioniert denn als Ganzes.
Leider verliert Cussler seine Atlantis-Geschichte bald aus den Augen; sie ist nur einer der zahlreichen Plots, mit denen der Autor die Handlung seiner Romane künstlich zu verwirren pflegt. Natürlich ist bei einem fröhlich-unlogischen Thriller vom Kaliber „Akte Atlantis“ die Gefahr stets groß, es mit den abenteuerlichen Verwicklungen um des Effektes willen zu übertreiben. Hier leistet sich der Autor mit der Besetzung der Schurkenrolle(n) einen bösen, nicht wieder gut zu machenden Fauxpas.
Nach dem Zusammenbruch der UdSSR war auch für Cussler das unerschöpfliche Reservoir ausgetrocknet, aus dem Literatur und Film die kapitalsten Bösewichter fingen. Es dauerte eine Weile, bis heldenhafte Weltenretter neue Lumpen gefunden hatten. Nur die Nazis und damit die letzten Finsterbolde der Geschichte, denen die US-Boys einst mit Fug‘ und Recht in den Hintern getreten hatten, ohne dafür vom undankbaren Rest der Welt kritisiert zu werden, konnten sich halten.
Antarktis-Weiß mit braunen Flecken
Inzwischen suchen letzten realen Nazis keinen Lebensraum im Osten mehr, sondern höchstens den Ausgang der Senioren-Toilette. Ihre angeblichen Nachfolger im Geiste wirken beklemmend in ihrer bösartigen Verstocktheit, sind aber niemals eindrucksvoll oder lassen den Eindruck aufkommen, sie könnten die Welt beherrschen. Daher war es keine gute Idee, Dirk Pitt dieses Mal gegen die Schergen eines „Vierten Reiches“ antreten zu lassen. Diese ‚neuen‘ Nazis dreschen die alten Phrasen, und wer mit einem U-Boot Baujahr 1945 die Weltmeere durchkreuzt, taugt einfach nicht zum scheinbar allmächtigen, unsichtbaren Dritten!
Im weiteren Verlauf der Handlung wird das brauntrübe Gemenge zusehends unbekömmlicher. Cussler hakt im Schnelldurchgang die nazideutsche Geschichte ab, wie sie seine Landsleute aus den „Indiana-Jones“-Filmen kennen: Zusammen mit Nazi-Prominenz, geraubten Schätzen und der Heiligen Lanze reist also Anno 1945 Hitlers Asche gen Südamerika. Vorher hat der „Führer“ noch eine Probe seines Spermas einfrieren lassen, aus dem der finstere Dr. Mengele eine Rasse arischer Supermenschen (Familie Wolf: u. a. Karl, Otto, Elsie, Heidi und – Blondi …) mendelt (4), die im Jahre 1 des 3. Jahrtausends das Erbe der Atlanter antreten, den anstehenden Untergang der Welt an Bord einer ganzen Flotte von Arche Noahs überstehen und über den Ruinen der alten Welt ein zehntausendjähriges (!) „Viertes Reich“ gründen wollen.
Klingt das irgendwie bescheuert? Keine Sorge; es wird sogar noch bizarrer! „Akte Atlantis“ gehört eindeutig zu jenen Produkten der Unterhaltungsindustrie, die sich nur mit einem ausgeprägten Sinn für unfreiwilligen und schrägen Humor goutieren lassen. Dann allerdings kommt man auf seine Kosten – und zu der Erkenntnis, dass Cussler sichtlich nicht mehr weiß, gegen welchen Gegner er den unbezwingbaren Pitt in seinem 15. Abenteuer noch antreten lassen soll!
Der Mann mit der Masche
Inzwischen schreibt Cussler seine Pitt-Romane wohl hauptsächlich deshalb, um Geld für sein kostenintensives Steckenpferd, die NUMA, aufzutreiben. Wirklich Neues bieten sie schon lange nicht mehr. Aber Cussler ist ein Routinier, der weiß, wie man sein Publikum fesselt. Auch „Akte Atlantis“, so enttäuschend und dümmlich der Nazi-Subplot auch missraten ist, kann im Atlantis-Handlungsstrang Boden wettmachen. Hier spielt Cussler sein Talent aus, Historien-Rätsel und Hightech (plus eine ordentliche Dosis Militär-Fetischismus) zu einem wüsten aber unwiderstehlichen Garn zu verknüpfen, dem man sich gern anvertraut, wenn man sich als sturmerprobter Leser in den Mahlstrom der modernen Unterhaltung hinablässt.
