Die Autorin von „Das Janusgesicht der PDS“, Viola Neu, ist Koordinatorin für Wahl- und Parteienforschung bei der Konrad-Adenauer-Stiftung und legt eine sehr interessante Untersuchung über die PDS vor. Seit dem Zusammenbruch der DDR erlebt diese ein ständiges Auf und Ab in der Wählergunst. Von Anfang an sagte man der PDS keine Zukunft voraus, aber immer wieder hat sie es bislang geschafft sich im Gegensatz zu anderen linken Parteien bei den Wählern nicht unterzugehen. In ihrer Untersuchung kommt Viola Neu zum Ergebnis, dass die Positionen der PDS mehrheitlich außerhalb des Verfassungsbogens angesiedelt ist, wobei sie sich nicht wirklich dem Begriff des Extremismus bedienen möchte. Verdienstvoll an ihrer Untersuchung ist, dass sie die Extremismusforschung sowohl aus der rechten wie linken Position miteinander vergleicht.
Mit der PDS wurde zum ersten Mal seit der Weimarer Republik (abgesehen kurzzeitig von der KPD zu Beginn der 50er Jahre) eine sozialistische Partei links von der SPD in den Bundestag und die Landesparlamente gewählt. Zwar ging sie aus der SED hervor, aber sie ist nicht einfach deren Nachfolgepartei und beansprucht auch nicht mehr den Marxismus-Leninismus als einzig richtige Weltanschauung. Nicht einmal die „führende“ Partei der Arbeitsklasse will sie mehr sein, sondern nur noch ein Sammelbecken „der Linken“. Nach den Grünen ist die PDS die zweite alternative Partei im Parteienspektrum der Bundesrepublik, der es gelang, sich über längere Zeit hinweg zu etablieren. Im Westen anfangs völlig ignoriert, änderte sich das 1998, als es in Mecklenburg-Vorpommern zur Koalition SPD-PDS kam, später auch in Berlin. Damit war der Integrationsprozess in das Parteiensystem abgeschlossen.
Erfolg und Misserfolg liegen allerdings ständig beieinander. Die PDS hat sich als ostdeutsche Regional- und Regierungspartei definitiv etabliert. Diese Verankerung war aber zugleich die Voraussetzung für den Misserfolg im Westen. Den westdeutschen Wählern war die Notwendigkeit einer neomarxistischen Partei des „dritten Weges“ jenseits von Kapitalismus und Stalinismus und links von Grünen und SPD nicht plausibel zu machen. Das Selbstverständnis der PDS beruht auf dem Postulat, Sammelbecken der Linken zu sein. Dabei richtete sie im Westen ihre Hoffnungen auf einen Teil des linken sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Spektrums sowie auf das Feld, das in der kommunistischen Vergangenheit mit der Strategie der Bündnispolitik umworben wurde (z. B. links-alternatives Milieu, antifaschistische Bewegungen, Friedensbewegung). Bündnispolitik gehört seit Lenin und dauerhaft seit den 1930er Jahren zum strategischen Arsenal kommunistischer Parteien. Mit diesem Anspruch gelang es der PDS, die Basis für eine neue moderne linkssozialistische Partei gelegt zu haben, die sowohl im Osten als auch, seit Hartz IV, im Westen mehr und mehr breitere Akzeptanz in der Wählerschaft findet.
Trotz ihrer Regierungsbeteiligung wird die PDS nach wie vor vom Verfassungsschutz beobachtet und mit rechtsextremen Parteien auf eine Stufe gestellt. Die PDS widerspricht diesem Vorwurf des Linksextremismus. Nach ihrem Selbstverständnis ist sie eine antikapitalistische und antifaschistische Partei, die sich für einen demokratischen Sozialismus einsetzt. Neutrale politische Beobachter sind sich allerdings auch sehr unsicher, ob der Extremismus-Vorwurf anwendbar ist. Im Westen bildete sich die PDS anders als im Osten zu einem Gravitationsfeld für eine Vielzahl linker Gruppen und Zusammenschlüsse heraus, die bis heute das Erscheinungsbild der PDS im Westen prägen. Im Wesentlichen erhielt die PDS Zulauf vom „Reformer“-Flügel der DKP, dem KB, der VSP und dem BWK. Anfangs kandidierte sie im Westen deswegen als „Linke Liste/PDS“. Da aber ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes 1990 Listenverbindungen verbot, gründeten sich aus dieser Liste heraus die westdeutschen Landesverbände.
