Gene Hackman/David Lenihan – Jacks Rache. Eine abenteuerliche Reise nach Havanna

Jüngling Jack muss als gemeiner Matrose vor dem Mörder seiner Eltern flüchten. Auf hoher See reift er zum Mann, erlebt unzählige Abenteuer und kehrt schließlich heim, um den Strolch zur Rechenschaft zu ziehen und seine wahre Liebe zu befreien … – Was klingt wie eine Sammlung einschlägiger Klischees, ist auch eine, wobei die unbekümmerte Fabulierkunst des Autorenpaares trotzdem für Unterhaltung sorgt: kunterbuntes, nur bedingt die historischen Tatsachen streifendes Seemannsgarn.

Das geschieht:

Hamden, eine kleine Stadt im neuenglischen US-Bundesstaat Conneticut, 1805. Seit der streitbare Büchsenmacher Ethan O‘Reilly hier lebt, darf kein Ausländer vertrieben, kein Sklave gezüchtigt, kein Papistenknecht verprügelt werden, ohne dass dieser selbst ernannte und höchst lästige Anwalt der Menschenrechte seine Stimme erhebt. Dabei sollte eigentlich jeder vernünftige Zeitgenosse wissen, dass die Verfassung der noch jungen Vereinigten Staaten als Soll- und nicht als Mussvorgabe auszulegen ist; wohin kämen wir wohl, wenn jeder dahergelaufene Fremdling Freiheit und Gleichheit für sich in Anspruch nehmen könnte?

Da O‘Reilly sich solchen vernünftigen Argumenten nicht zugänglich zeigt und außerdem mit einer Kubanerin verheiratet ist, liegt es nahe, Hamden zu verlassen. Pilar plagt ohnehin das Heimweh, und in Kuba wartet das Plantagen-Erbe ihrer gut betuchten Familie. Der junge Jack, einziger Spross der O‘Reillys, ist erleichtert. Für die Kompromisslosigkeit des Vaters hat ihn die Hamdener Jugend bitter büßen lassen. Jetzt wird alles anders – und besser! Dummerweise schießt auf Kuba die Gesetzlosigkeit noch höher ins Kraut als das Zuckerrohr. Die O‘Reillys finden ihre Plantage besetzt. Der adlige Finsterling Graf Alfonso de Silva hat sich den Besitz angeeignet; er lässt Ethan und Pilar kurzerhand umbringen. Jack kann entkommen und heuert Jack im Hafen von Havanna auf dem Handelsschiff „Perdida Star“ an.

Das Seemannsleben ist rau, aber Jack lernt sich durchzusetzen. Er findet seinen Platz in der Crew und schließt Freundschaft mit dem erfahrenen Maat Quince und dem gebildeten Querdenker Paul le Maire. Gemeinsam trotzt man der Tatsache, dass offenbar Poseidon selbst an Bord ist und auf einer langen Liste jene Schicksalsschläge abhakt, die einen Seemann erschüttern können. Wahnsinniger Kapitän, Stürme, Schiffbruch, einsame Insel, edle und üble Wilde, bösartiges Meeresgetier, zwielichtige Sklavenhändler & Piraten markieren den (Leidens-) Weg, der Jack und über mehr als den halben Globus und schließlich wieder zurück nach Kuba führt, wo sowohl der schurkische de Silva als auch die schöne Colette ihn erwarten …

Auch Schauspieler können/wollen schreiben

Posaunen wir die Sensation gleich zu Beginn heraus, damit wir‘s hinter uns haben: Jawohl, einer der beiden Autoren dieses Romans ist tatsächlich identisch mit dem Hollywood-Haudegen Gene Hackman, dem einstigen Star ewiger Kinoklassiker wie „Bonnie & Clyde“, „French Connection I/II“ oder „Mississippi Burning“ und später gern und viel beschäftigten Nebendarsteller in Mainstream-Blockbustern wie „Schnappt Shorty“, „Die Kammer“ oder „Absolute Power“.

Nachdem seine Filmkarriere ihren Zenit deutlich überschritten hatte – 2004 ging Hackman in Rente -, suchte der agile Künstler andere Herausforderungen. Privat offenbar nicht nur daran interessiert, sein Golfspiel zu verbessern, sondern ein Hobby-Historiker mit einem besonderen Faible für die Seefahrtgeschichte der USA, tat sich Hackman mit dem Unterwasser-Archäologen und TV-Dokumentaristen Daniel Lenihan zusammen, um den schon länger gehegten Traum vom Debüt als Schriftsteller zu realisieren.

Nachdem dies geklärt ist, sollten wir Hackmans schillernde Gaukler-Vita sogleich wieder vergessen und „Jacks Rache. Eine abenteuerliche Reise nach Havanna“ so gewichten & werten, wie es dieses Buch verdient: als knallig-bunten, actionreichen Thriller mit viel Zeitkolorit, aber ohne Tiefgang oder formale Raffinesse.

Buntes Garn mit holpriger Entstehungsgeschichte

Allerdings hatten Hackman und Lenihan ursprünglich durchaus große Rosinen im Kopf; die große Trias des klassischen Seeabenteuer-Romans – Jack London, Herman Melville & Robert Louis Stevenson – wollten sie gar beschwören. (Hinzu kommt eine kräftige Prise Daniel Defoe) Leider sind wohl nur mindere Geister im Verlauf dieser Séance erschienen, die sich über dreieinhalb Jahre hinzog; beiden Autoren waren in ihren Hauptberufen viel beschäftigte Männer und konnten sich dem gemeinsamen Werk nur nach Feierabend widmen.