Anmerkungen:
(1) Sogar leicht schizophrene Züge lassen sich feststellen, denn Cussler projiziert sein Ich auch in die Figur des knorrigen Übervaters Admiral Sandecker.
(2) Sie leistet das, wovor sich die echte Marine drückt, und forscht legendären Schiffswracks hinterher. Auch wenn „Dr.“ Clive Cussler mit seinem Ehrentitel (verliehen von der State University of New York) ein wenig verschwenderisch umgeht und der historische Wert ihrer Arbeit manchmal etwas fragwürdig ist, lohnt die Website www.numa.net der NUMA auf jeden Fall einen Besuch.
(3) Das ist bekanntlich ein schöner Traum geblieben und wird einer bleiben; dem armen Cussler beschert seine Version der „Titanic“-Historie seit der Wiederentdeckung des Wracks 1985 arge Probleme, denn sie lässt sich nur schwer in die Chronologie seines Helden einpassen. Wenn man so will, schrieb Cussler eigentlich schon vor „Akte Atlantis“ Geschichten, die auf einer Parallelwelt angesiedelt sind. In Cusslers Jahr 2001 wird jedenfalls Prinz Charles auf den englischen Thron gesetzt, was definitiv phantastisch ist!
(4) Da der „Führer“ primär als Verbalerotiker in die Geschichte einging, muss es einige Zeit gedauert haben, bis genügend genetisches Ausgangsmaterial zusammengekommen ist; dank Clive Cussler wissen wir endlich, wieso sich Hitler so lange in seinem unteririschen Bunker verkrochen hat!
Autor
Geboren 1931 in Alhambra, US-Staat Kalifornien, zog Clive Eric Cussler mit der Airforce in den Koreakrieg (wenn auch als Mechaniker und Bordingenieur, nicht als Kampfpilot, wie uns mancher Klappentext weismachen möchte …). Seinen Hang zur biografischen Ausschmückung sowie die Entwicklung eines lukrativen Franchises konnte Clive Cussler in den Jahrzehnten entwickeln, die er an der Spitze zweier Werbeagenturen verbrachte.
1973 versuchte er sich als Schriftsteller. Fast unbemerkt erlebte Dirk Pitt in „The Mediterranean Caper“ (dt. „Der Todesflieger“) sein erstes Abenteuer. Doch erst Opus Nr. 3 brachte den eigentlichen Durchbruch, nachdem Cussler sich seiner Erfahrungen aus der Werbebranche bediente und Hightech mit Spektakel zum Hochgeschwindigkeits-Thriller mischte: „Hebt die Titanic!“ war 1976 ein Bestseller (der 1980 sogar verfilmt wurde, aber zu Cusslers Kummer einen oberen Rang auf der Liste der schlechtesten Filme aller Zeiten belegt; seit 2005 macht ihm „Sahara“, ebenfalls nach einer Vorlage Cusslers entstanden, diesen Rang streitig); Cussler wurde zum reichen Mann.
Die Dirk-Pitt-Serie baute er zum Franchise aus. Inzwischen liefert Cussler primär ‚Ideen‘ für Thriller-Klone, die von anderen Autoren umgesetzt werden. In der Hauptserie geht ihm Sohn Dirk zur Hand. Die „Numa-Akten“ verfasst (seit 1999) Paul Kemprecos, für die „Oregon-Chroniken“ zeichnen seit 2003 Craig Dirgo bzw. Jack Du Brul. Um die Fans bei der Stange zu halten, gibt es Gastauftritte der jeweiligen Helden in den Serien der ‚Kollegen‘. 2007 gesellte sich Isaac Bell zu den genannten Haudegen; seine Abenteuer finden im frühen 20. Jahrhundert statt und werden seit Band 2 von Justin Scott geschrieben. 2009 ging das Schatzsucher-Paar Sam und Remi Fargo in den Einsatz.
Taschenbuch: 575 Seiten
Originaltitel: Atlantis Found (New York : G. B. Putnam’s Sons 1999)
Übersetzung: Oswald Olms
www.randomhouse.de/blanvalet
E-Book: 2066 KB
ISBN-13: 978-3-641-13267-5
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