Die Hoffnung, größeren Teilen der Grünen oder der SPD eine neue Heimat zu bieten, hat sich nicht erfüllt. Die PDS hat das für sie mobilisierbare linke Potenzial weitgehend erschlossen. Aber noch immer bleibt ein offenes Feld, das von den Grünen, der SPD und aus dem Nichtwähler- und Protestwählerlager kommt, und kann für die PDS dadurch auch in Zukunft das Wählerpotenzial konstant ausweiten. Da die Grünen insbesondere in ihren ersten Jahren vom Milieu der „K-Gruppen“ mitgetragen wurden, ist ein Wechsel gerade dieser Klientel zur PDS nicht auszuschließen. Die programmatische Ausrichtung der Grünen hat sich seit den 90er Jahren deutlich gewandelt, wodurch für die PDS nun auch eine ideologische Nische im westdeutschen Parteiensystem existiert. Die Betonung des außerparlamentarischen Widerstands, die Aktivitäten im Rahmen der „Anti-AKW-Bewegung“ (u. a. bei den Castor-Transporten) oder auch der Antifaschismus sowie das Themenfeld Frieden (hier das Nein der PDS zu den SFOR-Einsätzen) spielen für die Mobilisierungsmöglichkeiten eine große Rolle. Die PDS hat viele Themenfelder besetzt, die in der westdeutschen Linken bedeutsam sind und von den Grünen nicht mehr vertreten werden.
Im Osten ist sie klar zu den Volksparteien zu zählen, was dort aber auch an der noch starken Anbindung der Bevölkerung zur ehemaligen SED liegt. Interessanterweise gibt es deswegen eine große Kluft zwischen der Ost- und der West-PDS. Als extremistisch wird allerdings hierbei eher die West-PDS eingestuft. Wobei selbst die Autorin hier darauf hinweist, dass der Extremismus-Begriff (genauso wie der „Totalitarismus“) in der wissenschaftlichen wie in der politischen Welt sehr umstritten ist. Mit dem Extremismusbegriff sollen alle politischen Erscheinungsformen mit antidemokratischem Charakter erfasst werden, unabhängig von ihrer politischen Verortung und Begründung. Unabhängig von völlig unterschiedlichen Phänomenen wird Extremismus auf diese allesamt angewandt. Deswegen ist es schlicht ein unlauterer „Kampf-Begriff“. Es besteht in der politischen Auseinandersetzung die Tendenz, die jeweilig entgegengesetzte Richtung mit dem Extremismusbegriff zu belegen und er dient im Grunde nur der Ausgrenzung unbequemer Kräfte. Einige Wissenschaftler fordern aufgrund seiner Instrumentalisierung als Kampfbegriff, diesen Ausdruck zu vermeiden.