Angesichts der etwas konfusen Entstehungsgeschichte ihres Werks kann man dem Autorenduo Fabulierfreude (und Hartnäckigkeit) nicht absprechen. Statt gemeinsam einen Handlungsbogen festzulegen und sich dann kontinuierlich vom Beginn der Geschichte bis zum Finale vorzuarbeiten, stürzten sich Hackman und Lenihan auf jene Themen, die just ihr Interesse weckten. Solche Disziplinlosigkeit ließ – wenig überraschend – kein durch Kapitel gegliedertes Manuskript, sondern ein umfangreiches Konvolut aus- und abschweifender Episoden entstehen, während es um den inhaltlichen Zusammenhalt eher schlecht bestellt stand.

Um daraus ein Buch entstehen zu lassen, war mehr als das übliche Maß an Nachbearbeitung erforderlich. Die Spuren der schlingernden Genese ließen sich indes nicht völlig tilgen. Glücklicherweise rankt sich „Jacks Rache“ thematisch um die Macht des Zufalls und den Unwägbarkeiten des Lebens, wozu eine gewisse inhaltliche Inkonsistenz ganz gut passt.

Furcht vor dem Moment der Ruhe

Langweilig lassen Hackman & Lenihan in ihrem Seemannsgarn jedenfalls an keiner aufkommen. Stets geschieht irgendwo etwas, Ruhe kehrt selten ein. Das ist gut so, denn der Leser vergisst über das abenteuerliche Geschehen meist die Frage, ob ihm (oder ihr) nicht gar zu bekannt ist, was sich vor dem geistigen Auge abspielt. Nicht nur eine Seeräuber-Pistole will das Autoren-Duo erzählen, sondern auch die Entwicklung Jacks vom naiven Jüngling zum erfahrenen Mann nachzeichnen. In Ansätzen ist es wohl auch gelungen, den Helden nicht in die Klischee-Falle tappen zu lassen.

Jack ist nicht der passive, gutgläubig-treuherzige Trottel Hollywoodscher Prägung, der sich offenstehenden Mundes mit der Schlechtigkeit dieser Welt konfrontiert sieht, sondern weiß sich von Anfang an seiner Haut zu wehren. (Ob Gene Hackman sich hier seiner eigenen Jugend erinnert, als er 1947 mit gefälschten Papieren als 16-Jähriger ins US-Marinecorps eintrat?)

Aber auch die nach umfassender Recherche gelungene Rekonstruktion einer Seefahrt im Jahre 1805 verhindert nicht, dass mit dem Fortgang des Geschehens die Käpt‘n-Blaubär-Elemente allmählich überhandnehmen. Es ist schon ein verschrobener Haufen, mit denen sich Jack über und unter den Wellen tummelt! Hier hätten Hackman/Lenihan nicht gar zu sehr an den großen Vorbildern kleben dürfen. Die pittoreske Farbigkeit der Figuren wirkt z. B. in „Die Schatzinsel“ von 1886 völlig natürlich, aber entweder war Stevenson als Schriftsteller einfach einige Klassen besser als seine Epigonen, oder das Publikum ist nach mehr als einem swashbucklernden Kino- und Comic-Jahrhundert der alten und alt gewordenen Muster einfach überdrüssig.

Über und unter Wasser dem Ziel entgegen

Dennoch gehört „Jacks Rache“ zu den seltenen Büchern, die nach einem schwachen Start kontinuierlich an Tempo und Spannung zulegen. Besonders die zahlreichen Tauchsequenzen sind Lenihan – Fachmann, der er ist – ausgezeichnet gelungen. Eine rührselige Hurra-USA-Szene kurz vor Toresschluss stößt noch einmal sauer auf, aber da hat die Geschichte endgültig so viel Eigendynamik gewonnen, dass sie sich durch erzählerische Untiefen nicht mehr stoppen lässt. Sogar das erwartete Stirb-Strolch!-Finale bleibt aus.

Wieder einmal unpassend ist der deutsche Titel; Jack denkt die meiste Zeit an nichts weniger als an Rache. Im Vordergrund stehen seine nautischen Abenteuer, wie es der Originaltitel auch unmissverständlich deutlich macht. Erst zum Schluss geht es dem de Silva an den Kragen.

Außerdem führt Jack seine „abenteuerliche Reise“ weniger „nach“, sondern die meiste Zeit VON Havanna weg in die weite Welt. Nun ja, kein Grund sich aufzuregen, und nichts, das man den Autoren ankreiden müsste. Sie haben ihren Job mit viel Lust und Liebe getan, was keinen neuen Klassiker der historisch-maritimen Literatur, aber einen naiv-charmanten und jederzeit kurzweiligen Schmöker für lange Lektüreabende entstehen ließ.

Taschenbuch: 511 Seiten
Originaltitel: Wake of the Perdido Star (New York : Newmarket Press/Newmarket Publishing and Communications Company 1999)
Übersetzung: Helga Herborth
http://www.randomhouse.de/heyne

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