Die PDS auf eine Stufe mit den rechten Parteien zu stellen wie der NPD – wie jüngst bei den Montagsdemonstrationen wieder oft geschehen – ist grober Unfug. Die verfassungsfeindlichen Ziele einer NPD sind bei der PDS nicht gegeben. Die NPD dagegen unterscheidet wenig von den Zielen der NSDAP und argumentiert genau wie Goebbels 1928: „Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahm zu legen. Wenn die Demokraten so dumm sind, uns für diesen Bärendienst Freikarten zu geben, ist das ihre eigene Sache. Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir“. Diese Vergleiche, die die Autorin zieht, sind recht interessant, denn es gibt zu wenige empirische Studien, die nach strukturellen und inhaltlichen Gemeinsamkeiten in den Einstellungsmustern des rechten und linken Extremismus suchen. Linksextremistisch inspirierte Ideologien verheißen das utopische Ideal einer herrschaftsfreien Gesellschaft, in der das Individuum von all seinen (ökonomischen und sozialen) Zwängen befreit sein wird. In kommunistisch/sozialistischen Ideologien spielt die radikale Veränderung der Eigentumsverhältnisse als eines der Hauptinstrumente der sozialen Nivellierung und der Umgestaltung der Machtverhältnisse eine zentrale Rolle. Linksextremistische Ideologien haben utopische Züge. Als säkularisierte Heilslehren verheißen sie die Schaffung einer idealen Welt, in der Frieden und Gerechtigkeit herrschen und alle antagonistischen Widersprüche beseitigt sind. Deswegen versteht die Autorin diese auch eher als „politische Religion“. Totalitarismus bezieht sich auf Herrschaftsstrukturen, politische Religion auf Denkweisen und politische Ziele.
Wer sich mit Wahlanalysen beschäftigt, findet sehr viele Statistiken zu allen Aspekten diesbezüglicher Forschung in diesem Buch. Interessant ist, dass obwohl im Osten die Partei über viele Wähler verfügt und im Westen über weniger, dass die Perspektive dennoch auch eine andere sein kann. Denn im Osten besteht die Partei hauptsächlich aus sehr alten Menschen. Austritte sind fast keine zu verzeichnen, wenn dann nur durch Todesfall. Im Westen sind sehr wenige ältere Menschen in der Partei und ihr „Aussterben“ ist deswegen nicht zu befürchten. Die PDS ist eine sehr interessante Partei, die sich bisher immer wieder von dem ständig prophezeiten Verschwinden aus der politischen Landschaft auf überraschende Weise erholen konnte.
Siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/PDS.
Aus dem Inhalt:
1. Einleitung
1.1 Von der SED zur PDS
1.2 Problemstellung
1.3 Aufbau
1.4 Forschungsstand
2. Facetten einer Partei
2.1 Mitgliederentwicklung
2.2 Sozialstruktur der Mitglieder
2.3 West-Partei
2.4 Wahlergebnisse in den alten Bundesländern
2.5 Wahl-Partei
2.5.1 Wählerwanderungen
2.5.2 Wählerpotenziale
3. Theorien des Wahlverhaltens
3.1 Wahlforschung im Verfassungsstaat
3.2 Soziologische Ansätze
3.3 Übertragung der soziologischen Ansätze auf die neuen Bundesländer
3.4 Sozialpsychologischer Ansatz
3.5 Übertragung des sozialpsychologischen Ansatzes auf die neuen Bundesländer
3.6 Rational-choice-Theorie
3.7 Übertragung der rational-choice-Theorie auf die neuen Bundesländer
4. Politisches Verhalten der PDS-Wähler
4.1 Vereinigungsverlierer- und cleavage-Hypothese
4.2 Sozialstruktur der PDS-Wähler
4.3 Parteiidentifikation der PDS-Wähler
4.4 Imagekomponenten der PDS
4.5 Vereinigungsverlierer
4.6 Ost-West-cleavage
4.6.1 Einstellungen der PDS-Wähler zur wirtschaftlichen Lage
4.6.2 Einstellungen der PDS-Wähler zu Staat und Gesellschaft
4.6.3 Einstellungen der PDS-Wähler zu Demokratie und Institutionen
4.7 Politische Partizipation
4.8 1993 – Geburtsjahr der DDR-Nostalgie
_Viola Neu
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Wähler und Partei zwischen Demokratie und Extremismus
289 Seiten, Paperback
|Nomos| Verlagsgesellschaft
Juli 2004
ISBN 3-8329-0487-5_